Inhalt

VGH München, Urteil v. 31.07.2024 – 7 B 24.201
Titel:

Erstattung von Fahrtkosten für die Schülerbeförderung

Normenketten:
SchKrfG Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1 S. 1
SchBefV § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 4
Leitsätze:
1. Der der Vergleichsberechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zugrunde zu legende Beförderungsaufwand ist nach abstrakten, vom Einzelfall unabhängigen Kriterien zu ermitteln. (Rn. 27)
2. Die Bewertung als nächstgelegene Schule erfolgt auf Basis der Kosten des vorhandenen ÖPNV-Angebots. Dies gilt selbst dann, wenn sich eine Benutzung des ÖPNV als unzumutbar i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV herausstellt und im Einzelfall eine Pkw-Beförderung anerkannt wird. (Rn. 29)
3. Für die Beurteilung, welche Distanz auf Restwegstrecken, also zwischen Wohnort und Bushaltestelle von einer Schülerin oder einem Schüler zumutbar bewältigt werden kann, ist § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV entsprechend heranzuziehen. (Rn. 36)
4. Weder bei der Vergleichsberechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV noch im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 4 SchBefV ist es zulässig, vier Pkw-Fahrten anzusetzen. (Rn. 46)
Schlagworte:
Schülerbeförderung, Staatliche Gesamtschule, nächstgelegene Schule, Schulweg, Kostenerstattung, Vergleichsberechnung, ÖPNV-Angebot, Restwegstrecke, Wohnort, Bushaltestelle, Ermessensentscheidung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 27.06.2022 – B 3 K 21.254
Fundstellen:
BayVBl 2024, 710
BeckRS 2024, 18893
LSK 2024, 18893

Tenor

I. Unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. Juni 2022 wird der Bescheid des Beklagten vom 7. August 2020 in der Gestalt, den er durch das Schreiben des Beklagten vom 22. Januar 2021 sowie durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberfranken vom 3. Februar 2021 erhalten hat, aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Beförderungskosten zum Besuch der Staatlichen Gesamtschule H. … für die Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 in Höhe von insgesamt 1.662,50 Euro zu erstatten.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erstattung von Fahrtkosten für die Beförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. …
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Der im Jahr 2007 geborene Kläger besucht seit dem 11. September 2018 (5. Jahrgangsstufe) die Staatliche Gesamtschule H. …, eine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht. Von seinem Wohnort in M. … …, … W. …, bis zur – abhängig von der gewählten Route – ca. 2,9 bzw. 3,9 Kilometer entfernten Bushaltestelle in A. … fährt er am Morgen mit seinem Vater auf dessen Weg zur Arbeit im Pkw mit und nutzt anschließend den öffentlichen Bus nach H. … Mittags fährt er mit dem Bus nach A. … zurück und läuft von dort ca. 2,9 Kilometer nach Hause bzw. fährt mit dem Fahrrad. Bei schlechtem Wetter oder im Winter wird er von seiner Mutter auf dem Rückweg von deren Arbeitsstelle mitgenommen.
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Anträge der Eltern auf Erstattung der Fahrtkosten für den Bus von A. … zur Staatlichen Gesamtschule H. … für die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020, die durch Vorlage von entsprechenden Monats- bzw. Wochenkarten nachgewiesen wurden, wurden vom Beklagten mit Bescheiden vom 28. August 2018 und vom 19. Dezember 2019 mit der Begründung abgelehnt, das nächstgelegene Gymnasium bzw. die nächstgelegene Realschule für Schüler aus M. … sei in B. … Die Kosten für die Schülerbeförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. … lägen auch nicht mehr im Toleranzbereich (§ 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV). Beförderungskosten würden erst dann erstattet, wenn eine sichere Zuordnung eines Schülers oder einer Schülerin zur Realschule oder zum Gymnasium vorgenommen werden könne, also ab der Jahrgangsstufe 7. Bis dahin hätten die Eltern die Fahrtkosten zu verauslagen; ggf. würden sie in der Jahrgangsstufe 7 erstattet. Zur Überprüfung der Voraussetzungen für eine Übernahme der Beförderungskosten ab der Jahrgangsstufe 7 sei von den Erziehungsberechtigten ein neuer Antrag zu stellen.
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Im Schuljahr 2020/2021 wurde der Kläger laut Schreiben der Staatlichen Gesamtschule H. … vom 15. Juli 2020 dem Gymnasialzug zugewiesen. Mit Schreiben vom 1. August 2020 stellten die Eltern des Klägers erneut für die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 unter Vorlage der jeweiligen Wertmarken Anträge auf Erstattung der Fahrtkosten für den öffentlichen Bus sowie für das Schuljahr 2020/2021 auf Aushändigung einer entsprechenden Fahrkarte. Mit Bescheid des Beklagten vom 7. August 2020 wurden die Übernahme der Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel zum Besuch der Staatlichen Gesamtschule H. … für den Kläger ab dem Schuljahr 2020/2021 (Nr. 1) und die Erstattung der durch öffentliche oder private Verkehrsmittel verursachten Fahrtkosten für die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 (Nr. 2) abgelehnt. Der Begründung ist zu entnehmen, dass das nächstgelegene Gymnasium für den Kläger in B. … sei. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens habe das Landratsamt die Beförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. … als Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht (allein) nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV bisher nicht übernommen; es sei auch nicht beabsichtigt, von dieser Verwaltungspraxis abzuweichen. Eine Ausnahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV analog sei nicht möglich, da der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um mehr als 20 v.H. übersteige. Die von den Unterhaltsleistenden verauslagten Beförderungskosten der Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 würden aus denselben Gründen nicht erstattet.
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Mit Schreiben des Beklagten vom 22. Januar 2021 wurde der Bescheid vom 7. August 2020 durch Ermessenserwägungen zu der Entscheidung, die Beförderungskosten zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule nicht zu übernehmen, ergänzt. Den gegen den Bescheid vom 7. August 2020 erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Oberfranken mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2021 zurück.
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Mit Gerichtsbescheid vom 27. Juni 2022 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die auf Kostenerstattung für die durch die Vorlage von Busfahrkarten nachgewiesenen Fahrtkosten in Höhe von 1.662,50 Euro für die Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 gerichtete Klage des Klägers ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, nächstgelegene Schule sei bei dem hierbei vorzunehmenden Vergleich der bei der Beförderung entstehenden Kosten das Gymnasium in B. … Für die Beförderung des Klägers mit dem Bus von A. … zur Staatlichen Gesamtschule H. … seien für das Schuljahr 2018/2019 895,40 Euro und in den Schuljahren 2019/2020 918,50 Euro bzw. 2020/2021 943,80 Euro in Ansatz zu bringen. Bei Hinzurechnung der privaten Pkw-Kosten für die kürzeste Strecke vom Wohnort des Klägers bis zur Bushaltestelle von mindestens 536,50 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 185 Tage) für das Schuljahr 2018/2019, mindestens 533,60 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 184 Tage) für das Schuljahr 2019/2020 und für das Schuljahr 2020/2021 mindestens 553,90 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 191 Tage) entstünden für die einzelnen Schuljahre jeweils Gesamtkosten von mindestens 1.431,90 Euro, 1.452,10 Euro sowie 1.491,10 Euro. Die Beförderungskosten von M. … nach B. … beliefen sich hingegen für das Schuljahr 2018/2019 (nur) auf 1.068,10 Euro, für 2019/2020 sowie für 2020/2021 auf jeweils 1.024,10 Euro. Bei der Berechnung der Pkw-Kosten sei auf den Schulweg abzustellen, der die Wegstrecke zwischen der Wohnung eines Schülers und der Schule umfasse. Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Beförderungskosten für bestimmte Wegstrecken (Pkw-Transport) sei hierbei nicht zu berücksichtigen. Der Beklagte habe deshalb zu Recht die Übernahme bzw. die Erstattung der Beförderungskosten abgelehnt. Auf eine rechtmäßige Ermessensausübung des Beklagten im Rahmen von § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV komme es nicht an, weil schon nicht die tatbestandliche Voraussetzung – der Beförderungsaufwand übersteige die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v.H. – vorliege.
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Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter und wiederholt im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Nächstgelegene Schule mit dem geringsten Beförderungsaufwand sei die Staatliche Gesamtschule H. … Es werde nochmals klargestellt, dass für die Wegstrecke vom Wohnort des Klägers bis zur Bushaltestelle A. … tatsächlich keine Kosten anfielen, weil die Eltern des Klägers ihn mit dem Pkw zur Bushaltestelle brächten und ihn nach der Schule von dort wieder abholten, bzw. der Kläger den Weg mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklege. Abgesehen davon sei in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG geregelt, dass eine Wegstrecke von bis zu 3 Kilometern vom Wohnsitz des Schülers bis zur Bushaltestelle unberücksichtigt bleibe.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
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den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. Juni 2022 zu verpflichten, dem Kläger die von ihm beantragte Fahrtkostenerstattung für die Schülerbeförderung für die Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 in Höhe von 1.662,50 Euro zu gewähren
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sowie
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die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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und begründet dies im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Anders, als es der Kläger darstelle, betrage die Wegstrecke zwischen dessen Wohnhaus in M. … und der Bushaltestelle in A. … bei Nutzung von für Kraftfahrzeuge geeigneten Straßen 3,9 Kilometer. Die vom Kläger vorgenommene Wegstreckenermittlung gehe von einer Wegstrecke unter 3 Kilometern aus; diese sei jedoch für die tägliche Begehung durch den Schüler nicht zumutbar, da sie als besonders gefährlich im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV zu bewerten sei. Die Bestimmung der nächstgelegenen Schule habe objektiv zu erfolgen und dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob Eltern auf die Entschädigung für einen Teil des Schulwegs verzichteten.
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Am 25. Juni 2024 verhandelte der Senat mündlich über das Berufungsverfahren. Die Beteiligten erklärten sich in der mündlichen Verhandlung mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren einverstanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung sowie auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Berufung des Klägers konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2024 auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung für die Schülerbeförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. … in den Schuljahren 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 in Höhe von 1.662,50 Euro. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 7. August 2020 in der Gestalt, den er durch das Schreiben des Beklagten vom 22. Januar 2021 sowie durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberfranken vom 3. Februar 2021 erhalten hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Unter Abänderung des angegriffenen Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts sind der Ablehnungs- und der Widerspruchsbescheid daher aufzuheben.
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Der Beklagte ist seit dem Schuljahr 2018/2019 zur Beförderung des Klägers zur Staatlichen Gesamtschule H. … verpflichtet (nachfolgend A.). Für die zurückliegenden Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 hat er daher dem Kläger den geltend gemachten Erstattungsbetrag in Höhe von 1.662,50 Euro zu zahlen (nachfolgend B.).
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A.
Der Beklagte ist seit dem Schuljahr 2018/2019 zur Beförderung des Klägers zur Staatlichen Gesamtschule H. … verpflichtet. Es spricht viel dafür, dass sich die Beförderungspflicht des Beklagten bereits aus § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV ergibt, weil die Staatliche Gesamtschule H. … nächstgelegene Schule im Sinne dieser Vorschrift sein dürfte (hierzu unter I.). Im Ergebnis kann dies jedoch dahingestellt bleiben (hierzu II.). Ein Anspruch des Klägers auf Beförderung ergibt sich jedenfalls aus § 2 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Nr. 3 (analog) SchBefV, da der Beförderungsaufwand zur Staatlichen Gesamtschule H. … die ersparten Beförderungskosten zum Gymnasium B. … um nicht mehr als 20 v.H. übersteigt (hierzu unter III.).
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I. Bei einem Vergleich des für die Beförderung zum Gymnasium in B. … erforderlichen Aufwands mit dem Aufwand, der für die Beförderung des Klägers zur Staatlichen Gesamtschule H. … anzusetzen ist, spricht viel dafür, dass die Staatliche Gesamtschule H. … nächstgelegene Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV ist.
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1. Die Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV – i.d.F. d. Bek. vom 8.9.1994, GVBl S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K), in der vorliegend maßgeblichen Fassung vom 1. August 2018 (GVBl S. 356), regelt die näheren Voraussetzungen für die notwendige Beförderung der Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg nach Maßgabe des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs (Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG – i.d.F. d. Bek. vom 31.5.2000, GVBl S. 452, BayRS 2230-5-1-K), in der vorliegend maßgeblichen Fassung von § 1 Nr. 241 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286). Die notwendige Beförderung der Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg ist kraft Gesetzes (unter anderem) bei öffentlichen und staatlich anerkannten privaten Realschulen und Gymnasien bis einschließlich Jahrgangsstufe 10 Aufgabe der kreisfreien Stadt oder des Landkreises des gewöhnlichen Aufenthalts der Schülerin oder des Schülers (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG). Notwendig ist die Beförderung, wenn der Weg zu dem Ort, an dem regelmäßig Unterricht stattfindet, für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe 5 länger als drei Kilometer ist und den Schülerinnen und Schülern die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht möglich ist (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG). Die Beförderungspflicht besteht zum Pflicht- und Wahlpflichtunterricht der nächstgelegenen Schule (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV). Nächstgelegene Schule ist bei öffentlichen und staatlich anerkannten privaten Realschulen und Gymnasien diejenige Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV), wobei Schulen mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht keine Schule besonderer Art i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV sind (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 SchBefV). In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass bei der Bestimmung des geringsten Beförderungsaufwands grundsätzlich nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand, sondern auf den finanziellen Aufwand der Beförderung durch Vergleich der anfallenden Fahrtkosten abzustellen ist (vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 12.5.2022 – 7 BV 20.1967 – BeckRS 2022, 12107 Rn. 14 m.w.N.).
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2. Im Fall des Klägers sind maßgeblich für die zur Feststellung der nächstgelegenen Schule durchzuführende Vergleichsberechnung die jeweils anfallenden Beförderungskosten im Schuljahr 2018/2019. In diesem Schuljahr hat der Kläger erstmalig die Jahrgangsstufe 5 der Staatlichen Gesamtschule H. … besucht. Unerheblich ist, dass der Kläger (erst) mit Schreiben der Staatlichen Gesamtschule H. … vom 15. Juli 2020, also am Ende des Schuljahres 2019/2020, dem Gymnasialzug der Gesamtschule zugewiesen wurde.
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Nach den Regelungen in § 5 Abs. 3, § 13 Abs. 2 der Schulordnung für die Schulen besonderer Art (BesASO) vom 30. August 2006 (GVBl S. 722, BayRS 2235-2-1-1-K), zuletzt geändert durch § 1 Abs. 225 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl S. 98), erfolgt die Zuerkennung der Eignung für den Übertritt und den Wechsel in einen Gymnasial- oder Realschulzug der Jahrgangsstufe 7, d.h. in sog. abschlussbezogene Klassen einer Gesamtschule, (erst) aufgrund der im Jahreszeugnis der Jahrgangsstufe 6 erzielten Leistungen. Im vorliegenden Verfahren bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, wie Schülerinnen und Schüler von Schulen besonderer Art schülerbeförderungsrechtlich während der Orientierungsstufe zu behandeln sind. Aus Gründen der Gleichbehandlung dürfte es rechtlich geboten sein, dass der Beklagte als zuständiger Aufgabenträger für die Beförderung von Realschülern und Gymnasiasten die Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Gesamtschule H. … in der Orientierungsstufe insoweit wie „normale“ Mittelschüler, Realschüler oder Gymnasiasten behandelt. Nach den Ausführungen des Beklagten erhalten die Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Gesamtschule H. …, die am Ende der Jahrgangsstufe 6 der Realschule oder dem Gymnasium zugeordnet werden und für die der Landkreis dann Aufgabenträger ist, nach Absolvierung der Orientierungsstufe, d.h. ab Jahrgangsstufe 7, eine Fahrkarte zur Bewältigung ihres Schulwegs ausgehändigt, wenn die Voraussetzungen nach dem Schulwegkostenfreiheitsgesetz und der Schülerbeförderungsverordnung erfüllt sind. Die Beförderungskosten für die Jahrgangsstufen 5 und 6 seien zu verauslagen und würden den Unterhaltsleistenden in der Jahrgangsstufe 7 gegebenenfalls erstattet. Ob diese Praxis, die endgültige Entscheidung über die Beförderungspflicht auf den Abschluss der Orientierungsstufe zu verschieben, schülerbeförderungsrechtlich für alle denkbaren Fallgestaltungen rechtmäßig ist, kann vorliegend offen bleiben.
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Da nach Zuweisung des Klägers an den Gymnasialzug der Gesamtschule rückwirkend feststeht, dass der Beklagte ab der Jahrgangsstufe 5 Aufgabenträger i.S.v. Art. 1 Abs. 1 SchKfrG ist, ist die erforderliche Vergleichsberechnung zur Bestimmung der nächstgelegenen Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zwingend auf Grundlage der zu Beginn des Schuljahres 2018/2019 geltenden Beförderungskosten durchzuführen. Nur so kann eine schülerbeförderungsrechtliche Gleichbehandlung mit den Schülerinnen und Schülern gewährleistet werden, die bereits ab Jahrgangsstufe 5 ein Gymnasium oder eine Realschule besuchen. Denn für Schülerinnen und Schüler, die im vergangenen Schuljahr die nächstgelegene Schule besucht haben, bleibt die Beförderung zu dieser Schule grundsätzlich auch dann notwendig, wenn die Schule infolge einer Änderung der Fahrtkosten (z.B. aufgrund Preiserhöhung) nicht mehr die nächstgelegene Schule ist (vgl. Allmannshofer in Schulfinanzierung in Bayern, zu § 2 SchBefV, Nr. 41 m.w.N.). Schülerbeförderungsrechtlich kann nichts anderes gelten, wenn die (endgültige) Zuordnung von Gesamtschülern aufgrund der Regelungen der Schulordnung für die Schulen besonderer Art erst nach Abschluss der Orientierungsstufe erfolgt. In Betracht kommt deshalb weder – wie der Beklagte meint – eine Berechnung anhand der durchschnittlichen Beförderungskosten bezogen auf die Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 noch eine Berechnung anhand der im Schuljahr 2020/2021 geltenden Beförderungskosten. Es kann nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass der Beklagte regelmäßig eine Vorleistung der Eltern verlangt, bis feststeht, ob bzw. dass er der zuständige Aufgabenträger sein könnte.
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3. Die vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht vorgenommene Vergleichsberechnung der Beförderungskosten vom Wohnort des Klägers zum Gymnasium in B. … bzw. zur Staatlichen Gesamtschule H. … begegnet rechtlichen Bedenken.
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a) Der der Vergleichsberechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zugrunde zu legende Beförderungsaufwand ist ausschließlich nach abstrakten, vom Einzelfall unabhängigen Kriterien zu ermitteln.
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Damit für alle Schülerinnen bzw. Schüler mit einem bestimmten Wohnort im Wesentlichen gleiche Ausgangsbedingungen gelten, kann die Bestimmung der nächstgelegenen Schule grundsätzlich nicht von Besonderheiten, die bei einzelnen Schülerinnen bzw. Schülern vorliegen, abhängig gemacht werden. Die Erforderlichkeit abstrakter Kriterien folgt bereits aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, Art. 3 Abs. 1 GG, und ergibt sich insbesondere auch aus § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Halbs. 2 SchBefV, wonach zur Ermittlung des Beförderungsaufwands im allgemeinen öffentlichen Personennahverkehr die Tarife von nicht bundesweit gültigen Monatskarten für den betreffenden Personenkreis heranzuziehen sind, selbst wenn ein verbundweites Jahresticket oder ein bundesweit gültiges Jahres- oder Monatsticket zum Pauschalpreis eingeführt ist. Die Regelung zeigt, dass auch der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass eine einheitliche und von Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls unabhängige Feststellung der nächstgelegenen Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV vorgenommen werden soll.
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Die Bewertung als nächstgelegene Schule erfolgt ausschließlich auf Basis der Kosten des vorhandenen ÖPNV-Angebots. Dies gilt selbst dann, wenn sich eine Benutzung des ÖPNV als unzumutbar i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV herausstellt und im Einzelfall eine Pkw-Beförderung anerkannt wird (vgl. Allmannshofer in Schulfinanzierung in Bayern, zu § 2 SchBefV Nr. 4 m.w.N.). Steht – wie hier – ein ÖPNV-Angebot nicht für den gesamten Schulweg zur Verfügung, hat die Ermittlung des Beförderungsaufwands ebenfalls unabhängig von der Höhe der – auf der 2. Stufe – tatsächlich vorzunehmenden Erstattung zu erfolgen. Anderenfalls läge es zum Beispiel auch nahe, bei der Berechnung zu berücksichtigen, dass der Kläger zeitweise die Restwegstrecke zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigt oder von seinen Eltern jeweils auf dem Weg zu deren Arbeitsstelle bzw. nach Hause im Pkw mitgenommen wird und schon deshalb keine Wegstreckenentschädigung in Betracht kommen kann (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2011 – 7 B 10.1775 – BeckRS 2011, 33736 Rn. 16).
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b) Hiervon ausgehend sind die vom Beklagten für den Schulweg des Klägers zum Gymnasium in B. … im Schuljahr 2018/2019 ermittelten Beförderungskosten nicht zu beanstanden. Ausgehend von Kosten für die Monats-Busfahrkarte M. … – B. … in Höhe von 97,10 Euro ergeben sich bei 11 Monaten Gesamtkosten in Höhe von 1.068,10 Euro. Da sich die Bushaltestelle in M. … nach den Feststellungen des Beklagten 29 m Fußweg von der Wohnung des Klägers entfernt befindet und die Bushaltestelle in B. … direkt am Schulgelände liegt, sind keine Restwegstrecken mit in die Berechnung einzubeziehen.
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c) Die vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht vorgenommene Berechnung der Beförderungskosten vom Wohnort des Klägers zur Staatlichen Gesamtschule H. … begegnet hingegen rechtlichen Bedenken.
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aa) Die Beförderungskosten für den Schulweg zur Staatlichen Gesamtschule H. … im Schuljahr 2018/2019 hat der Beklagte wie folgt berechnet: Als Beförderungskosten für die Strecke von A. … zur Staatlichen Gesamtschule H. … werden 895,40 Euro (81,40 Euro x 11 Monate) für die Monats-Busfahrkarte angesetzt. Hinzugerechnet werden Kosten für die Beförderung mit dem Pkw vom Wohnort des Klägers in M. … nach A. … auf einer Wegstrecke von 3,9 Kilometern mit der Begründung, dies sei der für das Erreichen der Bushaltestelle in A. … (einzig) zumutbare Schulweg. Der nach Schilderung der Eltern des Klägers von diesem zu Fuß oder mit dem Fahrrad benutzte Weg von 2,9 Kilometern zur Bushaltestelle in A. … sei besonders gefährlich i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV und deshalb nicht zumutbar. Der Ansatz von 4 Pkw-Fahrten täglich beruht auf der Annahme des Beklagten, der Fahrer eines Pkw würde nach dem Transport eines Schülers morgens wieder nach Hause zurückkehren und mittags von dort aufbrechen, um den Schüler wieder nach Hause zu bringen. Bei einer Wegstreckenentschädigung von 0,25 Euro pro Kilometer (§ 3 Abs. 3 Satz 1 u. 2 SchBefV i.V.m. Art. 6 Abs. 6 Nr. 1 BayRKG) und 186 Schultagen ergibt sich nach den Berechnungen des Beklagten ein Betrag in Höhe von 725,40 Euro; die Beförderungskosten insgesamt betragen damit 1.620,80 Euro.
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bb) Dem kann nicht gefolgt werden, weil der Beklagte bei der Ermittlung des Schulwegs und der dadurch entstehenden Beförderungskosten von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist.
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(1) Der Begriff des Schulwegs ist über die Formulierung in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV als „Weg zu dem Ort, an dem regelmäßig Unterricht stattfindet“ hinaus weder im Schul-, im Schulfinanzierungs- noch im Schülerbeförderungsrecht näher definiert. Eine zur Ausfüllung dieses Begriffs etwa vorgenommene Anknüpfung an das Vorhandensein öffentlicher Straßen im Sinne des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes bzw. einer entsprechenden Widmung ist nicht sachgerecht (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2003 – 7 B 02.1135 – BeckRS 2003, 21010 Rn. 18 f.). Der Begriff des Schulwegs ist vielmehr losgelöst von den Kriterien des Straßenrechts und des Straßenverkehrsrechts eigenständig nach Maßgabe der Erfordernisse des Schul- und Schulfinanzierungsrechts zu definieren. Zum Schulweg können somit auch Wanderwege, Geh- und Radwege sowie Straßen und Wege in Fußgängerbereichen zählen. Auf eine Befahrbarkeit mit motorisierten Fahrzeugen kommt es für die Eignung als Schulweg nicht an. Entscheidend kann dafür nur sein, ob tatsächlich ein Weg vorhanden ist und ob dieser als Schulweg geeignet ist. Die Eignung des Schulwegs bestimmt sich danach, ob die Benutzung des Wegs vor, während und nach den üblichen Unterrichtszeiten tatsächlich und rechtlich ohne Einschränkungen möglich ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2003 – 7 B 02.1135 – BeckRS 2003, 21010 Rn. 19). Geeignet als Schulweg ist ein Weg dann, wenn er nach der allgemeinen Verkehrsanschauung als Schulweg genutzt werden kann (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKrfG).
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Die Beförderungspflicht des zuständigen Aufgabenträgers besteht nicht auf dem gesamten Schulweg, d.h. nicht von „Tür zu Tür“ (vgl. BayVGH, U.v. 7.4.2015 – 7 B 14.1636 – NVwZ-RR 2015, 778 Rn. 14). Der für die Entfernungsmessung zwischen Wohnort und Schule maßgebliche Schulweg ist zudem nicht notwendig identisch mit dem Weg, auf dem ggf. die Beförderungspflicht mit Hilfe des öffentlichen Personennahverkehrs oder anderer Verkehrsmittel (vgl. § 3 Abs. 2 SchBefV) zu erfüllen ist (BayVGH, U.v. 30.1.2003 – 7 B 02.1135 – BeckRS 2003, 21010 Rn. 18). Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV genannten Entfernungen – für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 mit 4 länger als zwei Kilometer, für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe 5 länger als drei Kilometer – sind zwar maßgeblich für das Entstehen der Beförderungspflicht des Beklagten. Die Überschreitung der in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV genannten Entfernungen schließt jedoch nicht aus, dass auch bei bestehender Beförderungspflicht auf dem Schulweg unter Umständen Restwegstrecken von und zu Bushaltestellen verbleiben können und hinzunehmen sind, wie dies üblicherweise auch bei sonstiger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Fall ist.
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Für die Beurteilung, welche Distanz auf Restwegstrecken, also zwischen Wohnort und Bushaltestelle, von einer Schülerin oder einem Schüler zumutbar bewältigt werden kann, ist § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV entsprechend heranzuziehen. Daraus folgt, dass bei Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 1 mit 4 Restwegstrecken von bis zu zwei Kilometern sowie bei Schülerinnen und Schülern ab der Jahrgangsstufe 5 Restwegstrecken bis zu drei Kilometern grundsätzlich nicht in den Beförderungsaufwand einbezogen werden dürfen, weil davon auszugehen ist, dass sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigt werden können. Maßgebend ist dabei regelmäßig die kürzest mögliche Wegstrecke, die nach der allgemeinen Verkehrsanschauung von der Schülerin oder dem Schüler als (Rest-)Schulweg genutzt werden kann. Ob die Restwegstrecke für die jeweilige Schülerin oder den jeweiligen Schüler besonders beschwerlich oder besonders gefährlich ist (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV), ist grundsätzlich ohne Relevanz. § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV, der bei besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen eine Beförderungspflicht des Aufgabenträgers auf kürzeren Wegstrecken als 2 bzw. 3 Kilometer vorsieht, unterliegt als Ausnahmeregelung besonders strengen Anforderungen. Ob von einem besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulweg auszugehen ist, lässt sich regelmäßig nicht anhand abstrakter, vom Einzelfall unabhängiger Kriterien bestimmen, sondern hängt unter anderem von persönlichen Merkmalen der Schülerin oder des Schülers ab, wie z.B. dem Geschlecht, dem Alter oder einer ggf. vorliegenden Behinderung und ist damit eine Frage des Einzelfalls.
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(2) Dies zugrunde gelegt, spricht viel dafür, dass sich der Beklagte auf nicht relevante Kriterien beruft, wenn er vorträgt, nicht die 2,9 Kilometer lange Route, sondern die längere Restwegstrecke von 3,9 Kilometern sei maßgebend in die Vergleichsberechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV einzubeziehen, weil der 2,9 Kilometer lange Weg über die Feldflur nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr zulässig sei, zwischen Feldern und Wäldern „abgekürzt“ ohne jegliche Wohnbebauung und verkehrliche Frequentierung verlaufe und weiter über die Staats straße führe, im Winter nicht geräumt werde und deshalb als Schulweg unüblich, ungeeignet und unzumutbar sei.
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II. Im Ergebnis kann jedoch offenbleiben, ob die 2,9 Kilometer lange Route vom Wohnort des Klägers zur Bushaltestelle nach A. … als Schulweg geeignet ist. Selbst dann, wenn durch Einbeziehung der längeren Restwegstrecke der Vergleich der Beförderungskosten ergibt, dass nicht die Staatliche Gesamtschule H. …, sondern das Gymnasium B. … nächstgelegene Schule i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV ist, bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch Einnahme eines Augenscheins. Zwar folgt eine Pflicht zur Beförderung des Klägers zur Staatlichen Gesamtschule H. … als Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht wegen § 2 Abs. 3 Satz 2 SchBefV nicht bereits aus § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV. Auch bei Zugrundelegung der längeren Restwegstrecke von 3,9 Kilometern und Einbeziehung der durch eine Pkw-Beförderung entstehenden Kosten steht dem Kläger ein Anspruch auf Beförderung dorthin durch den Beklagten nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV zu.
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III. Einen Anspruch des Klägers nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV hat der Beklagte zu Unrecht abgelehnt. Da der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen insoweit entsprechend der in § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV enthaltenen Anforderungen gebunden hat, ergibt sich bei richtiger Berechnung des Beförderungsaufwands, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Beförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. … hat.
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Nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV kann die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule ganz oder teilweise nur übernommen werden, wenn die Schülerinnen und Schüler eine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht besuchen. Die Ermessensregelungen des § 2 Abs. 4 SchBefV geben dem Aufgabenträger der Schülerbeförderung die Rahmenbedingungen für eine Schülerbeförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule vor.
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1. Die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV sind erfüllt. Bei der Staatlichen Gesamtschule H. … handelt es sich um eine Schule besonderer Art mit schulart-übergreifendem integriertem Unterricht (vgl. Art. 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayEUG).
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2. Der Beklagte hat sein Ermessen nach Art. 3 Abs. 1 GG durch analoge Anwendung von § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV dahingehend gebunden, dass die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen wird, wenn der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v.H. übersteigt.
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a) Dies ergibt sich aus den Bescheiden des Beklagten vom 28. August 2018 und vom 19. Dezember 2019, wonach „weitere Voraussetzung in der Handhabung des Landkreises L. für die Übernahme und Erstattung der entstandenen Fahrtkosten … die analoge Anwendung des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV [ist]. Hiernach darf der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v.H. übersteigen“.
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b) Bei der Berechnung der Kosten, die für die Beförderung zur Staatlichen Gesamtschule H. … entstehen, hat der Beklagte zu Unrecht die Kosten für vier Pkw-Fahrten täglich angesetzt. Anzurechnen sind lediglich zwei Pkw-Fahrten, nämlich die Fahrt morgens von der Wohnung des Klägers zur Bushaltestelle in A. … und nach Schulschluss von der Bushaltestelle A. … zurück nach Hause.
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Sowohl aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG als auch aus § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV ergibt sich, dass nur die Fahrten, die die Beförderung der Schülerinnen und Schüler zur Schule bzw. von der Schule nach Hause sicherstellen, der Fahrtkostenerstattung des zuständigen Aufgabenträgers unterliegen. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG geht ausdrücklich davon aus, dass eine Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel notwendig ist, wenn der Schulweg in einer Richtung mehr als drei Kilometer beträgt. Der Ansatz der Kosten von vier Pkw-Fahrten ist auch deshalb verfehlt, weil § 3 Abs. 3 Satz 2 SchBefV für die Höhe der Wegstreckenentschädigung auf Art. 6 Abs. 6 BayRKG verweist. Auch im Reisekostenrecht ist Anknüpfungspunkt „die Strecke“, also jeweils ein einfacher Hinweg von der Dienststelle zum Ort, an dem ein Dienstgeschäft zu erledigen ist, sowie der Weg zurück zum Dienstort.
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Nicht durchdringen kann der Beklagte mit dem Einwand, es sei in ländlichen Gegenden durchaus Usus, dass Eltern die vier Wege auf sich nähmen, um die Schülerin oder den Schüler mit dem Pkw in die Schule zu bringen. Es mag sein, dass der Beklagte im Einzelfall zu dem Ergebnis kommt, dass auch der morgendliche Rückweg des befördernden Elternteils nach Hause und der Weg nach Schulschluss von zu Hause zur Schule erstattungsfähig sind. Es ist jedoch weder systemgerecht, diesen Ausnahmefall im Rahmen der Vergleichsberechnung zur Feststellung der nächstgelegenen Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu berücksichtigen, noch ist es zulässig, vier Pkw-Fahrten im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 4 SchBefV anzusetzen. Auch hier ist auf der ersten Stufe von allgemeinen Gegebenheiten auszugehen, die eine Gleichbehandlung von Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf die grundsätzliche Übernahme der Kosten für die Schülerbeförderung gewährleisten. Weder in die Vergleichsberechnung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV noch in die Berechnung des Beförderungsaufwands nach § 2 Abs. 4 SchBefV einzustellen sind besondere Faktoren, die die konkreten Gegebenheiten eines Einzelfalls berücksichtigen und die zweite Stufe, also die Erstattung von Fahrtkosten für die Benutzung eines Pkws, betreffen. Unbehelflich ist deshalb der Verweis des Beklagten auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (ohne Fundstelle), wonach (immer) vier Fahrten anzusetzen seien. Die – soweit ersichtlich – einzige Entscheidung des Senats vom 5. August 1992 – 7 B 92.601 – (BeckRS 1992, 10838) betrifft die Erstattung von Kosten der Beförderung mittels Pkw und setzt dort notwendige Leerfahrten an. Eine Aussage dahingehend, dass Leerfahrten bereits auf der ersten Stufe im Rahmen der Berechnung nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV anzusetzen seien, lässt sich dem nicht entnehmen.
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c) Bei Ansatz von lediglich zwei Pkw-Fahrten ergibt sich im maßgeblichen Schuljahr 2018/2019 ein Beförderungsaufwand für den Kläger von M. … zur Staatlichen Gesamtschule H. … in Höhe von 1.258,10 Euro (3,9 km x 2 x 186 Tage x 0,25 Euro = 362,70 Euro zzgl. Buskosten ab A. … in Höhe von 895,40 Euro). Die Beförderungskosten von M. … nach B. … mit dem Bus betragen 1.068,10 Euro. Unter Berücksichtigung eines Zuschlags von 20 v.H. ergibt sich ein Betrag in Höhe von 1.281,72 Euro. Der Beförderungsaufwand zur Staatlichen Gesamtschule H. … übersteigt damit die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v.H.
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B.
Da eine Beförderung des Klägers für die vergangenen Schuljahre wegen Zeitablaufs tatsächlich nicht mehr stattfinden kann, hat der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der ihm während der Schuljahre entstandenen Beförderungskosten. Nachdem der Beklagte Einwendungen gegen die im Verfahren vorgelegten Wertmarken in Höhe von 1.662,50 Euro nicht erhoben hat, sind dem Kläger diese Aufwendungen als Kosten der notwendigen Beförderung zu erstatten.
49
C.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
50
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2009 – 6 B 14.09 – juris Rn. 5, 8 m.w.N.). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob es für den Bürger zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen, ist derjenige der Zuziehung des Rechtsanwalts, das heißt seiner förmlichen Bevollmächtigung.
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Gemessen daran war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig. Weder der Kläger noch seine gesetzlichen Vertreter verfügen – soweit ersichtlich – über das notwendige Wissen, um das vorliegende Vorverfahren durchzuführen. Angesichts der rudimentären Ausführungen zur Rechtslage bei der Schülerbeförderung in allen Bescheiden des Beklagten war es dem Kläger bzw. seinen gesetzlichen Vertretern nicht zumutbar, das Vorverfahren gegen den streitgegenständlichen Bescheid selbst zu führen.
52
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 704, 709 ZPO.
53
E. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.