Titel:
Kein Differenzschaden aufgrund unterlassener Mitteilung der gefahrenen Kilometer und des Verkaufserlöses
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Beim Differenzschadensersatz sind ebenso wie beim kleinen Schadensersatz nach § 826 BGB die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges bzw. der beim Verkauf erzielte Erlös dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da der Zeitpunkt des Verkaufs, der mit dem Verkauf erzielte Erlös und die bis zum Weiterverkauf gefahrenen Kilometer außerhalb des Wahrnehmungsbereichs des beklagten Fahrzeugherstellers liegen, dem (ursprünglichen) Fahrzeugkäufer hingegen ohne weiteres bekannt sind, trifft ihn insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Kommt er dieser Darlegungslast nicht nach, kann die Differenz aus Schadensbetrag und Vorteilsanrechnung auch nicht – auch im Sinne eines Mindestwertes nicht – durch das Gericht geschätzt werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorteilsanrechnung, Thermofenster, unzulässige Abschalteinrichtung, Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 23.02.2022 – 33 O 2998/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18496
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 23.02.2022, Az. 33 O 2998/20 Die, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz – zuletzt nurmehr in der Form des Differenzschadens – wegen des behaupteten Einbaus illegaler Abschalteinrichtungen in ein Kraftfahrzeug.
2
Die Klägerin erwarb am 17.02.2016 bei den gebrauchten PKW Audi A6, 3.0 TDI Fin: mit einer Laufleistung im Kaufzeitpunkt von 141.272 km zum Preis von 22.500 € brutto. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und zugleich Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Motors. Sie ist Inhaberin der für Fahrzeuge dieses Bautyps erteilten Typengenehmigung und hat für das Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 5 entsprechen.
3
Für das Fahrzeug besteht kein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Klägerin hat das Fahrzeug weiterveräußert. Zeitpunkt des Weiterverkaufs, Veräußerungserlös und Laufleistung des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Verkaufs durch die Klägerin hat die Klägerin nicht mitgeteilt.
4
Die Klägerin behauptete, die Motorsteuerung des Fahrzeugs enthalte eine Software, die die Abgasrückführung bei kühleren Außentemperaturen fast ganz zurückfahre. Das Fahrzeug enthalte außerdem eine Lenkwinkelerkennung, im Testbetrieb sei die Abgasrückführung erhöht. Das Fahrzeug weise im Klagezeitpunkt eine Laufleistung von 190.000 km auf, ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km seien Nutzungsvorteile in Höhe von 5.252,67 € anzusetzen.
5
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 17.247,33 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 Avant, Fahrgestellnummer
2) festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) genannten Pkws in Annahmeverzug befindet,
3.) der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
6
Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagt erwiderte, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Der in dem Fahrzeug verwendete Motor entspreche der Baureihe EA 896 Gen.2. Diesen Motor habe das KBA mehrfach und auch außerhalb der Parameter des NEFZ untersucht und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt (Anlage B3, B5 und B6).
8
Mit Endurteil vom 23.02.2022 wies das Landgericht Ingolstadt die Klage ab. Zur Begründung führte das Landgericht aus, die Klägerin habe die tatsächlichen Voraussetzungen eines zwischen den Parteien allein denkbaren deliktischen Anspruchs nicht schlüssig vorgetragen. Ob das Fahrzeug tatsächlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen [wurde], könne dahin stehen, da auf der Grundlage des Sachvortrags der Klägerin nicht von einer sittenwidrigen Schädigung ausgegangen werden könne. Zu dem Thermofenster führt das Landgericht aus, die Beklagte habe dem KBA als Typengenehmigungsbehörde die Abhängigkeit der Abgasrückführungsrate (auch) von der Außentemperatur offengelegt. Die Typengenehmigung entfalte daher eine Tatbestandswirkung, weswegen in den zivilgerichtlichen Verfahren keine Prüfung der Zulässigkeit der Abgasreinigungsstrategie „Thermofenster“ erfolgen könne.
9
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
10
Mit ihrer am 24.03.2022 eingelegten und durch Schriftsatz vom 124.05.2022 begründeten Berufung verfolgte die Klägerin zunächst ihr Klagebegehren aus erster Instanz unverändert weiter. Zuletzt beanspruchte die Klägerin jedoch unter Zurücknahme der Berufung im Übrigen nurmehr einen auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gestützten Differenzsschadensersatzanspruch in Höhe von 15% des von der Klägerin gezahlten Kaufpreises (s. Schriftsatz mit Datum vom 14.02.2024, Bl. 156 d.A., bei Gericht eingegangen am 05.03.2024).
11
Die Klägerin beantragt,
1) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.375,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.
13
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Soweit das Fahrzeug ein unzulässiges Thermofenster gehabt habe, sei ein Schaden jedenfalls durch das von ihr angebotene Softwareupdate entfallen. Nach Durchführung des Softwareupdates liege der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung in einem repräsentativen Betriebspunkt zwischen -4° C und ca. 42° C. Innerhalb dieses Temperaturfensters finde zwischen ca. 3° C und ca. 37° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR Rate durch das Thermofenster statt (Bl. 244 d.A.). Sodann führt die Beklagte aus, da die Klägerin zu dem Weiterverkauf des Fahrzeugs keine Angaben gemacht, insbesondere den Kaufpreis, Kilometerstand und Zeitpunkt des Weiterverkaufs nicht mitgeteilt habe, sei die Klage bereits unter Berücksichtigung der gebotenen Vorteilsanrechnung unschlüssig und die Berufung abweisungsreif (Bl. 254 f. d.A.).
14
Der Senat hat am 15.05.2024 mündlich verhandelt. Er hatte in der Ladungsverfügung vom 04.01.2024 die Klägerin aufgefordert, in der mündlichen Verhandlung den dann aktuellen Kilometerstand des Fahrzeugs mitzuteilen oder für den Fall eines zwischenzeitlichen Verkaufs des Fahrzeugs den Kaufvertrag vorzulegen und das Datum des Verkaufs und den Kilometerstand im Zeitpunkt des Verkaufs mitzuteilen. Auf die Ladungsverfügung vom 04.01.2024, Bl. 152/155 d.A., das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2024, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
15
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
16
1. Das Landgericht hat Ansprüche der Klägerin auf den großen Schadensersatz und damit Rückabwicklung des Kaufvertrags zutreffend verneint, denn die Klägerin hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs nach § 826 BGB oder eines Anspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB nicht substantiiert vorgetragen. Dies wird von der Klägerin zuletzt auch nicht mehr angegriffen.
17
2. Die Klägerin hat im Ergebnis auch keinen Anspruch auf Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
18
a. Zwar hat der Bundesgerichtshof (Urteile vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann.
19
b. Auch ist davon auszugehen, dass das in dem streitgegenständliche Fahrzeug ursprünglich verbaute Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG darstellt.
20
aa. Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnr. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 VIa ZR 335/21, Rdnr. 50). Das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendete Thermofenster reduziert die Wirksamkeit des Abgasreinigungssystems bereits bei Temperaturen, die im Unionsgebiet zu erwarten sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin in erster Instanz gar keinen Temperaturbereich angegeben, sondern lediglich eine Abrampung bei „kühleren Temperaturen“ behauptet hatte, denn die Beklagte hat in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 10.4.2024, dort S. 3 (= Bl. 170 d.A.) angegeben, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug bereits bei Temperaturen über 12° C eine Reduktion der Abgasrückführung einsetzt. Als unstreitiges und damit auch im Lichte von § 531 ZPO zuzulassendes Vorbringen ist daher von einer Abrampung oberhalb von 12° C auszugehen.
21
bb. Das hier streitgegenständlichen Thermofenster ist auch eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
22
Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnr. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
23
Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 63 ff., 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Beklagtenvortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen oberhalb von 12° C. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter 12° C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
24
c. Ein möglicher Differenzschaden der Klägerin entfällt jedoch durch Vorteilsanrechnung, denn die Beklagte hat die Anrechnung von Nutzungsvorteilen dem Grunde nach vorgetragen, die Klägerin ist der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast zu den Parametern einer Vorteilsanrechnung nicht nachgekommen und dem Gericht ist auch unter Berücksichtigung von § 287 ZPO eine Schätzung der anzurechnenden Vorteile im Rahmen der Schadensschätzung in der hier vorliegenden Konstellation nicht möglich. Ob dem Ersatzanspruch der Klägerin unabhängig von Nutzungsersatz und Restwert auch entgegen steht, dass die Klägerin das von der Beklagten zur Verfügung gestellten Softwareupdate nicht hat aufspielen lassen, kann deshalb dahinstehen. Im Einzelnen:
25
aa. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
26
Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (ebenso wie beim kleinen Schadensersatz nach § 826 BGB) sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges bzw. der beim Verkauf erzielte Erlös nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22).
27
Demnach ist nach der vom BGH vorgegebenen Rechnung zunächst die Summe von Restwert und Nutzungsvorteilen zu bilden. Übersteigt diese Summe den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss, der nach der Formel Kaufpreis abzüglich Differenzschaden zu ermitteln ist, so erfolgt eine Anrechnung des überschießenden Betrages auf den Differenzschaden. Erreicht der überschießende Betrag die Höhe des Differenzschadens, besteht kein auszugleichender Schaden mehr (vgl. Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 80; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnr 128).
28
bb. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des oben dargelegten Vorteilsausgleichs liegt bei dem Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2014 – ZR 215/13, juris Rn. 29). Vorliegend spricht jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Klägerin auch in der Zeitspanne zwischen Klageeinreichung am 08.09.2020 und dem Verkauf des Fahrzeugs weitere Kilometer mit dem Fahrzeug gefahren ist und dadurch weitere Nutzungen gezogen hat (s. OLG Frankfurt, Urteil vom 09.02.2021 – 6 U 254/19, Beck-Rs. 2021, 2725, Rn. 20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.08.2023 – 8 U 2361/21 BeckRS 2023, 22902, Rn. 3). Ebenso spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Klägerin mit dem Weiterverkauf des Fahrzeugs einen Verkaufserlös erzielen konnte. Die Beklagte hat sich auf die Anrechnung von Nutzungen und Restwert berufen (Schriftsatz vom 10.04.2024, dort S. 87 f. = Bl. 254 f. d.A.)
29
Da der Zeitpunkt des Verkaufs, der mit dem Verkauf von der Klägerin erzielte Erlös und die bis zum Weiterverkauf gefahrenen Kilometer außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Beklagten liegen, der Klägerin hingegen ohne weiteres bekannt sind, trifft die Klägerin insoweit eine sekundäre Darlegungslast (so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 09.02.2021 – 6 U 254/19 zur Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs). Dieser sekundären Darlegungslast ist die Klägerin trotz der Hinweise des Senats in der Ladungsverfügung vom 04.01.2024 nicht nachgekommen. Sie hat den ihr zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast obliegenden Vortrag nicht gehalten.
30
cc. Vorliegend kann die Differenz aus Schadensbetrag und Vorteilsanrechnung auch nicht – auch im Sinne eines Mindestwertes nicht – durch das Gericht geschätzt werden. Zwar ist der Schaden im Rahmen von § 287 ZPO grundsätzlich durch das Gericht zu schätzen. Auch kann in der Regel im Rahmen dieser Schätzung aus mitgeteilten Nutzungen (hier: gefahrene Kilometer bis zur Klageeinreichung) auf die aktuelle Nutzung und damit den Anrechnungsbetrag hochgerechnet werden. Dies setzt indes voraus, dass zumindest der relevante Zeitpunkt, hier also der Tag der Weiterveräußerung, bekannt ist. Auch diesen hat die Klägerin aber nicht angegeben. Hinzu kommt, dass vorliegend der mögliche Zeitraum, innerhalb dessen der Verkauf nach dem Vortrag der Klägerin stattgefunden hat, besonders groß ist. Er reicht vom Zeitpunkt der Klageeinreichung vom 08.09.2020 (zu dem das Fahrzeug nach dem Klagevortrag noch im Besitz der Klägerin war und eine Laufleistung von 190.000 km aufwies) bis zum Schriftsatz mit Datum vom 14.02.2024, bei Gericht eingegangen am 05.03.2024 (in dem die Klägerin ohne weitere Angaben mitteilt, sie habe das Fahrzeug veräußert). Dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, dass die Preisfindung auf dem Gebrauchtwagenmarkt innerhalb dieser Zeitspanne, bedingt durch die Coronapandemie, Schwankungen unterlag. Vorliegend kann daher auch der anzusetzende Verkaufserlös ohne die Mitteilung des Verkaufszeitpunkts nicht geschätzt werden.
31
Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nicht vorliegen.