Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.07.2024 – 13a ZB 24.30562
Titel:

Gehörsrüge wegen Ablehnung von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4
GG Art. 103 Abs. 1
AufentG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet, mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist; in verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG entsprechende Rüge u.a. den substantiierten Vortrag, dass die Ablehnung des Beweisantrags fehlerhaft erfolgt ist, die Begründung der Ablehnungsentscheidung im Gesetz keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör verletzt worden ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das bloße Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten ist durch den Gehörsanspruch grundsätzlich nicht geschützt, weil seine Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylprozess, Rechtliches Gehör, Ablehnung von Beweisanträgen, Stütze im Prozessrecht, Ablehnung eines Antrags auf Terminsabsetzung, Ausschöpfen der prozessualen Möglichkeiten (hier: Antrag auf Vertagung), Berufungszulassungsantrag, rechtliches Gehör, Gehörsrüge, Beweisantrag, posttraumatische Belastungsstörung, Türkei, PTBS, Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 08.01.2024 – AN 4 K 22.30873
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18851

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. Januar 2024 – AN 4 K 22.30873 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. Januar 2024 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
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Zur Begründung ihres Zulassungsantrags hat die Klägerin vorgebracht, dass ihr das rechtliche Gehör versagt worden sei (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur posttraumatischen Belastungsstörung abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung sei zum Beweis der Tatsache, 1., dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome leide, und 2., durch diese Erkrankung eine naheliegende und konkrete Suizidgefahr sowie eine erweiterte Suizidgefahr bestehe, beantragt worden, ein fachärztliches psychologisches/psychiatrisches Gutachten einzuholen. Ferner sei zum Beweis der Tatsachen, 1. dass für sie bei einer Rückkehr in die Türkei keine unmittelbar zugänglichen und angemessenen Behandlungsmöglichkeiten existierten, und 2. dass ihr bei einer Rückkehr in die Türkei keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, mit der sie ihren Lebensunterhalt und die notwendigen medizinischen Leistungen bezahlen könne, beantragt worden, eine Auskunft von medico international e.V. oder einer anderen geeigneten Institution einzuholen. Diese Beweisanträge seien schriftlich begründet worden. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2024 sei eine gemeinsame Stellungnahme von zwei Psychotherapeutinnen und eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 30. Mai 2023 eingereicht worden. Die Beweiserhebung sei entscheidungserheblich für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Sie werde bei ihrer Rückkehr nicht unmittelbar krankenversichert sein. Eine engmaschige und dauerhafte Behandlung per Psychotherapie sei nicht gegeben. Sie dürfte bei einer Rückkehr in die Türkei wiederkehrend Retraumatisisierungen erleben. Das Verwaltungsgericht habe den Beweisantrag in Nummer 1 hinsichtlich der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens aufgrund § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 6 StPO abgelehnt. Zu der Sachfrage lägen trotz des zeitlichen Abstands zur mündlichen Verhandlung ausreichende Unterlagen mit der Attestierung vor. Das Verwaltungsgericht habe auch den Beweisantrag zu Nummer 2 zurückgewiesen. Zur Begründung habe es ausgeführt, der Beweisantrag hinsichtlich der Feststellung einer naheliegenden konkreten Suizidgefahr werde aufgrund § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 6 StPO abgelehnt. Zur Frage der Suizidalität lägen trotz des zeitlichen Abstands zur mündlichen Verhandlung ausreichende Unterlagen mit der Attestierung vor. Zuvor habe das Gericht den Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung aufgrund ihrer mehrfachen psychischen Dekompensation mit der Begründung abgelehnt, dass ihr persönliches Erscheinen und ihre mündliche Einvernahme nicht erforderlich seien. Allein dies begründe einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Das Gericht habe auch verkannt, dass sie in ihrer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehenden gesundheitlichen Verfassung nicht in der Lage gewesen sei, zu ihrer Verfolgungsgeschichte bzw. zu ihrer gesundheitlichen Verfassung umfassend vorzutragen. Das Gericht habe nicht nur ihre Beweisanträge zurückgewiesen, sondern darüber hinaus auch die diagnostischen Feststellungen nicht zur Kenntnis genommen und damit ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das Verwaltungsgericht habe seine eigene Sachkunde zur medizinisch-psychologischen Bewertung der Existenz oder Nichtexistenz einer Suizidgefahr nicht aufgezeigt. Für derartige Fachfragen fehle den Verwaltungsgerichten eine eigene Sachkunde. Das Verwaltungsgericht habe keine prozessrechtlich haltbare Begründung dafür gegeben, aus welchen Gründen es sich über die fachärztliche Einschätzung hinwegzusetzen vermag. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag genüge auch den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach bedürfe es zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand habe, regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Diesen Anforderungen sei die Klägerin nachgekommen. Die vorgelegte Stellungnahme vom 30. Mai 2023 entspreche den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen. Angesichts dessen habe das Verwaltungsgericht mit der Feststellung, dass mangels Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben der Beweisantrag abgelehnt werde, das prozessuale Verbot der Beweisantizipation verletzt.
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Mit diesem Vorbringen wird kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör aufgezeigt.
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Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.
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1. Im Zusammenhang mit der Ablehnung der Beweisanträge hat die Klägerin keine Gehörsverstöße dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG):
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Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279 – juris Rn. 99; B.v. 18.6.1993 – 2 BvR 1815/92 – NVwZ 1994, 60 – juris Rn. 38; B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141 – juris Rn. 10; BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn 10; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – NVwZ 2013, 361 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 23.1.2018 – 10 ZB 17.31099 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 14.12.2017 – 13 A 2795/17.A – juris Rn. 3 f. m.w.N.; B.v. 17.10.2017 – 13 A 2346/17.A – juris Rn. 6 f. m.w.N.), mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist (vgl. BVerfG, B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818.88 – BVerfGE 79, 51). Hierfür ist maßgebend auf den materiell-rechtlichen Standpunkt der angegriffenen Entscheidung abzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechende Rüge unter anderem den substantiierten Vortrag, dass die Ablehnung des Beweisantrags fehlerhaft erfolgt ist, die Begründung der Ablehnungsentscheidung im Gesetz keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör verletzt worden ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 28.3.2013 – 4 B 15.12 – ZfBR 2013, 479 – juris Rn. 16).
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Vorliegend hat die Klägerin nicht dargetan, dass die Ablehnung der Beweisanträge im Gesetz keine Stütze findet: Wie sie im Zulassungsantrag vorgebracht hat und es sich auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung (SP S. 8) ergibt, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag auf Einholung eines fachärztlichen Gutachtens hinsichtlich des Bestehens einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (Nummer 1) nach § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 6 StPO abgelehnt, zu der Sachfrage lägen ausreichende Unterlagen mit der Attestierung vor. Damit hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es aufgrund der vorliegenden Unterlagen das Bestehen dieser Erkrankungen als erwiesen erachte bzw. wahr unterstelle (vgl. dazu auch UA S. 17). Hinsichtlich des Bestehens einer konkreten Suizidgefahr aufgrund dieser Erkrankungen (Nummer 2) hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag auf Einholung eines fachärztlichen Gutachtens ebenfalls aufgrund § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 6 StPO abgelehnt, auch zur Frage der Suizidalität aufgrund dieser Erkrankungen lägen ausreichende Unterlagen mit der Attestierung vor. Soweit sich dieser Beweisantrag auf die Frage des Bestehens einer erweiterten Suizidgefahr aufgrund diese Erkrankungen beziehe, spiele dies für die gerichtliche Entscheidung keine Rolle (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO). Damit hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es aufgrund der vorliegenden Unterlagen das Bestehen einer konkreten Suizidgefahr aufgrund dieser Erkrankungen als erwiesen erachte bzw. wahr unterstelle, sowie dass das Bestehen einer erweiterten Suizidgefahr aufgrund dieser Erkrankungen für die Entscheidung ohne Bedeutung sei. Mit diesen Begründungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Klägerin im Zulassungsantrag nicht auseinander. Sie legt nicht dar, warum es keine Stütze im Gesetz finden solle, die unter Beweis gestellten Tatsachen als erwiesen zu erachten bzw. als wahr zu unterstellen bzw. als nicht entscheidungserheblich zu betrachten.
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Soweit die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich der Suizidgefahr seine eigene Sachkunde zur medizinisch-psychologischen Bewertung nicht aufgezeigt bzw. sich ohne prozessrechtlich haltbare Begründung über die fachärztliche Einschätzung hinweggesetzt, trifft dies nicht zu: Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es aufgrund der bereits vorliegenden Unterlagen mit dieser Attestierung davon ausgehe, bei der Klägerin bestehe aufgrund ihrer Erkrankungen eine konkrete Suizidgefahr. Es hat sich mithin hinsichtlich der Bewertung von Fachfragen nicht auf eigene Sachkunde, sondern auf eine medizinisch-psychologische Attestierung gestützt, und hat sich über diese auch nicht hinweggesetzt. Soweit die Klägerin ferner rügt, der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag habe den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags zum Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS genügt, kommt es hierauf nicht an: Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag nicht mit der Begründung abgelehnt, diese Substantiierungsanforderungen lägen nicht vor. Vielmehr hat es das Bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung als erwiesen erachtet bzw. wahr unterstellt (UA S. 10 u. S. 17). Da das Verwaltungsgericht den Beweisantrag auch nicht „mangels Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben“ abgelehnt hat, kommt es auch nicht darauf an, ob es mit einer solchen Begründung – wie die Klägerin meint – „das prozessuale Verbot der Beweisantizipation“ verletzt hätte. Der weitere Beweisantrag auf Einholung einer Auskunft von medico oder einer anderen Institution wird im Zulassungsantrag zwar eingangs erwähnt. Die Klägerin legt indes nicht ansatzweise dar (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), mit welcher Begründung das Verwaltungsgericht diesen weiteren Beweisantrag abgelehnt hat und dass diese keine Stütze im Gesetz findet.
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2. Soweit die Klägerin weiter rügt, ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liege auch darin, dass ihr Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen ihrer psychischen Verfassung mit der Begründung abgelehnt worden sei, ihr persönliches Erscheinen und ihre mündliche Einvernahme seien nicht erforderlich, fehlt es an einer hinreichenden Darlegung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG): Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin vom 2. Januar 2024 auf Aufhebung des Termins am 4. Januar 2024 mit der Begründung abgelehnt, diese sei anwaltlich vertreten, auf die Glaubhaftigkeit des persönlichen Vorbringens werde es voraussichtlich nicht ankommen, das persönliche Erscheinen sei nicht angeordnet worden, und es bestehe die Möglichkeit des persönlichen Erscheinens unter psychotherapeutischer Begleitung (Schreiben vom 3. Januar 2024, VG-Akte Bl. 97). Die Klägerin hat im Zulassungsantrag nicht dargelegt, weshalb in dieser Begründung ein Gehörsverstoß liegen sollte. Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass das bloße Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten durch den Gehörsanspruch grundsätzlich nicht geschützt ist, weil seine Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können. Das gilt im Grundsatz auch für den Asylprozess (Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 108 Rn. 92 m.w.N.). Dass im Einzelfall der Klägerin etwas anderes gelten sollte, hat diese im Zulassungsantrag nicht dargelegt. Unbeschadet dessen setzt die Berufung auf die Gehörsrüge zudem voraus, dass die im konkreten Fall gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, genutzt werden (BVerfG, B. v. 10.2.1987 – 2 BvR 314/86 – BVerfGE 74, 220/225 – NJW 1987, 1191; BVerwG, B. v. 21.7.2016 – 10 BN 1.15 – juris Rn. 8; U.v. 3.7.1992 – 8 C 58.90 – NJW 1993, 3185; BayVGH, B.v. 1.4.2021 – 23 ZB 20.30366 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris Rn. 7; B.v. 5.2.2016 – 9 ZB 15.30247 – juris Rn. 21; VGH BW, B. v. 11.5.2017 – A 11 S 1002/17 – juris Rn. 7; Kraft in Eyermann, a.a.O, § 108 Rn. 115). Das war vorliegend nicht der Fall: Ausweislich des Protokolls waren bei der mündlichen Verhandlung die Klägerin persönlich sowie ihre Prozessbevollmächtigte anwesend. Auch hat sich die Klägerin umfassend geäußert (SP S. 1 ff.). Soweit die Klägerin aus ihrer Sicht oder aus der Sicht ihrer Bevollmächtigten wegen ihrer psychischen Verfassung tatsächlich nicht in der Lage gewesen wäre, die mündliche Verhandlung durchzuführen, wäre es ihre Obliegenheit gewesen, dies in der mündlichen Verhandlung zu erklären und die Vertagung zu beantragen.
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Entsprechendes gilt hinsichtlich der Rüge der Klägerin, das Gericht habe verkannt, dass sie in ihrer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehenden gesundheitlichen Verfassung nicht in der Lage gewesen sei, zu ihrer Verfolgungsgeschichte umfassend vorzutragen. Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung lassen sich hierfür schon keine Anhaltpunkte entnehmen, da sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgiebig geäußert hat (SP S. 2 ff.). Unbeschadet dessen wäre es die Obliegenheit der Klägerin gewesen, ihre prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen und eine Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, wenn dies aus ihrer Sicht im Hinblick auf ihre gesundheitliche Verfassung erforderlich gewesen wäre, um sich ausreichend Gehör verschaffen zu können.
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3. Schließlich kann auch der weiteren Rüge der Klägerin, das Gericht habe die diagnostischen Feststellungen nicht zur Kenntnis genommen und damit ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, nicht gefolgt werden: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Wird die Gehörsrüge hierauf gestützt, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerfG, B.v. 25.9.2020 – 2 BvR 854/20 – juris Rn. 26 m.w.N.; BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; B.v. 24.2.2016 – 3 B 57/15 u.a. – juris Rn. 2; U.v. 18.12.2014 – 4 C 35.13 – NVwZ 2015, 656, juris Rn. 42; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 30.10.2018 – 13a ZB 17.31034 – juris Rn. 15 m.w.N.). Daran gemessen ist vorliegend kein diesbezüglicher Gehörsverstoß erkennbar: Ausweislich des Tatbestands des Urteils (UA S. 4) hat das Verwaltungsgericht die „diagnostischen Feststellungen“ im Attest vom 30. Mai 2023 zur Kenntnis genommen. Dass die Klägerin darüber hinaus weitere „diagnostische Feststellungen“ vorgebracht hätte, wird im Zulassungsantrag nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Das Verwaltungsgericht hat dieses Vorbringen in den Entscheidungsgründen auch gewürdigt: Es ist auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen davon ausgegangen, dass die Klägerin an einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung leidet und durch diese Erkrankung eine konkrete Suizidgefahr besteht (UA S. 10 u. S. 17).
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Soweit die Klägerin in ihrem Zulassungsantrag die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Zweifel ziehen sollte – etwa mit ihrem Vorbringen, sie werde bei ihrer Rückkehr nicht unmittelbar krankenversichert sein, eine engmaschige und dauerhafte Behandlung mittels Psychotherapie sei nicht gegeben, sie dürfte bei einer Rückkehr in die Türkei wiederkehrend Retraumatisisierungen erleben, usw. – ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Grund für die Zulassung der Berufung darstellen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.