Titel:
Anspruch auf Einsichtnahme in Bewertung der eigenen Angebote in Vergabeverfahren
Normenketten:
IFG § 1 Abs. 3, § 3 Nr. 4
VgV § 5 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
Der Schutz der Vertraulichkeit der Dokumentation über die Wertung von Teilnahmeanträgen und Angeboten gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV besteht nicht gegenüber dem Unternehmen, das das betreffende Angebot abgegeben hat, soweit die Dokumentation keine Rückschlüsse auf die Inhalte der Angebote Dritter zulässt. (Rn. 17 – 27)
1. Die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit von "Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträgen und Angeboten einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote" besteht nur zu Gunsten und nicht zu Lasten des jeweiligen Einreichers. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Struktur des Vergabeverfahrens und insbesondere der Transparenzgrundsatz können es notwendig machen, den beteiligten Unternehmen Informationen zur Verfügung zu stellen, an deren Vertraulichkeit ein öffentliches Interesse besteht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zugang zur Wertungsbegründung bezüglich des eigenen Angebots nach Abschluss eines Vergabeverfahrens, Reichweite des Schutzes der Vertraulichkeit von Angebotswertungen, Vergabeverfahren, Bewertung, Angebote, Dritte, Einsichtnahme, Informationsfreiheitsgesetz, Vertraulichkeit, Interessenbekundungen, Transparenzgrundsatz
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 05.04.2022 – AN 14 K 20.1132
Fundstellen:
VergabeR 2024, 763
DVBl 2025, 233
BayVBl 2024, 707
BayVBl 2025, 172
BeckRS 2024, 18878
NVwZ 2025, 435
LSK 2024, 18878
DÖV 2024, 935
ZGI 2025, 31
ZGI 2024, 230
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. April 2022 (AN 14 K 20.01132) wird abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 21. Januar 2020 und des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2020 verpflichtet, der Klägerin Einsicht in die Wertungsbegründung ihrer Konzepte zu gewähren, die sie zu den Losen 3 und 6 des Vergabeverfahrens „201-19-45BKM-90470“ eingereicht hat.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Einsichtnahme in die Bewertung der von ihr abgegebenen Angebote in einem von der Beklagten durchgeführten Vergabeverfahren.
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Die Beklagte schrieb im Jahr 2019 den Abschluss von Rahmenverträgen über Konzeption und Durchführung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III sowie § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III europaweit aus (offenes Verfahren). Bei der Bewertung der Angebote setzte die Beklagte eine Bewertungsmatrix mit gewichteten Wertungsbereichen ein, aus denen sich Leistungspunkte errechneten. In jedem Wertungsbereich waren Wertungsstufen von 0 bis 3 zu vergeben, die sich an dem Grad der Anforderungserfüllung orientierten. Ein Angebot wurde nur dann berücksichtigt, wenn es eine gewisse Leistungspunktzahl erreicht hatte.
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Die Klägerin beteiligte sich an diesem Verfahren zu den Losen 3 und 6 der Ausschreibung und reichte hierzu Angebote ein. Mit inhaltsgleichen Schreiben vom 11. November 2019 teilte die Beklagte der Klägerin jeweils gemäß § 134 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mit, dass ihre Angebote jeweils nicht für einen Zuschlag in Frage kämen. In der Begründung wurde jeweils angegeben, das Angebot erfülle nicht die in den Vergabeunterlagen geforderten Mindestanforderungen. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 12. November 2019 auf, ihr die Gründe für die Ablehnung mitzuteilen, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 15. November 2019 antwortete, eine „differenzierte Mitteilung der Bewertungsergebnisse“ aber ablehnte. Die Auskunft gem. § 134 GWB sei hinsichtlich der zu übermittelnden Wertungsdetails abschließend; darüberhinausgehende Auskünfte im laufenden Vergabeverfahren seien nicht zulässig.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. Dezember 2019 ließ die Klägerin einen Antrag auf Zugang zu amtlichen Informationen gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 IFG stellen, der die Dokumentation der Bewertung der Angebote der Klägerin zu den Losen 3 und 6 zum Gegenstand hatte. Mit Bescheid vom 21. Januar 2020 teilte die Beklagte der Klägerin unter Hinweis auf das nun abgeschlossene Vergabeverfahren die Einzelbewertungen in den Wertungsbereichen mit. Die Konzepte der Klägerin wurden demnach in jeweils drei von fünf Bereichen mit nur einem Punkten bewertet. Nach den Wertungshinweisen der Beklagten ist dies der Fall, wenn „die genannten Anforderungen mit Einschränkungen erfüllt sind oder die Konzeption inhaltlich Unschärfen aufweist […].“ Eine Bewertung mit zwei Punkten erfolgt, wenn das Leistungsangebot den Anforderungen entspricht. Mit drei Punkten wird ein Konzept bewertet, das der „Zielerreichung besonders dienlich ist.“ In Bezug auf die Bekanntgabe der Wertungsbegründungen lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach § 5 Abs. 2 Vergabeverordnung (VgV) seien die eingegangenen Angebote und ihre Anlagen sowie die Dokumentation der Behörde über die Öffnung und über die Wertung der Angebote vertraulich zu behandeln. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2020 zurück, der dem Bevollmächtigten am 16. Mai 2020 zugestellt wurde.
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Das Verwaltungsgericht wies die am 15. Juni 2020 erhobene Klage mit Urteil vom 5. April 2022 ab. Dem Informationsbegehren stünde zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits § 1 Abs. 3 IFG entgegen, da das Akteneinsichtsrecht aus § 165 GWB nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinter § 1 Abs. 1 IFG zurückbleibe. Allerdings liege ein Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 IFG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV vor. Für eine einschränkende Auslegung des § 3 Nr. 4 IFG dahingehend, dass dieser nur eingreifen würde, wenn die Informationen gegenüber dem Antragsteller nach dem IFG schutzbedürftig wären, biete der Wortlaut des § 3 Nr. 4 IFG keinen Ansatzpunkt. Außerdem diene § 5 VgV auch dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers. Mit der Regelung solle verhindert werden, dass Bieter aus einem abgeschlossenen Vergabeverfahren Vorteile gegenüber Konkurrenten für künftige Vergabeverfahren erlangten.
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Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht habe den Schutzzweck des § 5 VgV unzutreffend bestimmt. Die Regelung solle lediglich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegenüber Dritten schützen. Diesen in § 5 Abs. 1 VgV statuierten Grundsatz differenziere § 5 Abs. 2 VgV weiter aus. Ein Austausch zwischen Auftraggeber und Bieter sei gesetzgeberisch ausdrücklich gewollt und gewünscht.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides der Berufungsbeklagten vom 21. Januar 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2020 die Berufungsbeklagte zu verpflichten, der Berufungsklägerin die Einsichtnahme nach dem Informationsfreiheitsgesetz in die Bewertung der Konzepte der Berufungsklägerin durch die Berufungsbeklagte zu den Losen 3 und 6 zu dem europaweiten Vergabeverfahren mit der Bezeichnung „Offenes Verfahren, 201-19-45BKM-90470“ in Bezug auf die schriftliche Begründung der Vergabe der Leistungspunkte nach allen Nummern (I., II, Ill.), der dem Vergabeverfahren beigefügten Vergabematrix, nebst allen Unterpunkten der jeweiligen Nummern, wie sie in der Fachwertung unter der Spalte der Berufungsklägerin in der Vergabedokumentation hinterlegt sind, unter Ausschluss/Schwärzung von Informationen über andere Bieter zu gewähren, sowie der Berufungsbeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die in Streit stehende Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV schütze auch den Wettbewerb, da die Einsichtnahme in die interne Bewertung der Konzepte eine Nivellierung der Qualität der Angebote zur Folge hätte. Ein realer Wettbewerb der Konzepte finde nur statt, wenn die konzeptionelle Gestaltung alleine auf der Kreativität und Schaffenskraft der Bildungsträger beruhe. Nur auf diese Weise bleibe die Ausgangsbasis für alle Bieter gleich und die Chancengleichheit gewahrt. Der Wortlaut sei in § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV bewusst gewählt worden und stelle gerade nicht auf die Weitergabe an Dritte ab.
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Der Rechtstreit wurde am 29. Februar 2024 mündlich verhandelt. Die Beklagte ergänzte auf gerichtliche Nachfrage, im konkreten Fall nehme die Wertungsbegründung auf Angebote anderer Bieter nicht Bezug. Die Parteien erklärten mit Schriftsätzen vom 11. und 12. März 2024 ihren Verzicht auf (weitere) mündliche Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. Februar 2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung erfolgt aufgrund des Verzichts der Parteien ohne (weitere) mündliche Verhandlung in der (Regel-)Besetzung des Senats, die zum Entscheidungsdatum nach dem Geschäftsverteilungsplan zur Entscheidung berufen war (vgl. BVerfG, B.v. 30.01.2008 – 2 BvR 2300/07 – juris Rn. 15). Der Senat kann hierbei auch die Erklärungen der Parteien berücksichtigen, die Eingang in das Protokoll der mündlichen Verhandlung gefunden haben (BVerfG a.a.O. Rn. 18).
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1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG Einsicht in die Fachbewertung ihrer Konzepte zu gewähren, die die Grundlage für die Vergabe der Punktwertung bildete. Der den Antrag ablehnende Bescheid der Beklagten war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1.1. Die Beklagte ist als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts unstreitig nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG informationspflichtig. Bei den begehrten Informationen handelt es sich auch um amtliche Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG. Dem Informationsbegehren der Klägerin steht schließlich nicht die Bestimmung des § 1 Abs. 3 IFG entgegen. Das Informationsfreiheitsgesetz wird nach Abschluss des Vergabeverfahrens nicht durch vergaberechtliche Vorschriften verdrängt (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2020 – 10 C 24/19 – NVwZ 2021, 642 Rn. 22).
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1.2. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts wird der Anspruch der Klägerin auch durch § 3 Nr. 4 IFG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV nicht ausgeschlossen. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV stellt zwar eine Vertraulichkeitsregelung im Sinn von § 3 Nr. 4 IFG dar (BVerwG a.a.O. Rn. 23). Die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit von „Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträgen und Angeboten einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote“ besteht aber nur zu Gunsten und nicht zu Lasten des jeweiligen Einreichers. Für ein anderweitiges Verständnis der Norm lassen sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte finden.
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1.2.1 Die Regelung trägt die Überschrift „Wahrung der Vertraulichkeit“. Sie setzt demnach einen vertraulichen Gegenstand voraus, der zunächst in § 5 Abs. 1 VgV näher definiert wird. Dabei kommt es entscheidend auf die Einschätzung des übermittelnden Unternehmens an („von diesen als vertraulich gekennzeichneten Informationen“). Exemplarisch – aber nicht abschließend – werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse genannt. Dem Unternehmen steht es aber frei, weitere Aspekte des Angebots als „vertraulich“ zu bezeichnen und damit mit einem Weitergabeverbot zu belegen. § 5 Abs. 2 Satz 1 VgV verpflichtet den Auftraggeber außerdem, bei der elektronischen Speicherung und Übermittlung die Integrität von „Daten“ und die Vertraulichkeit der „Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen“ zu gewährleisten und damit eine nicht autorisierte Weitergabe der ihm anvertrauten Unterlagen auszuschließen. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV erweitert den Kreis der zu schützenden Unterlagen auf die „Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote“. Es wäre allerdings nicht systemgerecht, hinsichtlich dieser Ergänzungen eine andere Schutzrichtung anzunehmen. Der Verordnungsgeber konnte diese vom Auftraggeber erstellten Unterlagen erst in § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV erwähnen, da er in § 5 Abs. 2 Satz 1 VgV auch das Schutzziel „Integrität“ erwähnt hat, um Manipulationen am Inhalt der eingereichten Unterlagen der Teilnehmer zu verhindern (vgl. dazu Ganske in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, VgV, § 5 Rn. 27). Ihren schützenswerten Charakter leiten die Dokumente zu Öffnung und Wertung aus dem vertraulichen Charakter der Teilnahmeanträge und Angebote und damit ebenfalls aus Umständen ab, die der Sphäre des einreichenden Unternehmens zuzurechnen sind (vgl. Krohn in Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, VgV, § 5 Rn. 39; Ganske a.a.O. Rn. 32). § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV hat insoweit vor allem eine Ausweitung des Schutzes auf den Zeitraum nach Abschluss des Vergabeverfahrens im Blick.
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Dabei übersieht der Verordnungsgeber nicht, dass auch Unterlagen aus der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers schutzwürdig sein können. Denn die Struktur des Vergabeverfahrens und insbesondere der Transparenzgrundsatz können es notwendig machen, den beteiligten Unternehmen Informationen zur Verfügung zu stellen, an deren Vertraulichkeit ein öffentliches Interesse besteht (Krohn a.a.O. Rn. 43). In der Kommentarliteratur werden beispielhaft Verschlusssachen oder Vergaben im Bereich kritischer Infrastruktur genannt (Krohn a.a.O. Rn. 44 m.w.N.). Diesem Umstand hat der Verordnungsgeber aber gesondert in § 5 Abs. 3 VgV Rechnung getragen (Krohn a.a.O. Rn. 42). Und auch hier geht es nicht darum, Teilnehmer vom Zugang zu diesen Unterlagen im Rahmen des Vergabeverfahrens auszuschließen, sondern die Informationen vor dem Zugriff Dritter zu schützen (Ganske a.a.O. Rn. 36).
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1.2.2 Das Verwaltungsgericht und die Beklagte haben ihre Ansicht auf das Argument gestützt, § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV diene nach dem Willen des Verordnungsgebers dem Schutz des ungestörten Wettbewerbs (BT-Drs.18/7318, S. 150) und bestehe daher auch im Interesse des Auftraggebers (so zumindest missverständlich Dieckmann in Dieckmann /Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 3. Aufl. 2022, § 5 VgV Rn. 21). Die genannte Passage der Verordnungsbegründung bezieht sich indes nur auf die zeitliche Verlängerung des Schutzes („Die Pflicht, die Unterlagen eines Vergabeverfahrens auch nach seinem Abschluss vertraulich zu behandeln, dient…“) und führt weiter aus, die Bestimmungen zum Schutz vertraulicher Informationen stünden der Offenlegung der nicht vertraulichen Teile von abgeschlossenen Verträgen nicht entgegen. Anhaltspunkte zu einer erweiterten oder andersartigen Schutzrichtung enthält die Verordnungsbegründung damit nicht. Der Verordnungsgeber wollte vielmehr der Gefahr vorbeugen, dass Wettbewerber ohne die zeitliche Ausdehnung des (inhaltlich unveränderten) Vertraulichkeitsschutzes durch die Preisgabe vertraulicher Informationen wie Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an Konkurrenten in nachfolgenden Vergabeverfahren einen ungerechtfertigten Nachteil erleiden könnten. Nur insoweit dient die Regelung „dem Schutz eines ungestörten Wettbewerbs“.
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1.2.3 Dieses Verständnis deckt sich auch mit europarechtlichen Vorgaben. Zur unionsrechtlichen Grundlage des § 5 VgV in Art. 21 der RL 2014/24/EU hat der Europäische Gerichtshof (U.v. 17.11.2022 – C-54/21 – juris Rn. 49) ebenfalls in diesem Sinne ausgeführt:
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„Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens in erster Linie einen unverfälschten Wettbewerb sicherstellen sollen und dass, um dieses Ziel zu erreichen, die öffentlichen Auftraggeber keine das Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben dürfen, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb entweder in einem laufenden Vergabeverfahren oder in späteren Vergabeverfahren zu verfälschen. Da die Vergabeverfahren auf einem Vertrauensverhältnis zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Wirtschaftsteilnehmern beruhen, müssen die Wirtschaftsteilnehmer den öffentlichen Auftraggebern alle im Rahmen des Vergabeverfahrens zweckdienlichen Informationen mitteilen können, ohne befürchten zu müssen, dass die öffentlichen Auftraggeber Informationen, deren Preisgabe den Wirtschaftsteilnehmern schaden könnte, an Dritte weitergeben.“
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Die Gefahr der Verfälschung des Wettbewerbs wird auch hier (nur) bei „Preisgabe von mitgeteilten Informationen an Dritte“ gesehen. Und auch in diesen Fällen geht der Europäische Gerichtshof (a.a.O. Rn. 87) davon aus, dass „die in den Angeboten enthaltenen Informationen, die für die Bewertung der Angebote und die Vergabe des Auftrags auf der Grundlage der in der Vergabebekanntmachung und in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Kriterien relevant sind, nicht systematisch und vollständig als vertraulich eingestuft werden dürfen.“
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1.2.4 Soweit die Beklagte weiterhin anführt, der Zugang zu den Wertungsunterlagen des eigenen Angebots verschaffe der Klägerin einen Wettbewerbsvorteil, verkennt sie, dass das Vergaberecht die Erlangung oder das Innehaben eines „Wettbewerbsvorteils“ nicht schlechthin missbilligt, da dieser Vorteil auf einer Vielzahl von Ursachen beruhen kann, so dass sich der Begriff nicht als tragende Auslegungsmaxime eignet. So führen Wettbewerbsvorteile, die ein Unternehmen als bisheriger Auftragnehmer des Auftraggebers gewonnen hat (etwa zu Fehlern der eigenen Kalkulation), nicht zur Wettbewerbsverzerrung im nachfolgenden Vergabeverfahren, wenn der Vorauftrag nach den Regeln des Wettbewerbs vergeben wurde (vgl. Burgi/Dreher/Opitz/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 124 GWB, Rn. 87 m.w.N.; EuGH, U.v. 25. 1. 2005 – C-172/99, Slg. 2001, I-745 Rn. 24 – Oy Liikeene: „systemimmanent“). Auch § 7 Abs. 1 VgV lässt die Teilnahme eines vorbefassten Unternehmens zu und verpflichtet den Auftraggeber lediglich zur Ergreifung angemessener (Informations-)Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme nicht verzerrt wird (vgl. dazu auch VG Stuttgart, U.v. 17.05.2011 – 13 K 3505/09 – juris Rn. 63). Korrespondierend dazu kommt ein Ausschluss des Unternehmers gem. § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB nur in Betracht, wenn eine Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann (grundlegend EuGH, U.v. 3.3.2005 – Rs. C-21/03 und C-34/03, Slg. I 2005, 1577 Rn. 36). Besteht demgegenüber nur eine abstrakt-generelle Möglichkeit einer Wettbewerbsverzerrung, sollen Ausgleichsmaßnahmen nicht notwendig sein (Dabbagh in BeckOK Vergaberecht, Stand 1.2.2023, § 7 VgV Rn. 20 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der Wettbewerb sei in diesen Fällen nicht konkret gefährdet und bedürfe zu seinem Schutz daher keiner ausgleichenden Maßnahmen.
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Gegen eine über den Schutz von vertraulichen Bieterinhalten gegenüber Dritten hinausgehende, abstrakt-generell wettbewerbsschützende Intention des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV spricht damit auch, dass weder dargetan noch ersichtlich ist, warum die Kenntnis der Wertungsdetails und der darin geäußerten Kritik an dem eigenen Angebot wettbewerbsrechtlich zu missbilligen sein und zu einer Wettbewerbsverfälschung oder -verzerrung führte sollte. Denn die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bewertungsdetails seines Angebots stünde jedem Wettbewerber gleichermaßen zu, so dass kein Teilnehmer im Wettbewerb bevorzugt wird. Die Kenntnis der Wertungsdetails hat unmittelbar nur zur Folge, dass der Einsicht nehmende Bieter sein Angebot künftig passgenauer auf die Bedarfe des Auftraggebers anpassen kann. Die Qualität des Angebots kann dadurch eine zielgerichtete Verbesserung erfahren, die andernfalls davon abhinge, ob der Teilnehmer seine Defizite mehr oder weniger zufällig „errät“. Gegen diese zunächst zu erwartende Verbesserung der Angebote erhebt die Beklagte auch keine Einwände, sondern befürchtet, die Innovationskraft der Angebote würde mittelfristig unter diesen Anpassungen leiden, weil Teilnehmer mit dem Wissen um ihre Defizite keine eigene Kreativität aufwenden müssten, um eine Bewertung mit zwei Punkten zu erhalten. Solche Anreize setzt die Beklagte aber bereits dadurch, dass ein Konzept nur dann mit drei Punkten bewertet wird, wenn es der „Zielerreichung besonders dienlich“ ist, also die Anforderungen der Beklagten übererfüllt. Eine solche Übererfüllung wird auch weiterhin eine besondere Kreativität der Teilnehmer erfordern und befördern, mit der sie sich im Wettbewerb gegenüber ihrer Konkurrenz unterscheiden können.
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1.2.5 Gegen ein Verständnis des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV, wonach außerhalb eines Vergabekammerverfahrens der Bieter grundsätzlich keine Kenntnis von der Bewertung seines eigenen Gebots bekommen darf, spricht schließlich, dass in der Rechtsprechung zum Akteneinsichtsrecht nach § 165 GWB geklärt ist, dass das Recht auf Akteneinsicht im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens grundsätzlich die gesamte Dokumentation des Vergabeverfahrens umfasst. Dazu zählen insbesondere die Unterlagen, die die Prüfung und Wertung der Angebote umfassen (vgl. Varva/Willner, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, § 165 GWB, Rn. 11 m.w.N.). Hätte die Klägerin ein Nachprüfungsverfahren angestrengt, hätte sie in die begehrten Unterlagen ohnehin Einsicht nehmen können, was von der Beklagten dem Grunde nach auch nicht in Abrede gestellt wird. Sowohl das Transparenzgebot als auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Daten sprächen hier für eine Offenlegung (Varva/Willner a.a.O. Rn. 19). Sind aus diesem Grund Unterlagen im Rahmen des Nachprüfungsverfahren nicht schutzbedürftig, wäre nicht einsichtig, warum dies nicht auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens gelten sollte. Einwenden ließe sich allenfalls, das Nachprüfungsverfahren enthalte mit § 165 GWB eine abschließende Sonderregelung über ein verfahrensabhängiges Akteneinsichtsrecht. Ein derartiger verfahrensrechtlicher Ansatz ist dem Informationsfreiheitsgesetz aber fremd. Der Vorrang des Fachrechts setzt nach § 1 Abs. 3 IFG nicht nur eine abschließende Regelung voraus; die konkurrierende Regelung muss auch einen abstrakt identischen sachlichen Regelungsgehalt wie § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG aufweisen. Dies ist bei § 165 GWB nicht der Fall (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2020 – 10 C 24/19 – NVwZ 2021, 642 Rn. 22). Das gesetzgeberische Ziel eines transparenten Verwaltungshandelns liegt im Übrigen auch dem Informationsfreiheitsrecht zugrunde.
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1.2.6 Soweit ersichtlich ging im Zusammenhang mit dem Vertraulichkeitsschutz gemäß § 5 Abs. 2 VgV auch die bisherige Rechtsprechung (BVerwG a.a.O.; VG Köln, B.v. 25.02.2016 – 6 L 2029/15 – juris Rn. 27) und Kommentarliteratur (König, in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 6. Aufl. 2022, § 5 VgV Rn. 47; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2012, § 165 Rn. 9) ausschließlich von Fallgestaltungen aus, bei denen ein Konkurrent von der Weitergabe von Informationen betroffen sein könnte. § 5 VgV schütze „Interessenten, Bewerber, Bieter und Auftragnehmer bzw. die von Ihnen an die Vergabestelle übermittelten Informationen“ (König a.a.O. Rn. 67).
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1.3 Im vorliegenden Fall weisen die beantragten Informationen nach Auskunft der Beklagten keinen Bezug zu vertraulichen Inhalten oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen anderer Bieter auf. Sie hat nicht geltend gemacht, dass der Versagungsgrund nach § 3 Nr. 4 IFG iVm § 5 Abs. 2 VgV gegeben oder der Informationsanspruch nach § 6 IFG zu beschränken wäre.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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3. Die Revision wird gem. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt, ob der Antrag eines Unternehmens gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG auf Zugang zur Dokumentation der Wertung seines Angebots unter Hinweis auf den Vertraulichkeitsschutz gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV abgelehnt werden darf. Die Rechtsfrage wurde durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2020 (10 C 24/19 – NVwZ 2021, 642) noch nicht beantwortet.