Titel:
Verfolgungssituation für Demonstrationsteilnehmer im Irak
Normenkette:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a, § 4, § 78 Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
Leitsatz:
Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. VGH München BeckRS 2017, 128096 mwN). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantrag irakischer Staatsangehöriger, Verfolgungsgefahr aufgrund einer Demonstrationsteilnahme, Gefährdung von Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit irakisch/US-amerikanisch), Grundsatzrüge, irakischer Staatsangehöriger, Asylantrag, Verfolgungsgefahr, Demonstrationsteilnahme, Gefährdung von Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, Rechtsmittelführer, Erkenntnisquellen, Protestbewegungen, gefahrerhöhende Umstände, irakische und USamerikanische Staatsangehörigkeit, Demonstrationen in Bagdad und im Südirak
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 11.12.2023 – RN 14 K 23.30729, RN 14 K 30803 , RN 14 K 30438
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18877
Tenor
I. Die Verfahren 4 ZB 24.30229, 4 ZB 24.30230 und 4 ZB 24.30231 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Die Kläger tragen die Kosten der Zulassungsverfahren.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
1. Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Die Berufung ist jeweils nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
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a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2017 – 4 ZB 17.31091 – juris Rn. 8 f. m.w.N.).
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b) Der Kläger halten jeweils die Fragen für grundsätzlich bedeutsam,
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- „ob irakischen Staatsangehörigen, welche im Irak an Demonstrationen teilgenommen haben, bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung i.S.d. § 3a AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG droht“,
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- „ob einem irakischen Staatsangehörigen, welcher im Irak an den im Herbst 2019 stattgefundenen Protestbewegungen teilgenommen hat, bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung i.S.d. § 3a AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG droht“, und
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- „ob einem irakischen Staatsangehörigen mit arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, welcher im Irak an Demonstrationen bzw. an den im Herbst 2019 stattgefundenen Protestbewegungen teilgenommen hat, und bei welchem weitere gefahrerhöhende Umstände vorliegen, z.B. eine auf Tatsachen begründete unterstellte Nähe zu den USA, bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung i.S.d. § 3a AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG droht.“
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aa) In den angefochtenen Urteilen (vgl. z.B. Az. RN 14 K 23.30438 UA S. 14) wird u.a. ausgeführt, dem Kläger zu 1) im Verfahren 4 ZB 24.30231 drohe im Falle einer Rückkehr in den Irak keine Verfolgung aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen oder seiner politischen Ansichten. Der Kläger zu 1) habe angegeben, dass er nicht politisch aktiv und auch kein Mitglied einer Partei gewesen sei. Zudem habe er sich auch nicht so geäußert, dass es pro-amerikanisch habe ausgelegt werden können. Er habe lediglich an Demonstrationen gegen die allgemeine Situation und das Chaos im Irak teilgenommen. Nach seiner Ideologie befragt, habe er lediglich angegeben, dass er an die Demokratie glaube. Aus den Erkenntnismitteln gehe jedoch gerade nicht hervor, dass die einfache Teilnahme an Demonstrationen zu einer Verfolgungsgefahr führe. Zwar habe es 2019 bis ins Jahr 2020 hinein Verhaftungen von Demonstrationsteilnehmern gegeben. Es sei jedoch daraus nicht ersichtlich, dass einfache Teilnehmer von Versammlungen im Nachgang zu den letzten großen Demonstrationen im Jahr 2021 und 2022 Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wären. Zudem lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Kläger zu 1) nach nunmehr vier Jahren noch Repressionen wegen seiner einfachen Teilnahme an den Demonstrationen im Jahr 2019 zu befürchten hätte.
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bb) Die Kläger haben nicht gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, dass ihre Fragen grundsätzlich klärungsbedürftig wären. Die Bewertung des Verwaltungsgerichts zur Verfolgungssituation für Demonstrationsteilnehmer im Irak wird durch die Antragsbegründungen nicht in Frage gestellt.
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Aus dem Vortrag der Kläger und den Lagebeurteilungen, die sie zitieren, geht im Wesentlichen hervor, dass irakische Sicherheitskräfte in der Vergangenheit verschiedentlich gegen Demonstrationen vorgegangen und zahlreiche Teilnehmer Opfer repressiver Maßnahmen geworden seien. So ist beispielsweise dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Oktober 2022 zu entnehmen (dort S. 8 unter Nr. II.1.), dass es bei den seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Demonstrationen in Bagdad und im Südirak weiterhin zu Gewalttaten mit Toten und Verletzten unter den Demonstranten gekommen sei. Die betreffenden Zahlen seien in den Jahren 2020 und 2021 deutlich zurückgegangen, wenngleich verlässliche Gesamtstatistiken fehlten. Gegen die Oktober-Proteste 2019 in Bagdad und im Südirak seien die Sicherheitskräfte mit großer Härte vorgegangen und hätten mit weiteren repressiven Maßnahmen reagiert. Es gebe Vorwürfe von Plünderungen und Gewalttaten durch die Miliz PMF auch im Umfeld der Demonstrationen ab Oktober 2019. Diese Feststellungen widersprechen nicht der Lageeinschätzung des Verwaltungsgerichts. Aus den zitierten Fundstellen ergibt sich nicht, dass Demonstrationsteilnehmer, die sich wie der Kläger zu 1) nicht in exponierter Weise engagiert haben und gegen die die irakischen Sicherheitskräfte im Rahmen von Demonstrationen im Jahr 2019 nicht vorgegangen sind, noch vier Jahre später mit asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten.
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Auch sprechen die von den Klägern genannten Quellen eher gegen eine Verfolgung einfacher Demonstrationsteilnehmer. Sie weisen selbst darauf hin, insbesondere Aktivisten und Intellektuelle würden zu der besonders gefährdeten Personengruppe zählen. Ihrem Zitat aus dem EUAA-Bericht zum Irak (Update Juni 2022) zufolge waren im Zusammenhang mit den Protesten seit Oktober 2019 insbesondere Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten Opfer von Verfolgungsmaßnahmen geworden. Unklar bleibt, auf welche Erkenntnismittel die Kläger ihre Annahme stützen, jedenfalls allen irakischen Staatsangehörigen mit arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, welche im Irak an Demonstrationen bzw. an den im Herbst 2019 stattgefundenen Protestbewegungen teilgenommen hätten, drohe bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Verfolgung.
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cc) Im Übrigen sind die Fragen der Kläger auch deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die Gefahr asylrechtlich relevanter Verfolgungsmaßnahmen nicht generell für alle Teilnehmer an Demonstrationen im Irak ab Herbst 2019 – ggf. auch mit „weiteren gefahrerhöhende Umständen“ –, sondern nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden kann. Die Kläger zitieren in diesem Zusammenhang eine Einschätzung aus dem vorgenannten EUAA-Bericht. Danach seien bei der individuellen Beurteilung der Frage, ob ein Betroffener mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht sei, risikorelevante Umstände zu berücksichtigen, wie z. B. die Führungsrolle und/oder der Grad der Beteiligung an den Protesten, die Art der Aktivitäten, der politische und/oder konfessionelle Hintergrund der Person, das Geschlecht, die Sichtbarkeit, die Bekanntheit bei den Behörden (z. B. frühere Verhaftung). Bei dieser Einzelfallbeurteilung können demnach insbesondere auch die von den Klägern angesprochenen „gefahrerhöhenden Umstände“ von Bedeutung sein. Inwiefern es sich bei einer unterstellten „Nähe“ eines Demonstrationsteilnehmers „zu den USA“ um einen solchen Umstand handelt, wie die Kläger meinen, ist nicht entscheidungserheblich.
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Der Sache nach kritisieren die Kläger die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Dies gilt auch für ihren Vortrag, entgegen der Würdigung des Verwaltungsgerichts stehe ihnen keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Angebliche Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind jedoch nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.
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b) Die Klägerin im Verfahren 4 ZB 24.30230 stellt weiter die Frage, „ob irakischen Staatsangehörigen, die neben der irakischen auch die USamerikanische Staatsangehörigkeit haben, bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3a AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden iSd. § 4 AsylG droht.“
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aa) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil u.a. ausgeführt (UA S. 9 f.), der Klägerin drohe keine Verfolgung gemäß § 3 AsylG aufgrund ihrer amerikanischen Staatsangehörigkeit. Die Klägerin sei nicht vorverfolgt ausgereist. So sei sie bereits in der Vergangenheit keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Es sei zudem auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Verfolgung aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit drohe. Selbst wenn man annehme, dass es der Familie der Klägerin nicht möglich wäre, ihre zweite Staatsangehörigkeit im Falle einer Rückkehr geheim zu halten, so sei auch bei Bekanntwerden dieser Tatsache nicht davon auszugehen, dass der Klägerin eine Verfolgung drohen würde. Aus den Erkenntnismitteln sei bereits nicht ersichtlich, dass einer Person allein aufgrund einer amerikanischen Staatsangehörigkeit im Irak die Verfolgung drohen würde. Dies könne lediglich für Personen, die einer Tätigkeit für ausländische Streitkräfte nachgingen, sowie für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalisten angenommen werden.
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bb) Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass diese Bewertung im Hinblick auf bestimmte Erkenntnismittel zweifelhaft sein könnte. Sie setzt sich auch nicht substantiiert mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander. Der Umstand, dass für USamerikanische Staatsbürger eine Reisewarnung für den Irak gelten mag, hat keine Aussagekraft für eine Gefahrenprognose betreffend asylrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen gegen ein Kind mit doppelter Staatsangehörigkeit in einem irakischen Familienverband. Unabhängig davon kann die Frage der Klägerin nur einzelfallbezogen geprüft werden, wie nicht zuletzt die eingehende Prüfung des Verwaltungsgerichts verdeutlicht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts rechtskräftig werden (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).