Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.07.2024 – 19 ZB 24.880
Titel:

kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung

Normenkette:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, § 104c Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Allein das bloße Unterlassen der Vollstreckung der Ausreisepflicht vermittelt keinen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geduldeter Ausländer (verneint), Aserbaidschan, Aufenthaltserlaubnis, Duldung, Abschiebung, Heimreiseschein
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 24.04.2024 – AN 5 K 24.199
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18864

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Kläger, ein 1968 geborener aserbeidschanischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose, auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Erteilung einer Duldung gerichtete Verpflichtungsklage weiter. Die Ausländerbehörde hat die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. Duldung mit Bescheid vom 2. Januar 2024 abgelehnt.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos.
3
Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Zulassungsbegründung ergibt sich weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (2.).
4
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Das ist hier nicht der Fall.
5
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat, da er zum maßgeblichen Zeitpunkt (Entscheidung der Kammer bzw. des Senats) kein „geduldeter Ausländer“ i.S. dieser Vorschrift war.
6
Der Kläger war seit dem 22. März 2024 nicht mehr im Besitz einer Duldung.
7
Dem Kläger stand auch kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu.
8
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
9
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Ausländer geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (zu § 25b AufenthG vgl. BVerwG, B.v. 28.3.2022 – 1 B 35.22 – juris Rn. 8).
10
Ein Rechtsanspruch auf Duldung ist jedenfalls dann ohne weiteres ausreichend gegeben, wenn die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23.99 – juris), kann es diesem nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie dieser Pflicht im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht nachkommt und den Aufenthalt lediglich faktisch duldet (vgl. BVerwG, B.v. 28.3.2022 a.a.O.). Umgekehrt bedarf es im Falle einer ausdrücklich erteilten Duldung nicht zusätzlich eines materiellen Duldungsanspruchs (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 24).
11
Hat die Ausländerbehörde eine Duldung nicht erteilt, die Vollstreckung der Ausreisepflicht aber auch nicht betrieben, vermittelt ein solches Unterlassen allein nicht einen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Zwar lässt die Systematik des Aufenthaltsgesetzes grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2000 – 1 C 23.99 – juris Rn. 13). Das bloße Nichtbetreiben der Vollstreckung der Ausreisepflicht erfüllt für sich allein jedoch keinen der gesetzlich normierten Duldungstatbestände (BayVGH, B.v. 24.4.2023 – 10 CS 23.440 – juris Rn. 15).
12
Gemessen an diesen Anforderungen hat der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Duldung.
13
Die Abschiebung des Klägers war jedenfalls in der Zeit ab dem 22. März 2024 nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich.
14
Soweit der Kläger vorträgt, dass entgegen der vielfachen Behauptungen der Beklagten eine Abschiebung offensichtlich weder so kurzfristig, wie von ihr behauptet, noch alsbald, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, erfolgen könnte, kann dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils begründen.
15
Bereits am 6. November 2023 wurde durch die Beklagte ein Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisescheins beim Landesamt für Asyl und Rückführungen eingeleitet. Sie ging dabei davon aus, dass wegen der vorliegenden Fotokopie einer aserbaidschanischen Geburtsurkunde der Tochter des Klägers kurzfristig die Ausstellung eines aktuellen Reisepasses bzw. Heimreisescheins für den Kläger bewirkt werden könne. Die Reisewege seien geöffnet; es bestünden regelmäßige Flugverbindungen. Zwar habe im Februar das Landesamt für Asyl und Rückführungen die Beklagte informiert, dass der Kläger durch die aserbaidschanischen Behörden nicht habe identifiziert werden können; aus diesem Grunde wurde dem Kläger vom 22. Februar 2024 bis zum 21. März 2024 eine Duldungsbescheinigung ausgestellt. Jedoch habe der Kläger zwischenzeitlich dann doch identifiziert werden können und es wurde ihm ab dem 22. März 2024 eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgestellt. Damit ist dargelegt, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung durchgeführt wurden. Die Beklagte hat den Vollzug der Ausreisepflicht des Klägers konsequent vorangetrieben und hierzu die aufgeführten Maßnahmen ergriffen. Dass die Beklage seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bis zum heutigen Zeitpunkt dem Kläger noch keinen konkreten Abschiebungstermin genannt hat, lässt nicht darauf schließen, dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht nicht weiter betrieben würde.
16
Die Abschiebung des Klägers war auch nicht im Sinne des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich. Das Zulassungsvorbringen verhält sich hierzu nicht. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil unter Bezugnahme auf seinen Prozesskostenhilfebeschluss vom 15. April 2024 dazu ausführlich und zutreffend ausgeführt, dass die vorgetragenen gesundheitlichen Probleme des Klägers sowie der Schutz der Familie einer Abschiebung des Klägers nicht entgegenstünden.
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Auf Grund des vorstehend Ausgeführten bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Duldung nicht besteht.
18
2. Soweit der Kläger vorträgt, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung habe, da seine Abschiebung, da er sich immer noch im Bundesgebiet aufhalte, offenbar doch nicht so (zeitnah) möglich sei, wie es die Beklagte und das Verwaltungsgericht annehmen würden bzw. glauben machen wollten, kann er damit keine Abweichung des verwaltungsgerichtlichen Urteils von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 – 1 C 23/99 – darlegen.
19
Zur Darlegung einer Abweichung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz zu benennen, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtssatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Oberverwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen nicht (NdsOVG, B.v. 10.5.2024 – 1 LA 98/23 – juris Rn. 9).
20
An der Erfüllung dieser Anforderungen an die Darlegung einer Divergenzrüge fehlt es hier. Es wird bereits kein, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender abstrakter Rechtssatz benannt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Aber auch inhaltlich steht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts – wie oben unter 1. bereits ausgeführt – nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2000 – 1 C 23.99.
21
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
22
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
23
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).