Inhalt

AG München, Beschluss v. 11.01.2024 – 558 F 14086/23
Titel:

Im Wege der einstweiligen Anordnung eine Abänderung einer früheren Gerichtsentscheidungen zur elterliche Sorge

Normenketten:
FamFG § 49, § 51 Abs. 4, § 81 Abs. 1 S. 1
BGB § 1696 Abs. 1
FamGKG § 45, § 41
Leitsätze:
1. Gemäß § 49 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist (sog. Anordnungsanspruch) und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden (sog. Anordnungsgrund) besteht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß § 1696 Abs. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Abänderung einer Entscheidung zum Sorge- und/oder Umgangsrecht gem. § 1696 Abs. 1 BGB kann aber nur zum Zwecke der Anpassung an eine Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse erfolgen, nicht zum Zwecke der nochmaligen Überprüfung der getroffenen Regelung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, Abänderung der Gerichtsentscheidungen, elterliche Sorge, Umgangsausschluss, Verbot des Kontakts, Kindeswohlgefährdung, Gutachten
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 08.04.2024 – 2 UF 118/24 e
BVerfG Karlsruhe vom 01.07.2024 – 1 BvR 1192/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19129

Tenor

1. Die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Verfahrenswert für das Verfahren wird auf 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller möchte im Verfahren der einstweiligen Anordnung erwirken, dass ihm im Wege der einstweiligen Anordnung in Abänderung der früheren Gerichtsentscheidungen die elterliche Sorge für die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder übertragen wird und ein Umgangsausschluss sowie ein Verbot des Kontakts der Kindesmutter mit den Kindern sowie weitere diesbezügliche Unterlassensanordnungen erlassen werden.
2
Durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 08.12.2023 wurden im vorliegenden Verfahren die Anträge des Antragstellers ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der Antragsteller und beantragte mit Schreiben vom 15.12.2023, aufgrund mündlicher Verhandlung erneut zu entscheiden gemäß § 54 Abs. 2 FamFG.
3
Die Eltern leben seit spätestens ....2019 getrennt. Ihre am ....2010 geschlossene Ehe wurde durch Endbeschluss des Amtsgerichts München vom 11.09.2023, Az.:558 F 6963/20, geschieden; der Endbeschluss ist noch nicht rechtskräftig.
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Aus der Ehe sind die jetzt noch minderjährigen Kinder N, geboren am .2016, und E, geboren am .2012, hervorgegangen.
5
Die elterliche Sorge für die Kinder E und N wurde im Verfahren 512 F 5056/20 durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 12.11.2021 auf die Kindesmutter übertragen. Die Beschwerde des Kindesvaters hiergegen wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25.08.2022, Az.: 26 UF 1409/21, zurückgewiesen.
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Der Umgang des Kindesvaters mit den Kindern wurde zunächst durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 12.11.2021, Az.: 512 F 11481/20, geregelt und zuletzt durch Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 20.06.2023, Az.: 26 UF 1410/21, unter Aufhebung von Ziffer 1 des o.g. Beschlusses des Amtsgerichts München ausgeschlossen bis 30.06.2025.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 22.12.2023 für die Kinder N und E Frau Rechtsanwältin zum Verfahrensbeistand bestellt und sie angehört.
8
Das Gericht hat eine Stellungnahme des Stadtjugendamts M. eingeholt. Auf die Stellungnahme vom 08.11.2023 und im Termin am 11.01.2024 wird Bezug genommen. Das Jugendamt hat am 10.01.2024 einen Hausbesuch durchgeführt und keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. Auch liegen beim Jugendamt keine Meldungen der Schule diesbezüglich vor.
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Das Gericht hat die Eltern persönlich angehört. Auf den Vermerk vom 11.01.2024 wird Bezug genommen.
10
Das Gericht hat nach Beiziehung der Akten 512 F 5056/20 und 512 F 11481/20 und nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG von der Anhörung der Kinder abgesehen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die zu erwartenden seelischen Belastungen für die Kinder schwerer wiegen als das unmittelbare rechtliche Gehör und die zu erwartende Sachverhaltsaufklärung, die vorliegend auch durch die Anhörung des Jugendamts herbeigeführt werden konnte.
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Übereinstimmend gaben alle Beteiligten an, dass die Kinder insgesamt sechs bis sieben Mal gerichtlich, einschließlich einer ermittlungsrichterlichen Anhörung, angehört wurden sowie mehrmals durch den Sachverständigen, einmal durch die Kripo, mindestens vier Mal durch die Verfahrensbeiständin und fünf Mal durch das Stadtjugendamt M.. Nach Einschätzung des Jugendamts, der Verfahrensbeiständin und der Kindesmutter würde eine erneute Anhörung die Kinder stark seelisch belasten. Im Gutachten des Sachverständigen T. S1. vom 22.03.2023 zum Az.: 26 UF 1410/21 hat der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt, dass E seit Jahren in den chronischen Streit der Eltern verstrickt sei und dadurch substanziell belastet sei und auch N sei emotional belastet durch die Involvierung in die chronische Streitbeziehung der Eltern belastet sei. Auf Seite 46 des Gutachtens heißt es in Bezug auf E: „Virulent blieb der Wunsch nach einer Versöhnung der Eltern und der Wunsch zu dem Thema nicht mehr angehört zu werden und diesbezüglich endlich entlastet zu werden.“
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Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Schreiben vom 20.11.2023 die Einstellungsverfügung im Verfahren 455 Js 131735/22 übersandt (Bl. 137/139 d.A.).
13
Der Antragsteller trägt unter eidesstattlicher Versicherung im Wesentlichen vor, dass die Kindesmutter hinsichtlich der Vorgänge im Juni 2019 falsch ausgesagt habe und auch hinsichtlich der Anzeige wegen Vergewaltigung in rund 80 Fällen falsch ausgesagt habe und sich hierdurch strafbar gemacht habe, wodurch sich wiederum die fehlende Erziehungseignung der Kindesmutter erweise. Ferner sei die Kindesmutter psychisch krank und es bestehe die Gefahr eines erweiterten Suizids durch die Kindesmutter. Der Antragsgegner ist der Auffassung, nunmehr durch seine Darstellung des Gesamtbildes, welches bislang nie betrachtet worden sei, die fehlende Erziehungseignung der Kindesmutter glaubhaft machen zu können.
14
Im übrigen wird wegen der Begründung des Antrags auf die Schreiben des Antragstellers vom 02.11.2023 und vom 26.11.2023 sowie vom 05.01.2024 samt Anlagen und den Vermerk vom 11.01.2024 vollumfänglich Bezug genommen.
15
Der Antragsteller stellt zuletzt folgenden Antrag:
1. Die Kinder sollen dem Antragsteller, z.B. nach einem Kurzaufenthalt im Kinderheim, übergeben werden.
2. Der Antragsgegnerin wird durch Abänderung der gerichtlichen Entscheidung die elterliche Sorge für die Kinder E und N vollständig entzogen und dem Antragsteller vollständig übertragen.
3. Der Antragsgegnerin wird vorübergehend verboten, einen direkten Kontakt in jeglicher Art zu den minderjährigen Kindern E und N zu haben oder herbeizuführen.
4. Es wird angeordnet, dass die Antragsgegnerin es zu unterlassen hat, folgende Orte mit Umkreis von 200 Metern aufzusuchen, an denen sich der Antragsteller und die Kinder E und N regelmäßig aufhalten:
4.1. Wohnort des Antragstellers: ...
4.2. Schule von E. und N.: ...
4.3. Arbeitsplatz des Antragstellers: ...
5. Das Gutachten von ... vom 22.03.2023 (Umgangsverfahren, Aktenzeichen des Oberlandesgerichts München: 26 UF 1410/21) wird unverzüglich als ungültig erklärt.
6. Die gesamten Unterlagen vom 02.11.2023, 26.11.2023 und 05.01.2024 der Akte mit dem Aktenzeichen 558 F 14086/23 sollen zertifizierten Sachverständigen übermittelt werden mit dem Eilauftrag, anhand der dargestellten Sachlage inklusive Zusatzunterlagen die folgenden Fragen mit einer Frist von 2 Wochen einzuschätzen:
6.1. Sollte anhand der dargestellten Sachlage ein psychiatrisches Gutachten der Antragsgegnerin gemacht werden? Wenn ja bzw. nein, warum?
6.2. Sollte anhand der dargestellten Sachlage ein Glaubwürdigkeitsgutachten der Antragsgegnerin gemacht werden? Wenn ja bzw. nein, warum?
Empfehlungen von Experten/innen sind zügig einzuholen.
7. Das Umgangsrecht mit den minderjährigen Kindern N geboren am .2016 und E geboren am 2012 wird wie folgt neu geregelt:
Der Umgang der Antragsgegnerin wird sofortig ausgeschlossen.
8. Die Kosten des Verfahrens sind vollständig von der Gegenseite zu tragen.
16
Rechtsanwältin S2. beantragt,
sämtliche gestellten Anträge kostenpflichtig abzuweisen.
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Die Antragsgegnerin hat eidesstattlich versichert glaubhaft gemacht, dass bei ihr keine Borderline-Erkrankung diagnostiziert wurde und sie keine Suizidgedanken habe.
18
Die Verfahrensbeiständin beantragt Antragsabweisung.
19
Die Vertreter des Stadtjugendamts München beantragen ebenfalls Antragsabweisung.
II.
20
Gemäß § 49 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist (sog. Anordnungsanspruch) und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden (sog. Anordnungsgrund) besteht.
21
Der Antragsteller hat jedoch weder die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs noch ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden glaubhaft gemacht.
22
Gemäß § 1696 Abs. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist.
23
Eine Abänderung einer Entscheidung zum Sorge- und/oder Umgangsrecht gemäß § 1696 Abs. 1 BGB kann aber nur zum Zwecke der Anpassung an eine Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse erfolgen, nicht zum Zwecke der nochmaligen Überprüfung der getroffenen Regelung.
24
Der Antragsteller hat jedoch weder in seinem Schreiben vom 02.11.2023 noch in seinen Schreiben vom 26.11.2023 und vom 05.01.2024 triftige Gründe im Sinne von § 1696 Abs. 1 BGB für eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung und/oder der Entscheidung zum Umgangsrecht glaubhaft gemacht.
25
Der umfangreiche Sachvortrag des Antragstellers bezieht sich ganz überwiegend auf Sachverhalte aus dem Jahr 2019 und enthält jedenfalls keinen Vortrag von Tatsachen, welche nach den letzten obergerichtlichen Entscheidungen vom 25.08.2022 und vom 20.06.2023 liegen und triftige Gründe für eine Abänderung dieser Entscheidungen darstellen.
26
Auch das durch den Antragsteller eingereichte Psychologischpsychotherapeutische Gutachten von Prof. Dr. .... führt zu keiner anderen Einschätzung. Es handelt sich um ein Privatgutachten, das sich gerade nicht mit der Anpassung an eine Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse befasst, sondern der nochmaligen Überprüfung der getroffenen Entscheidungen dienen soll. Hierzu besteht jedoch kein Anlass.
27
Soweit der Antragsteller seinen Antrag damit begründete, dass die Staatsanwaltschaft einen umfangreichen Strafbefehl gegen die Antragsgegnerin erlassen werde, ist dies nicht eingetreten. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft München I das Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede, Az.: 455 Js 131735/22 mit Verfügung vom 15.11.2023 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Auf die Einstellungsverfügung vom 15.11.2023 wird Bezug genommen.
28
Soweit der Antragsteller behauptet, es bestehe die Gefahr, dass die Antragsgegnerin erweiterten Suizid mit den Kindern begehe, wurden ebenfalls keine aktuellen Tatsachen glaubhaft gemacht zur Begründung einer solchen angeblichen Gefahr. Vielmehr begründet dies der Antragsteller mit Selbstverletzungen, die die Antragsgegnerin in der Nacht vom 01.09.2019 zum 02.09.2019 begangen habe. Ferner habe die Antragsgegnerin am 06.04.2022 gegenüber der Kriminalpolizei geäußert, dass sie im August 2019 kurz davor gewesen sei, vom Balkon zu springen. Es handelt sich somit um Sachverhalte, die weit vor den Entscheidungen liegen, deren Abänderung der Antragsteller beantragt. Sonstige Anhaltspunkte für die behauptete Kindeswohlgefährdung liegen nicht vor.
29
Soweit der Antragsteller beantragt, dass die gesamten Unterlagen vom 02.11.2023 und vom 26.11.2023 sowie vom 05.01.2024 der Akte 558 F 14086/23 zertifizierten Sachverständigen übermittelt werden sollen mit dem Eil-Auftrag anhand der dargestellten Sachlage inkl. Zusatzunterlagen zur Einschätzung, ob ein psychiatrisches Gutachten der Antragsgegnerin oder ein Glaubwürdigkeitsgutachten der Antragsgegnerin erstattet werden soll, kommt dies im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht als Maßnahme nach § 49 FamFG in Betracht. Es besteht für das Amtsgericht überdies aus den beschriebenen Gründen keine Veranlassung, neue Gutachten einzuholen, zumal – wie ausgeführt – keine Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht wurden.
30
Nach alledem waren die Anträge zurückzuweisen.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften.
32
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 45, 41 FamGKG und setzt sich zusammen aus jeweils 2.000 Euro für das Verfahren der einstweiligen Anordnung wegen elterlicher Sorge und 2.000 Euro für das Verfahren der einstweiligen Anordnung wegen Umgangs.