Titel:
Abgrenzung der Wohnnutzung von gewerblicher Fremdenbeherbergung
Normenkette:
ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 1, Art. 3 Abs. 2
Leitsätze:
1. Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, liegt vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der übrige Wohnraum nebst Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf lange Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts. (Rn. 27)
2. Die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft beispielsweise an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in einer Kommune aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, ist regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen zu qualifizieren mit der Folge, dass die Annahme einer Zweckentfremdung nicht in Betracht kommt. (Rn. 30)
3. Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“; es vermittelt deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. (Rn. 31)
Schlagworte:
Wohnnutzung, „Co-Living“ als Wohngemeinschaft, keine Fremdenbeherbergung, Serviceleistungen, Fremdenbeherbergung, Wohngemeinschaft, Co-Living, Zweckentfremdung, Wohnzwecke, Beherbergungsgemeinschaft
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 20.11.2023 – 12 ZB 22.80
VG München, Urteil vom 14.07.2021 – M 9 K 20.4088
Fundstellen:
BayVBl 2024, 778
NZM 2025, 147
LSK 2024, 18848
BeckRS 2024, 18848
FDMietR 2024, 018848
NJW 2024, 3007
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 – M 9 K 20.4088 – und der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 – S-III-W/BS 116-Kurzz – werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgeldes von jeweils 10.000,- EUR zur Beendigung der Nutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung zur Fremdenbeherbergung und zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken aufgefordert wurde.
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1. Die Klägerin vermietet in München, Berlin und anderen europäischen Städten Wohnungen zimmerweise nach ihrem „Co-Living“-Konzept (wörtlich übersetzt: „gemeinschaftliches Wohnen“). Die möblierten Wohnungen verfügen über großzügige Gemeinschaftsräume. Die Mieter bewohnen jeweils ein möbliertes Zimmer und nutzen Küche und Bäder gemeinsam. Die Klägerin bietet für diese Wohnungen unterschiedliche Serviceleistungen an, insbesondere regelmäßige Reinigung und Unterhalt. Die Mietverträge werden auf unbestimmte Zeit geschlossen.
3
Die streitbefangene Wohnung in der H.-Straße in München besteht aus sechs Zimmern, Küche, zwei Bädern und Abstellraum und ist insgesamt 235 m² groß. Sie ist baurechtlich als Wohnraum genehmigt. Die Klägerin ist selbst Mieterin und zur Untervermietung berechtigt. Die vermieteten Räume sind möbliert. Als Serviceleistung war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ein Reinigungsdienst installiert, und es wurde eine Grundausstattung für Küche und Toiletten gestellt. Die gesamten Mieteinnahmen der Klägerin ohne eine Nebenkostenpauschale betrugen zum Januar 2020 5.550,- EUR monatlich. Ihrerseits hatte die Klägerin an den Eigentümer 3.780,- EUR, davon 285,- EUR Nebenkostenpauschale ohne Heizkosten, zu entrichten.
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Am 23. Juni 2020 führte die Beklagte eine Ortsbesichtigung in der verfahrensgegenständlichen Wohnung durch. Hierbei waren alle fünf Mieter anwesend; ein Zimmer stand zu diesem Zeitpunkt leer. Die Bewohner teilten mit, dass zweimal in der Woche ein Putzservice käme. Das Waschen der Kleidung erfolge durch die Bewohner selbst, dafür stünden zwei Waschmaschinen bereit, die nicht zusätzlich bezahlt werden müssten. Küche und Bäder stünden allen Bewohnern zur Verfügung. Um das Essen habe sich jeder selbst zu kümmern, ein Auffüllen des Kühlschranks sei im Service nicht inbegriffen. Ein Treppenaufgang ermögliche allen Bewohnern den Zugang zum Gemeinschaftsraum. Alle Bewohner waren im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken.
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Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Untersagung der Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung legte der Bevollmächtigte der Klägerin eine Aufstellung sämtlicher Mietverträge vor. Danach seien Mietverhältnisse unter sechs Monaten nur Ausnahmen gewesen, die insbesondere der Corona-Pandemie geschuldet gewesen seien. Einige Bewohner seien fast zwei Jahre geblieben. Es würden Wohnraumietverträge auf unbestimmte Zeit geschlossen.
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Der Eigentümer der Wohnung teilte im Rahmen der Anhörung mit, dass er die Wohnung nach Erhalt der Kündigung der bisherigen Mieter unmittelbar auf verschiedenen Internetplattformen angeboten sowie eine Maklerfirma mit der Mietersuche beauftragt habe. Trotzdem habe er über einen Zeitraum von über sieben Monaten keinen Mieter gefunden. Im Februar 2019 habe er sich daher entschieden, mit der Klägerin einen Mietvertrag abzuschließen.
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2. Mit Bescheid vom 27. August 2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden (Ziffer 1) und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der gewerblichen Nutzung zu Zwecken der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziffer 2). In Ziffer 3 und Ziffer 4 des Bescheids wurde für einen Verstoß gegen Ziffern 1 und 2 jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR angedroht. Es liege eine Zweckentfremdung vor, da der Wohnraum wiederholt und regelmäßig an Personen überlassen werde, welche sich lediglich vorübergehend aus verschiedenen Gründen kurzzeitig in den Wohnräumen oder für die Dauer ihres Arbeitseinsatzes in München aufhielten. Das Nutzungskonzept sei nur darauf ausgerichtet, den Wohnraum durch häufige Nutzerwechsel zweckzuentfremden. Die sehr kleinen Wohneinheiten würden zu überdurchschnittlichen erhöhten Preisen, im Gegensatz zu klassischen Wohngemeinschaftszimmern, vermietet. Die angebotenen Serviceleistungen seien typisch für eine Fremdenbeherbergung und sprächen gegen eine reguläre Vermietung.
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3. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2. September 2020 erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 aufzuheben.
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Die Mindestmietzeit betrage nunmehr sechs Monate und die Serviceleistungen sowie das Zurverfügungstellen einer Grundausstattung seien beendet worden. Die Zimmer seien abschließbar. Die Pro-Kopf-Miete sei im Hinblick auf die großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen angemessen. Die Anmietung erfolge zur dauerhaften Verlegung des Hauptwohnsitzes nach München. Im Übrigen sei nicht nachgewiesen, dass die Bewohner andere Hauptwohnsitze im Sinne eines Lebensmittelpunkts gehabt hätten.
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Die Beklagte wandte dagegen ein, dass bis zum Bescheiderlass in großem Umfang fremdenverkehrstypische Leistungen zur Versorgung erbracht worden seien. Das geänderte Nutzungskonzept sei neu und nicht überprüft worden. Die bisherigen Mietverhältnisse seien in einem Drittel der Fälle nach drei bis fünf Monaten beendet worden. Das „Co-Living“-Konzept sei als Übergangsform nach einem Umzug nach München und als vorübergehende Unterkunft bei einer begrenzten Aufenthaltsdauer als Nutzungskonzept eine Fremdenbeherbergung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS.
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4. Mit Urteil vom 14. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht München die Klage ab. Die Klage sei bereits unzulässig, weil der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Wenn das dem Bescheid zugrundeliegende Nutzungskonzept durch die Klägerin nicht mehr betrieben werde, sei nicht erkennbar, welches rechtlich schützenswerte Interesse an der gerichtlichen Überprüfung noch bestehe. Der Bescheid sei wegen inhaltlicher Überholung gegenstandslos geworden, da die ihm innewohnende Steuerungsfunktion entfallen und seine Aufhebung sinnlos sei. Ungeachtet der fehlenden Zulässigkeit sei die Klage auch unbegründet. Die Klägerin habe die Beweiserhebung vereitelt. Eine weitere Amtsermittlung, ob trotz der für Fremdenverkehrsnutzung typischen beherbergungsmäßigen Ausstattung und Rundum-Versorgung eine WG vorliege, sei daher nicht möglich gewesen. Dies gehe zu Lasten der Klägerin. Es liege angesichts der erheblichen Inklusivmiete, dem ursprünglichen umfangreichen Service sowie der Bereitstellung einer ferienwohnungsähnlichen Grundausstattung und Versorgung mit Verbrauchsgütern des täglichen Lebens eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts vor. Die Mietverträge hätten durch die kurzen Kündigungsfristen dem Modell einer kurzzeitigen Vermietung entsprochen. Die Ausstattung und die Serviceleistungen seien hotelähnlich und gingen über eine möblierte Vermietung weit hinaus, da nach dem ursprünglichen Konzept die Grundversorgung mit Verbrauchsgütern des täglichen Lebens in Küche und Bad gestellt und monatlich aufgefüllt worden sei. Die begrenzte Aufenthaltszeit von teilweise unter drei Monaten und die Inserate, die sich ausdrücklich an Interessenten mit Wohnsitz im Ausland wendeten, die neu zu einem bestimmten Aufenthaltszweck nach München kämen, seien ein gewichtiges Indiz für das Nutzungskonzept einer vorübergehenden Unterkunft.
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5. Mit Beschluss vom 20. November 2023 ließ der Senat die Berufung der Klägerin zu.
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Die Klägerin begründete ihre Berufung insbesondere damit, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von der Unzulässigkeit der Klage ausgehe. Mangels richterlichen Hinweises handele es sich insofern um eine Überraschungsentscheidung. Die Änderung des Nutzungskonzeptes lasse das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Auch habe die Klägerin die Beweisaufnahme nicht vereitelt. Das Verwaltungsgericht gehe zudem zu Unrecht von einer Fremdenbeherbergung aus, da es sachlich eine falsche Mietzeit zugrunde lege und rechtlich falsche Anforderungen an die Abgrenzung zwischen Wohnnutzung und Fremdenbeherbergung stelle. Dass die Nutzung durch die Mieter gegebenenfalls nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf Dauer angelegt sei, ändere an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts. Die Mehrzahl der Mieter sei sechs Monate oder länger geblieben. Die Klägerin wolle nach ihrem Konzept ein gemeinschaftliches dauerhaftes Wohnen fördern. Die Zimmer würden nicht über Hotel- oder Ferienwohnungsplattformen vermarktet, sondern als WG-Zimmer über entsprechende Plattformen sowie über die sozialen Medien. Die Mieter verlegten ihren Lebensmittelpunkt in die Wohnung und seien bei der Beklagten mit ihrem Hauptwohnsitz gemeldet. Es handele sich nicht um ein provisorisches, nur einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen. Der Gewerbemietvertrag mit dem Eigentümer stehe einer Wohnnutzung durch die Mieter nicht entgegen. Eine gewerbliche Zimmervermietung finde nicht statt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 4. Januar 2024 verwiesen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Es liege hinsichtlich der Unzulässigkeit der Klage keine Überraschungsentscheidung vor, da dies für den Klägerbevollmächtigten nach der mündlichen Verhandlung erkennbar gewesen sei. Auch habe die Verhinderung der Inaugenscheinnahme durch die Klägerin nach den Grundsätzen über die Beweisvereitelung zu ihren Lasten gewertet werden dürfen. Im Übrigen sei das Gericht nicht verpflichtet, den Beteiligten seine Rechtsauffassung schon vor der Urteilsberatung zu offenbaren, denn die rechtliche Würdigung ergebe sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung nach Schluss der mündlichen Verhandlung. Eine abschließende Bewertung des Nutzungskonzeptes der Klägerin sei mit Blick auf die eingeschränkten Beweiserhebungsmöglichkeiten nicht vorgenommen worden, sei jedoch in Anbetracht der angenommenen Unzulässigkeit der Klage auch nicht entscheidungserheblich gewesen. Nichtsdestoweniger stelle das Nutzungskonzept eine Zweckentfremdung von Wohnraum gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 ZeS dar. Denn es sei auf eine Nutzung durch Personen ausgelegt gewesen, welche die Räumlichkeiten lediglich als Übergangslösung oder flexible (Erst-)Unterkunft in München nutzten. Es unterscheide sich wesentlich vom Konzept einer herkömmlichen Wohngemeinschaft. Es seien Leistungen erbracht worden, die für eine Fremdenbeherbergung typisch seien. Das Konzept richte sich erkennbar auf eine Vermietung an einen Personenkreis, der nicht unmittelbar einen eigenständig organisierten Hausstand gründen möchte, sondern gerade eine vorübergehende Unterkunft suche. Die Wohnung solle mithin als unkomplizierte Übergangslösung dienen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 19. Februar 2024 verwiesen.
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Die Parteien erklärten mit Schreiben vom 19. Februar 2024 und 27. Februar 2024 den Verzicht auf mündliche Verhandlung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren 12 CS 21.564 sowie der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 27. August 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage daher zu Unrecht abgewiesen.
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1. Die Klage ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig. Die Änderung des Nutzungskonzepts nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids, insbesondere die Einstellung der über die regelmäßige Reinigung der Gemeinschaftsräume hinausgehenden Serviceleistungen, lässt das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht entfallen, da der Bescheid dadurch nicht wegen inhaltlicher Überholung gegenstandslos geworden ist. Vielmehr ist sie durch den streitbefangenen Bescheid nach wie vor beschwert, weil er weiterhin die Nutzung des Wohnraumes im Rahmen des „Coliving“-Konzepts als unterstellte Fremdenbeherbergung untersagt.
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2. Der ursprünglich bis zum 31. März 2024 geschlossene Mietvertrag zwischen dem Eigentümer der Wohnung und der … … hat sich laut Mitteilung der Klägerin vom 3. Juli 2024 um ein weiteres Jahr verlängert. Der streitgegenständliche Bescheid hat sich daher auch insofern nicht erledigt.
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3. Der angefochtene Bescheid vom 27. August 2020, mit dem die Beklagte die unverzügliche Beendigung der Nutzung der Wohnung in der H.-Straße zur Fremdenbeherbergung angeordnet und die Klägerin unter Androhung von Zwangsgeldern zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken verpflichtet hat, ist rechtswidrig.
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Rechtsgrundlage des Bescheids ist Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) vom 10. Dezember 2007, zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 182) und § 13 Abs. 1 und 2 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 5. Dezember 2017 (MüABl. S. 494), zuletzt geändert durch Satzung vom 4. November 2019 (MüABI. S. 452). Danach kann die Gemeinde anordnen, dass eine nicht genehmigungsfähige Zweckentfremdung in angemessener Frist beendet und der Wohnraum wieder Wohnzwecken zugeführt wird. Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liegt nach Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG bzw. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS dann vor, wenn Wohnraum insgesamt mehr als acht Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird.
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt die von der Klägerin vorgenommene zimmerweise Vermietung der streitgegenständlichen Wohnung keine Zweckentfremdung dar, weil der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand der Fremdenbeherbergung i.S.d. Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 ZeS nicht erfüllt ist. Vielmehr werden die fraglichen Räume zu Wohnzwecken genutzt, nicht hingegen für eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung.
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3.1 Nach der Rechtsprechung des Senats bezeichnet Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und die ihre (eigentliche) Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Für einen derartigen Aufenthalt ist ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes prägend. Es fehlt an einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer „Heimstatt im Alltag“. Der Aufenthalt zeichnet sich vielmehr durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Maßgeblich ist insoweit das jeweils zu Grunde liegende Nutzungskonzept; eine bestimmte Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer kann insoweit nicht festgelegt werden (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – juris Rn. 4; wie BayVGH, B.v. 28.10.2021 – 12 BV 20.1144 –; BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 12 ZB 15.2287; BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 12 CS 15.2269 – alle juris).
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Dementsprechend liegt eine Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während Wohnraum, Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – juris Rn. 5; so auch OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 10f.).
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Maßgeblich dafür, ob eine Wohnung zweckentfremdungsrechtlich zur Fremdenbeherbergung genutzt wird oder ob sie Wohnzwecken dient, ist das zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses verfolgte Nutzungskonzept. Dieses ist anhand der bestehenden Mietverträge, deren konkretem Inhalt aber auch der tatsächlichen Mietpraxis im Einzelfall festzustellen. Gegebenenfalls sind weitere Indizien für das Vorliegen gewerblicher Fremdenbeherbergung oder aber Wohnnutzung zur zweckentfremdungsrechtlichen Beurteilung heranzuziehen.
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Dementsprechend stellt sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen (ausländischen) Studenten, der sich – beispielsweise im Rahmen eines Erasmus-Semesters – für die Dauer eines halben Jahres oder länger in München aufhält und dort während des Auslandssemesters seinen Lebensmittelpunkt hat, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen dar. Es kann insoweit keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass ein Studierender während seines (Auslands-)Semesters seine „Heimstatt im Alltag“ am Studienort hat und er in einem WG-Zimmer nicht lediglich übergangsweise und provisorisch unterkommt. Nicht umsonst wirbt die Beklagte angesichts der herrschenden Wohnungsknappheit dafür, Studierenden den erforderlichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
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Daher erweist sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in München aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen. Ein solcher Mieter begründet eine wenn auch vorübergehende (zeitlich begrenzte) Heimstatt im Alltag und kommt nicht lediglich provisorisch übergangsweise und damit „hotelartig“ unter. Es liegt deshalb weder eine „Fremdenbeherbergung“ noch eine „Zweckentfremdung“ vor (BayVGH, B. v. 20.11.2023 – 12 ZB 22.80 – juris Rn. 23)
31
Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“ (vgl. BVerfGE 38, 348 [359 ff.]; BVerwGE 65, 139 [142 f.]; BVerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 –, NJW 1998, 94; BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 12 N 20.1706 – juris Rn. 41 u. LS 1); es gibt der Beklagten deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. Das Zweckentfremdungsrecht gestattet weder eine Wohnraumbewirtschaftung noch darf es als Mittel eingesetzt werden, um „allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen“ auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden (vgl. BVerfGE 38, 348 [360]; BVerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 –, NJW 1998, 94 [96]; BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 12 N 20.1706 – juris, Rn. 42 u. 43 u. LS 3 u. 4).
32
Ebenso wenig schließen die Inanspruchnahme bestimmter Serviceleistungen oder eine hohe Miete die Annahme einer Wohnnutzung aus. Das Zweckentfremdungsrecht hindert nicht, eine die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigende Miete zu fordern (vgl. BVwerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 – NJW 1998, 94 [96]; BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 12 N 20.1706 –, BayVBl. 2021, 378 – juris Rn. 49 u. LS 4). Auch steht etwa die Reinigung der Gemeinschaftsräume sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum, insbesondere vor dem Hintergrund der mietvertraglichen Verpflichtung zur Erhaltung der Mietsache, der Annahme einer Wohnnutzung nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2023 – 12 ZB 22.80 – juris Rn. 25).
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3.2 Gemessen an diesen Kriterien stehen die fraglichen Räume nicht zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, sondern zur Wohnnutzung zur Verfügung. Es liegt eine Wohngemeinschaft, keine Beherbergungsgemeinschaft vor. Nach den insoweit nicht bestrittenen Angaben der Klägerin, die den im Rahmen von Ortseinsichten gewonnenen Erkenntnissen der Beklagten entsprechen, teilen sich die Bewohner Wohnraum, Küche, Bad und Flur zur gemeinsamen Nutzung und es steht jedem einzelnen Mieter jeweils ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet. Auf die seitens des Verwaltungsgerichts beabsichtigte, aber nicht durchgeführte Inaugenscheinnahme kam es somit entscheidungserheblich nicht an. Denn damit ist die Führung eines eigenständigen, unabhängig gestalteten Haushalts sichergestellt. Die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsraum, Küche, Bad und Flur steht dem „Wohnen“ nicht entgegen. Auch ist die Wohngemeinschaft als Zusammenleben einer Gruppe von Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, ohne miteinander verwandt zu sein, keineswegs ungewöhnlich; sie erfüllt ohne weiteres den Begriff des Wohnens (BayVGH, B.v. 20.11.2023 – 12 ZB 22.80 – juris Rn. 26; vgl. hierzu OVG Berlin Brandenburg, B.v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 10).
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3.3 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entspricht des Weiteren auch das Nutzungskonzept dem einer Wohngemeinschaft, da die Bewohner wohngemeinschaftstypisch neben einem zusammen genutzten Gemeinschaftsraum sowie Bad und Küche jeweils über einen eigenständigen Raum verfügen, der dem Einzelnen entsprechende Rückzugsmöglichkeiten gewährleistet. Auch von einer „Zwangs-WG“ kann keine Rede sein. Ungeachtet des Umstands, dass nach Aussage des Bevollmächtigten der Klägerin offenbar eine gewisse Einbindung der Mitbewohner in die beabsichtigte Neuaufnahme eines Mieters besteht, bleibt es jedem Interessenten unbenommen, einen Mietvertrag unter den vorgegebenen Bedingungen und unter Akzeptanz des zugrundeliegenden Konzepts abzuschließen. Es basiert allein auf Freiwilligkeit, sich auf das Zusammenwohnen mit fremden und auch aus anderen Ländern und Kulturkreisen stammenden Personen einzulassen. Das Konzept der Klägerin verfolgt gerade das Ziel, neu nach München zugezogenen Personen auf diese Weise rasch ein sozial integriertes und gemeinschaftliches Wohnen und Leben zu ermöglichen.
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3.4 Soweit das Verwaltungsgericht meint, das Nutzungskonzept sei auf eine vorübergehende, kurzzeitige Vermietung ausgelegt, übersieht es, dass vorliegend bereits die Dauer des Aufenthalts den Maßstab „ständig wechselnder Gäste“ überschreitet, wie es für die Fremdenbeherbergung kennzeichnend ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 10). Die Zeitdauer stellt nur ein Indiz für die eine bzw. die andere Nutzungsform dar. Im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Abgrenzung einer Wohnnutzung zu einem Beherbergungsbetrieb wurden Vermietungen zwischen drei und acht Monaten jedenfalls als ausreichend für eine Wohnnutzung angenommen (vgl. statt vieler VG Berlin, U. v. 4.3.2020 – 6 K 420.19 – juris Rn. 42 m.w.N.). Selbst nach dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt (3 bis 8,5 Monate) wäre demnach schon nicht mehr von einer kurzzeitigen, vorübergehenden Vermietung auszugehen. Vorliegend beträgt die Mindestmietdauer zwischenzeitlich sogar sechs Monate. Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte der Klägerin zugleich nachgewiesen, dass es, auch wenn einzelne Mieter in der Vergangenheit, aus welchem Grund auch immer, vorzeitig den Vertrag beendet haben, auch erheblich längere Mietverhältnisse gegeben hat, zum Teil bis zu 19 Monaten. Dies entspricht üblichen Wohnraummietverträgen, die ebenfalls mit offener Vertragsdauer jederzeit, auch frühzeitig, gekündigt werden können, ohne dass deshalb eine Wohnnutzung ernstlich in Zweifel gezogen werden könnte. Im Übrigen ändert auch eine Nutzung nur für einen begrenzten, nicht auf Dauer angelegten Zeitraum an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts (OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris Rn. 11).
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3.5 Es ist deshalb offensichtlich, dass es sich bei den Bewohnern nicht um ständig wechselnde Gäste handelt, die in den jeweiligen WG-Zimmern nur provisorisch oder „hotelartig“ unterkommen. Auch ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Mieter unterhielten noch andernorts, ggf. im Ausland, einen Lebensmittelpunkt, durch nichts belegt. Dafür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, zumal die Mieter, die einen Arbeitsplatz in München gefunden haben, bei der Beklagten i.d.R. melderechtlich mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Es fehlt mithin insgesamt an dem für eine Fremdenbeherbergung kennzeichnenden Umstand des vorübergehenden Aufenthalts und zugleich auch dem Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einem begrenzten Zweck dienendem Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Bewohner während der Dauer ihres Aufenthalts in der streitbefangenen Wohnung sich dort eine dauerhafte Heimstatt im Alltag in der Gemeinschaft der Mitbewohner geschaffen haben.
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3.6 Demgegenüber greifen die Aspekte des Zurverfügungstellens von Serviceleistungen, wobei es hier auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheides ankommt, sowie der vermeintlich zu hohen Miete als Indiz für eine lediglich kurzfristige Fremdenbeherbergung nicht durch. Ihnen kann aufgrund der vorstehenden Ausführungen keine Bedeutung zukommen. Die – offenbar zwischenzeitlich eingestellten – Serviceleistungen schließen nicht von vorneherein eine selbstständige Regelung und Organisation des täglichen Lebens im Sinne einer Heimstatt im Alltag aus. Auch die Reinigung der Gemeinschaftsräume und die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines wöchentlichen Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum stehen dem, insbesondere vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Klägerin zum Erhalt der Mietsache, nicht entgegen. Die Serviceleistungen dienen lediglich dazu, die Gründung eines neuen Hausstands zu einer Nutzung zu dauerhaften Wohnzwecken und damit die Schaffung einer Heimstatt zu erleichtern. Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass sogar betreutes Wohnen bauordnungsrechtlich als „Wohnen“ i.S.d. § 3 Abs. 4 BauNVO einzustufen ist, weil zu den Wohngebäuden auch die Einrichtungen rechnen, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen (vgl. OVG Greifswald, B.v. 27.3.2015 – 3 M 38/15 – BeckRS 2015, 47459).
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4. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids erweisen sich auch die mit Ziffern 3 und 4 verfügten Zwangsgeldandrohungen im Hinblick auf die Verfügung, die Nutzung des Wohnraums zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden und den Wohnraum wieder Wohnzwecken zuzuführen, als rechtswidrig.
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Der Berufung der Klägerin ist deshalb stattzugeben. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 unterliegen der Aufhebung.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.