Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.07.2024 – 8 CS 24.676
Titel:

Verbot des Befahrens eines Gewässers mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft wegen Baumsturzgefahr

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayWG Art. 18 Abs. 3
Leitsätze:
1. Es besteht keine gesetzlich verankerte Verpflichtung des Gewässereigentümers, nicht nur die Ausübung des Gemeingebrauchs zu dulden, sondern darüber hinaus (aktiv) dessen Ausübung überhaupt und darüber hinaus gefahrlos zu ermöglichen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer den Gemeingebrauch an einem Gewässer ausübt, muss grundsätzlich jederzeit damit rechnen, dass ein Baum umfällt oder ein Ast von einem Baum abbricht. Es handelt sich regelmäßig um eine naturtypische Gefahr.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz, Verbot des Befahrens eines Gewässers mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft, Gefahr, Gefahrenverdacht, Interessenabwägung, Lebensrisiko, Gemeingebrauch, Allgemeinverfügung, Baumsturzgefahr
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 12.04.2024 – W 4 S 24.388
Fundstellen:
BayVBl 2025, 95
LSK 2024, 18906
BeckRS 2024, 18906

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird Ziffer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. April 2024 – W 4 S 24.388 – geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung des Landratsamts ... vom 9. Februar 2024 wird mit Wirkung vom 1. März 2025 wiederhergestellt.
Die weitergehende Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
II. Ziffer II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. April 2024 wird aufgehoben.
Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.
II. Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht – insoweit in Abänderung von dessen Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 12. April 2024 – und für das Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung des Landratsamts ... vom 9. Februar 2024. Mit dieser Verfügung verbietet das Landratsamt unter Anordnung der sofortigen Vollziehung weitgehend das Befahren der Fränkischen Saale mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft im Gebiet des Landkreises ....
2
Der Antragsteller hat am 11. März 2024 gegen die Allgemeinverfügung Klage erhoben (W 4 K 24.387) und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (W 4 S 24.388). Letzteren hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. April 2024 abgelehnt. Der zulässige Antrag sei unbegründet. Die Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung werde aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben.
3
Gegen den ihm am 16. April 2024 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 22. April 2024 beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde erhoben. Er hat diese mit am 15. Mai 2024 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz von diesem Tag begründet.
4
Mit Allgemeinverfügung vom 20. Juni 2024 hat das Landratsamt einen 1,1 km langen Flussabschnitt von dem Verbot ausgenommen.
II.
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Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (vgl. § 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Beschwerde des Antragstellers hat teilweise Erfolg. Die vom Senat vorzunehmende Interessenabwägung führt dazu, dass er die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung des Landratsamts vom 9. Februar 2024 wiederherstellt, allerdings nicht mit Wirkung ex tunc, sondern erst mit Wirkung vom 1. März 2025 (vgl. Schoch in ders./Schneider, Verwaltungsrecht, Band I, Stand Juli 2021, § 80 Rn. 429).
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1. Die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 begegnet – jedenfalls in ihrer konkreten Ausgestaltung – nicht unerheblichen rechtlichen Bedenken.
7
a) Es kommt durchaus in Betracht, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der eine Verletzung oder Tötung aufgrund umstürzender Bäume oder aufgrund von Bäumen abbrechender Äste im Raum steht, der Erlass einer auf Art. 18 Abs. 3 BayWG gestützten Allgemeinverfügung schon mangels Vorliegens einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG ausscheidet. Abschließend wird dies allerdings erst im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Bereits im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weist der Senat insoweit auf Folgendes hin:
8
Nach Art. 18 Abs. 3 BayWG kann die Kreisverwaltungsbehörde durch Rechtsverordnung, Allgemeinverfügung oder Anordnung im Einzelfall u.a. die Ausübung des Gemeingebrauchs regeln, beschränken oder verbieten, um Gefahren für Leben und Gesundheit zu verhüten.
9
Der Antragsgegner dürfte in seiner Erwiderung auf die Beschwerdebegründung jedenfalls der Sache nach zu Recht die Problematik der Abgrenzung des Bestehens einer Gefahr im rechtlichen Sinne und damit auch einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG vom Bestehen des allgemeinen Lebensrisikos ansprechen. Besteht ein Risiko, so kann eine rechtlich relevante Gefahr möglicherweise nur dann angenommen werden, wenn dieses Risiko über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2023 – 7 B 10.23 – juris Rn. 10). Ein Risiko, dessen Verwirklichung nach der Rechtsordnung zu Lasten desjenigen geht, der sich ihm ausgesetzt hat, begründet möglicherweise bereits keine rechtlich relevante Gefahr.
10
Das Risiko, durch einen umstürzenden Baum oder durch einen von einem Baum abbrechenden Ast bei Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs nach § 25 WHG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 BayWG (vgl. auch Art. 141 Abs. 3 BV) verletzt oder – im schlimmsten Fall – getötet zu werden, dürfte nach der Rechtsordnung wohl in aller Regel derjenige tragen, der den Gemeingebrauch ausübt. In Bezug auf die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs existiert zwar keine § 60 BNatSchG vergleichbare Regelung, die dem Ausübenden die damit verbundenen Risiken ausdrücklich zuweist. Andererseits aber existiert keine gesetzlich verankerte Verpflichtung des Gewässereigentümers, nicht nur die Ausübung des Gemeingebrauchs zu dulden (was mit dem Recht auf Gemeingebrauch zwangsläufig verbunden ist, vgl. Knopp/Rossi in Siedler/Zeitler, BayWG, Stand April 2021, Art. 18 Rn. 15; zur Einordnung eines Waldbetretensrechts als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums vgl. BGH, U.v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11 – BGHZ 195, 30 = juris Rn. 19), sondern darüber hinaus (aktiv) dessen Ausübung überhaupt und darüber hinaus gefahrlos zu ermöglichen. Insbesondere dürfte die Verpflichtung zur Unterhaltung oberirdischer Gewässer nach § 39 WHG eine solche Verpflichtung nicht beinhalten; denn sie bezieht sich (lediglich) auf die Pflege und Entwicklung des Gewässers.
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Gerade der vorliegende Fall könnte darauf hindeuten, dass eine solche Verpflichtung möglicherweise auch die Grenze des Möglichen und Zumutbaren deutlich überschreiten würde (zum Aspekt der Zumutbarkeit vgl. auch BGH, U.v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11 – BGHZ 195, 30 = juris Rn. 20). Das Landratsamt war bislang offenbar noch nicht in der Lage, bezogen auf den gesamten von der Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 betroffenen, rund 60 km langen Flussabschnitt eine detaillierte, von sachverständigen Personen getroffene Feststellung des Zustands sämtlicher Bäume zu erlangen. Die Beurteilung der Gefahrensituation beruht vielmehr letztlich auf einer genaueren Betrachtung von vier – angeblich repräsentativen (vgl. den nicht näher substantiierten Hinweis in der Behördenakte Bl. 432) – Flussabschnitten mit einer (Gesamt-)Länge von weniger als 2,5 km durch das zur Beurteilung von Baumsturzgefahren fachlich nicht zuständige Wasserwirtschaftsamt (vgl. das Schreiben des Wasserwirtschaftsamts vom 21. Juli 2023, in dem zudem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es keine „Beurteilung des Gefährdungspotenzials“ enthalte) und einer Zusammenstellung von umgestürzten und gefällten Bäumen in den Monaten August bis Oktober 2023 (vgl. das Schreiben des Wasserwirtschaftsamts vom 14. November 2023). Ebenfalls unklar ist, wie lange es dauern würde, an dem gesamten Flussabschnitt „gefahrlose“ Zustände zu schaffen, wobei viel dafür spricht, dass, worauf der Antragsgegner wiederholt hingewiesen hat, das Fällen sämtlicher umsturzgefährderter Bäume bzw. jedenfalls die Herbeiführung eines „weniger gefährlichen Zustands“ nicht nur auf tatsächliche, sondern auch auf rechtliche Hindernisse, namentlich gewässerökologische und naturschutzrechtliche Bedenken, stoßen dürften.
12
Wer den Gemeingebrauch an einem Gewässer ausübt, muss wohl grundsätzlich jederzeit damit rechnen, dass ein Baum umfällt oder ein Ast von einem Baum abbricht. In einem solchen Fall realisiert sich regelmäßig eine naturtypische Gefahr (vgl. zu den von Waldbäumen ausgehenden Gefahren BGH, U.v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11 – BGHZ 195, 30 = juris Rn. 25) . Dies dürfte auch bei den in der Allgemeinverfügung ausdrücklich angesprochenen Minderjährigen gelten; ob diese sich dem Risiko aussetzen, müssen die Sorgeberechtigten entscheiden. Bei einer Verletzung oder gar bei einem Todesfall würde sich nach Vorstehendem möglicherweise nur das allgemeine Lebensrisiko verwirklichen.
13
Eine rechtlich relevante Gefahr besteht möglicherweise erst dann, wenn ein bestehendes Risiko nicht auf natürlichen Vorgängen, sondern auf menschliches Verhalten zurückzuführen ist. Dies mag dann der Fall, wenn durch eine Maßnahme der Gewässerunterhaltung, etwa das Fällen eines Baumes, die Standsicherheit eines anderen Baumes beeinträchtigt wird. In Betracht zu ziehen ist eventuell auch die vom Antragsgegner genannte Konstellation, dass Maßnahmen ergriffen, die die Ausübung des Gemeingebrauchs fördern. Der Antragsgegner hat insoweit auf künstlich angelegte Ein- und Ausstiegsstellen hingewiesen. Gedacht werden könnte auch an künstlich angelegte Badestellen. Die Verkehrssicherungspflicht würde sich dann aber nur auf den Ein- und Ausstiegsbereich bzw. die Badestelle beziehen.
14
b) Auch wenn das Vorliegen einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG nicht aus grundsätzlichen rechtlichen Gründen ausgeschlossen wäre, hätte die Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 voraussichtlich Erfolg. Sie dürfte jedenfalls in ihrer konkreten Ausgestaltung unverhältnismäßig und zudem im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz problematisch sein.
15
aa) Es dürfte in diesem Fall zwar von einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG, im Wesentlichen in Gestalt eines Gefahrenverdachts, auszugehen sein.
16
Eine Gefahr ist eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu dem Eintritt eines Schadens bei einem Schutzgut führt (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – BayVBl 2017, 303 = juris Rn. 17). Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose (BVerwG, U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347 = juris Rn. 35; U.v. 28.6.2004 – 6 C 21.03 – Buchholz 402.41 Allg. Polizeirecht Nr. 76 = juris Rn. 25). Eine konkrete Gefahren liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. Eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine abstrakt-generelle Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt; das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann.
17
Hinsichtlich des anzusetzenden Grades der Wahrscheinlichkeit muss zum einen danach differenziert werden, welches Schutzgut auf dem Spiel steht (vgl. jüngst BayVGH, B.v. 29.4.2024 – 8 CS 23.2243 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ist der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur geringere Anforderungen gestellt werden. Zum anderen ist für die Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auch die Intensität des (Grundrechts-)Eingriffs von Bedeutung. Je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende Verletzung des Rechtsguts geschlossen werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2017 – 3 C 4.16 – NVwZ 2018, 504 = juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 29.4.2024 – 8 CS 23.2243 – juris Rn. 17 m.w.N.).
18
Im Vorfeld einer Gefahr liegt der (bloße) Gefahrenverdacht. Bei einem solchen besteht noch keine Gewissheit, ob eine Gefahr vorliegt; die Sachlage bietet jedoch Anhaltspunkte für eine mögliche Gefahr und bedarf weiterer Aufklärung (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – BayVBl 2017, 303 = juris Rn. 17; BVerwG, U.v. 25.10.2017 – 6 C 46.16 – BVerwGE 160, 169 = juris Rn. 16; auch Heckmann in Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentliches Recht in Bayern, 8. Aufl. 2022, 3. Teil Rn. 129 f.).
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Davon ausgehend dürfte die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 auch auf konkrete Gefahren, der Sache nach im Wesentlichen aber auf einen Gefahrenverdacht, hingegen nicht auf eine abstrakte Gefahr gestützt sein.
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Die Verfügung beruht, wie bereits angemerkt (s. oben a), nicht auf einer umfassenden, sachverständigen Beurteilung der Standsicherheit sämtlicher Bäume in den von der Verfügung erfassten Flussabschnitten. Es spricht nach Aktenlage zwar vieles dafür, dass in diesen Bäume vorhanden sind, die in gesteigertem Maße umsturzgefährdet sind, und es im Fall der Fälle zu einer Verletzung oder gar Tötung von Gemeingebrauchsausübenden kommen, mithin wohl von einer konkreten Gefahr ausgegangen werden kann, die gegebenenfalls eine Regelung für den jeweiligen „Gefahrenbereich“ rechtfertigen könnte. Wie viele Bäume tatsächlich betroffen sind, ist jedoch ungeklärt; das Landratsamt geht insoweit selbst von der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen aus.
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bb) Die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 dürfte aber in ihrer konkreten Ausgestaltung unverhältnismäßig sein.
22
Bei einem Gefahrenverdacht sind auf Rechtsfolgenseite im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in erster Linie Gefahrerforschungseingriffe zulässig, also Eingriffe, die eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ermöglichen sollen. Endgültige (Sicherungs-)Maßnahmen wie die hier in Rede stehende Untersagung des Gemeingebrauchs sind hingegen nur ausnahmsweise zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter gerechtfertigt (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – BayVBl 2017, 303 = juris Rn. 17). Sie dürften zudem nur für einen Zeitraum zulässig sein, der für die erforderliche weitere Aufklärung des Sachverhalts zwingend erforderlich ist; ansonsten könnte die Gefahrenabwehrbehörde bei einem Gefahrenverdacht durch Untätigbleiben bzw. zögerliches Tätigwerden die Dauer, für die die Sicherungsmaßnahme gelten soll, praktisch ohne zeitliche Grenze hinauszögern.
23
Im vorliegenden Fall handelt das Landratsamt zum Schutz von Leben und Gesundheit der Gemeingebrauchsausübenden und damit zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter.
24
Rechtlichen Bedenken begegnet indes, dass es das Verbot „bis auf Weiteres“ ausgesprochen hat. In den Gründen der Entscheidung heißt es diesbezüglich, sollte sich die Gefahrenlage in der kommenden Zeit reduzieren, erfolge eine Neubewertung der Sachlage (Nr. 2.5 der Gründe). Ferner ist ausgeführt, eine weitergehende Baumkartierung sei seitens des Wasserwirtschaftsamts derzeit nicht leistbar; allerdings sei ein strategisches Konzept zur Verjüngung der Baumstruktur an der Fränkischen Saale in Bearbeitung und werde, sobald vorhanden, vorgelegt (Nr. 1 am Ende der Gründe).
25
Aus diesen Ausführungen wird zwar deutlich, dass das Landratsamt als zuständige Gefahrenabwehrbehörde die Untersagung als Mittel ansieht, um den Zeitraum bis zu einer weitergehenden Aufklärung des Sachverhalts zu überbrücken („um sich Luft zu verschaffen“). Allerdings bestand zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung nach Aktenlage keine konkrete, realisierbare Planung der weiteren – zeitnah beabsichtigten – Sachverhaltsaufklärung, zumal das Landratsamt insoweit auf die (beschränkten) Kapazitäten des Wasserwirtschaftsamts verweist, obwohl es als zuständige Gefahrenabwehrbehörde nach Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG selbst zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet ist. Dabei kann und muss es sich gegebenenfalls auch, wie bereits im Schreiben des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit vom 22. Juni 2011 (Behördenakte Bl. 16/18) ausgeführt, weiterer Sachverständiger bedienen.
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Der Erlass der Allgemeinverfügung vom 20. Juni 2024 deutet zwar darauf hin, dass das Landratsamt durchaus beabsichtigt, die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Allgemeinverfügung kontinuierlich zu überprüfen. Legt man das dabei an den Tag gelegte Tempo zugrunde – „Freigabe“ von 1,1 km rund vier Monate nach Erlass der ursprünglichen Verfügung –, so dürfte die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024, die einen mehr als 60 km langen Bereich betrifft, noch viele Jahre aufrechterhalten werden müssen.
27
cc) Die Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 dürfte auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz problematisch sein.
28
Das Verwaltungsgericht (Beschluss unter II. 2.2.2.2) ist der Auffassung, die unterschiedliche Behandlung von Badenden bzw. Schwimmern einerseits und von Personen, die die Fränkische Saale mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft befahren, sei aller Voraussicht nach dadurch gerechtfertigt, dass erstgenannter Personenkreis sich zum Baden oder Schwimmen in aller Regel in einem überschaubaren Gewässerabschnitt aufhielten, wohingegen letztgenannter regelmäßig längere Strecken auf dem Gewässer zurücklegten; damit passierten diese eine viel höhere Anzahl an „gefährlichen Bäumen“, so dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und damit die Gefahrenlage deutlich höher sei als bei einem kleinen Gewässerabschnitt.
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Entscheidend für die Frage der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von einerseits Personen, die kleine Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft führen, und andererseits von Badenden und Schwimmern dürfte allerdings sein, worauf der Antragsteller in der Beschwerdebegründung (vgl. S. 8) zu Recht hinweist, ob letztere sich, wenn sie sich an einer Stelle aufhalten, an der ein umsturzgefährdeter Baum steht, besser selbst gegen die Gefahr schützen können. Es erschließt sich dem Senat nicht, dass dies der Fall sein könnte. Im Gegenteil liegt es für ihn auf der Hand, dass eine Person, die in einem Fluss schwimmt, im Uferbereich vorhandene Bäume üblicherweise weniger aufmerksam im Blick haben kann als beispielsweise jemand, der dort in einem Kanu unterwegs. Es spricht demnach viel dafür, dass das Landratsamt das Verbot erst recht auf das Schwimmen und Baden im Fluss hätte erstrecken müssen.
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Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss darauf verweist, Gemeinden würden regelmäßig in ihrem Gebiet gelegene Badestellen begehen und Gefahren durch Bäume beseitigen, könnte dies rechtfertigen, dass die entsprechenden Bereiche von einem (Bade- und Schwimm-)Verbot ausgenommen werden. Für die Frage einer Ungleichbehandlung an anderen Stelle dürfte der Umstand indes ohne Belang sein.
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d) Die weiteren im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 dürften hingegen nicht durchgreifen.
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aa) Dies gilt zunächst für den von ihm wiederholt und in unterschiedlichen Zusammenhängen angeführten Umstand, er sei gerade kein „durchschnittlicher“, sondern ein „erfahrener“ Kanusportler (vgl. schon Beschwerdebegründung S. 2 oben, sodann etwa auch S. 7). Jedenfalls der Sache nach macht der Antragsteller damit geltend, der Adressatenkreis der Verfügung sei zu weit; auf einen bestimmten Personenkreis – er nennt insoweit die Inhaber des Europäischen Paddel-Passes (a.a.O. S. 4) – hätte das Verbot nicht erstreckt werden dürfen. Damit dürfte der Antragsteller im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben. Weder auf der Grundlage seines Vorbringens noch aus sonstigen Gründen liegt es für den Senat nahe, dass „erfahrene Kanusportler“ nicht nur „gefährliche“ Stellen im Gewässer (vgl. den Hinweis des Antragstellers a.a.O. S. 4 auf Strömungen und Steine), sondern auch die Umsturzgefahr von Bäumen besser als andere (Gelegenheits-)Kanufahrer beurteilen können. Insbesondere legt der Antragsteller nicht dar, woraus sich eine entsprechende Sachkunde ergeben soll; die von ihm mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Trainerlizenzen sind insoweit – jedenfalls ohne diesbezügliche weitergehende Substantiierung – unergiebig. Die Behauptung, er sei „in der Lage, das Ausmaß der bestehenden Baumgefahr vor Ort gar im Einzelnen zu überblicken und einzuschätzen“ (Beschwerdebegründung S. 3), bleibt im Ergebnis vage.
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bb) Soweit der Antragsteller die Erforderlichkeit des Verbots erneut mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des Aufstellens von Hinweisschildern in Frage stellt (Beschwerdebegründung S. 3), verweist er wiederum im Wesentlichen auf seine angeblichen besonderen Fähigkeiten. Diese beziehen sich indes – wie soeben ausgeführt – jedenfalls nach derzeitiger Erkenntnislage nicht auf die Beurteilung der Umsturzgefahr von Bäumen.
34
cc) Vage bleibt der Hinweis des Antragstellers auf das Tragen von Schutzkleidung (Beschwerdebegründung S. 5), mit dem er ebenfalls die Erforderlichkeit des Verbots in Frage stellen dürfte. Dass die Verpflichtung zum Tragen solcher Kleidung (einschließlich von Schutzhelmen), wie vom Grundsatz der Erforderlichkeit gefordert, gleich effektiv wie ein Verbot wäre (vgl. den im Beschluss des Verwaltungsgerichts [unter II. 2.2.2.2] – zutreffend – angelegten Maßstab), führt der Antragsteller nicht näher aus. Der Antragsteller spricht selbst lediglich davon, dass die Gefahr erheblich reduziert werden könne.
35
dd) Ohne jegliche Konkretisierung bleibt die Behauptung des Antragstellers in der Beschwerdebegründung (S. 5 unten), das Verwaltungsgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Effektivität mehrerer Maßnahmen zusammen zu betrachten, zumal der Antragsteller auch in diesem Zusammenhang wohl auf seine Erfahrung als Kanusportler abstellt.
36
ee) Das Verwaltungsgericht führt im Zusammenhang mit der Angemessenheit des Verbots u.a. aus (Beschluss unter II. 2.2.2.2), es sei dem Antragsteller zuzumuten, auf andere Gewässer auszuweichen. In der Beschwerdebegründung S. 6 führt er aus, weshalb die vom Verwaltungsgericht ausdrücklich genannten Gewässer Sinn und Main aus seiner Sicht für den von ihm ausgeübten Kanusport weniger geeignet sind. Auf die vom Verwaltungsgericht in erster Linie genannten Gewässerabschnitte der Fränkischen Saale in den Landkreisen Main-Spessart und Rhön-Grabfeld geht er indes nicht ein.
37
ff) Die vom Antragsteller beanstandete Annahme des Verwaltungsgerichts (vgl. Beschwerdebegründung S. 6 unten), er werde beim „Paddeln“ auch andere antreffen, weshalb es möglich sei, dass bei einem Ausweichmanöver ein anderer Bootsfahrer (ungewollt) in die Gefahrenzone hineinmanövriert werde, beschreibt nach Einschätzung des Senats zwar ein nicht überaus wahrscheinliches, aber doch auch nicht auszuschließendes Szenario. Vor allem aber hat das Verwaltungsgericht seine Auffassung, die mit der Verfügung verbotene Tätigkeit sei keine reine Selbstgefährdung u.a. auch damit begründet, in Notsituationen könne auch ein Retter in Gefahr geraten, und insoweit sogar einen konkreten Fall genannt. Hierauf geht der Antragsteller allerdings nicht ein.
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gg) Soweit der Antragsteller schließlich seinen Vorwurf einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von einerseits Personen, die kleine Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft führen, und andererseits von Fahrradfahrern, Spaziergängern und Anglern bekräftigt (Beschwerdebegründung S. 7), dürfte er auch damit im Hauptsacheverfahren nicht durchdringen. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass insoweit nicht vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Wer an einem Gewässer mit dem Fahrrad fährt oder spazieren geht, übt ebenso wenig wie ein Angler den wasserrechtlichen Gemeingebrauch i.S. des Art. 18 Abs. 1 BayWG aus. Radfahrer, Spaziergänger und Angler hätten dementsprechend schon aus rechtlichen Gründen nicht in den Geltungsbereich der Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 einbezogen werden können. Auch im Übrigen dürften rechtlich relevante Unterschiede bestehen. So hat der Antragsgegner in seinem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 9. April 2024 (auf S. 4) für den Senat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass Spaziergänger und Radfahrer sich überwiegend auf öffentlichen Wegen fortbewegen, an welchen die Verkehrssicherheit gewährleistet ist. Soweit sie sich abseits eines Weges aufhalten, dürften sie dies hingegen in der Tat auf eigene Gefahr tun. Dies dürfte auch gelten, soweit Angler sich an einer Angelstelle „in der freien Natur“ aufhalten. Da Erfolg versprechendes Angeln an einem Fluss zumindest in aller Regel auf eine besondere Ruhe angewiesen sein dürfte, kommt auch durchaus in Betracht, dass Angler möglicherweise früher als andere Personen, die sich an oder auf einem Gewässer aufhalten, „verdächtige“, dem Umsturz eines Baumes begleitende Geräusche wahrnehmen können.
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2. Trotz der nach vorstehendem durchaus bestehenden Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers führt die vom Senat vorzunehmenden Abwägung seines Interesses, vom Vollzug der Allgemeinverfügung vom 9. Februar 2024 vorläufig verschont zu bleiben, und des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug dieser Verfügung, nicht dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Klage mit Wirkung ex tunc angeordnet.
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Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist, dass der wesentliche Grund für die Annahme, die Verfügung werde sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, darin liegt, dass das angeordnete Verbot nicht strikt am Ziel der gebotenen weiteren Sachverhaltsaufklärung orientiert ist. Unter Berücksichtigung der betroffenen Schutzgüter von höchstem Rang, aber auch der bis ins Frühjahr 2023 zurückreichenden Vorgeschichte der Angelegenheit hält es der Senat für angemessen, dass dem Landratsamt als zuständiger Gefahrenabwehrbehörde nunmehr noch bis 28. Februar 2025 Zeit bleibt, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften und gegebenenfalls unter Heranziehung externer Sachverständiger die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen. Ab dem 1. März 2025 müssen hingegen Personen, denen mit der Verfügung die Ausübung des Gemeingebrauchs untersagt wird, das Verbot auf der Grundlage eines Gefahrenverdachts nicht länger hinnehmen. Bei dieser Annahme berücksichtigt der Senat auch, dass alles dafür spricht, dass die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs grundsätzlich auf eigenes Risiko erfolgt.
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Keine weitergehende Wiederherstellung gebietet der wohl anzunehmende Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn es spricht nach Auffassung des Senats alles dafür, dass das Landratsamt diesen Rechtsfehler, wenn es nicht die Verfügung in Gänze aufhebt, dadurch beseitigt, dass es auch das Baden und Schwimmen untersagt.
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3. Selbstverständlich ist die Gefahrenabwehrbehörde auch nach dem 1. März 2025 nicht daran gehindert, auf Hinweisschildern auf die „Gefahr“ umstürzender Bäume und abbrechender Äste hinzuweisen. Mangels Eingriffsqualität bedarf ein Aufstellen solcher Schilder keiner Rechtsgrundlage.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung und die Änderung der Festsetzung für das erstinstanzliche Verfahren beruhen auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 29.2, 9.8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z.B. in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band II, unter § 163 VwGO). Der Senat ist in einem Normenkontrollverfahren gegen eine wasserrechtliche Gemeingebrauchsverordnung von einem Streitwert in Höhe von 10.000 Euro ausgegangen (vgl. den Streitwertbeschluss im Verfahren 8 N 19.2035 u.a.; veröffentlicht zusammen mit dem Urteil vom 13. Mai 2022, juris Rn. 108 f.). Das hier in den Blick zu nehmende Hauptsacheverfahren betrifft zwar die Anfechtung einer wasserrechtlichen Allgemeinverfügung. Die Interessenlagen sind indes durchaus vergleichbar, geht es dem rechtsschutzsuchenden Beteiligten doch in beiden Konstellationen darum, Einschränkungen des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs zu beseitigen. Der deshalb im Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert in Höhe von ebenfalls 10.000 Euro ist im Hinblick darauf, dass es im vorliegenden Verfahren „nur“ um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geht, zu halbieren.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.