Inhalt

OLG München, Endurteil v. 01.08.2024 – 14 U 3654/23 e
Titel:

Formelle Unwirksamkeit einer Mitteilung über eine Beitragsanpassung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Erläutert der Versicherer in einer Mitteilung nach § 203 Abs. 5 VVG nicht, dass eine Anpassung der Prämien nur erfolgen darf und muss, wenn die Neukalkulation der Rechnungsgrundlagen "Versicherungsleistungen" und "Sterbewahrscheinlichkeit" eine Veränderung oberhalb eines gesetzlich oder vertraglich festgelegten Schwellenwertes ergibt, ist die Mitteilung formell unwirksam. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weil der Treuhänder seine Zustimmung zu einer Beitragsanpassung nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten versagen kann, führen nur Verstöße zu ihrer materiellen Unwirksamkeit, durch die schutzwürdige Interessen der Versichertengemeinschaft unangemessen und in offensichtlicher Art und Weise verletzt werden. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Besonders schwerwiegende Fehler der Zustimmung zu Limitierungsentscheidungen führen zu einem individuellen Anspruch des dafür darlegungspflichtigen Versicherungsnehmers auf eine bereicherungsrechtliche Rückerstattung. (Rn. 41 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob der Versicherer bei der Vergabe von Limitierungsmitteln sein unternehmerisches Ermessen nach den Vorgaben des Gesetzes ausgeübt hat, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle, die sich nicht auf die dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen beschränken muss. (Rn. 46 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Mitteilung, formelle Unwirksamkeit, Rechnungsgrundlagen, Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit, Schwellenwert, Limitierungsmaßnahmen, Treuhänder, unternehmerisches Ermessen, gerichtliche Kontrolle
Vorinstanz:
LG Memmingen, Urteil vom 21.08.2023 – 26 O 1428/22 Ver
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18841

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21.08.2023, Az. 26 O 1428/22 Ver, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.1. Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam waren und der Kläger bis einschließlich Dezember 2019 nicht zur Zahlung der jeweiligen Erhöhungsbeträge verpflichtet war:
a) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 60,20 €,
b) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 11,85 €,
c) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 44,10 €.
1.2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.393,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.12.2022 zu zahlen.
1.3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und die Kostenentscheidung des in Ziff. 1. bezeichneten erstinstanzlichen Urteils sind vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem privaten Krankenversicherungsvertrag, der zwischen ihnen seit dem 01.01.2000 unter der Versicherungsnummer ... besteht.
2
Der monatlich an die Beklagte zu zahlende Beitrag wurde in den vergangenen Jahren angepasst, unter anderem
- im Tarif 2 zum 01.01.2012 in Höhe von 44,60 €,
- im Tarif 1 zum 01.01.2015 in Höhe von 60,20 €,
- im Tarif 1 zum 01.01.2016 in Höhe von 11,85 €,
- im Tarif 1 zum 01.01.2017 in Höhe von 44,10 €,
- im Tarif 1 zum 01.01.2020 in Höhe von 70,02 €,
- im Tarif 1 zum 01.01.2021 in Höhe von 36,96 € und
- im Tarif 1 zum 01.01.2022 in Höhe von 64,38 €.
3
Die Treuhänderzustimmungen lagen jeweils vor. Der Kläger wechselte zum 01.11.2013 vom Tarif 2 in den Tarif 1.
4
Die Anpassungen wurden dem Kläger jeweils zuvor unter Übersendung eines (Nachtrags-) Versicherungsscheins sowie eines standardisierten Informationsschreibens zu Beitragsanpassungen mitgeteilt (vgl. Anlagenkonvolut B 2, B 14).
5
Auslöser der Beitragsanpassungen war jeweils eine Veränderung bei den Versicherungsleistungen.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Memmingen Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
7
Ergänzend ist festzuhalten, dass die Klagepartei die Prämienanpassungen in materieller Hinsicht zunächst nur beanstandet hatte, „da das durchgeführte Prüfverfahren fehlerhaft war“. Mit Schriftsatz vom 21.02.2023 (Bl. 125 d.A.) nahm die Klagepartei noch in erster Instanz sodann folgende Klarstellung bzw. Korrektur ihres Vortrages vor: „Die Klägerseite bestreitet nicht lediglich die 'Vollständigkeit der Unterlagen', aus denen sich die Limitierungsmittelverwendung in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben ergeben soll, sondern darüber hinaus auch die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen.“
8
Das Landgericht hat die in 1. Instanz zuletzt auf Feststellung der Unwirksamkeit und fehlende Zahlungsverpflichtung (Ziff. 1, Ziff. 2), Zahlung von 14.001,10 € nebst Zinsen (Ziff. 3) sowie Feststellung zum Nutzungsersatz (Ziff. 4) gerichtete Klage abgewiesen.
9
Hinsichtlich des Feststellungsantrages in Ziffer 2 sei die Klage bereits unzulässig, weil an der Feststellung der Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung in dem zum 31.10.2013 beendeten Tarif 2 kein Interesse mehr bestehe. Alle weiteren Ansprüche bestünden deshalb nicht, weil die in unverjährter Zeit erfolgten streitgegenständlichen Beitragsanpassungen formell und materiell wirksam gewesen seien:
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Das Landgericht erachtet die Beitragsanpassungen zum 01.01. 2017, 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022 als formell wirksam, in Bezug auf die vorherigen Beitragsanpassungen sei Verjährung eingetreten.
11
Eine Prämienerhöhung sei nicht deshalb materiell unwirksam, weil der auslösende Faktor nach unten angesprungen sei: Die Veränderungsrichtung der maßgeblichen Berechnungsgrundlage bestimme nicht zugleich die Veränderungsrichtung der Prämienanpassung.
12
Die materielle Rechtmäßigkeit der Limitierungsmittelvergabe habe der Kläger im Übrigen nur unsubstantiiert und ins Blaue hinein bestritten. Er habe insbesondere keine greifbaren Anhaltspunkte für die behauptete materielle Unwirksamkeit der Beitragsanpassung vorgebracht. Der Kläger habe nur isoliert die Vollständigkeit der Treuhänderunterlagen angegriffen.
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Hiergegen wendet sich der Kläger im Kern mit dem Argument, die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen seien formell und materiell unwirksam gewesen und hieraus folgende Ansprüche nicht verjährt.
14
Die formelle Unwirksamkeit der Beitragsanpassung zum 01.01.2017 folge daraus, dass der Mitteilung nicht mit der gebotenen Klarheit zu entnehmen sei, welche Rechnungsgrundlage angesprungen sei. Auch lasse sich der Mitteilung nicht deutlich genug entnehmen, dass die konkrete Beitragsanpassung durch die Veränderung einer Rechnungsgrundlage über einem vorab festgelegten Schwellenwert ausgelöst wurde. Alle streitgegenständlichen Beitragsanpassungen seien im Übrigen schon deshalb formell unwirksam, weil die Beklagte für einzelne Tarife nicht die neue Prämie, sondern nur den Differenzbetrag mitteile. Dass der neue Gesamtbetrag ausgewiesen sei, führe nicht zur Wirksamkeit der Mitteilung.
15
Die materielle Unwirksamkeit der Beitragsanpassung habe der Kläger in erster Instanz keinesfalls nur mit Blick auf die Unvollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen bestritten, sondern – wirksam – auch bezogen auf die Vergabe der Limitierungsmittel. Das Landgericht hätte die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte vor diesem Hintergrund auffordern müssen, zur Limitierung vorzutragen.
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Bezogen auf den Feststellungsantrag hinsichtlich der Nutzungen bestehe ein Feststellungsinteresse, weil die Höhe der gezogenen Nutzungen sich aus den Geschäftsberichten der Beklagten nicht ableiten lasse.
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Der Kläger verfolgt die Anträge erster Instanz in der Berufung weiter. Er macht dabei die Rückzahlung von Prämienzahlungen seit dem 01.01.2013 geltend und erweitert seine Klage um solche Beiträge, die nach Anhängigkeit der Klage gezahlt wurden (s. S. 4/5 d. Berufungsbegründung = Bl. 10/11 d. BerA.).
18
Der Kläger beantragt in der Berufung: 1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind:
a) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 60,20 €
b) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 11,85 €
c) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 44,10 €
d) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 70,02 €
e) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2021 in Höhe von 36,96 €
f) im Tarif 1 die Erhöhung zum 01.01.2022 in Höhe von 64,38 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen, um 287,51 € insgesamt zu reduzieren ist.
2) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzung der Prämie in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam war:
im Tarif 2 die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 44,60 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 17.738,73 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
4) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) und 2) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 4a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
Hilfsweise wird beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Memmingen zurückzuverweisen.
19
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
20
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus der Berufungserwiderung vom 27.02.2024, auf die insoweit verwiesen wird (Bl. 65 ff. d.BerA.).
21
Der Senat hat erstmals mit Terminsverfügung vom 23.11.2023 (Bl. 53 f. d. BerA) und erneut mit Verfügung vom 01.03.2024 (Bl. 85 ff. d. BerA) Hinweise nach § 139 ZPO gegeben. Nach Bekanntwerden des wegweisenden BGH-Urteils vom 22.03.2024 (NJW 2024, 1803) hat der Senat seine Hinweise angepasst (s. Vfg. vom 13.05.2024, Bl. 91 ff. d. BerA) und sodann in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 06.06.2024 vertieft (Bl. 102 ff. d. BerA).
22
Die Beklagte hat unter anderem mit einem geheimhaltungsbedürftigen Schriftsatz vom 17.04.2024 zur materiellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen im Hinblick auf die Vergabe der Limitierungsmittel vorgetragen und in diesem Zusammenhang – auf einem USB-Stick – umfangreiche geheimhaltungsbedürftige Unterlagen vorgelegt.
23
Im Termin vom 06.06.2024 wurde nach Anordnung gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG verhandelt, wobei eine Aktuarin der Beklagten (…) Fragen zu den übergebenen Unterlagen beantwortete. Die geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen wurden dem im Termin verpflichteten Prozessbevollmächtigten des Klägers im Nachgang übermittelt, dies verbunden mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine schriftsätzliche Auseinandersetzung mit den geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen ging bei Gericht nicht ein. Allerdings hatte die Klagepartei – auf der Grundlage nicht geheimhaltungsbedürftiger Informationen – bereits vor der mündlichen Berufungsverhandlung mit Schriftsatz vom 31.05.2024 einen besonders schwerwiegenden Fehler der Limitierungsmittelvergabe behauptet, der in der Vornahme befristeter Limitierungen liege. Dieser Fehler habe sich zum Nachteil des Klägers ausgewirkt.
B.
24
Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 519, 520 ZPO), sie erweist sich auch im Übrigen als zulässig. Das gilt in besonderem Maße für die Erweiterung der Klage um weitere, nach Anhängigkeit der Klage aufgelaufene (Rück-) Zahlungsbeträge, §§ 525, 264 Nr. 2 ZPO.
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Die zulässige Berufung erweist sich zu einem – geringen – Teil als begründet. Überwiegend erweist sie sich gemäß § 513 Abs. 1 ZPO als unbegründet, weil sich das Urteil des Landgerichts im Ergebnis als richtig erweist.
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I. Für eine Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassung zum 01.01.2012 im – längst beendeten – Tarif 2 besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, § 256 Abs. 1 ZPO. Wegen eingetretener Verjährung (s.u., III. 4.) fehlt es auch an einer Vorgreiflichkeit, § 256 Abs. 2 ZPO.
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II. Die Berufung des Klägers ist im tenorierten Umfang begründet.
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Der Erfolg der Berufung in den verschiedenen Anträgen hängt maßgeblich von der Frage ab, ob die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen im Tarif 1 wirksam waren. Diese Frage wird damit gleichsam „vor die Klammer gezogen“.
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1. Die Beitragsanpassungen im Tarif 1 zum 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 waren formell unwirksam, die Frage einer materiellen Wirksamkeit kann deshalb dahinstehen, zumal eine Heilung der formellen Fehler nicht behauptet wird:
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1.1. Bei der Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG wird nach § 203 Abs. 5 VVG erst durch die „Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe“ die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt.
Eine ‚Mitteilung der maßgeblichen Gründe‘ für die Neufestsetzung der Prämie muss dabei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. z.B. BGH NJW-RR 2022, 34 Rn. 22) eine Angabe der Rechnungsgrundlage i.S.v. § 203 Abs. 2 S. 3 VVG (Versicherungsleistungen und/oder Sterbewahrscheinlichkeit), deren nicht nur vorübergehende Veränderung die konkrete Beitragsanpassung veranlasst hat, enthalten.
Darüber hinaus müssen die Mitteilungsunterlagen erkennen lassen, dass eine Überschreitung des in Gesetz oder Vertrag festgelegten Schwellenwertes die Beitragsanpassung veranlasst hat (eindeutig nunmehr BGH BeckRS 2023, 32813 Rn. 11 f.). Zweck der Mitteilung ist es nämlich, „dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten […] noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat“ (BGH NJW 2021, 378 Rn. 35).
Die Mitteilungspflicht hat hingegen nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Beitragsanpassung zu ermöglichen, weshalb zum Beispiel nicht mitgeteilt werden muss, in welcher Höhe sich beitragsrelevante Faktoren verändert haben (BGH NJW 2021, 378).
Die Mitteilung ist nicht formgebunden und kann auch mittels ‚Informationsschriften‘ des Versicherers erfolgen (Boetius, in: MüKoVVG, § 203, Rn. 1151 ff. unter Hinweis auf BGH NJW 1992, 2356; vgl. i.E. auch BGH NJW-RR 2022, 606), so dass sich die Informationen nicht in dem eigentlichen Anschreiben an den Kunden finden müssen, sondern sich auch – in verständlicher Form – aus mitübersandten Unterlagen ergeben können.
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1.2. Den Mitteilungsunterlagen zu den Beitragsanpassungen zum 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 (B 2, Teil 1-6) kann ein vernünftiger und verständiger Versicherungsnehmer zwar entnehmen, dass jeweils die Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ angesprungen ist.
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Das „Schwellenwert-Konzept“ lässt sich den Unterlagen hingegen nicht mit der notwendigen Deutlichkeit entnehmen: Zwar beschreiben die mitübersandten Informationsschreiben (B 2, Teil 2, 4, 6) recht detailliert, dass die Prämien jährlich überprüft werden. Erwähnt wird auch, dass die Beklagte über Beitragsanpassungen nicht allein entscheiden kann, weil ein Treuhänder die Kalkulation überprüft. Die Beklagte erläutert aber nicht, dass eine Anpassung der Prämien nur erfolgen darf, zugleich aber erfolgen muss, wenn die Neukalkulation der Rechnungsgrundlagen „Versicherungsleistungen“ und „Sterbewahrscheinlichkeit“ eine Veränderung oberhalb eines gesetzlich oder vertraglich festgelegten Schwellenwertes ergibt.
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2. Die Beitragsanpassungen im Tarif 1 zum 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022 waren hingegen formell und materiell wirksam.
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2.1. Die Mitteilungsunterlagen zu den genannten Beitragsanpassungen (B 2, Teil 7-9, B 14) entsprechen den oben skizzierten formellen Anforderungen. Dem beiliegenden Blatt mit „Informationen zu Ihrer Beitragsanpassung“ lassen sich insbesondere unter der Überschrift „Details zu den Auslösenden Faktoren“ alle relevanten Punkte und insbesondere das „Schwellenwert-Konzept“ entnehmen.
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Dass die Beklagte ihren Versicherungsnehmern – in den Nachträgen zum Versicherungsschein – lediglich die neue Gesamtprämie und die Beitragsänderung in den angepassten Tarifen mitteilt, schadet jedenfalls im vorliegenden Einzelfall nicht, weil der Kläger nur in einem einzigen Tarif versichert ist und sich die von der Klagepartei vermissten Informationen leicht erschließen kann.
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2.2. Die Beitragsanpassungen waren auch materiell rechtmäßig:
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2.2.1. Der Senat geht – nach Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 20.03.2024 (BGH BeckRS 2024, 7981) – von folgenden grundsätzlichen Überlegungen aus:
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Lt. BVerfG und BGH unterliegt die Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung trotz Zustimmung des Treuhänders der umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch die Zivilgerichte (vgl. BVerfG, NVersZ 2000, 132; BGH NJW 2004, 2679; BGH BeckRS 2024, 7981 Rn. 29).
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Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist dabei im Falle eines umfassenden wirksamen Bestreitens der materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung, ob diese nach aktuariellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist, dies in Bezug auf das Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen, die Ermittlung des Anpassungsfaktors und die Limitierungsmaßnahmen (BGH NJW 2004, 2679). Wird – wie vorliegend – nur die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmittelvergabe bestritten, gilt:
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Bei der Frage, ob und in welcher Höhe die Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zur Limitierung zu verwenden sind, handelt es sich im Kern um eine unternehmerische Entscheidung, die – mit Ausnahme der nach § 12 a III VAG aF vorgeschriebenen Verwendung, die alleine älteren Versicherten zugutekommt – gerade nicht durch inhaltliche gesetzliche Vorgaben determiniert werden sollte (BGH NJW 2019, 919 unter Hinweis auf das Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter, BT-Drs. 13/4945, 40). Nur die Grenzen der dem Versicherer zustehenden Beurteilungsspielräume sind gerichtlich überprüfbar, eine Motiv- bzw. Begründungskontrolle findet nicht statt (BGH BeckRS 2024, 7981 Rn. 41): Weil der Treuhänder seine Zustimmung nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten versagen kann, begründen nur solche Verstöße einen materiellen Verstoß gegen den sich aus § 155 Abs. 2 VAG ergebenden Prüfungsmaßstab, durch die schutzwürdige Interessen der Versichertengemeinschaft unangemessen und in offensichtlicher Art und Weise verletzt werden (BGH a.a.O., Rn. 39 f.). Nach den Gesetzesmaterialien soll insoweit ein „objektiv generalisierender Maßstab“ Anwendung finden (BT-Drs. 14/1245, S. 122).
41
Wird ein Versicherungsnehmer durch einen solchen besonders schwerwiegenden Fehler individuell beeinträchtigt, soll nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.03.2024 ein individueller Anspruch auf „weitergehende Limitierung“ bestehen (BGH BeckRS 2024, 7981 Rn. 45, 59). Dogmatisch handelt es sich dabei um den – noch nicht erfüllten – vertraglichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Vergabe von Limitierungsmitteln.
42
Der Bundesgerichtshof sieht es dabei – soweit verständlich – nicht als erforderlich an, dass vor Erhebung einer (Rück-) Zahlungsklage eine Nachlimitierung durch den Versicherer – ggf. klageweise – erzwungen wird. Er schließt sich einer Meinung an, der zufolge die Fehlerhaftigkeit der Limitierungsentscheidung zu einer Neu-Anpassung der geschuldeten Prämie führt (BGH a.a.O., Rn. 44 f.; 60) und postuliert in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Verrechnung mit dem Prämienanspruch in der neuen Höhe. Die Instanzgerichte müssten klären (BGH a.a.O., Rn. 61), ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer individuelle Nachteile in Bezug auf die Dotierung seiner Tarife mit Limitierungsmitteln erlitten habe.
43
Der Bundesgerichtshof teilt nicht explizit mit, auf welche Anspruchsgrundlage der Versicherungsnehmer seine (Rück-) Zahlungsklage stützen kann. Es spricht aber einiges dafür, dass er – obwohl sich das mit dem zugleich angenommen ‚Anspruch auf Nachlimitierung‘ kaum in Einklang bringen lässt – von einem Bereicherungsanspruch ausgeht. Soweit verständlich, stellt sich der Bundesgerichtshof – rechtsfolgenseits – einen Gleichlauf von Verstößen gegen § 155 Abs. 1 VAG (Berechnung der neuen Prämie) und § 155 Abs. 2 (Zuweisung von Limitierungsmitteln) vor: In beiden Fällen soll die Beitragsanpassung nicht insgesamt unwirksam sein (für § 155 Abs. 2 VAG nun ausdrücklich BGH BeckRS 2024, 7981 Rn. 42). Geschuldet werde aber nur eine Prämie, die § 155 Abs. 1 und Abs. 2 VAG entspreche, es komme hier zu einer „Verrechnung“ (BGH a.a.O., Rn. 45) der gegenläufigen Ansprüche.
44
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, „dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist“, soll – obwohl die Erfüllung des Anspruches auf Limitierung im Streit steht – beim Versicherungsnehmer liegen, den Versicherer trifft aber eine sekundäre Darlegungslast (BGH BeckRS 2024, 7981 Rn. 67 ff., 72). Der Senat schließt sich insoweit der umfangreich begründeten Auffassung des Bundesgerichtshofes an.
45
Besonders hervorgehoben hat der Bundesgerichtshof dabei in enger Anlehnung an § 155 Abs. 2 VAG, dass der Vortrag der Beklagten im Ergebnis zur Beurteilung folgender Punkte geeignet sein muss:
- Hat die Beklagte die aus den Prämien aller Versicherungsnehmer erwirtschafteten Überschüsse einseitig für die Versicherten verwendet, die aufgrund der fehlenden Zuschlagszahlung nach § 149 VAG stärker von Prämienanpassungen betroffen sind (BGH a.a.O., Rn. 35)?
- Wurde den Belangen der älteren Versicherten – mit Blick darauf, dass bei diesen in der Regel höher ausfallende Beitragssteigerungen zu erwarten sind – besonderes Gewicht beigemessen (BGH a.a.O., Rn. 36)?
- Wurden die Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattungen einseitig für bestimmte Personenkreise oder Tarife verwendet, insbesondere wie stellt sich das Verhältnis des vom Kläger unterhaltenen Tarifes zu den übrigen von der Limitierungsentscheidung betroffenen Krankenversicherungstarifen dar (BGH a.a.O., Rn. 37)?
- Wurde dem Ziel der Beitragsverstetigung Genüge getan, indem ein ausreichender Anteil der Rückstellung für Beitragsrückerstattung für Beitragslimitierungen und nicht für andere Verwendungszwecke (Barausschüttungen, z.B. bei Leistungsfreiheit, zeitlich beschränkte Limitierungen, Leistungserhöhungen u.s.w.) verwendet wurde (BGH a.a.O., Rn. 52 ff.)?
46
Ist der Versicherer seiner sekundären Darlegungslast gerecht geworden, so obliegt es dem Versicherungsnehmer, diejenigen Tatsachen konkret zu benennen, auf welche die streitgegenständlichen Ansprüche gestützt werden. Diese Konkretisierung der Angriffsrichtung der Klage ist aus Sicht des Senats Teil der Darlegungs- und Beweislast des Versicherungsnehmers. Es obliegt damit also dem Versicherungsnehmer zu präzisieren, welche konkret zu benennenden Tatsachen seiner Auffassung nach schwerwiegende Verstöße gegen die Vorgaben des § 155 Abs. 2 VAG stützen und er muss ebenso – so gut es ihm möglich ist – darlegen, weshalb er meint, individuell beeinträchtigt zu sein. Auch insofern muss er also konkrete Tatsachen benennen, auf die er die Behauptung stützt, bei Ausbleiben des schwerwiegenden Limitierungsfehlers hätte sich für ihn eine stärkere Limitierung seiner Beiträge ergeben.
47
Der gerichtlichen Prüfung können dabei auch solche Unterlagen zugrunde gelegt werden, die dem Treuhänder nicht zur Verfügung standen (a.A. KG BeckRS 2022, 11629 Rn. 40, 79 f. unter Hinweis auf BGH NJW 2019, 919 Rn. 54). Der Entscheidung über die Vergabe von Limitierungsmitteln liegt schließlich keine versicherungsmathematische Berechnung zugrunde, sondern die Ausübung unternehmerischen Ermessens. Aus gutem Grund sieht das Gesetz nur dort eine Verpflichtung des Versicherers zur Vorlage von Berechnungsunterlagen, Herleitungen und Nachweisen vor („sind […] vorzulegen“), wo eine Berechnung nachvollzogen werden muss (s. § 155 Abs. 1 S. 3, 4 VAG). Ob der Versicherer bei der Vergabe von Limitierungsmitteln sein unternehmerisches Ermessen nach den Vorgaben des Gesetzes ausgeübt hat, lässt sich nicht ohne weiteres ausrechnen. Es gibt damit auch keinen festen Kanon von Unterlagen, die dem Treuhänder vorzulegen sind. Dieser wird vielmehr – ausgehend von den übersandten Unterlagen – prüfen und ggf. Informationen nachfordern (Franz/Püttgen, VersR 2022, S. 19). Nachdem das Gericht nicht die Wirksamkeit der Zustimmung des Treuhänders prüft, sondern die Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung, kann es Unterlagen auswerten, die dem Treuhänder nicht vorlagen. Anders formuliert: Die materielle Rechtmäßigkeit einer Beitragsanpassung kann nicht davon abhängen, wie gewissenhaft der Treuhänder gearbeitet hat und welche Unterlagen er eingefordert hat.
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2.2.2. Im vorliegenden Fall hat der Kläger einen schwerwiegenden Fehler nicht schlüssig dargelegt und erst recht nicht die hieraus folgende individuelle Benachteiligung (dazu sogleich, 2.2.2.3, 2.2.2.4). Ein schwerwiegender Fehler der Limitierungsvergabe lag auch nicht offen zutage (2.2.2.5). Im Einzelnen:
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2.2.2.1. Die Klagepartei hat nicht bestritten, dass Anlass für eine Beitragsanpassung bestand und dass die Prämien korrekt berechnet wurden (~ Anpassungsfaktor). Im Streit steht lediglich der dritte Schritt der Beitragsanpassung, die Limitierung der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen durch die Beklagte.
50
2.2.2.2. Deren Rechtmäßigkeit wurde zur Überzeugung des Senats – entgegen der Annahme des Landgerichts – spätestens mit dem Schriftsatz vom 21.02.2023 wirksam bestritten. Nach Bekanntwerden der BGH-Entscheidung vom 22.03.2024 hat der Senat seine Rechtsauffassung zur Darlegungs- und Beweislast geändert und den Kläger darauf hingewiesen, der sodann mit Schriftsatz vom 31.05.2024 behauptete, er sei durch den schwerwiegenden Fehler einer befristeten Limitierung nachteilig betroffen (s. Bl. 96 d. BerA).
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2.2.2.3. Dem Einwand der Klagepartei, durch die Verwendung des Instruments der ‚befristeten Beitragslimitierungen“ seien die Belange der Versicherten nicht ausreichend gewahrt, woraus ein schwerwiegender Verstoß gegen § 155 Abs. 2 VAG folge, vermag der Senat aber nicht zu folgen.
52
Die im Grundsatz freie unternehmerische Entscheidung über die Verwendung der Mittel aus der Rückstellung für erfolgsabhängige Beitragsrückerstattung (RfeaB) muss sich seit den 90er Jahren an den Vorgaben des § 155 Abs. 2 VAG (= § 12b VAG a.F.) orientieren; sie wurde – mit Blick auf die Vielzahl der Geschäftspolitiken und der Versicherungsprodukte – aber bewusst nicht näher inhaltlich determiniert (BT-Drs. 13/4945, S. 40; BGH NJW 2019, 919 Rz. 52). Dass befristete Limitierungen von vornherein unzulässig sein sollten, lässt sich weder dem Gesetz („Verwendung der Mittel zur Begrenzung von Prämienerhöhungen“) noch den Gesetzesmaterialien entnehmen. Entscheidend ist damit allein, ob durch befristete Limitierungen die „Belange der Versicherten“ ausreichend gewahrt werden (s. § 155 Abs. 2 VAG), dies mit Blick auf das mit dem Gesetz verfolgte „überragende Ziel einer Prämienverstetigung“ (BT-Drs. 14/1245, S. 121 f.). Für den Senat steht außer Frage, dass (jedenfalls) solche befristeten Limitierungen die Belange der Versicherten wahren, durch die Belastungsspitzen in Form besonders deutlicher Beitragserhöhungen aufgefangen und abgemildert werden. Von einem Versicherungsnehmer wird verlangt, mit sehr kurzem Vorlauf die Mittel zur Zahlung höherer Versicherungsprämien aufzubringen. Die durch befristete Limitierungen erfolgende „Finanzierung auf Zeit“ (Langheid/Wandt/Boetius, 3. Aufl. 2024, VVG § 203 Rn. 425) verschafft ihm wertvolle Zeit, um die eigenen finanziellen Verhältnisse (z.B. durch Einsparungen an anderer Stelle) anzupassen. Dass der nicht unerhebliche, wenn auch (zunächst) auf 12 Monate beschränkte und damit kurzfristige finanzielle Vorteil durch eine langfristig geringfügig höhere Prämie erkauft wird und dass dies dem Ziel einer Prämienverstetigung entgegensteht, führt nur dazu, dass von dem Instrument der befristeten Limitierung zurückhaltend Gebrauch zu machen ist. Im Ergebnis sieht der Senat im vorliegenden Fall, in dem der Anteil der für die befristete Limitierung aufgewendeten Mittel unstreitig im einstelligen Prozentbereich liegt, keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen § 155 Abs. 2 VAG und erst recht keine Hinweise auf einen besonders schwerwiegenden, den Kläger individuell benachteiligenden Verstoß.
53
2.2.2.4. Es kommt hinzu, dass der Kläger auch nach Vorlage umfangreicher Unterlagen seitens der Beklagten nicht schlüssig dargelegt hat, durch den behaupteten schwerwiegenden Limitierungsfehler benachteiligt worden zu sein.
54
2.2.2.5. Unabhängig davon, auf welche(n) schweren Fehler der darlegungs- und beweisbelastete Kläger seinen Anspruch stützt, müsste das Gericht offen zu Tage liegende schwere Fehler berücksichtigen. Solche sind aber vorliegend in Bezug auf die Beitragsanpassungen zum 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022 nicht ersichtlich, insbesondere nicht in den vom Bundesgerichtshof in den Mittelpunkt gerückten Punkten:
- Die Beklagte hat Versichertenbestände mit/ohne Prämienzuschlag identischen Limitierungsregeln unterworfen und die Anrechnung des Zuschlags erst nach durchgeführter Limitierung vorgenommen.
- Den Belangen der älteren Versicherten wurde dadurch besonderes Gewicht beigemessen, dass sich der – für ältere Versicherte mit hohen Beiträgen besonders relevante – absolute Kappungssatz am bisherigen Tarifbeitrag eines …-Jährigen orientiert.
- Aus den vorgelegten Tabellenwerken (vgl. die Hinweise in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 06.06.2024) ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattungen einseitig für bestimmte Personenkreise oder Tarife verwendet wurden.
- Der Anteil der RfB-Mittel für Barausschüttungen lag in den Jahren 2020 – 2022 unstreitig bei unter … %, für befristete Limitierungen bei maximal ... % im Jahr 2020. Dem Ziel einer Prämienverstetigung wurde damit Genüge getan. Anhaltspunkte dafür, dass der Rückstellung zu hohe oder zu niedrige Beträge entnommen wurden, sind nicht ersichtlich.
55
III. Aus der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen zum 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 und der Wirksamkeit der Beitragsanpassungen zum 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022 ergibt sich:
56
1. Hinsichtlich des Klageantrages zu 1) ist die Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen zum 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 festzustellen, nicht hingegen diejenige der Beitragsanpassungen zum 01.01.2020, 01.01.2021 und 01.01.2022.
57
Ab der wirksamen Beitragsanpassung zum 1.1.2020 bestand ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung der Prämie in der durch diese letzte Anpassung festgesetzten neuen Gesamthöhe (sog. Überholungswirkung, BGH NJW 2021, 378 Rn. 55). Nur bis zu diesem Datum war die Klagepartei nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet.
58
2. Bezogen auf den Klageantrag zu 2) besteht ein Anspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Prämienbestandteile in Höhe von 1.393,80 €.
59
2.1. Die durch die Beitragsanpassungen zum 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 vermittelten Erhöhungsbeträge bezahlte der Kläger bis zum 31.12.2019 rechtsgrundlos.
60
2.2. Mit Blick auf die Klageerhebung im Jahr 2022 und die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede (Bl. 61 d.A.) sind aber nur solche Bereicherungsansprüche nicht verjährt, die Beitragszahlungen ab dem 01.01.2019 betreffen (vgl. BGH NJOZ 2022, 1204). Denn der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist begann mit dem Schluss des Jahres, in dem der Kläger die jeweilige Prämie in Kenntnis der Beitragsanpassung zahlte (§ 199 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 BGB). Der Kläger hat die Mitteilungen über die Beitragsanpassungen unstreitig erhalten. War er mit ihnen nicht einverstanden, so konnte er ihre materielle Berechtigung sofort umfassend gerichtlich überprüfen lassen und brauchte dazu nur die ihm mitgeteilte Beitragsanpassung zu kennen (BGH NJOZ 2022, 1167). Fand er die Mitteilungsunterlagen ungeeignet, ihm die maßgeblichen Gründe aufzuzeigen, so konnte er jeweils sofort die formelle Wirksamkeit angreifen. Von den Urteilen des BGH hing das nicht ab, insbesondere existierte vorher keine etablierte Rechtsprechung, die es dem Kläger „unzumutbar“ gemacht hätte, ggf. Klage zu erheben.
61
2.3. Damit ergibt sich die folgende Berechnung:

Datum

Tarif

Änd.

Zeitraum

Monate

Betrag

01.01.2015

1

60,20 €

1.1.19-1.12.19

12

722,4

01.01.2016

1

11,85 €

1.1.19-1.12.19

12

142,2

01.01.2017

1

44,10 €

1.1.19-1.12.19

12

529,2

01.01.2020

1

70,02 €

0

0

01.01.2021

1

36,96 €

0

0

01.01.2022

1

64,38 €

0

0

Gesamt

1393,8

62
2.4. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
63
3. Die mit dem Klageantrag zu 4) beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen samt Zinsen war nicht auszusprechen.
64
Der Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen samt Zinsen stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO dar.
65
Es besteht aber kein Feststellungsinteresse: Die Klagepartei räumt ein, dass sie aufgrund der Geschäftsberichte eine Konkretisierung vornehmen könnte. Sie hätte in der Tat zumindest versuchen müssen, die Höhe der von der Beklagten gezogenen Nutzungen durch Auswertung von Geschäftsberichten aus ihrer Ertragslage abzuleiten (BGH NJW 2016, 1388). Dass die Klagepartei zu einer genaueren Darstellung (und ggf. Berechnung) auf der Grundlage einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Geschäftsberichten der Beklagten nicht bereit ist, begründet kein Feststellungsinteresse (BGH a.a.O.). Die zitierte Entscheidung des OLG Celle betrifft einen Fall, in dem noch nicht alle relevanten Geschäftsberichte vorlagen.
66
IV. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 97, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
67
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
68
Eine Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof ist nach dem Maßstab des § 543 Abs. 2 ZPO nicht veranlasst, weil der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weil der Senat nicht von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte abweicht. Die entschiedenen Rechtsfragen beruhen auf einer Beurteilung des Einzelfalles. Dass die Mitteilung einer Beitragsanpassung einen Hinweis auf die Überschreitung des Schwellenwertes enthalten muss, hat der Bundesgerichtshof mittlerweile klargestellt (s.o.).