Titel:
Schriftlicher Teil des Zweiten, Abschnitts der Ärztlichen, Prüfung, Humanmedizin, Ärztliches Prüfungsrecht, Antwort-Wahl-Verfahren, Multiple-Choice-Verfahren, Fragestellung, Bewertung der Antwortmöglichkeiten, Bestandskraft der Feststellung des endgültigen Nichtbestehens, Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens
Normenketten:
GG Art. 12
ÄApprO § 14
ÄApprO § 29
Schlagworte:
Schriftlicher Teil des Zweiten, Abschnitts der Ärztlichen, Prüfung, Humanmedizin, Ärztliches Prüfungsrecht, Antwort-Wahl-Verfahren, Multiple-Choice-Verfahren, Fragestellung, Bewertung der Antwortmöglichkeiten, Bestandskraft der Feststellung des endgültigen Nichtbestehens, Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19237
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte oder der Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Der 31-jährige, in Ka... geborene Kläger begehrt Rechtsschutz hinsichtlich einer Entscheidung des Beklagten über das Nichtbestehen der ersten Wiederholungsprüfung des schriftlichen Teils des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung.
2
Der Kläger studierte seit dem Wintersemester 2013/14 zunächst an der … … und seit November 2019 an der … … (Universität) im Fach Humanmedizin. Nach Absage des Prüfungstermins im Frühjahr 2020 bestand er den schriftlichen Teil des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung im April 2021 erstmals nicht.
3
Mit Ladung vom 16. August 2021 wurde der Kläger zur ersten Wiederholungsprüfung des schriftlichen Teils des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung vom 5. bis 7. Oktober 2021 (Prüfung) geladen. In der Prüfung wurden ihm unter anderem folgende drei Prüfungsfragen gestellt:
4
1. Frage 79, Auflage A, 1. Prüfungstag (Frage I A 79): „Sie sind als Assistenzarzt (m/w/d) im 1. Weiterbildungsjahr in der Unfallchirurgie in der Notaufnahme einer Klinik der Maximalversorgung eingesetzt. In einem Nachtdienst behandeln Sie einen bewusstlosen Patienten mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma. Ein Schädel-CT ergibt keinen Hinweis auf eine intrazerebrale Blutung. Ihnen fallen zahlreiche frische Hämatome am gesamten Körper auf. Unmittelbar über dem äußeren Drittel der linken Augenbraue sehen Sie eine etwa 2,5 cm lange, gerade, glattrandige Hautdurchtrennung. Da der Patient noch nicht wieder bei Bewusstsein ist und Sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er Opfer einer Straftat geworden ist, beschließen Sie, die Verletzungen mit Maßstab fotografisch zu dokumentieren. Sie beginnen mit der Wunde über dem linken Auge, noch bevor Sie diese versorgen. Dabei sind Sie sich nicht sicher, ob sie die Folge einer scharfen oder einer stumpfen Gewalteinwirkung ist. Welcher Befund spricht differenzialdiagnostisch am stärksten für eine stattgefundene scharfe Gewalteinwirkung als Ursache der Wunde über dem äußeren Drittel der linken Augenbraue?
5
A) der gerade Verlauf B) die glatten Wundränder C) zwei spitze Wundwinkel D) fehlende Gewebsbrücken in der Tiefe der Wunde E) ein schmaler Vertrocknungssaum in der Umgebung der Wunde“
6
2. Frage 103, Auflage A, 2. Prüfungstag (Frage II A 103): „Eine 50-jährige Patientin klagt bei ihrem Augenarzt über eine temporale Gesichtsfeldeinschränkung beider Augen, die in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Bei der Anamneseerhebung gibt sie seit der Kindheit bekannte Schlupflider und eine gut eingestellte Hashimoto-Thyroiditis an. Weitere Beschwerden werden nicht erwähnt. Der Visus beträgt beidseits 1,0, das Farbensehen und der Fundusbefund sind normal. In der Hertel-Exophthalmometrie finden sich bei einer Basis von 105 mm ein Wert von 18 mm für das rechte und 17 mm für das linke Auge. Welche der folgenden Diagnosen ist in diesem Fall die wahrscheinlichste Ursache für die zunehmende Einschränkung des Gesichtsfeldes?
7
A) eine altersbedingt zunehmende Dermatochalasis B) ein Keilbeinflügelmeningeom C) ein M. Basedow mit zunehmendem Exophthalmus D) ein rechtsseitiger Infarkt im Stromgebiet der A. cerebri posterior E) ein primäres Offenwinkelglaukom im Frühstadium“
8
3. Frage 96, Auflage A, 3. Prüfungstag (Frage III A 96): „Ein 48-jähriger Patient sucht wegen einer neu aufgetretenen Dysphonie einen HNO-Arzt auf. Der schematisch dargestellte Laryngoskopiebefund (Phonationsstellung) zeigt die Stimmlippen in einer Stellung, die – vom Genanntenam wahrscheinlichsten bedingt ist durch: A) eine einseitige Parese des N. laryngeus superior B) ein Larynxödem C) eine beidseitige Internusschwäche D) eine beidseitige Transversusschwäche E) eine beidseitige Rekurrensparese“
9
Während der Beigeladene bei Frage I A 79 als zutreffend die Antwort (D) bezeichnet, gab der Kläger als richtige Antwort (B) an. Bei Frage II A 103 sieht der Beigeladene die Antwort (A) als richtig an, während der Kläger die Antwort (B) als zutreffend kennzeichnete. Bei Frage III A 96 ist nach Auffassung des Beigeladenen die Antwort (E) zutreffend, während der Kläger Antwort (C) als richtige Antwort angab.
10
Mit Bescheid des Prüfungsamtes der LMU (Prüfungsamt) vom 2. November 2021 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er für den schriftlichen Teil des Zweiten Abschnitts der ärztlichen Prüfung vom 5., 6. und 7. Oktober 2021 die Note „nicht ausreichend“ erhalte und er damit den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nicht bestanden habe. Er könne die Prüfung noch einmal wiederholen. In einer Ergebnismitteilung vom 3. November 2021 wird als Anzahl der gewerteten Fragen „307“ und als Bestehensgrenze der zutreffend beantworteten Fragen „181“ genannt; als Anzahl der von dem Kläger zutreffend beantworteten Fragen wird „177“ angegeben, in Prozent „57,7“.
11
Mit Schreiben vom 12. November 2021, beim Prüfungsamt eingegangen am 23. November 2021, zeigte der Bevollmächtigte des Klägers dessen Vertretung an und legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. November 2021 ein. Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2022 wurde zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Fragen I A 79 und III A 96 seien fehlerhaft gestellt worden. Der Kläger mache seinen Anspruch auf umfassende Fehlerkontrolle geltend. Beigefügt war eine Stellungnahme des Klägers vom 21. Januar 2022, in der dieser ausführt, dass bei Frage I A 79 sowohl Antwort (B) als auch Antwort (D) richtig seien. Beide Antwortmöglichkeiten würden in der Literatur als Merkmale scharfer Gewalt genannt. Bei Frage III A 96 sei allein die vom Kläger gewählte Antwort (C) richtig und nicht die vom Beigeladenen vorgegebene Antwort (E). Die Anamnese und der Laryngoskopiebefund würden Merkmale einer Internusschwäche aufweisen, wohingegen typische Merkmale einer beidseitigen Rekurrensparese nach der Fragestellung nicht vorlägen.
12
Am 8. Februar 2022 bat die Regierung von Oberbayern (Regierung) den Beigeladenen um eine Stellungnahme zum Widerspruch des Klägers. Mit Schreiben vom 19. April 2022 legte der Beigeladene eine fachliche Stellungnahme seines medizinischen Fachbereichs vor, in der auf die Ausführungen des Klägers eingegangen und an dem Ergebnis festgehalten wurde. Bei Frage I A 79 bestehe die Prüfungsleistung darin, das wichtigste Unterscheidungskriterium von stumpfer und scharfer Gewalteinwirkung anzuwenden. Bei Frage III A 96 wäre die vom Kläger gewählte Antwort (C) nur dann die richtige Lösung, wenn der Patient wesentlich älter wäre und sich die beschriebene Symptomatik langsam schleichend entwickelt hätte.
13
Mit Bescheid des Prüfungsamtes vom 2. Mai 2022 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er auch die zweite Wiederholungsprüfung des schriftlichen Teils des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung vom 5. bis 7. April 2022 nicht bestanden und damit den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung endgültig nicht bestanden habe.
14
Mit Widerspruchsbescheid der Regierung vom 13. Juli 2022, dem Klägerbevollmächtigten zugegangen am 18. Juli 2022, wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 2. November 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe mit nach Durchführung des Nachteilsausgleichs 185 erzielten Punkten die Prüfungsleistung „nicht ausreichend“ erzielt. Ihm würden zwei weitere zutreffend beantworteten Fragen zum Erreichen der Bestehensgrenze fehlen. Die gerügten Prüfungsfragen seien korrekt und eindeutig gestellt und mit der jeweils vom Beigeladenen festgesetzten Lösung zu beantworten gewesen.
15
Dagegen hat der Kläger am 5. August 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und sinngemäß beantragen lassen,
16
den Prüfungsbescheid vom 2. November 2021 sowie den Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger ein Zeugnis über das Bestehen des Zweiten Abschnittes der Ärztlichen Prüfung im Herbst 2021 auszuhändigen.
17
Zur Begründung der Klage wird mit Schriftsatz vom 16. Februar 2023 im Wesentlichen ausgeführt, im Antwort-Wahl-Verfahren müsse eine Antwort schon dann als zutreffend gelten, wenn sie gesicherten und veröffentlichten medizinischen Erkenntnissen entspreche und wenn die entsprechende Veröffentlichung den Kandidaten ohne weiteres zugänglich gewesen sei. Die Gestaltung des Schwierigkeitsgrades der Prüfungsfragen durch die Verwendung von Superlativen im Rahmen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung sei unzulässig. Beigefügt war dem Schriftsatz eine weitere Stellungnahme des Klägers vom 15. Februar 2023, in dem der Kläger zusätzlich ausführte, bei Frage II A 103 sei lediglich Antwort (B) als richtige Antwort anzusehen, da es bei einer Dermatochalasis nicht zu einem temporalen Gesichtsfeldausfall komme und die beschriebene Symptomatik auf ein Keilbeinflügelmeningeom hinweise. Vorgelegt wurde außerdem ein Gutachten des Leiters der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des LMU-Klinikums Prof. E., in dem dieser ausführt, dass aus phoniatrischer und HNOärztlicher Sicht bei Frage III A 96 Antwort (C) als einzig richtig anzusehen sei.
18
Mit Beschluss vom 8. August 2022 erfolgte die Beiladung des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen.
19
Der Beklagte hat die Behördenakten am 7. September 2022 vorgelegt.
20
Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2023 legte der Beigeladene eine weitere Stellungnahme des Fachbereichs Medizin vom 16. Februar 2023 vor und beantragt
22
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die gerügten Aufgaben seien eindeutig und korrekt gestellt und jeweils nur mit der als zutreffend festgesetzten Lösung zu beantworten. Hinsichtlich des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben komme den Prüfern nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein sehr weiter Entscheidungsspielraum zu. Die Verwendung von Superlativen in den sog. Bestantwortaufgaben sei zulässig. In den kritisierten Fragen werde durch die Verwendung eines Superlativs oder einer anderen, einen Abwägungsvorgang eindeutig vorgebende Formulierung unmissverständlich auf mehrere in einem Stufenverhältnis befindliche Antwortalternativen hingewiesen. Der Einholung von Sachverständigengutachten bedürfe es nicht, wenn es das Gericht sich aufgrund des vorliegenden Prozessstoffes zutrauen darf, den jeweiligen fachwissenschaftlichen Meinungsstreit selbst beurteilen zu können. Auch seien die Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegungs- und Überzeugungslast des Klägers zu beachten. Zu Frage II A 103 wird in der fachlichen Stellungnahme ausgeführt, eine Gesichtsfeldeinschränkung könne bei Schlupflidern auch von temporal ausgehend erfolgen. Typische Merkmale eines Keilbeinflügelmeningeoms lägen hingegen nicht vor.
23
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2023 übersandte der Klägerbevollmächtigte eine weitere Stellungnahme des Klägers vom 15. Juni 2023 und ein weiteres Gutachten von Prof. E. als Erwiderungen auf die Stellungnahme des Beigeladenen.
24
Mit Schriftsatz vom 10. August 2023 legte der Beigeladene eine weitere Stellungnahme des Fachbereichs Medizin vom 13. Juli 2023 bzw. 7. August 2023 vor.
25
Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2023 legte der Klägerbevollmächtigte eine weitere Stellungnahme des Klägers vom 5. September 2023 vor.
26
Das Gericht hat am 4. Juli 2024 mündlich zur Sache verhandelt. Der Klägerbevollmächtigte hat bedingt beantragt, ein Sachverständigengutachten zu der Behauptung des Klägers einzuholen, dass bei Frage I A 79 die vom Kläger gewählte Antwort (B) vertretbar und somit richtig sei, bei Frage II A 103 die vom Kläger gewählte Antwort (B) zutreffe und bei Frage III A 96 die vom Kläger gewählte Antwort (C) vertretbar und somit richtig sei.
27
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
28
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des von ihm begehrten Zeugnisses, da er den ersten Wiederholungsversuch des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung nicht bestanden hat.
29
1. Die Klage ist trotz Bedenken im Hinblick auf das Vorliegen des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses zulässig. Grundsätzlich steht einer Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Zeugnisses über das Bestehen des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung die materielle Bestandskraft des Bescheids vom 2. Mai 2022 entgegen, der das endgültige Nichtbestehen des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung feststellt. Auch ein solcher feststellender Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG mit deklaratorischem Charakter entfaltet materielle Bestandskraft, sodass grundsätzlich unanfechtbar festgestellt ist, dass der Kläger den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung endgültig nicht bestanden hat. Gleichwohl ist es im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Klägers nach Art. 12 Abs. 1 GG sowie den Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsrecht zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der Beklagte im Fall einer stattgebenden Entscheidung die endgültige Nichtbestehensfeststellung nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG aufheben oder nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG das Verfahren diesbezüglich wieder aufgreifen wird. Eine Sachentscheidung ist daher für den Kläger zumindest nicht von Vornherein vollkommen ungeeignet, seine Rechtsposition hinsichtlich des Prüfungsrechtsverhältnisses zu verbessern.
30
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Prüfungsamtes, der das Nichtbestehen der Prüfung feststellt und dessen Aufhebung der Kläger begehrt, ist rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Folglich besteht kein Anspruch auf Erteilung des von ihm begehrten Zeugnisses.
31
In der schriftlichen Prüfung hat der Prüfling nach § 14 Abs. 1 Satz 1 der Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl. I S. 2405, zuletzt geändert mit G. v. 7.6.2023, BGBl. 2023 I Nr. 148 – ÄApprO) unter Aufsicht schriftlich gestellte Aufgaben zu lösen. Er hat dabei anzugeben, welche der mit den Aufgaben vorgelegten Antworten er für zutreffend hält, § 14 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO. Die Prüfungsfragen müssen auf die für den Arzt allgemein erforderlichen Kenntnisse abgestellt sein und zuverlässige Prüfungsergebnisse ermöglichen, § 14 Abs. 2 ÄApprO. Dem rechtlichen Maßstab des § 14 Abs. 2 ÄApprO genügen Aufgaben im Antwort-Wahl-Verfahren nur dann, wenn sie verständlich, widerspruchsfrei und eindeutig gestellt sind (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 – juris Rn. 68). Die schriftliche Prüfung ist nach § 14 Abs. 6 ÄApprO bestanden, wenn der Prüfling mindestens 60 Prozent der gestellten Prüfungsfragen zutreffend beantwortet hat oder wenn die Zahl der vom Prüfling zutreffend beantworteten Fragen um nicht mehr als 22 Prozent die durchschnittlichen Prüfungsleistungen der Prüflinge unterschreitet, die nach der Mindeststudienzeit von fünf Jahren erstmals an der Prüfung teilgenommen haben.
32
In fachlicher Hinsicht darf im Lichte der Berufsfreiheit des Prüflings nach Art. 12 Abs. 1 GG eine mit guten Gründen vertretene Stellungnahme in einer umstrittenen Fachfrage nicht zu beruflichen Nachteilen führen, nur weil ein Prüfungsgremium anderer Ansicht als der Prüfling ist. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Antwort-Wahl-Verfahrens muss es genügen, dass die gewählte Antwort gesicherten medizinischen Erkenntnissen entspricht, die im Fachschrifttum bereits vor der Prüfung veröffentlicht und Kandidaten des entsprechenden Prüfungsabschnitts im Regelfall ohne besondere Schwierigkeiten zugänglich waren. Es ist Sache der Gerichte, eine entsprechende Kontrolle – erforderlichenfalls mit Hilfe von Sachverständigen – vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1997 – 6 C 7/96 – juris Rn. 35 m.w.N.). Der Prüfling muss aber substantiiert darlegen, dass und warum sich aus dem in Bezug genommenen Fachschrifttum die Richtigkeit oder zumindest Vertretbarkeit der von ihm gewählten Antwort ergibt. Lehrbücher genügen insbesondere dann nicht als alleiniger Maßstab der Vertretbarkeitskontrolle, wenn Prüfungsfragen keine allgemeinen medizinischen Aussagen verlangen, die in der medizinischen Literatur nicht „verobjektiviert“ sind, sondern deren Anwendung auf einen fiktiven Einzelfall. Zwar ist hier die gebotene Vertretbarkeitskontrolle erschwert, sie ist aber durchaus möglich (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1997 – 6 C 7/96 – juris Rn. 37). Fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling sind somit der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen. Vielmehr hat das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings darüber zu befinden, ob eine vom Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegensatz zu dessen Beurteilung richtig oder zumindest vertretbar ist. In jedem Fall muss der Prüfling substantiiert unter Vorlage der seiner Meinung zugrunde liegenden Fachliteratur darlegen, aus welchen Gründen er eine Prüfungsfrage für ungeeignet und unklar oder aufgrund welcher ihm bekannten Fachliteratur er seine Antwort für allein richtig oder gleichermaßen vertretbar hält; die „Überzeugungslast“ liegt bei ihm (vgl. BayVGH, U.v. 13.8.2003 – 7 B 02.1652 – juris Rn. 15, 18 m.w.N.).
33
Hieran gemessen ergibt die gerichtliche Überprüfung, dass die gerügten Fragen I A 79 und II A 103 entgegen dem Vorbringen des Klägers eindeutig gestellt und jeweils allein mit der vom Beigeladenen festgesetzten Antwort zu beantworten gewesen sind.
34
2.1. Hinsichtlich Frage I A 79 ist einzig die vom Beigeladenen vorgegebene Antwort als richtig anzusehen. Die Fragestellung nach dem Befund, der differenzialdiagnostisch am stärksten für eine stattgefundene scharfe Gewalteinwirkung als Ursache der Wunde spricht, ist eindeutig und lässt als einzig richtige Lösung die Antwort (D) „fehlende Gewebebrücken in der Tiefe der Wunde“ zu. Der Kläger hat weder substantiiert dargelegt, dass die Frage von ihm mit Antwort (B) „glatte Wundränder“ richtig beantwortet worden ist, noch, dass es mehrere vertretbare Lösungen gibt.
35
Aus dem Wortlaut der Fragestellung („differenzialdiagnostisch“) sowie dem vorangehenden Aufgabentext („Dabei sind Sie sich nicht sicher, ob sie die Folge einer scharfen oder stumpfen Gewalteinwirkung ist.“) wird für den Prüfling eindeutig erkennbar, dass die Prüfungsanforderung nicht lediglich darin besteht, ein wichtiges bzw. das wichtigste allgemeine Kriterium für das Vorliegen einer scharfer Gewalteinwirkung zu nennen, sondern zu erkennen, welches das bedeutendste differenzialdiagnostische Merkmal zur Abgrenzung von scharfer und stumpfer Gewalteinwirkung ist. Nach dem Wortlaut der Fragestellung soll angegeben werden, welches Unterscheidungsmerkmal für die Abgrenzung von scharfer zu stumpfer Gewalteinwirkung das aussagekräftigste der genannten Kriterien ist. Wenn nach Auffassung des Prüflings somit mehrere Antwortmöglichkeiten grundsätzlich als differenzialdiagnostische Befunde in Betracht kommen, wird nach der Aufgabenstellung ausdrücklich eine Abwägungsentscheidung vorausgesetzt.
36
Zur Überzeugung der Kammer steht hiernach fest, dass die Frage eindeutig mit Antwort (D) „fehlende Gewebebrücken in der Tiefe der Wunde“ zu beantworten ist. Zur Substantiierung der Rüge hätte der Kläger darlegen müssen, dass ein anderes als das von dem Beigeladenen als richtig vorgegebene Kriterium das am besten geeignete Unterscheidungsmerkmal ist oder die vom Kläger gewählte Antwort (B) „glatte Wundränder“ zumindest ein gleichrangiges Unterscheidungsmerkmal ist. Aus der Rüge des Klägers sowie der vorgelegten Lehrbuchauszüge ergibt sich zwar, dass glatte Wundränder ein Kriterium für das Vorliegen von scharfer Gewalteinwirkung sind und ein allgemeines Wundmerkmal darstellen. Das Kriterium wird zumindest überwiegend auch ohne hierarchische Bewertung neben den fehlenden Gewebebrücken in der Wunde als Merkmal aufgezählt. Dies lässt jedoch nicht den logischen Schluss zu, dass glatte Wundränder ein ebenso starkes Unterscheidungsmerkmal für stumpfe und scharfe Gewalteinwirkung sind wie (fehlende) Gewebebrücken in der Wunde. Der erforderliche differenzialdiagnostische Aspekt wird in der vom Kläger angeführten Literatur nicht thematisiert. Einzig der vom Beigeladenen vorgelegte Lehrbuchauszug (Madea, Rechtsmedizin: Befunderhebung, Rekonstruktion, Begutachtung, 3. Aufl. 2014, S. 212) nennt die Gewebsbrücken in der Wunde als differenzialdiagnostisches Kriterium („die Gewebsbrücken am Wundgrund, vor allem aber in den Wundwinkeln, die zur Unterscheidung gegenüber Stich- und Schnittwunden dienen“).
37
Es fehlt somit an einer qualifizierten Rüge des Klägers bezüglich der Behauptung des Beigeladenen, dass das Vorhandensein bzw. Fehlen von Gewebebrücken das stärkste differenzialdiagnostische Merkmal sei und im Vergleich hierzu glatte Wundränder ein relativ unspezifisches Kriterium zur Erkennung scharfer Gewalt seien, da diese sowohl bei scharfer als auch stumpfer Gewalteinwirkung auftreten könnten. Ausreichend ist insofern nicht, dass der Kläger durch Vorlage von Lehrbuchauszügen darlegt, dass bei stumpfer Gewalteinwirkung als Merkmal ein unregelmäßiger Wundrand angegeben wird. Aus den vorlegten Lehrbuchauszügen ergibt sich nämlich nicht, dass bei stumpfer Gewalteinwirkung zwingend ein unregelmäßiger Wundrand vorliegen muss. Die Aussagekraft beschränkt sich darauf, dass ein solcher vorliegen kann. Der Kläger hat damit nicht widerlegt, dass bei stumpfer Gewalteinwirkung ebenfalls – wenngleich nicht typischerweise – glatte Wundränder vorliegen können.
38
Zudem lässt die gleichrangige Benennung verschiedener Kriterien in einer Aufzählung ohne Stufenverhältnis nicht den Schluss zu, dass damit eine Gleichwertigkeit der genannten Begriffe als Unterscheidungskriterien zum Ausdruck gebracht werden soll. Der Umstand, dass in den vom Kläger genannten Lehrbüchern keine hierarchische Bewertung der Wundmerkmale vorgenommen wird, lässt auch nicht den vom Kläger gezogenen Schluss zu, dass damit eine Gleichrangigkeit aller Merkmale zum Ausdruck gebracht worden sei. Die Nennung kann auch lediglich eine bewertungsfreie Aufzählung sein, die keinen Schluss auf ein Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Begriffen zulässt. Aus diesem Grund hat der Kläger keine Vor- bzw. Gleichrangigkeit und somit nicht die Vertretbarkeit der von ihm gewählten Antwort (B) dargelegt.
39
2.2 Hinsichtlich Frage II A 103 ist einzig die vom Beigeladenen vorgegebene Antwort als richtig anzusehen. Die Fragestellung nach der wahrscheinlichsten Ursache für die zunehmende Einschränkung des Gesichtsfeldes ist eindeutig und lässt als einzig richtige Lösung die Antwort (A) „eine altersbedingt zunehmende Dermatochalasis“ zu. Der Kläger hat weder substantiiert dargelegt, dass die von ihm gewählte Antwort (B) „ein Keilbeinflügelmeningeom“ anhand der Aufgabenstellung als wahrscheinlichere noch als gleich wahrscheinliche Diagnose anzusehen ist. Anhand der Aufgabenstellung ist wiederum – sofern nach Ansicht des Prüflings mehrere Diagnosen in Betracht kommen – anhand der in der Aufgabe enthaltenen Informationen eine abwägende Entscheidung dahingehend zu treffen, welche der in Betracht kommenden Diagnosen die wahrscheinlichste ist. Die Gesamtschau aller in der Aufgabenstellung enthaltenen Informationen führt eindeutig zu Antwort (A) als wahrscheinlichster Ursache.
40
Der Kläger hat zwar dargelegt, dass es bei einer Dermatochalasis häufiger zu einem Gesichtsfeldausfall von oben herab statt von temporal kommt und durch die Vorlage von Lehrbuchauszügen nachgewiesen, dass ein – nach Vortrag des Beigeladenen im Übrigen sehr selten auftretendes und daher eher unwahrscheinliches – Keilbeinflügelmeningeom zu einem solchen in der Aufgabenstellung genannten temporalen Gesichtsfeldausfall führen kann. Er hat jedoch nicht dargelegt, dass temporale Gesichtsfeldeinschränkungen bei einer Dermatochalasis ausgeschlossen wären und dieser Befund somit Antwort (A) entgegenstehe oder diese als unwahrscheinlich erscheinen lasse. Allein aus der Darlegung, dass temporale Gesichtsfeldeinschränkungen bei einer Dermatochalasis selten vorkommen dürften, ergibt sich noch nicht, dass deswegen Antwort (B) die wahrscheinlichere Diagnose ist. Die Prüfungsleistung besteht darin, eine abwägende Entscheidung anhand sämtlicher in der Aufgabenstellung enthaltener Informationen vorzunehmen. Die Bewertung der wahrscheinlichsten Diagnose kann daher nicht allein auf dem Kriterium der temporalen Gesichtsfeldeinschränkung beruhen, insbesondere nicht, wenn dieses grundsätzlich sowohl bei einer Dermatochalasis als auch bei einem Keilbeinflügelmeningeom vorliegen kann. In diesem Fall müssen andere, spezifischere Kriterien bzw. deren Gesamtschau den Ausschlag in der Abwägungsentscheidung geben. Der Kläger hat nicht dargelegt, woraus sich im Übrigen Anhaltspunkte für die von ihm gewählte Antwort (B) ergeben. Er hat keine substantiierten Einwendungen dagegen vorgetragen, dass die übrigen Befunde aus der Aufgabenstellung für eine Dermatochalasis sprechen und demgegenüber keine typischen Befunde für ein Keilbeinflügelmeningeom, insbesondere kein Exophthalmus, vorlägen. Selbst wenn nach Ansicht des Klägers diese Befunde bei einem Keilbeinflügelmeningeom je nach Ausprägung des Tumors in unterschiedlicher Erscheinungsform und Intensität vorliegen können, legt der Kläger hiermit nur dar, dass Antwort (B) nach der Befundkonstellation nicht auszuschließen ist. Ein Schluss auf die Wahrscheinlichkeit dieser Diagnose ist hierdurch aber nicht möglich.
41
2.3 Darauf, ob Frage III A 96 mit der vom Kläger gewählten Antwort als richtig zu bewerten ist, kommt es mangels Entscheidungserheblichkeit nicht an. Auch bei Bewertung der Prüfung mit 186 Punkten würde die Bestehensgrenze nicht erreicht. Nach Durchführung der nach § 14 Abs. 4 ÄApprO erforderlichen Fehlerkontrolle liegt die individuelle Bestehensgrenze des Klägers nach § 14 Abs. 6 ÄApprO bei 187 Punkten. Hiernach fehlen dem Kläger zwei weitere zutreffend beantwortete Fragen zum Erreichen der Bestehensgrenze. Die Bewertung der Prüfung als nicht bestanden ist somit rechtmäßig und nicht rechtsverletzend. Ein Anspruch auf die vom Kläger begehrte Erteilung eines Zeugnisses nach § 29 ÄApprO besteht nicht.
42
2.4 Die bedingt beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit der jeweils vom Kläger gewählten Antworten bedarf es nicht, da die Kammer selbst die erforderliche Sachkunde hat (vgl. § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Kammer konnte aufgrund des vorliegenden Prozessstoffes, insbesondere der vorgelegten Lehrbuchauszüge, die fachwissenschaftlichen Meinungsstreits zu Frage I A 79 und II A 103 jeweils selbst beurteilen, ohne sich weiteren fremden Sachverstands bedienen zu müssen. Hinsichtlich Frage III A 96 fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der Beweisfrage.
43
3. Aus diesem Grund ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass der Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
44
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.