Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.07.2024 – 12 B 23.2196
Titel:

zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung, Fälligstellung des Zwangsgeldes, isolierte Androhung eines weiteren Zwangsgeldes

Normenketten:
BayVwZVG Art. 19
BayVwZVG Art. 31
BayVwZVG Art. 36
Schlagworte:
zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung, Fälligstellung des Zwangsgeldes, isolierte Androhung eines weiteren Zwangsgeldes
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 14.07.2021 – M 9 K 21.1164
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18849

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 – M 9 K 21.1164 – und der Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 – S-III-W/BS 116-Kurzz – werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das mit Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR nicht zur Zahlung fällig geworden ist.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.    

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021, mit dem ein erneutes Zwangsgeld von 20.000,- EUR angedroht wurde und der die Mitteilung enthielt, dass das im Bescheid vom 27. August 2020 angedrohte Zwangsgeld fällig geworden sei.
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1. Die Klägerin vermietet in München, Berlin und anderen europäischen Städten Wohnungen zimmerweise nach ihrem „Co-Living“-Konzept (wörtlich übersetzt: „gemeinschaftliches Wohnen“). Mit Bescheid vom 27. August 2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden (Ziffer 1) und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der gewerblichen Nutzung zu Zwecken der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziffer 2). In Ziffer 3 und Ziffer 4 des Bescheids wurde für einen Verstoß gegen Ziffern 1 und 2 jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR angedroht. Es liege eine Zweckentfremdung vor.
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2. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2. September 2020 erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 aufzuheben (M 9 K 20.4088), und beantragte zudem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2020 anzuordnen. Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag ab. Hiergegen legte die Klägerin Beschwerde ein (12 CS 21.564).
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3. Mit Bescheid vom 15. Februar 2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die streitgegenständlichen Wohnräume weiterhin zu kurzzeitigen fremdenbeherbergungsähnlichen Zwecken genutzt würden. Das mit Bescheid vom 27. August 2020 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR sei somit fällig geworden. Zudem wurde ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von 20.000,- EUR für den Fall angedroht, dass diese Nutzung nicht innerhalb von drei Wochen ab Zustellung des Bescheids beendet werde. Da der Forderung aus dem Bescheid vom 27. August 2020 nicht nachgekommen worden sei, werde das Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR (Ziffer 3) mit diesem Schreiben zur Zahlung fällig erklärt.
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4. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 1. März 2021 erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 aufzuheben und festzustellen, dass das Zwangsgeld nicht fällig geworden ist. Gleichzeitig beantragte sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen (M 9 S 21.1165). Zur Begründung wurde unter Verweis auf die Ausführungen im Eilverfahren im Wesentlichen vorgetragen, dass die Beklagte die zwischenzeitliche Änderung des Nutzungskonzepts unberücksichtigt lasse.
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5. Mit Beschluss vom 5. Mai 2021 ordnete der Senat unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2020 an (12 CS 21.564).
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6. In der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2021 in den Verfahren M 9 K 20.4088, M 9 K 21.1164 und M 9 S 21.1165 sicherte die Beklagte zu, dass eine Vollstreckung des fällig gestellten Zwangsgelds bis vier Wochen nach einer Entscheidung des Senats nicht erfolge. Die Klägerin erklärte daraufhin das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 9 S 21.1165) für erledigt.
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7. Mit Urteil vom 14. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht München die Klage im Verfahren M 9 K 21.1164 ab. Mit Beschluss vom 20. November 2023 ließ der Senat die Berufung der Klägerin zu.
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8. Mit Urteil vom 14. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht München die Klage im Verfahren M 9 K 21.1164 ab. Die Feststellungsklage gegen die Fälligkeitsmitteilung sei unbegründet. Das Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR sei fällig geworden. Der Ablauf der Frist sei abgewartet und die Nutzung geprüft worden. Die Anfechtungsklage gegen die Androhung eines erneuten Zwangsgelds sei ebenfalls unbegründet. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen seien durchgehend bis zur mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2021 gegeben gewesen. Der Bescheid vom 27. August 2020 sei kraft Gesetzes von Beginn an sofort vollziehbar gewesen. Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lägen vor.
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9. Mit Beschluss vom 20. November 2023 ließ der Senat die Berufung der Klägerin zu.
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Die Klägerin begründete ihre Berufung insbesondere damit, dass es für die erneute Androhung eines Zwangsgeldes angesichts der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage durch Beschluss vom 5. Mai 2021 an den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 BayVwZVG fehle. Aktuell liege ein nicht bestandskräftiger Untersagungsbescheid vor, dessen Vollziehung ausgesetzt worden sei. Wenn in Bezug auf den Hauptverwaltungsakt die aufschiebende Wirkung angeordnet werde, könne ein Zwangsgeld nicht fällig oder neu angedroht werden. Es sei ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt worden, dass die zu erzwingende Handlung und damit auch die Androhung des Zwangsgeldes möglicherweise rechtswidrig sei. Das Verwaltungsgericht gehe fälschlicherweise davon aus, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2021 die Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben waren, ohne die Entscheidung des Senats vom 5. Mai 2021 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erwähnen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung sei der Untersagungsbescheid gerade nicht mehr sofort vollziehbar gewesen und der Bescheid in Bezug auf die zweite Zwangsgeldandrohung rechtswidrig.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 aufzuheben sowie festzustellen, dass das im Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 angedrohte Zwangsgeld nicht fällig geworden ist.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dieses habe zu Recht das Vorliegen der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen im Sinne von Art. 19 BayVwZVG angenommen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei insoweit der Zeitpunkt der Fälligstellung des Zwangsgeldes sowie die Androhung des weiteren Zwangsgeldes. Zu diesem Zeitpunkt habe die erst am 5. Mai 2021 ergangene Beschwerdeentscheidung des Senats im Verfahren 12 CS 21.564 nicht entgegengestanden. Vielmehr habe die Beklagte insbesondere im Hinblick auf die erstinstanzliche Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2021 im Verfahren M 9 S 20.4417 weiterhin von der Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Bescheids ausgehen dürfen. Eine formelle Bestandskraft des Grundbescheides sei keine Voraussetzung. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 3. April 2024 verwiesen.
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Die Parteien erklärten mit Schreiben vom 29. Februar 2024 und 3. April 2024 den Verzicht auf mündliche Verhandlung.
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Mit Urteil des Senats vom 15. Juli 2024 wurden auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 und der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 aufgehoben (12 B 23.2195).
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren 12 B 23.2195 sowie der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
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1. Die im Bescheid vom 15. Februar 2021 erfolgte Mitteilung der Fälligkeit des in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. August 2020 für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung, die Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung für Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden, angedrohten Zwangsgeldes, ist zu Unrecht erfolgt. Das Verwaltungsgericht hat die diesbezügliche Feststellungsklage daher zu Unrecht abgewiesen.
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Bei der Mitteilung der Fälligkeit eines angedrohten Zwangsgelds handelt es sich nicht um einen mittels Anfechtungsklage angreifbaren Verwaltungsakt, sondern um die Mitteilung eines Bedingungseintritts (hierzu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 28.10.2021 – 12 BV 20.1243 – BeckRS 2021, 33337 Rn. 35 ff.; vgl. ferner grundlegend BayVerfGH, B.v. 24.1.2007 – Vf. 50-VI-05, Vf. 50-VI/05 – BeckRS 2007, 23711). Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 BayVwZVG liegt bereits in der Androhung eines bestimmten Zwangsgeldes ein nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 BayVwZVG vollstreckbarer, aber aufschiebend bedingter Leistungsbescheid. Wird die sich aus dem Grundbescheid ergebende Pflicht daher nicht innerhalb der Handlungsfrist des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG erfüllt, wird die Zwangsgeldforderung gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 3 BayVwZVG kraft Gesetzes zur Zahlung fällig. Gegen die Mitteilung dieses Bedingungseintritts, also die Fälligkeitsmitteilung, kann sich ein Betroffener mit einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO zur Wehr setzen (BayVGH, B. v. 17.2.2023 – 12 ZB 22.2541 – juris Rn. 16).
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Die somit statthafte Feststellungsklage ist auch begründet, weil das Zwangsgeld nicht fällig geworden ist.
22
Da ein Zwangsmittel in die Zukunft gerichtete Rechtswirkungen entfaltet, sind auch entscheidungserhebliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage, die nach seinem Erlass eintreten, bei der Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit zugrunde zu legen. Entscheidungserhebliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage sind somit bis zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem die Vollstreckung des Zwangsmittels abgeschlossen ist, bzw. bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz (VG Hamburg, B. v. 9.10.2008 – 4 E 2556/08 – juris Rn. 8 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 14.3.2006, 1 C 11/05 und 1 C 3/05 – juris –).
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Demnach ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Senat mit Urteil vom heutigen Tage entschieden hat, dass der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 rechtswidrig ist. Somit bestand für die Klägerin keine Verpflichtung, die zimmerweise Vermietung der streitgegenständlichen Wohnung nach ihrem „Co-Living“-Konzept zu beenden.
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Zum anderen lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 Abs. 1 BayVwZVG nicht vor. Denn der Senat hat mit Beschluss vom 5. Mai 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2020 angeordnet hat (12 CS 21.564). Dieser ist somit nicht mehr vollziehbar.
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Da die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des Nichtbestehens der Zwangsgeldforderung hat, war ihrer Feststellungsklage stattzugeben.
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2. Der streitgegenständliche Bescheid vom 15. Februar 2021, mit dem die Beklagte ein erneutes, erhöhtes Zwangsgeld angedroht hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage daher auch insofern zu Unrecht abgewiesen.
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Da der Grundbescheid rechtswidrig und auch nicht vollstreckbar ist, erweist sich auch die erneute Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig. Zur Begründung wird auf obige Ausführungen verwiesen.
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Der Berufung der Klägerin ist deshalb stattzugeben. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 unterliegen der Aufhebung.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.