Inhalt

ArbG Würzburg, Beschluss v. 29.02.2024 – 2 BVGa 1/24
Titel:

Betriebsbedingte Kündigung, Betriebsänderungen, Interessenausgleich, Betriebsratsteilnahme, Ansprüche des Betriebsrats, Beteiligungsrechte des Betriebsrates, Unterlassungsanspruch des Betriebsrats, Einigungsstelle, Verfügungsgrund, Des Arbeitgebers, Arbeitgeberverbände, Richtlinienkonforme Auslegung, Nachteilsausgleichsanspruch, Anhörungsverfahren, Verhandlungsanspruch, Beabsichtigte Maßnahme, Beschlußverfahren, Unterrichtung, Arbeitnehmervertreter, Einstweilige Verfügung

Schlagworte:
Betriebsänderung, Interessenausgleich, Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, Unterlassungsanspruch, Ordnungsgeld, Sicherungsverfügung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 11.04.2024 – 4 TaBVGa 1/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19047

Tenor

1. Die Beteiligte zu 2 wird verpflichtet, es zu unterlassen, im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung …“ vom 16.11.2023 Arbeitnehmern ihres Betriebs gegenüber betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, solange das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert ist.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 wird ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro angedroht.

Gründe

I.
1
Der antragstellende Betriebsrat (Beteiligter zu 1) begehrt zur Wahrung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich gemäß §§ 111 ff. BetrVG von der zu 2 beteiligten Arbeitgeberin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung …“ einstweilen zu unterlassen.
2
Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) entwickelt und stellt leistungsstarke Batterien her. Sie beschäftigt 798 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betriebsrat) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete, aus 13 Mitgliedern bestehende Betriebsrat.
3
Am 15.11.2023 wurde der Betriebsrat von der Arbeitgeberin darüber informiert, dass beabsichtigt sei, sich von insgesamt ca. 160 Beschäftigten betriebsbedingt zu trennen. Am 16.11.2023 wurden die Mitarbeiter im Rahmen einer Betriebsversammlung informiert. Nach mehrfacher Aufforderung erhielt der Betriebsrat am 13.12.2023 die Power-Point-Präsentation zur „Neuausrichtung …“ vom 16.11.2023, in der es u.a. heißt (vgl. Bl. 3 d. A.):

Ist-Personal

798 MA

Umsetzung

-> 31.03.

Fachbereiche

1. Produktion

2. Service-Center

3. … alle Bereiche

Soll-Personal 640 MA

Reduzierung 20 %

4
Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin fanden am 19.01.2024, 25.01.2024 und am 01.02.2024 Gespräche statt. In dem Termin am 01.02.2024 unterbreitete der Betriebsrat der Arbeitgeberin einen Vorschlag für einen Sozialplan und ein Freiwilligenprogramm, der neben Regelungen zu Abfindungen auch die Errichtung einer Transfergesellschaft beinhaltet (vgl. Bl. 4 d. A.). Die Arbeitgeberin hat im Folgenden eine Transferberatung mit der Agentur für Arbeit durchgeführt, an der auch Vertreter des Betriebsrats teilnahmen.
5
Für den 27.02.2024 und 01.03.2024 waren Folgetermine für Gespräche zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin vereinbart.
6
Am 21.02.2024 erhielt der Betriebsrat nach Ende seiner Bürozeit die Anhörung zu insgesamt 24 betriebsbedingten Kündigungen von Einrichtern.
7
Mit seinen am 22.02.2024 beim Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Aschaffenburg – eingegangenen Anträgen begehrt der Betriebsrat, der Arbeitgeberin im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung …“ betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, so lange Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert sind.
8
Der Betriebsrat trägt vor:
Die Arbeitgeberin habe eine Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG geplant. Daher habe sie ihn zu unterrichten und mit ihm über einen Interessenausgleich zu beraten und zu verhandeln, bevor die Betriebsänderung umgesetzt sei. Die beabsichtigten Kündigungen seien Teil der betriebsändernden Maßnahmen. Die Kündigungen seien damit eine (Teil-)Vorwegnahme der Betriebsänderung. Die Interessenausgleichsverhandlungen seien weder abgeschlossen noch gescheitert.
9
Der Betriebsrat beantragt,
1.
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, ohne dass zuvor die Interessenausgleichsverhandlungen, ggf. vor der Einigungsstelle, beendet worden sind;
2.
der Antragsgegnerin für jeden Fall des Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus Ziffer 1 ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird.
10
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Anträge abzuweisen.
11
Sie trägt vor:
Es mangele bereits an einem Verfügungsanspruch. Es gebe generell keinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen. Die Kündigung von 24 Einrichtern stelle auch keine Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG dar. Der Betriebsrat habe zudem keinen Verfügungsgrund dargelegt.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 29.02.2024 (Bl. 18 d. A.).
II.
13
Der Betriebsrat hat die vorgenommene Einleitung des vorliegenden Verfahrens genehmigt (vgl. das Sitzungsprotokoll vom 29.02.2024). Die Anträge sind zulässig und begründet. Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin die Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen im Rahmen der Maßnahme „Neuausrichtung BMZ Germany GmbH“ verlangen, solange das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert ist. Für den Fall der Zuwiderhandlung war ein Ordnungsgeld anzudrohen.
14
1. Der Antrag zu 1 ist zulässig.
15
a) Das Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, ist örtlich zuständig, § 82 ArbGG.
16
b) Der Antrag zu 1 ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antragsbegründung ist zu entnehmen, dass es dem Betriebsrat um die einstweilige Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen von Arbeitnehmern im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung BMZ Germany GmbH“ geht.
17
2. Auch der Antrag zu 2 ist zulässig.
18
Nach § 890 ZPO iVm. § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kann gegen einen Schuldner ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn dieser einer Verpflichtung zuwider handelt, eine näher bezeichnete Handlung zu unterlassen. Dieser Verurteilung muss nach § 890 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verpflichtung aussprechenden Beschluss nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird. Die bloße Androhung setzt eine Zuwiderhandlung oder sonst ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nicht voraus (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 5. Januar 2006 – 2 Ta 287/05 – Rn. 13 mwN, juris).
19
3. Die Anträge sind auch begründet.
20
a) Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin die Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen im Rahmen der Maßnahme „Neuausrichtung …“ verlangen, solange das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert ist.
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(1) Der Antrag des Betriebsrats zielt nicht auf Erfüllung eines Unterrichtungs-, Beratungs- und Verhandlungsanspruchs aus §§ 111, 112 BetrVG, da er nicht auf eine entsprechende Verpflichtung der Arbeitgeberin gerichtet ist. Er soll die vorgenannten Ansprüche des Betriebsrats, soweit sie bestehen, lediglich davor schützen, dass die Arbeitgeberin die Betriebsänderung ohne Beachtung der Ansprüche durchführt und diese so obsolet macht.
22
Trotz dieses begrenzten Sicherungsziels ist für einen solchen Antrag neben einer Prüfung des Verfügungsanspruchs grundsätzlich auch ein Verfügungsgrund erforderlich, dh. ein dringendes Bedürfnis für die Eilmaßnahme. Ein ausreichender Verfügungsgrund ist dabei nicht bereits ohne weiteres deshalb gegeben, weil ein Anspruch des Betriebsrats auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung aus §§ 111, 112 BetrVG anderenfalls wegen Durchführung der Betriebsänderung endgültig unterginge. Zwar braucht ein Gläubiger, hier der Betriebsrat, das Untergehen seines Anspruchs durch schlichte Nichterfüllung des Schuldners grundsätzlich nicht hinzunehmen und kann effektiven Rechtschutz einfordern (Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG). Die bloße Gefahr des Untergangs des Anspruchs kann aber nur dann als Verfügungsgrund ausreichen, wenn entweder der Anspruch ohne Zweifel besteht oder seine Sicherung zu keinen nennenswerten Rechtsbeeinträchtigungen des Verfügungsgegners führt. Ist dagegen der Anspruch ungewiss und führt schon seine bloße Sicherung zu Rechtsbeeinträchtigungen des Anspruchsgegners, erfordert auch der Erlass einer Sicherungsverfügung einen besonderen Verfügungsgrund. Dabei muss der Verfügungsgrund von solchem Gewicht sein, dass er die erst im Hauptsacheverfahren endgültig zu klärende Ungewissheit über den Verfügungsanspruch kompensieren kann. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund verhalten sich hier wie zwei kommunizierende Röhren. Dem verfügungsbeklagten Arbeitgeber muss es wegen der Dringlichkeit des Verfügungsgrundes zuzumuten sein, die Sicherung des Verfügungsanspruchs hinzunehmen, auch wenn dieser letztlich nicht besteht. Die einstweilige Verfügung im Beschlussverfahren der §§ 80 ff. ArbGG gebietet dabei besondere Sorgfalt, weil gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ein Anspruch des Verfügungsschuldners auf Schadensersatz nach § 945 ZPO nicht besteht (vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf 6. Januar 2021 – 4 TaBVGa 6/20 – Rn. 65 ff. mwN, juris).
23
(2) In Anwendung dessen war dem Antrag zu 1 auf Sicherung von Ansprüchen des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung in Bezug auf eine geplante Betriebsänderung stattzugeben.
24
aa) Eine Unterlassungsverfügung zur Sicherung eines Beteiligungsrechts des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG gemäß § 85 Abs. 2 BetrVG iVm. §§ 935, 940, 938 Abs. 1, 2 ZPO kommt grundsätzlich in Betracht. Die Kammer schließt sich insoweit folgenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 6. Januar 2021 (- 4 TaBVGa 6/20 – Rn. 69 ff. mwN, juris) an.
25
Das materiell-rechtliche Beteiligungsrecht des Betriebsrats aus §§ 111 ff. BetrVG ist jedenfalls in der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung nach Maßgabe der RL 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft (RL 2002/14/EG) gerichtlich effektiv durchsetzbar und steht nicht zur Disposition des Arbeitgebers.
26
Die effektive Durchsetzbarkeit der Rechte des Betriebsrats aus §§ 111 ff. BetrVG ist nicht etwa deshalb entbehrlich oder gar gesetzlich ausgeschlossen, weil § 113 BetrVG dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gewährt, wenn der Arbeitgeber von einem vereinbarten Interessenausgleich abweicht (Abs. 1) oder seinen Versuch ganz unterlässt (Abs. 3). § 113 BetrVG knüpft den Anspruch auf Nachteilsausgleich schon nicht an die Verletzung der Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Arbeitgebers aus § 111 Satz 1 BetrVG, sondern allein an die Verletzung der – qualifizierteren – Verhandlungspflicht über einen Interessenausgleich gemäß § 112 bzw. an die Abweichung von einem vereinbarten Interessenausgleich. Ein effektiv durchsetzbarer kollektivrechtlicher Verhandlungsanspruch würde weder den individualrechtlichen Nachteilsausgleichanspruch obsolet machen noch zu Doppelansprüchen führen. Der Nachteilsausgleichsanspruch greift, wenn der Arbeitgeber den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats verletzt und „vollendete Tatsachen“ schafft. Der Verhandlungsanspruch erlischt, soweit dies geschehen ist.
27
Ein gesetzlicher Ausschluss der Durchsetzbarkeit des kollektivrechtlichen Anspruchs des Betriebsrats wäre auch deshalb fernliegend, weil dessen Erfüllung damit nach Art einer Wahlschuld zur Disposition des Arbeitgebers gestellt wäre (durch alternative Leistung von Nachteilsausgleich). Eine solche Regelungsabsicht des Gesetzgebers bedürfte einer deutlicheren Ausgestaltung im Gesetz, zumal sie auch das Recht des Betriebsrats auf Hinzuziehung eines Beraters gemäß § 111 Satz 2 BetrVG entwertete. Insbesondere aber würde ein solches Verständnis den Schutzzweck des Beratungsrechts, einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über das „Ob und Wie“ einer geplanten Betriebsänderung zu suchen, verfehlen.
28
Das Fehlen einer Durchsetzbarkeit des Beratungs- und Verhandlungsanspruchs der §§ 111 ff. BetrVG lässt sich auch nicht aus einer dahingehenden grundlegenden Wertung des Betriebsverfassungsgesetzes folgern. Denn jedenfalls für das Recht des Betriebsrats auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung mit dem Ziel eines Interessenausgleichs muss die Möglichkeit der Durchsetzung bestehen, ohne dass der Arbeitgeber sie durch Schaffung vollendeter Tatsachen unterlaufen kann. Dies folgt aus der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG nach Maßgabe der RL 2002/14/EG.
29
Gemäß Art. 4 RL 2002/14/EG erfolgt die Anhörung zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die dem Zweck angemessen sind (Buchst. a), auf der je nach behandeltem Thema relevanten Leitungs- und Vertretungsebene (Buchst. b), auf der Grundlage der vom Arbeitgeber gemäß Artikel 2 Buchstabe f) der Richtlinie zu liefernden Informationen und der Stellungnahme, zu der die Arbeitnehmervertreter berechtigt sind (Buchst. c) sowie in einer Weise, die es den Arbeitnehmervertretern gestattet, mit dem Arbeitgeber zusammenzukommen und eine mit Gründen versehene Antwort auf ihre etwaige Stellungnahme zu erhalten (Buchst. d) mit dem Ziel, eine Vereinbarung über die in Absatz 2 Buchstabe c) genannten Entscheidungen, die unter die Leitungsbefugnis des Arbeitgebers fallen, zu erreichen (Buchst. e).
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Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 RL 2002/14/EG insbesondere verpflichtet, für geeignete Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu sorgen, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. Unabhängig davon haben sie gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG u.a. für Verstöße gegen die Richtlinie durch den Arbeitgeber wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen vorzusehen.
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Diese Bestimmungen verbieten eine Auslegung der §§ 111 ff. BetrVG dahin, dass der Arbeitgeber die Erfüllung der Unterrichtungs-, Beratungs- und Verhandlungsrechte des Betriebsrats nach seinem Willen durch Gewährung von Nachteilsausgleich an Arbeitnehmer, die dies geltend machen, abwenden kann.
32
bb) Es lässt sich vorliegend auch feststellen, dass der zu sichernde Verfügungsanspruch aus §§ 111, 112 BetrVG besteht.
33
Voraussetzung ist gemäß § 111 Satz 1 BetrVG, dass in einem Unternehmen mit – wie hier – in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern der Unternehmer eine Betriebsänderung plant, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Als Betriebsänderungen idS gelten gemäß Satz 3 – soweit hier in Betracht kommend – die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (Nr. 1) sowie grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen (Nr. 4).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung durch Betriebseinschränkung (Nr. 1) auch im bloßen Personalabbau liegen. Voraussetzung für die Annahme einer wesentlichen Einschränkung ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend sind insoweit Zahlen entsprechend § 17 KSchG, wobei aber in größeren Betrieben mindestens 5% der Belegschaft betroffen sein müssen. Dabei ist der in § 17 KSchG vorgesehene Zeitraum von 30 Kalendertagen, innerhalb derer die Entlassungen den Schwellenwert überschreiten müssen, um eine Anzeigepflicht auszulösen, für die Frage des erheblichen Personalabbaus iSd. § 111 BetrVG nicht maßgebend (vgl. etwa LAG Düsseldorf 6. Januar 2021 – 4 TaBVGa 6/20 – Rn. 76 ff., juris).
35
Im Rahmen der von der Arbeitgeberin geplanten Maßnahme zur „Neuausrichtung BMZ Germany GmbH“ vom 16.11.2023 soll das Personal der Arbeitgeberin ausweislich der Power-Point-Präsentation der Arbeitgeberin um 20% reduziert werden, womit eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vorliegend gegeben ist.
36
cc) Dass das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich im Hinblick auf die Maßnahme „Neuausrichtung BMZ Germany GmbH“ abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert wäre, ist nicht ersichtlich. Dies macht auch keiner der Beteiligten geltend.
37
dd) Es liegt auch ein Verfügungsgrund vor. Durch die Einleitung von Anhörungsverfahren im Hinblick auf betriebsbedingte Kündigungen wird deutlich, dass betriebsbedingte Kündigungen unmittelbar bevorstehen. Die Arbeitgeberin hat im Anhörungstermin am 29.02.2024 zudem mitgeteilt, dass Kündigungen teilweise bereits zugestellt worden seien. Dass die Anhörungsverfahren bzw. die bereits ausgesprochenen Kündigungen nicht im Rahmen der Maßnahme „Neuausrichtung BMZ Germany GmbH“ vom 16.11.2023 erfolgten, ist nicht ersichtlich.
38
ee) Vor diesem Hintergrund ist der Arbeitgeberin die Verpflichtung, es zu unterlassen, im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung …“ vom 16.11.2023 Arbeitnehmern ihres Betriebs gegenüber betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, solange das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert ist, vorliegend auch zumutbar, auch wenn ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 945 ZPO, § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht besteht.
39
b) Auf den Antrag zu 2 war der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung, es zu unterlassen, im Rahmen der beabsichtigten Maßnahme „Neuausrichtung …“ vom 16.11.2023 Arbeitnehmern ihres Betriebs gegenüber betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, solange das Verfahren der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich nicht abgeschlossen oder in der Einigungsstelle gescheitert ist, ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen, § 890 Abs. 1, 2 ZPO iVm. § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 23 Abs. 3 Satz 3, 5 BetrVG analog.
III.
40
Das Beschlussverfahren ist gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.