Titel:
Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit wegen Erschleichens der Ernennung
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
SG § 31 Abs. 1 S. 1, § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1
Leitsatz:
Es ist mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht vereinbar, einem Soldaten auf Zeit das Verschweigen einer strafrechtlichen Verurteilung im Bewerbungsbogen Jahre später nach Bekanntwerden als Entlassungsgrund vorzuhalten. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit, Arglistige Täuschung, Verschweigen von Strafbefehl und Strafurteil (Trunkenheitsfahrten), Kausalität, Vorsatz, Entlassung, Soldatenverhältnis auf Zeit, arglistige Täuschung, Verschweigen, Strafbefehl, Strafurteil, Trunkenheitsfahrt, Bewerbungsbogen, Angaben, Einstellungshemmnis, Einstellungssperre, Zeitablauf, Fürsorgepflicht, Beschleunigung, Bekanntwerden, Mitteilung, mündlich, Dienstvorgesetzter
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 06.09.2023 – AN 16 K 19.02414
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18883
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 6. September 2023 – AN 16 K 19.02414 – geändert. Der Bescheid des Bundesamts für Personalmanagement der Bundeswehr vom 22. August 2019 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 18. November 2019 wird aufgehoben
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit wegen arglistigen Erschleichens der Ernennung.
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1. Der Kläger war bereits von 2005 bis 2009 Soldat auf Zeit. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bewarb er sich im April 2011 beim Zentrum für Nachwuchsgewinnung Süd um eine Wiedereinstellung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr in der Laufbahngruppe der Unteroffiziere. Im Bewerbungsbogen, den er am 18. April 2011 unterschrieb, kreuzte er bei der Frage, ob er in einem Strafverfahren rechtskräftig verurteilt worden oder mit einer anderen Maßnahme (z.B. Strafbefehl) belegt worden sei (Nr. 22), das Antwortfeld „Nein“ an. Bei der Frage, ob gegen ihn ein Strafverfahren/polizeiliches/staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren laufe (Nr. 23), kreuzte er ebenfalls „Nein“ an. Bei der Frage, ob ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden sei (Nr. 24), gab er „Ja“ und als Zeitraum „04.2009 – 01.2010“ an. In einem Beiblatt „Zusatzangaben zu Ziffer 22 bis 25“ gab der Kläger an, er habe eine Erziehungsmaßnahme von 30 Sozialstunden im Jahr 2001 aufgrund Diebstahls erhalten. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 teilte das Bundesministerium der Verteidigung (im Folgenden Ministerium) dem Zentrum für Nachwuchsgewinnung Süd den Kläger betreffend und unter dem weiteren Betreff „Anforderungen aus dem Bundeszentralregister“ mit: „Gegen eine Einstellung / Wiedereinstellung oder Übernahme der / des Obengenannten bestehen keine Bedenken“. Er wurde mit dem beabsichtigten Eintrittstermin 1. August 2012 und einer Verpflichtungszeit von 16 Jahren eingeplant.
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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts W. vom 29. Mai 2009, rechtskräftig seit 2. Juli 2009, war gegen den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu jeweils 50,00 Euro verhängt worden. Zudem war ihm die Fahrerlaubnis unter Anordnung einer achtmonatigen Sperrfrist für die Wiedererteilung entzogen worden. Am 11. März 2012 führte der Kläger – erneut – ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Hierfür wurde er vom Amtsgerichts W. mit Urteil vom 20. Juni 2012 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ihm wurde ferner die Fahrerlaubnis unter Anordnung einer Sperrfrist von fünfzehn Monaten für die Wiedererteilung entzogen. Das Strafurteil wurde am 2. Oktober 2012 rechtskräftig.
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Der Kläger wurde aufgrund seiner Bewerbung zum 1. August 2012 zu einer viermonatigen Eignungsübung einberufen und mit Wirkung vom 1. Dezember 2012 unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Stabsunteroffizier ernannt. Zuletzt stand er im Rang eines Hauptfeldwebels. Reguläres Dienstzeitende ist der 31. Juli 2024.
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Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt) wandte sich mit E-Mail vom 13. Dezember 2018 an das Ministerium und bezog sich auf dessen Schreiben vom 7. Dezember 2011, wonach unter dem Betreff „Anforderungen aus dem Bundeszentralregister“ keine Bedenken gegen die Wiedereinstellung des Klägers mitgeteilt worden waren. Es teilte mit, aufgrund des Auszuges aus dem Zentralregister und aus dem Erziehungsregister sei eine Tat zu erkennen, welche vor Wiedereinstellung hätte angegeben werden müssen, was aber unterblieben sei. Es handele sich dabei um eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr. Das Bundesamt fragte an, ob es einen bestimmten Grund gebe oder gegeben habe, dass keine Bedenken bei der Einstellung bestünden oder bestanden hätten. Laut Aktennotiz vom 13. Dezember 2018 gab es am selben Tag ein Telefonat zwischen dem zuständigen Mitarbeiter im Ministerium und dem Verfasser. Laut dem Inhalt der Notiz teilte der Ministeriumsmitarbeiter mit, der Soldat sei unbekannt und die Entscheidung, dass keine Bedenken vorlägen, obwohl Strafverfahren anhängig gewesen wären oder seien, könne nicht mehr nachvollzogen werden. Auf ein Auskunftsersuchen teilte die Polizeiinspektion T. unter dem 15. Januar 2019 dem Bundesamt mit, dass der Kläger wegen im Einzelnen aufgeführter Delikte „polizeilich in Erscheinung“ getreten sei. Darunter waren auch die beiden Trunkenheitsfahrten vom Januar 2009 und März 2012 aufgeführt.
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Das Bundesamt hörte den Kläger am 24. Januar 2019 zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses auf Zeit wegen erschlichener Einstellung an. Der Kläger hielt dem Vorwurf entgegen, er habe entsprechend der telefonischen Auskunft der Wehrdienstberatung das Strafverfahren am Tag des Dienstantritts gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten und weiteren Kameraden kommuniziert. Dazu legte er eine schriftliche Stellungnahme des damaligen Personalfeldwebels S. vom 13. Februar 2019 vor. In dieser führt Herr S. aus, der Kläger sei am 1. August 2012 bei ihm im Personalbüro gewesen. Er habe ihm mitgeteilt, gegen ihn laufe ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit am Steuer. Dasselbe habe er im Beisein von Herrn S. dem Kompaniefeldwebel geschildert. Es habe deswegen auch ein Gespräch mit dem Kompaniechef gegeben. Das Bundesamt ließ daraufhin den damaligen Kompaniefeldwebel, Herrn D. K., den damaligen Einheitsführer und Dienstvorgesetzten, Herrn P., und den damaligen Geschäftszimmersoldaten, Herrn F. K. vernehmen. Herr D. K. und Herr P. sagten jeweils aus, sie könnten sich nicht erinnern. Herr F. K. konnte sich daran erinnern, dass das Thema Führerscheinentzug und wie es dazu gekommen sei, angesprochen worden sei.
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Mit Bescheid vom 22. August 2019 entließ die Beklagte den Kläger gemäß § 55 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SG aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Der Kläger sei wegen Einstellungsbetrugs aus der Bundeswehr zu entlassen. Er habe weder den Strafbefehl des Amtsgerichts W. vom 29. Mai 2009 noch die strafrechtlichen Ermittlungen zur Verurteilung durch das Amtsgericht W., rechtskräftig seit dem 2. Oktober 2012, noch die Verurteilung als solche im Bewerbungsbogen korrekt angezeigt oder im Nachhinein der Einstellungsbehörde offengelegt. Hinsichtlich des Strafbefehls vom 29. Mai 2009 wäre in der Regel eine Einstellungssperre von 18 Monaten verhängt worden. Nach dieser Zeit wäre nach erneuter Prüfung ggf. eine Einstellung in die Bundeswehr möglich gewesen. Bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens wegen der Trunkenheitsfahrt vom 11. März 2012 wäre die Einstellung zum 1. August 2012 sicher nicht erfolgt.
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2. Das nach erfolgloser Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. September 2023 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Entlassung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SG seien erfüllt. Der Kläger habe eine arglistige Täuschung begangen, die kausal für seine Einstellung gewesen sei. Es könne offenbleiben, ob er eine Täuschung dadurch begangen habe, dass er der Beklagten den Strafbefehl vom 29. Mai 2009 des Amtsgerichts W. verschwiegen habe. Er habe sie jedenfalls durch das Unterlassen der Meldung des Ermittlungsverfahrens, resultierend aus der Tat vom 11. März 2012, im Zeitraum zwischen Tattag und Dienstantritt am 1. August 2012 getäuscht. Diese Täuschungshandlung sei kausal für die Einstellung des Klägers gewesen. Der Kläger hätte der Beklagten umgehend das Ermittlungsverfahren auf Grund der Tat vom 11. März 2012 noch vor Dienstantritt melden müssen, was er unterlassen habe. Die Pflicht zur Meldung bestehe gegenüber der Einstellungsbehörde und damit gegenüber dem Bundesamt und nicht gegenüber dem Karrierecenter der Bundeswehr. Die unsubstantiierte Behauptung, im Karrierecenter habe man ihm geraten, er solle das Ermittlungsverfahren erst bei Dienstantritt melden, gehe zulasten des Klägers.
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3. Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter und trägt im Wesentlichen vor:
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Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liege der Entlassungsgrund des § 46 Abs. 2 Nr. 2 SG nicht vor. Er habe seine Ernennung nicht durch arglistige Täuschung herbeigeführt. Insbesondere fehle es an der subjektiven Tatbestandsvoraussetzung der Arglist. Unmittelbar nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens habe er Kontakt mit dem Karrierecenter der Bundeswehr aufgenommen, das zu diesem Zeitpunkt für ihn der einzige Ansprechpartner bei der Beklagten gewesen sei. Er habe auf die Aussage der Mitarbeiterin vertraut und Meldung erst bei Dienstantritt gemacht. Es sei Aufgabe der Beklagten nachzuweisen, dass ein außerordentlicher Kündigungsgrund vorliegt. Er habe dargelegt, dass er sowohl eine Mitarbeiterin des Karrierecenters als auch einen Rechtsanwalt gefragt habe. Beide hätten die Auskunft gegeben, bei Dienstantritt Meldung zu machen. Zudem sei nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 SG ein Berufssoldat zu entlassen, wenn er seine Ernennung durch arglistige Täuschung herbeigeführt habe. Diese habe erst Monate nach Dienstantritt stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe er bereits bei seinem Dienstvorgesetzten die Entziehung des Führerscheins und auch das laufende Ermittlungsverfahrens gemeldet. Der Dienstvorgesetzte habe dem Kläger nicht mitgeteilt, dass er die Meldung bei einer anderen Stelle hätte machen müssen. Hinsichtlich des Strafbefehls aus dem Jahr 2009 habe der Kläger den Führerscheinentzug mitgeteilt und den Strafbefehl in Kopie zu seinen Bewerbungsunterlagen gegeben. Mit Schreiben des Zentrums für Nachwuchsgewinnung vom 22. November 2011 sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt werden würde.
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 6. September 2023 den Bescheid des Bundesamtes vom 22. August 2019 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 18. November 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt sie aus, der Kläger habe das laufende Ermittlungsverfahren vom 11. März 2012 dem Bundesamt als Ernennungsbehörde nicht mitgeteilt. Der objektive Tatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 2 SG sei genauso erfüllt wie der subjektive Tatbestand. Der Kläger selbst behaupte, er habe unmittelbar nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens Kontakt zum Karrierecenter der Bundeswehr aufgenommen. Es stelle sich die Frage, warum der Kläger auf Aussagen Dritter, die nicht Teil der Einstellungsbehörde seien, vertraut habe. Es komme nicht darauf an, ob er bei Dienstantritt gegenüber bestimmten Angehörigen der Bundeswehr das Ermittlungsverfahren oder das daraus resultierende Urteil vom 20. Juni 2012 des Amtsgerichts Weißenburg gemeldet habe. Die Offenbarungspflicht über laufende Straf- und Ermittlungsverfahren habe bereits bei der Bewerbung bestanden. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen S. sowie des Klägers.
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Der Senat hat am 2. Mai 2024 mündlich verhandelt. Dabei ist der Kläger informatorisch angehört und Beweis durch die Einvernahme des Zeugen S. erhoben worden. Auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen. Die Beteiligten habe ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung erklärt.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten wird gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Seine Anfechtungsklage ist zulässig und entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründet. Denn der angefochtene Entlassungsbescheid vom 22. August 2019 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 18. November 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist deshalb unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung aufzuheben.
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1. Die Klage ist (weiterhin) zulässig. Der unmittelbar bevorstehende Ablauf der vorgesehenen Dienstzeit (am 31.7.2024) hat keinen Einfluss auf den Bestand der angefochtenen Entlassungsverfügung und die sich hieraus ergebenden beschwerenden Rechtswirkungen. Ihre Gestaltungswirkung behält die vorzeitige Entlassung auch nach Ablauf der ursprünglich festgesetzten Dienstzeit des Klägers. Eine Erledigung durch Zeitablauf scheidet daher aus (OVG SA, B.v. 26.1.2023 – 1 L 108/22 – juris Rn. 27).
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2. Die Klage ist auch begründet.
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Die vom Bundesamt auf § 55 Abs. 1 SG i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SG gestützte Entlassung des Klägers aus dem Soldatendienstverhältnis auf Zeit ist rechtswidrig. Der Der Vorwurf, der Kläger habe seine am 1. Dezember 2012 erfolgte Ernennung durch Verschweigen des Strafbefehls vom 29. Mai 2009 und des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie des hieraus resultierenden Strafurteil vom 20. Juni 2012 erschlichen, hat sich nicht zur Überzeugung des Senats bestätigt.
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Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SG in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Nr. 2 SG ist ein Soldat auf Zeit zu entlassen, wenn er seine Ernennung durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt hat. Eine arglistige Täuschung liegt dann vor, wenn der zu Ernennende erkennt und in Kauf nimmt, dass die Ernennungsbehörde auf Grund seines Verhaltens für sie wesentliche Umstände als gegeben ansieht, die in Wahrheit nicht vorliegen oder – umgekehrt – der Ernennung hinderliche Umstände als nicht gegeben ansieht, obwohl solche in Wahrheit vorliegen (BVerwG, U.v. 18.9.1985 – 2 C 30.84 – juris Rn. 24). Insbesondere ist das Verschweigen von Tatsachen eine arglistige Täuschung, wenn die Ernennungsbehörde nach Tatsachen gefragt hat oder der Ernannte auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, dass die verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Ernennungsbehörde erheblich sind oder sein könnten (OVG NW, B.v. 19.5.2016 – 1 B 63/16 – juris Rn. 13; NdsOVG, B.v. 4.2.2009 – 5 LA 479/07 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 28.11.2018 – 6 C 18.2347 – juris Rn. 13; Sohm in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 46 Rn. 34).
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Diese Voraussetzungen liegen weder mit Blick auf den Strafbefehl vom 29. Mai 2009 (a) noch hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen aus der – weiteren – Trunkenheitsfahrt am 11. März 2012 vor (b).
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a) Die Entlassung durfte aus zwei (jeweils selbstständig tragenden) Gründen nicht auf das Verschweigen des Strafbefehls vom 29. Mai 2009 gestützt werden.
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Allerdings hat der Kläger diesen Strafbefehl, mit dem gegen ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen verhängt und die Fahrerlaubnis unter Anordnung einer achtmonatigen Sperrfrist für die Wiedererteilung entzogen worden war, trotz ausdrücklicher Nachfrage im Bewerbungsbogen nicht ausreichend offenbart, obwohl er hierzu verpflichtet war. Er hat bei der Frage nach rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen oder „einer anderen Maßnahme (z.B. Strafbefehl)“ das Feld „Nein“ angekreuzt und mit seiner Unterschrift am 18. April 2011 als wahrheitsgemäß bestätigt. Dass er im übernächsten Feld des Bewerbungsbogens auf die Frage nach einer Entziehung der Fahrerlaubnis den Achtmonatszeitraum aus dem Strafbefehl angegeben hat, kann das Verschweigen des Strafbefehls nicht ausgleichen.
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Gleichwohl kann die Entlassung darauf nicht gestützt werden. Denn es fehlt an der Ursächlichkeit des Verschweigens für die Einstellung. Der Kläger wäre auch bei wahrheitsgemäßer Angabe des Strafbefehls vom 29. Mai 2009 ernannt worden. Es ist schon fraglich, ob die zugrundeliegende fahrlässige Straftat nach § 316 StGB überhaupt ein Einstellungshemnis darstellt, das einer Einstellung für eine bestimmte Zeit ausschließt (verneinend, solange kein auffallend hohes Maß an Verwerflichkeit besteht: Iglesias Appuhn in Fürst, GKÖD, § 46 SG Rn. 22c). Der Entlassungsbescheid selbst geht zwar insoweit in der Regel von einer Einstellungssperre von 18 Monaten aus (Seite 10). Diese Frist war aber mit Blick auf den Strafbefehl vom 29. Mai 2009 schon beim Ausfüllen des Bewerbungsbogens (am 18.4.2011) und erst recht im Zeitpunkt der Ernennung (am 1.12.2012) längst abgelaufen und damit ein insoweit etwa bestehendes Einstellungshemnis entfallen.
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Abgesehen davon verstößt die auf das Verschweigen des Strafbefehls von 2009 gestützte Entlassung gegen die dem Soldaten gegenüber geltende Fürsorgepflicht des § 31 Abs. Satz 1 SG, die es dem Dienstherrn gebietet, Entlassungsverfahren mit der sachlich gebotenen Beschleunigung durchzuführen (vgl. VG Schwerin, B.v. 21.2.2001 – 1 A 3572/97 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Denn es ist davon auszugehen, dass dem Dienstherrn bereits im Jahr 2011 ein Auszug aus dem Bundeszentralregister mit einer Eintragung des Strafbefehls vorlag, der Anlass zu einer Abklärung mit den Angaben des Klägers und gegebenenfalls zur Einleitung eines zeitnahen Entlassungsverfahrens gegeben hätte. Zwar enthalten die dem Senat vorliegenden (Personal- und Sach-)Akten einen solchen Auszug nicht. Sie enthalten aber eindeutige Hinweise darauf, dass damals ein solcher, aktenkundig gewordener Registerauszug vorlag. Zum einen hatte das Bundesministerium mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 unter dem weiteren Betreff „Anforderungen aus dem Bundeszentralregister“ dem Zentrum für Nachwuchsgewinnung Süd mit Blick auf den Kläger mitgeteilt, dass „gegen eine Einstellung / Wiedereinstellung oder Übernahme der / des Obengenannten keine Bedenken bestehen“. Zum anderen wandte sich das Bundesamt mit E-Mail vom 13. Dezember 2018 unter Bezugnahme auf dieses Schreiben an das Ministerium, teilte mit, dass aufgrund des (2018 offenbar noch vorliegenden) Auszugs aus dem Bundeszentralregister und aus dem Erziehungsregister eine Tat zu erkennen sei, die vor der Wiedereinstellung hätte angegeben werden müssen, wobei es sich um eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr handele, und fragte an, ob es einen bestimmten Grund gegeben habe, dass keine Bedenken bei der Einstellung bestanden hätten. Auch wenn das damals (Aktennotiz vom 13.12.2018 über ein Telefonat der jeweiligen Sachbearbeiter) und auch im gerichtlichen Verfahren letztlich nicht mehr aufklärbar war, ist davon auszugehen, dass der Strafbefehl dem Dienstherrn schon 2011 bekannt war. Es ist mit der Fürsorgepflicht nicht vereinbar, dem Kläger das Verschweigen dieses Umstands im Bewerbungsbogen mehr als acht Jahre später als Entlassungsgrund vorzuhalten. Auch wenn sich der Kläger damals noch im Bewerbungsverfahren befand und man insoweit einwenden könnte, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn greife noch gar nicht ein, ist jedenfalls eine „weitere Aufklärung“ ab Ende 2018, als die Ernennung des Klägers zum Soldaten auf Zeit bereits über sechs Jahre zurücklag, zu spät und damit fürsorgewidrig. Hierbei kann es auch nicht darauf ankommen, ob das Ministerium oder das Bundesamt (als im Jahr 2019 gegenüber dem Kläger aufgetretene Entlassungsbehörde) den Auszug eingeholt hat, weil insoweit schon im Jahr 2011 ein Schriftwechsel stattgefunden und das Ministerium dem Bundesamt unter Bezugnahme auf diesen Auszug ausdrücklich mitgeteilt hatte, gegen die (Wieder-)Einstellung des Klägers bestünden keine Bedenken. Dass die Beklagte dies 2018 selbst „nicht mehr nachvollziehen konnte“, zeigt gerade, dass es fürsorgepflichtwidrig war, genau diesen Sachverhalt für eine fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis im Jahr 2019 zu verwerten.
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b) Die Entlassung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, der Kläger habe seine Einstellung durch das Verschweigen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und des hieraus resultierenden Strafurteils vom 20. Juni 2012 wegen einer weiteren fahrlässigen Trunkenheitsfahrt am 11. März 2012 erschlichen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und insbesondere aufgrund der Angaben des als Zeugen vernommenen damaligen Personalfeldwebels S. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nach telefonischer Anfrage bei dem Karrierecenter diese Umstände bei seinem Dienstantritt am 1. August 2012 mündlich seinem Disziplinarvorgesetzten mitgeteilt hat. Damit hat er seinen Offenbarungspflichten in ausreichender Weise genügt.
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Der Kläger war auch insoweit offenbarungspflichtig, obwohl er den am 18. April 2011 unterschriebenen Bewerbungsbogen bereits abgegeben hatte und darin nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, dass und auf welche Weise er nachträglich eintretende und für die Bewerbung relevante Umstände mitzuteilen habe. Da im Bewerbungsbogen nach laufenden Strafverfahren gefragt war, musste sich ihm die Bedeutung dieser Informationen für die Einstellung aufdrängen. Mangels Hinweisen und Belehrungen im Bewerbungsbogen zu einer etwaigen Nachmeldung genügt es allerdings, dass der Kläger die nachträglich eingetretenen Umstände so mitteilte, dass er davon ausgehen durfte, die Information werde rechtzeitig die Einstellungsbehörde erreichen. Dazu konnte er sich ohne weiteres an die Stelle wenden, mit der er bei der Bewerbung Kontakt hatte. Denn er darf ohne weiteres davon ausgehen, dass diese Stelle die nachgeschobenen Informationen ebenso an die zuständige Einstellungsbehörde weiterleitet wie zuvor die Bewerbungsunterlagen. Er war ohne entsprechende ausdrückliche Belehrung im Bewerbungsverfahren nicht verpflichtet, sich wegen der nachträglich eingetretenen Tatsachen unmittelbar und schriftlich an das Bundesamt als Einstellungsbehörde zu wenden.
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Seiner Offenbarungspflicht hat der Kläger genügt, weshalb von einer arglistigen Täuschung mit Blick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und die Verurteilung wegen der Trunkenheitsfahrt vom 11. März 2012 keine Rede sein kann.
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Aufgrund der informatorischen Anhörung des Klägers und der Aussage des Zeugen S. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger sich zunächst telefonisch an das Karrierecenter gewandt und dort die Auskunft erhalten hat, er soll die nachträglich eingetretenen Umstände bei Dienstantritt (am 1.8.2012) dem Disziplinarvorgesetzten melden, was er dann auch getan hat. Der Senat sieht gerade auch unter dem Eindruck der persönlichen Angaben und Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung keinen Anlass, am Kerngehalt dieser Aussagen des Klägers und des Zeugen S. zu zweifeln, auch wenn das Geschehen mehr als 10 Jahre zurückliegt. Im Übrigen erscheint der geschilderte Ablauf auch deshalb realitätsnah, weil dem Kläger noch am Tattag (11.3.2011) die zivile Fahrerlaubnis vorläufig und dann gerichtlich mit einer Sperrfrist von 15 Monaten entzogen und der Führerschein eingezogen worden war. Die Fahrerlaubnis wurde dem Kläger erst am 25. April 2014, also lange nach Dienstantritt (am 1.8.2012) wiedererteilt. Schon mit Blick auf die vom Kläger und dem Zeugen S., dem damaligen Personalfeldwebel, geschilderten dienstlichen Folgen der fehlenden zivilen Fahrerlaubnis liegt auf der Hand, dass der Kläger die strafrechtlichen Folgen der Trunkenheitsfahrt „vor Ort“ schnellstmöglich offenlegen musste, um ein absehbares Aufschaukeln der Schwierigkeiten für den militärischen Führerschein und die Ausbildung zu verhindern. Die Einwände der Beklagten gegen die Glaubhaftigkeit beider Aussagen kann der Senat nur bedingt nachvollziehen und im Ergebnis nicht teilen.
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Die entscheidende Frage, ob der Kläger das betreffende Strafverfahren am Tag des Dienstantritts dem Vorgesetzten mitgeteilt hat, hat der Zeuge S. klar und deutlich bejaht. Er konnte sich noch an Details erinnern wie jenes, dass der Kläger am Einstellungstag im Auto des Vaters vorgefahren worden war und warum ihm das im Gedächtnis geblieben ist. Dass der Zeuge hinsichtlich des genauen Zeitpunkts der Vereidigung des Klägers bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung möglicherweise ungenaue Angaben gemacht hat, ist aus Sicht des Senats aufgrund des langen Zeitablaufs nicht auffällig. Dasselbe gilt für die Details hinsichtlich des militärischen Führerscheins. Hinzu kommt, dass es für das tatsächliche Geschehen nicht darauf ankommt, was interne Richtlinien für einen bestimmten Sachverhalt anordnen, sondern auf die tatsächliche Handhabung. Sollten die für das Personal der Bundeswehr anwendbaren Vorschriften in einem Fall wie dem vorliegenden einen anderen Geschehensablauf vorgesehen haben, könnte es sein, dass möglicherweise diese Vorschriften „lösungsorientiert“ gehandhabt wurden. Hinzu kommt, dass der Zeuge S. schon seit längerem nicht mehr im Dienst der Bundeswehr tätig ist und mit den von der Beklagten zitierten Vorschriften zur Dienstfahrerlaubnis dienstlich nichts mehr zu tun hat. Dasselbe gilt für die Fragen um die Vereidigung eines Zeitsoldaten. Auch dass der Kläger den genauen Zeitpunkt des Telefonats, welches er nach seiner Aussage mit dem Karrierecenter geführt hat, nicht angeben konnte, begründet keine beachtlichen Zweifel. Im Zentrum steht die Frage nach der Meldung des Strafverfahrens durch den Kläger am Tag des Dienstantritts. Hierzu hat der Zeuge S. überzeugende Angaben gemacht, die in sich stimmig sind. Er hat zur Überzeugung des Senats selbst Erlebtes erinnert und keine Gefälligkeitsaussage zugunsten des Kläger konstruiert. Hinzu kommt, dass in genau diesem Punkt der von der Beklagten selbst im Jahr 2019 vernommene Zeuge F. K. die Angaben des Zeugen S. bestätigt. Der Zeuge F. K. hatte damals ausgesagt, das Thema Führerschein und weshalb dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen worden sei, seien Inhalt des Gesprächs zum Kennenlernen im Geschäftszimmer gewesen (Entlassungsakte S. 76). Die beiden anderen von der Beklagten im Jahr 2019 selbst vernommenen Zeugen D. K. und P. konnten sich insoweit nicht mehr erinnern (Entlassungsakte S. 65 und S. 72) und können daher zur Aufklärung der Situation ohnehin nichts beitragen.
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Damit hat der Kläger seiner Offenbarungspflicht rechtzeitig vor seiner Ernennung zum Soldaten auf Zeit am 1. Dezember 2012 genügt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Mitteilung hätte ausschließlich und unmittelbar gegenüber dem Bundesamt selbst als der zuständigen Einstellungsbehörde erfolgen müssen. Der Kläger durfte sich auch an das Karrierecenter wenden, mit dem er bereits bei Abgabe seiner Bewerbung Kontakt hatte, zumal es sich bei dem Karrierecenter um eine Dienststelle des Bundesamts handelt. Nachdem er dort auf den Disziplinarvorgesetzten bei Dienstantritt verwiesen wurde, durfte er davon ausgehen, dass die nachträglichen Informationen rechtzeitig die Einstellungsbehörde erreichen. Denn nach dem Dienstantritt am 1. August 2012 absolvierte der Kläger zunächst eine viermonatige Eignungsübung, bevor er am 1. Dezember 2012 in das Soldatenverhältnis auf Zeit eingestellt wurde.
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Das schließt die Annahme einer arglistigen Täuschung selbst dann aus, wenn der Kläger sich unmittelbar an die Einstellungsbehörde hätte wenden müssen. Denn es fehlt am bedingten Vorsatz, wenn er bei der Meldung gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten davon ausgegangen ist und ausgehen durfte, dass die Information rechtzeitig an die zuständige Einstellungsbehörde weitergeleitet wird.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10‚ § 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen‚ weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.