Titel:
fehlende Mitwirkung bei Passbeschaffung
Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1
AufenthG § 3 Abs. 1
AufenthV § 5 Abs. 1, § 79
Leitsatz:
Die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer kommt nur in Betracht, wenn seine Bemühungen bei den Behörden seines Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses nachweislich ohne Erfolg geblieben sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Reiseausweis für Ausländer, Freizügigkeitsberechtigte, Klärung der Staatsangehörigkeit, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, unzumutbare Härte, Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 10.07.2023 – W 7 K 23.473
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18861
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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1. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 166 Rn. 8 m.w.N.).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 10 C 17.2591 – juris) ein. Nach diesen Maßgaben trat die Bewilligungsreife nicht vor dem 9. Mai 2023 ein (das ausgefüllte und von dem Kläger unterschriebene Formular der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 117 ZPO ging <wohl> als Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 19.4.2023 am 25.4.2023 beim Verwaltungsgericht ein).
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Gemessen daran ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und dem Kläger Prozesskostenhilfe zu bewilligen wäre. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht mit der Begründung versagt, dass die Verpflichtungsklage auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Denn der Kläger hat voraussichtlich keinen entsprechenden Anspruch bzw. keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 VwGO).
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Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Diese Vorschrift findet gemäß § 79 AufenthV auch Anwendung auf Ausländer – wie den Kläger –, deren Rechtsstellung durch das Freizügigkeitsgesetz/EU geregelt ist (vgl. dazu die Ausführungen des Senats im Beschluss vom heutigen Tag im Beschwerdeverfahren betreffend die Prozesskostenhilfebewilligung für die Klage gegen die übrigen Ziffern des streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten, Az. 19 C 23.1377).
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Dem Kläger ist es nicht unzumutbar, einen Pass oder Passersatz zu erlangen. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthV gilt es insbesondere als zumutbar, in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts, insbesondere den §§ 6 und 15 des Passgesetzes in der jeweils geltenden Fassung, entsprechenden Weise an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes mitzuwirken und die Behandlung eines Antrags durch die Behörden des Herkunftsstaates nach dem Recht des Herkunftsstaates zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt.
7
Im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Reiseausweises verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates und die zu berücksichtigenden zwischenstaatlichen Belange, die als Bestandteil der öffentlichen Ordnung (im Sinne des Art. 2 Nr. 3 des Zusatzprotokolls Nr. 4 zur EMRK, wonach das Recht jeder Person aus Art. 2 Nr. 2 des Zusatzprotokolls, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen, nur Einschränkungen unterworfen werden darf, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind u.a. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) anzusehen sind, ist der Ausländer grundsätzlich gehalten, sich bei den Behörden seines Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer kommt nur in Betracht, wenn solche Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind. Erfolglose Bemühungen um die Ausstellung eines Nationalpasses sind nur im Ausnahmefall entbehrlich, wobei der Ausländer die einen Ausnahmefall begründenden Umstände darzulegen hat (BVerwG, U.v. 11.10.2022 – 1 C 9.21 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 10 ZB 22.2351 – juris Rn. 7 f.).
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Ein entsprechendes ausreichendes Bemühen des Klägers bei den Behörden seines Heimatstaates um Ausstellung eines Passes ist nicht erkennbar. Aus dem Aktenvermerk der (damaligen) Sachbearbeiterin vom 24. Januar 2017 über ein Telefongespräch mit der Regierung von O. – Zentrale Passbeschaffung – geht hervor, dass wegen Verstreichens der Fristen für die Antragstellung auf Zuerkennung der russischen Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 6. Februar 1992 die Einleitung eines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens erforderlich ist (Bl. 556 d.A.). Dass ein solches Verfahren von vornherein aussichtslos wäre, ist in Anbetracht der Umstände, dass der Kläger zum einen angegeben hat, bis zu seinem 16. Lebensjahr in der UdSSR gelebt zu haben, und zum anderen bei seiner Einreise im Besitz eines sowjetischen Reisepasses war (siehe Bescheinigung über die Sicherstellung des Passes vom 2.4.1990, Bl. 1 d.A. sowie Aktenvermerk über die Wiederaushändigung desselben an den Kläger am 30.7.2014, Bl. 412 d.A.), nicht schlüssig. Insoweit hat der Kläger zwar unter Vorlage einer Bestätigung in russischer Sprache ohne Übersetzung (vgl. Bl. 580 d.A.) geltend gemacht, am 13. Juni 2017 beim russischen Konsulat in M. zur Einleitung eines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens vorsprechen zu wollen. Eine entsprechende Einleitung eines solchen Verfahrens bzw. förmliche Entscheidung darüber ist jedoch nicht nachgewiesen. Der Kläger hat lediglich eine Bescheinigung des russischen Konsulats in M. (Bl. 700 d.A.) ohne Übersetzung vorgelegt, aus der sich – seinen Angaben zufolge – ergeben soll, dass er kein russischer Staatsangehöriger sei (vgl. Schreiben des Klägers vom 8.6.2021, Bl. 699 d.A.). Zwar trägt der Kläger vor, dass ihm die vorgelegte Originalbescheinigung von der Beklagten nicht zur Einholung einer Übersetzung durch einen vereidigten Dolmetscher zurückgegeben worden sei. Diese befindet sich auch augenscheinlich noch in der Ausländerakte (Bl. 700 d.A.). Es ist aber nicht aktenkundig, dass der Kläger ausdrücklich um Herausgabe derselben gebeten hätte – obwohl dazu aufgrund der Aufforderung durch die Beklagte vom 15. September 2021, eine beglaubigte Übersetzung der Bescheinigung vorzulegen (vgl. Bl. 721 d.A.), Anlass bestanden hätte – und dass ihm die Herausgabe durch die Behörde verweigert worden wäre. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb es dem Kläger nicht zumutbar sein sollte, zur Klärung der gegebenenfalls noch offenen Fragen einen Termin bei der Botschaft der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland für eine persönliche Vorsprache zu vereinbaren, dies gegenüber der Beklagten nachzuweisen und in Absprache mit dieser weitere Schritte zu unternehmen. Ausweislich des Internetauftritts der Russischen Auslandsvertretung (https://germany.mid.ru/de/, abgerufen am 2.7.2024) ist die Konsularabteilung der Botschaft in Berlin grundsätzlich für Besucher geöffnet.
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Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass es dem Kläger unzumutbar wäre, sich bei der Auslandsvertretung der Republik Bulgarien in der Bundesrepublik Deutschland um Klärung einer eventuellen bulgarischen Staatsangehörigkeit zu bemühen und sich für den Fall, dass er bulgarischer Staatsangehöriger sein sollte, einen Pass zu beschaffen (vgl. die entsprechende Aufforderung durch die Beklagte vom 15.9.2021, Bl. 721 d.A.). Zwar spricht Einiges dafür, dass es sich bei den Angaben hinsichtlich des Vaters des Klägers in dessen Geburtsurkunde um einen Nationalitäteneintrag nach dem Recht der früheren Sowjetunion handelt, welcher die Volkszugehörigkeit und nicht die Staatsangehörigkeit wiedergibt. Dennoch stellt diese ein Indiz dar, welches den Kläger bei Passlosigkeit und gegebenenfalls ungeklärter Staatsangehörigkeit veranlassen muss, entsprechende Passbeschaffungsbemühungen bzw. weitere Nachforschungen bei der bulgarischen Auslandsvertretung oder (über eine Vertrauensperson oder einen Vertrauensanwalt) in Bulgarien zu unternehmen (vgl. Aktenvermerk vom 3.8.2018, Bl. 613 d.A., wonach der Kläger angab, sich um die Passbeschaffung mit Hilfe eines Onkels in Bulgarien bemühen zu wollen; ein Ergebnis entsprechender Bemühungen ist nicht dokumentiert). Eine gegebenenfalls längere Verfahrensdauer, auf die der Kläger verweist, stellt keinen Grund dar, um die Unzumutbarkeit jeglicher (weiteren) Bemühungen zur Passbeschaffung anzunehmen. Des Weiteren kann der Kläger auch nicht mit Erfolg auf seine Mittellosigkeit verweisen. Vielmehr kann es ihm zugemutet werden, zunächst die Kosten entsprechender Nachforschungen zu ermitteln und sodann im Hinblick auf seine Passpflicht (§ 3 Abs. 1 AufenthG) beim zuständigen Sozialamt die Frage einer Kostenübernahme zu klären (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 10 ZB 22.2351 – juris Rn. 8).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).