Titel:
Gemeindliches Vorkaufsrecht – wirksame Bekanntmachung der Vorkaufssatzung
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114
BauGB § 10 Abs. 3 S. 2, S. 3, S. 4, S. 5, § 16 Abs. 2, § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4, § 28 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 214 Abs. 4
BayGO Art. 26 Abs. 2
BayVwVfG Art. 28, Art. 45
Leitsätze:
1. Vor dem Hintergrund der typischen Betroffenheit sensibler Daten der Kaufvertragsparteien oder Dritter wird es in der bayerischen Verwaltungsrechtsprechung als grundsätzlich vertretbar und daher im Rahmen des Beurteilungsspielraums einer Gemeinde angesehen, die Behandlung von Grundstücksvorkaufsrechten in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen an die Verkündung / Bekanntmachung gem. § 10 Abs. 3 BauGB iVm Art. 26 GO liegt vor, wenn die Satzungsbekanntmachung sich nicht gem. § 10 Abs. 3 BauGB darauf begrenzt, den Satzungsbeschluss bekannt zu machen, sondern wenn der Bekanntmachungstext dazu genutzt wird, eine Norm zu verkünden, die inhaltlich nicht vom Satzungsbeschluss gedeckt ist und inhaltlich so nicht beschlossen wurde. (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ausübung eines Vorkaufsrechts entspricht nicht dem Wohl der Allgemeinheit, wenn das Grundstück bereits entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird. (Rn. 90) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der allgemein geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Privatrechtssphäre gebietet, das gesetzliche Vorkaufsrecht ausdrücklich auf den Grundstücksteil zu beschränken, dessen Erwerb durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeindliches Vorkaufsrecht, Anfechtungsklage der Käuferin, besonderes Vorkaufsrecht auf der Grundlage einer Vorkaufssatzung, wirksame Bekanntmachung der Vorkaufssatzung (verneint), rückwirkende Heilung von Satzungsmängeln (verneint), Rechtfertigung der Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit (zum Teil verneint), Ermessensausübung des Gemeinderats, unzulässige Bestimmung eines Teilkaufpreises, Öffentlichkeitsgrundsatz, Ausübungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18401
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2023 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 15. Mai 2024 (Az. ...) wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... (nachfolgende Fl.Nrn.-Angaben beziehen sich auf dieselbe Gemarkung) durch die Beklagte.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nrn. ... und .... Mit bestandskräftigem Planfeststellungsbeschluss vom 17. August 2000 (Gz. ...), ergänzt am 30. September 2003, stellte die Regierung von ... auf Antrag der ... GmbH (im Folgenden: ...) – deren Gesellschafter mit denen der Klägerin identisch sind – den Plan zur Errichtung einer Monodeponie für Produktionsrückstände (Elektroofenschlacke) fest (im Folgenden: Deponie). Nach dem Planfeststellungsbeschluss darf auf den Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... (und angrenzenden Flächen) Elektroofenschlacke deponiert und zwischengelagert werden. Am 1. Oktober 2010 wurde eine Plangenehmigung erteilt. Mit ergänzendem Planfeststellungsbeschluss vom 22. Januar 2013 stellte die Regierung von ... den Plan der ... zur Ergänzung der Erschließung der Deponie um alternative Zufahrtmöglichkeiten auch aus nördlicher Richtung antragsgemäß fest. Die Deponie wurde bislang nicht realisiert.
3
Der Gemeinderat der Beklagten hat in seiner Sitzung am 19. Juni 2001 den Bebauungsplan „... West“ (im Folgenden: Bebauungsplan) als Satzung beschlossen. Der Bebauungsplan wurde am 6. Juli 2001 bekannt gemacht. Den Normenkontrollantrag der ... gegen diesen Bebauungsplan hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 4. Mai 2006 (Az. 26 N 03.1737) abgelehnt. Die 1. Änderung des Bebauungsplans wurde am 25. März 2002 bekannt gemacht, die 2. Änderung am 24. August 2009. Am 26. März 2012 machte die Beklagte die 3. Änderung des Bebauungsplans bekannt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die 3. Änderung des Bebauungsplans mit Urteil vom 20. Mai 2014 für unwirksam erklärt (Az. 15 N 12.1454). Die 4. Änderung des Bebauungsplans wurde am 30. Mai 2018 bekannt gemacht.
4
Auf den Inhalt der vorgenannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird Bezug genommen.
5
In seiner aktuell gültigen Fassung setzt der Bebauungsplan für das Grundstück Fl.Nr. ... überwiegend eine Fläche für Landwirtschaft fest. Zudem sind im westlichen Grundstücksteil Baugrenzen vorgesehen, die von einer privaten Grünfläche umgeben sind. Östlich der Baugrenze und der privaten Grünfläche ist lediglich eine Fläche für Landwirtschaft festgesetzt. Zwischen dieser bloßen Fläche für Landwirtschaft im mittleren Grundstücksteil und dem westlichen Grundstücksteil mit den Baugrenzen und den umgebenden privaten Grünflächen ist in der Planzeichnung die Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung eingezeichnet. Im östlichen Teil des Grundstücks ist eine Ausgleichsfläche festgesetzt.
6
Auf den Inhalt des Bebauungsplans wird Bezug genommen.
7
Am 14. Februar 2018 stellte die ... beim Landratsamt ... einen Antrag auf Enteignung des im Eigentum einer Eigentümergemeinschaft stehenden Grundstücks Fl.Nr. ... durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit sowie auf vorzeitige Besitzeinweisung in das Grundstück auf Basis des bestandskräftigen Planfeststellungsbescheids. Die erste mündliche Verhandlung im Enteignungsverfahren fand am 22. Oktober 2018 statt. Am 21. Januar und 12. Februar 2019 fanden im Rathaus der Beklagten Besprechungen statt, in denen auch über einen möglichen Tausch von Grundstücken gesprochen wurde. Hieran nahm der (vormalige) 1. Bürgermeister der Beklagten jeweils teil. Zu einer Einigung kam es nicht. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 wurde die Beklagte zu einer weiteren mündlichen Verhandlung im Enteignungsverfahren geladen. Am 2. Dezember 2019 fand eine weitere mündliche Verhandlung statt, an der auch der (vormalige) 1. Bürgermeister der Beklagten sowie deren Bevollmächtigter teilgenommen haben.
8
Auf den Inhalt der beigezogenen Akten im Enteignungsverfahren des Landratsamts ... wird ergänzend verwiesen.
9
Im öffentlichen Teil seiner Sitzung am 3. Dezember 2019, zu der mit Schreiben vom 26. November 2019 geladen worden ist, hat der Gemeinderat der Beklagten den Erlass einer Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht für das Gebiet des Bebauungsplans „...-West“ gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Baugesetzbuch (BauGB) (Vorkaufssatzung „...-West“) (im Folgenden: Vorkaufssatzung) beschlossen. Die Vorkaufssatzung sieht in § 1 vor, dass der Geltungsbereich der Satzung den im beigefügten Lageplan (Maßstab 1:2000; ausgefertigt am 4. Dezember 2019) rot umrandeten und schraffierten Bereich umfasst. Der Lageplan wurde zum Bestandteil der Satzung erklärt. Die Vorkaufssatzung und der Lageplan wurden am 4. Dezember 2019 durch den 1. Bürgermeister der Beklagten ausgefertigt und ausweislich des Bekanntmachungsvermerks am 18. Dezember 2019 niedergelegt. Hierauf wurde ausweislich des Bekanntmachungsvermerks durch Anschlag an allen Gemeindetafeln hingewiesen, wobei die Anschläge am 18. Dezember 2019 angeheftet und am 22. Januar 2020 wieder entfernt wurden. In dem Bekanntmachungsschreiben, das auf den 17. Dezember 2019 datiert, heißt es u.a., dass die Beklagte mit dieser Satzung ein besonderes Vorkaufsrecht für das Gebiet des Bebauungsplans „... West“ gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausübe.
10
Mit E-Mail vom 19. September 2020 unterbreitete der Bevollmächtigte der Eigentümergemeinschaft des Grundstücks Fl.Nr. ... der ... den Vorschlag, das (zu enteignende) Grundstück Fl.Nr. ... gegen eine Teilfläche aus dem Grundstück Fl.Nr. ... zu tauschen.
11
Mit notariellem Vertrag vom 21. November 2022 (UVZ-Nr. ...) veräußerte die Beigeladene die Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... an die Klägerin (§§ 1 und 2 des Kaufvertrags). Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 19,50 EUR pro m² festgelegt, mithin ein Gesamtbetrag von 1.007.389,50 EUR (§ 5 des Kaufvertrags). Nach § 9 des Kaufvertrags beauftragten und bevollmächtigten die Vertragsteile den Notar, (1.) alle zum Vollzug des Vertrags erforderlichen oder zweckdienlichen Erklärungen, insbesondere Zustimmungs- und Lastenfreistellungserklärungen sowie (2.) Zeugnisse über gesetzliche Vorkaufsrechte einzuholen und entgegenzunehmen. Dabei sollte der Notar auch ermächtigt sein, auf Anforderung den Kaufvertragsinhalt mitzuteilen.
12
Mit Schreiben vom 7. Februar 2023 übersandte das Notariat der Beklagten eine Ausfertigung der Kaufvertragsurkunde. Diese ist bei der Verwaltungsgemeinschaft ... nach dem Eingangsstempel am 13. Februar 2023 eingegangen.
13
Mit Schreiben vom 4. Mai 2023 bzw. 5. Mai 2023 wurden die Klägerin sowie ihre einzelnen Gesellschafter und die Beigeladene zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... angehört. Es wurde jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12. Mai 2023 gegeben.
14
Im nichtöffentlichen Teil seiner Sitzung am 9. Mai 2023 fasste der Gemeinderat der Beklagten den Beschluss, gegenüber der Beigeladenen das Vorkaufsrecht bezogen auf das Grundstück Fl.Nr. ... auszuüben (Nr. 1 des Beschlusses). Der verhältnismäßige Anteil des Kaufpreises wurde mit 648.570 EUR beziffert (Nr. 2 des Beschlusses). Die Verwaltung wurde gebeten, einen entsprechenden Vorkaufsrechtsausübungsbescheid zu erlassen unter dem Vorbehalt, dass sich aus der Anhörung der Betroffenen keine Gründe ergeben, welche die Ausübung des gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheinen lassen und, dass die Käuferin die Ausübung des Vorkaufsrechts im Sinne des § 27 BauGB nicht wirksam abwendet (Nr. 4 des Beschlusses).
15
Auf den weiteren Inhalt des Auszugs aus dem Sitzungsbuch der Gemeinde ... über die Sitzung vom 9. Mai 2023 wird ergänzend Bezug genommen.
16
Stellungnahmen der Klägerin, ihrer Gesellschafter, oder der Beigeladenen gingen nicht ein.
17
Mit Bescheid vom 15. Mai 2023 (Az. ...) übte die Beklagte in Ansehung des Grundstückskaufvertrags vom 21. November 2022 gegenüber der Beigeladenen das Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 1 Nr. 1, § 28 Abs. 2 BauGB ausschließlich bezogen auf das Grundstück Fl.Nr. ... aus (Ziff. I. des Bescheids). In Ziff. II. des Bescheids ist ausgeführt, dass sich der zu zahlende Kaufpreis nach § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 467 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestimmt (verhältnismäßiger Teil des Gesamtpreises) und 648.570 EUR beträgt.
18
In den Gründen des Bescheids wird unter II. u.a. ausgeführt, dass sich das Grundstück im Geltungsbereich der Vorkaufssatzung sowie des Bebauungsplans befinde. Die Vorkaufsrechtsausübung hinsichtlich des westlichen Grundstückteils werde auf § 25 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gestützt. Für den östlichen Teilbereich setze der Bebauungsplan eine Ausgleichsfläche i.S.d. § 1a Abs. 3 BauGB fest, die bislang nicht hergestellt worden sei. Hier stütze sich das Vorkaufsrecht auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Eine Abwägung zwischen den Interessen der bisherigen Vertragsparteien und den Interessen der vorkaufsberechtigten Gemeinde ergebe einen Vorrang der Belange der Gemeinde (II. Ziff. 2.3.2 der Bescheidsgründe).
19
Auf die Bescheidsgründe wird Bezug genommen.
20
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin (als Käuferin) am 30. Mai 2023 Klage erhoben und beantragt,
21
den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2023 (Az. ...) aufzuheben.
22
Mit Beschluss vom 31. Mai 2023 wurde die Verkäuferin des Grundstücks zum Verfahren notwendig beigeladen.
23
Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 hat die Beklagte beantragt,
25
Mit Schriftsatz vom 22. September 2023 wurde zur Klagebegründung vorgetragen, dass das Grundstück Fl.Nr. ... von der Klägerin erworben worden sei, um dieses anschließend gegen das Grundstück Fl.Nr. ... zu tauschen, welches zur Realisierung der bestandskräftig planfestgestellten Deponie der ... in Anspruch genommen werden müsse. Der Klägerin sei die Vorkaufssatzung nicht bekannt gewesen. Sie sei der festen Überzeugung gewesen, durch den Tausch der Grundstücke endlich die Deponie umsetzen zu können. Der Vorkaufsrechtsausübungsbescheid erweise sich sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht als rechtswidrig. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei bereits verfristet. Trotz des Eingangsstempels der Beklagten vom 13. Februar 2023 sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das am 7. Februar 2023 oder 8. Februar 2023 versandte Schreiben bei der Beklagten spätestens am 10. Februar 2023 zugegangen sei. Aber auch für den Fall, dass der Beklagten der Beweis gelingen sollte, dass die Benachrichtigung erst am 13. Februar 2023 zugegangen sei, sei die Frist durch das Schreiben vom 15. Februar 2023 nicht gewahrt. Für die rechtzeitige Zustellung des Bescheids komme es nicht auf den Eingang bei der Beigeladenen, sondern wegen der Regelung in § 9 des Kaufvertrags auf den Eingang beim Notariat an, wo das Schreiben erst am 17. Mai 2023 eingegangen sei. Selbst wenn die Beigeladene die richtige Adressatin gewesen wäre, wäre die Frist nicht durch Einwurf in den Briefkasten der Beigeladenen am 15. Mai 2023 um 16:52 Uhr gewahrt. Am 15. Mai 2023 vormittags habe der 1. Bürgermeister der Beklagten telefonisch beim Geschäftsführer der Beigeladenen die beabsichtigte Zustellung des Dokuments angekündigt und sich nach der Anwesenheit des Geschäftsführers erkundigt. Dieser habe mitgeteilt, dass das Schriftstück bis spätestens 16:30 Uhr entgegengenommen werden könne. Eine Zustellung in diesem Zeitraum sei nicht erfolgt. Ausweislich der Verwaltungsakten habe der Bürgermeister der Beklagten das Schreiben um 16:52 Uhr in den Briefkasten der Beigeladenen geworfen. Dies werde bestritten. Bei der Rückkehr des Geschäftsführers der Beigeladenen um 19 Uhr habe dieser kein Schriftstück im Briefkasten vorgefunden. Erst am 16. Mai 2023 sei der Geschäftsführer der Beigeladenen über den Eingang des Schreibens unterrichtet worden. Der Beklagten wäre eine Zustellung des Schreibens nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) an eine bei der Beigeladenen angestellte Person ohne weiteres möglich gewesen. Eine Ersatzzustellung im Briefkasten der Beigeladenen sei nicht zulässig gewesen. Selbst wenn das Schreiben am 15. Mai 2023 um 16:52 Uhr in den Briefkasten eingeworfen wäre, wäre es nicht mehr rechtzeitig zugegangen. Für den Zugang gelte § 130 BGB. Demnach sei das Schreiben erst am nächsten Arbeitstag, mithin verfristet, zugegangen. Weitere Gründe für die Unwirksamkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts ergäben sich daraus, dass der Gemeinderatsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung gefasst worden sei und der Gemeinderatsbeschluss selbst dem Bescheid nicht beigefügt gewesen sei. In dem in den vorgelegten Behördenakten übermittelten Auszug aus dem Sitzungsbuch der Beklagten finde sich kein Beschluss darüber, die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Öffentlichkeit hätte ohnehin nicht ausgeschlossen werden können. Die materielle Rechtswidrigkeit des Vorkaufsrechtsausübungsbescheids ergebe sich bereits aus der Unwirksamkeit der Vorkaufssatzung. Diese sei fehlerhaft bekanntgemacht worden. Die Bekanntgabe der Satzung hätte nach Art. 26 Gemeindeordnung (GO) im Amtsblatt ... erfolgen müssen. Selbst wenn eine Bekanntgabe durch Niederlegung zulässig gewesen wäre, sei den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, dass der Anschlag an den Gemeindetafeln erst nach der Niederlegung erfolgt sei, wie es in der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Beklagten vorgesehen sei. Im Übrigen fehle in dem Anschlag auch der Hinweis auf die Auslegungsfrist sowie die Zeiten der möglichen Einsichtnahme. Der Lageplan, der der Vorkaufssatzung beigefügt sei, sei darüber hinaus unbestimmt. In der der Bekanntmachung beigefügten Karte seien die Flurnummern durch die schlechte Qualität und geringe Größe der Karte nicht zu erkennen. Die Vorkaufssatzung sei ferner materiell unwirksam. Sie könne nicht auf den Bebauungsplan gestützt werden. Die Festsetzungen des Bebauungsplans stünden ausweislich des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Az. 26 N 03. 1737) unter dem Vorbehalt, dass die Deponie nicht verwirklicht werde. Im Jahr 2019 habe die Beklagte keine Vorkaufssatzung für die Grundstücke im Umfeld der Deponie auf der Grundlage des unter dem Vorbehalt der bestandskräftigen Planfeststelllungen für die Deponie stehenden Bebauungsplans mehr erlassen können. Dies gelte umso mehr, als die 3. Änderung des Bebauungsplans für unwirksam erklärt worden sei (Az. 15 N 12.1454). Eine auf den Bebauungsplan geschützte Vorkaufssatzung könne nicht der Durchsetzung legitimer planerischer Ziele, erst Recht nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Die Festsetzungen des Bebauungsplans seien obsolet. Aussiedlerhöfe hätten sich in den vergangenen 20 Jahren im Plangebiet nicht angesiedelt. Eine Umsetzung des Bebauungsplans sei auch in Zukunft ausgeschlossen. Die Vorkaufssatzung müsse erforderlich und geeignet sein, die Durchführung des Bebauungsplans zu fördern. Die Rechtfertigung müsse sich aus Unterlagen ergeben bzw. durch den Gemeinderatsbeschluss dokumentiert sein, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht durch Gründe des Allgemeinwohls nach § 25 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerechtfertigt. Das Grundstück werde bereits entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan genutzt. Darüber hinaus habe der Gemeinderat in unzulässiger Weise einen Teil der ihm obliegenden Ermessensentscheidung auf die Verwaltung übertragen. Bei dem Beschluss des Gemeinderats am 9. Mai 2023 hätten schon deswegen nicht sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen berücksichtigt werden können, weil die Beklagte das von ihr selbst gesetzte – ohnehin viel zu kurze – Ende der Anhörungsfrist gar nicht abgewartet und damit in Unkenntnis der Hintergründe und Bedenken der Kaufvertragsparteien über die Ausübung des Vorkaufsrechts entschieden habe. Der Beschluss selbst, die Bereitstellung des Kaufpreises und die Beantragung einer Auflassungsvormerkung seien unbedingt gefasst worden. Der in der Beschlussvorlage enthaltene „Vorbehalt“ könne diesen Rechtsfehler nicht heilen, denn auch hierüber hätte der Gemeinderat erneut entscheiden müssen. Die ohnehin unzulässig verkürzte Anhörung sei damit zur Farce gemacht worden. Das zur Entscheidung berufene Organ habe am 9. Mai 2023 ohne Kenntnis der in der Abwägung zu berücksichtigenden Interessen der Vertragsparteien entschieden. Der Ausübung des Vorkaufsrechts seien auch sachfremde Erwägungen zugrunde gelegt worden. Der Beklagten sei es beim Erlass der Vorkaufssatzung sowie der Ausübung des Vorkaufsrechts offensichtlich um die Verhinderung der Deponie gegangen. Die Beklagte verhalte sich auch treuwidrig, da sie in Person des früheren Bürgermeisters im Enteignungsverfahren auf eine gütliche Einigung durch Grundstückstausch hingewirkt habe.
26
Auf den weiteren Inhalt des Klagebegründungsschriftsatzes wird ergänzend verwiesen.
27
Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023 führte die Beigeladene aus, dass der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig sei. Die Vorkaufssatzung sei bereits unwirksam, da sie nicht wirksam bekannt gemacht worden sei. Die Beklagte habe sich bei der Niederlegung der falschen Bekanntgabeform bedient. Selbst wenn man die Art der Bekanntmachung für zulässig erachten wollte, läge im konkreten Fall dennoch eine fehlerhafte Bekanntmachung vor. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Anschläge erst nach Niederlegung erfolgt seien. Weiterhin sei der Text des öffentlichen Anschlags objektiv falsch und irreführend. Mit der Satzung selbst werde kein Vorkaufsrecht ausgeübt. Zudem müsse der Anschlag auch die Auslegungsfrist sowie die Einsichtszeiten genau bezeichnen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Das streitgegenständliche Grundstück sei – mit Ausnahme des als Ausgleichfläche ausgewiesenen Bereichs an der Ostgrenze – komplett als landwirtschaftliche Fläche gemäß § 9 Nr. 18a BauGB festgesetzt. Es werde derzeit landwirtschaftlich als Ackerfläche genutzt. Die Ausübung des Vorkaufsrechts entspreche nicht dem Wohl der Allgemeinheit, wenn das Grundstück bereits entsprechend den gemeindlichen Planungsvorstellungen genutzt werde. Ob der Bebauungsplan neben einer Nutzung der Fläche zur Landbewirtschaftung auch eine Bebauung mit Aussiedlerhöfen zulasse, oder nicht, sei ohne Belang, da die derzeitige Nutzung jedenfalls unstreitig in Einklang mit den Zielvorstellungen des Bebauungsplans stehe. Weiterhin wäre das gesetzliche Vorkaufsrecht auch auf die Grundstücksteile beschränkt, deren Erwerb durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sei. Das Vorkaufsrecht sei ermessensfehlerhaft ausgeübt worden. Wesentlichen Bestandteil der Ermittlungspflicht bilde die Anhörungspflicht nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Vorliegend seien der Klägerin und der Beigeladenen jeweils eine Frist zur Stellungnahme bis 12. Mai 2023 gesetzt worden. Gleichwohl sei die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits drei Tage vor Ablauf der Stellungnahmefrist beschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei dem Gemeinderat eine ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens nicht möglich gewesen. Dass der Gemeinderat der Beklagten seine Willensbildung bereits final abgeschlossen gehabt habe, zeige sich daran, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts ohne jeden Vorbehalt beschlossen worden sei. Die Einschränkung in Ziff. 4 des Beschlusses, wonach der Erlass des Bescheids unter den Vorbehalt gestellt worden sei, dass sich aus der Anhörung der Betroffenen „keine Gründe ergäben, welche die Ausübung des jeweils gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheinen ließen“, könne das Ermessensdefizit nicht beseitigen. Die Entscheidung, ob sich nach der Beschlussfassung Gründe ergeben hätten, hätte vom Gemeinderat und nicht von der Verwaltung getroffen werden müssen. Das Vorkaufsrecht sei auch verspätet ausgeübt worden. Es seien nicht die Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG), sondern die des BGB anwendbar. Der Bescheid sei erst um 16:52 Uhr in den Firmenbriefkasten eingelegt worden. Ein Zugang sei damit erst am darauffolgenden Tag erfolgt.
28
Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes der Beigeladenen wird Bezug genommen.
29
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2024 wurde von der Beklagten zur Klageerwiderung vorgetragen, dass sich ein treuwidriges Verhalten der Beklagten nicht herleiten lasse. Weder kenne die Beklagte die gesellschaftsrechtlichen Zusammenhänge der Klägerin einerseits und der ... andererseits, noch sei die Beklagte Beteiligte im Enteignungsverfahren. Der Gedanke eines Ringtauschs sei erst in einer Sitzung am 2. Oktober 2020 formuliert worden, an welchem die Beklagte nicht beteiligt gewesen sei. Die Vorkaufssatzung sei wirksam. Ihr liege der Bebauungsplan zugrunde, der nicht obsolet geworden sei. Die Vorkaufssatzung sei rechtsfehlerfrei im Wege einer Ersatzverkündung bekanntgemacht worden. Trotz der offenkundigen Falschbezeichnung in der Bekanntmachung sei der Hinweiszweck erreicht. Eine Niederlegung zeitgleich mit dem Anschlag an den Gemeindetafeln genüge. Die Vorkaufssatzung sei auch hinreichend bestimmt. Der der Bekanntmachung beigefügte, stark verkleinerte Lageplan habe lediglich Hinweisfunktion. Der der niedergelegten Satzung beigefügte Lageplan lasse den Geltungsbereich hinreichend erkennen. Er sei deckungsgleich mit dem Geltungsbereich des Bebauungsplans in der aktuellen Fassung. Die auf die wirksame Vorkaufssatzung gestützte Ausübung des Vorkaufsrechts begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die 3-Monats-Frist sei eingehalten worden. Den Erfordernissen des Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG an eine Anhörung sei Genüge getan. Eine solche könne ohnehin nachgeholt werden. Die Entscheidung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts habe als Grundstücksangelegenheit in nichtöffentlichen Sitzung behandelt werden können. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Mit den für die Ausübung des Vorkaufsrechts streitenden Gründen habe sich die Gemeinde sowohl bei ihrer Beschlussfassung als auch im Ausübungsbescheid ausführlich befasst. Das Grundstück Fl.Nr. ... sei im Bebauungsplan nicht nur als Ackerfläche festgesetzt worden. Vielmehr sei hier die Errichtung einer Aussiedlerhofstelle vorgesehen. Das Grundstück sei die letzte Fläche, die noch für Aussiedlungsvorhaben zur Verfügung stehe. Es bestünden darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben könnte. Der Gemeinderat habe seinen Beschluss lediglich unter eine Bedingung gestellt, die nicht eingetreten sei. Die Einstellung von öffentlichen und privaten Belangen in die Ermessensentscheidung lasse sich im vorliegenden Fall aus Ziff. 2.3.2 des Bescheids sowie dem zugrundeliegenden Gemeinderatsbeschluss entnehmen.
30
Auf den weiteren Inhalt des Klageerwiderungsschriftsatzes wird ergänzend verwiesen.
31
Mit Schriftsatz vom 4. April 2024 führte die Beigeladene weiter aus, dass die Vorkaufssatzung nicht wirksam ausgefertigt worden sei. Der Lageplan hätte für eine ausreichende Konkretisierung als Anlage anders bezeichnet werden müssen, um die erforderliche „gedankliche Schnur“ zum Textteil der Vorkaufssatzung herzustellen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Vielmehr werde in der Karte selbst angeführt, dass diese dem „konsolidierendem Bebauungsplan ...-West“ entstamme. Der Bebauungsplan stelle jedoch eine separate Satzung dar. Die Zusammengehörigkeit des Textteils und der Anlage stünden nicht zweifelsfrei fest. Zudem seien Satzungen nach der Beschlussfassung durch den Gemeinderat auszufertigen und zwar genau mit dem Inhalt, der mit dem vorherigen Satzungsbeschluss übereinstimme. Dies könne hier nicht der Fall sein, da der Gemeinderat bei seiner Beschlussfassung am 3. Dezember 2019 nicht gewusst haben könne, wann die Satzung durch den 1. Bürgermeister ausgefertigt werden würde. Es liege auf der Hand, dass der Zusatz in § 1, wonach der Lageplan am 4. Dezember 2019 ausgefertigt worden sei, im Nachgang zur Beschlussfassung eigenmächtig ergänzt worden sei. Somit stimme der Norminhalt, wie er vom Gemeinderat beschlossen worden sei, nicht mit der ausgefertigten Satzung überein. Auch die Bekanntmachung der Vorkaufssatzung sei nicht wirksam. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Hinweiszweck mit der Bekanntmachung nicht erreicht worden, da ein „aliud“ bekanntgemacht worden sei. Die Schaffung eines Vorkaufsrechts sei etwas völlig anderes als dessen Ausübung. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Die gegenwärtige Nutzung entspreche sowohl den in der Begründung zum Bebauungsplan ausgeführten Planungsabsichten und -zielen der Beklagten als auch der getroffenen Festsetzung als landwirtschaftliche Fläche gemäß § 9 Nr. 18a BauGB. Für einen priorisierenden planerischen Vorrang von Aussiedlerhöfen gebe es im Bebauungsplan keine Stütze. Hierzu hätte die Beklagte den Bereich über ein Sondergebiet Landwirtschaft nach § 11 Baunutzungsverordnung (BauNVO) zur gezielten Ausweisung derartiger landwirtschaftlicher Betriebe festsetzen müssen. Nicht hingegen könne die Beklagte eine von mehreren potentiell plankonformen Nutzungen singulär herauspicken, um diese dann nunmehr zum (vorgeblich) alleinigen planerischen Ziel der Gemeinde erheben zu wollen. Bestritten werde zudem, dass das vorkaufsbehangene Grundstück Fl.Nr. ... die letzte Fläche sei, die noch für Aussiedlungsvorhaben zur Verfügung stünde. Die Anhörung sei fehlerhaft gewesen, darüber hinaus leide der Bescheid an einem Ermessensdefizit. Hier sei in der Sache der Verwaltung als vollziehende Stelle die Entscheidung bzw. die Prüfung übertragen worden, ob der Bescheid rechtskonform und ermessensfehlerfrei erlassen werden könne. Eine solche Befugnis komme der Verwaltung im Rahmen der Vorkaufsrechtsausübung nicht zu. Um überhaupt prüfen zu können, ob die Ausübung des gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheine, bedürfe es einer Gewichtung bzw. Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange.
32
Mit Bescheiden vom 15. Mai 2024 (Az. ...) ergänzte die Beklagte den Bescheid vom 15. Mai 2023.
33
Auf den Bescheidsinhalt wird Bezug genommen.
34
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2024 übersandte die Beklagte weitere Verwaltungsvorgänge und teilte mit, dass zu den Gemeinderatssitzungen am 9. Mai 2023 sowie am 19. März 2024 jeweils von vornherein zu einer nichtöffentlichen Sitzung geladen worden sei. Eine andere Entscheidung des Gemeinderats dazu sei nicht ergangen. Im Übrigen habe die Beklagte die Satzung in ihrem § 1 geändert und dazu einen Lageplan im Maßstab 1:2000 beigefügt. Sie habe der Satzung Rückwirkung zum ursprünglichen Inkrafttretensdatum beigelegt. Zweifel an der Bestimmtheit der ursprünglichen Vorkaufssatzung seien damit ausgeräumt. Zugleich habe die Beklagte der Satzung eine Begründung beigegeben. Alle Unterlagen seien als Entwurf schon der jeweiligen Sitzungsvorlage beigefügt worden und ausweislich der Beschlussbuchauszüge auch so beschlossen worden. Nach ihrer Ausfertigung sei die Änderungssatzung ortsüblich bekannt gemacht worden. Gleichzeitig habe die Beklagte auch die Ursprungsfassung vorsorglich erneut bekannt gemacht. Die beiden Bekanntmachungen seien jeweils am 29. Februar 2024 an die Amtstafeln angeheftet und am 2. April 2024 abgenommen worden. In der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung am 19. März 2024 habe sich die Beklagte mit den im Klageverfahren vorgetragenen Argumenten nochmals ausführlich auseinandergesetzt. Damit sei ein etwaiger Anhörungsmangel in zulässiger Weise geheilt worden Die Beklagte habe sich bei dieser Gelegenheit auch mit den vorgetragenen Argumenten inhaltlich auseinandergesetzt und ihre Ermessenserwägungen im ursprünglichen Vorkaufsrechtsausübungsbescheid ergänzt.
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Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes vom 17. Mai 2024 wird verwiesen.
36
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2024 führte die Klägerin aus, dass die Änderungssatzung nur aus dem Verweis auf den beigefügten neuen Lageplan und der Regelung zu Rückwirkung bestehe. Sie sei damit nur im Zusammenhang mit einer gültigen Ausgangssatzung wirksam. Die Vorkaufssatzung und die Änderungssatzung seien formell rechtswidrig. Es werde bestritten, dass zu den maßgeblichen Gemeinderatssitzungen sämtliche Mitglieder des Gemeinderats fristgerecht geladen worden seien. Auch sei der Tagesordnungspunkt in der Ladung zur Sitzung am 27. Februar 2024 nicht konkret genug bezeichnet gewesen. Die Änderungssatzung sei – wie auch die ursprüngliche Vorkaufssatzung – mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksam. Die Art und Weise und die Form der Bekanntmachung seien weitgehend unverändert. Der Lageplan zur Änderungssatzung sei nicht mitausgefertigt worden. Die Zusammengehörigkeit von Satzungstext und Lageplan könne nicht festgestellt werden. Zu allen hier relevanten Gemeinderatssitzungen fehlten die Sitzungsniederschriften, aus denen rechtserhebliche Gesichtspunkte, wie die Anwesenheit von Ratsmitgliedern, eventuellen Rügen und der Verlauf der Diskussion hervorgingen. Die jeweils einstimmigen Abstimmungsergebnisse und die Tatsache, dass der Gemeinderat von der Verwaltung vor keiner dieser Sitzungen umfassend informiert worden sei, begründeten kein Vertrauen in die Richtigkeit der vorgelegten Dokumente. Nach Beschluss der Änderungssatzung komme es auf deren Bestimmtheit an. Es fehle weiterhin an einer eindeutig erkennbaren Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs. Der im Original übersandte Lageplan zur 1. Änderungssatzung unterscheide sich in mehreren Punkten von dem Lageplan, der als Anlage zum Schriftsatz vom 17. Mai 2024 übersandt worden sei. Es erscheine naheliegend, dass dieser Plan nachträglich zur Vorlage bei Gericht angefertigt worden sei und dem Gemeinderatsbeschluss vom 27. Februar 2023 nicht zugrunde gelegen habe. Die Zahl der aufgedeckten „Abweichungen“ in den Unterlagen erschüttere das Vertrauen in die Rechtsmäßigkeit der Verwaltung der Beklagten. Den Gemeinderäten sei nur die 1. Änderung, nicht aber die Ausgangssatzung aus 2019 übermittelt worden. Die Gemeinderäte hätten daher nicht konkret vor Augen gehabt, was genau nunmehr zur Beschlussfassung gestellt worden sei. Bei Inkrafttreten der Änderungssatzung sei die Ausgangssatzung nicht wirksam gewesen. Laut dem damaligen Bekanntmachungstext im Jahr 2019 sei die Ausgangssatzung frühestens am 19. Dezember 2019 in Kraft getreten. Mit ihrer 1. Änderungssatzung wolle die Beklagte jedoch nunmehr diese rückwirkend mit Wirkung zum 18. Dezember 2019 ändern. Zu diesem Zeitpunkt habe es noch gar keine wirksame Ausgangssatzung gegeben, sodass eine Änderung zu diesem Zeitpunkt denklogisch ausgeschlossen sei. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Vorkaufssatzung am 3. Dezember 2019 sei Herr ... Gemeinderat gewesen, der auch Miteigentümer an dem enteignungsbetroffenen Grundstück Fl.Nr. ... sei. Als Enteignungsbetroffener ergebe sich aus der Ausübung des Vorkaufsrechts über das Tauschgrundstück ein unmittelbarer Vor- oder Nachteil im Sinne des Art. 49 Abs. 1 GO für das Gemeinderatsmitglied. Die Vorkaufssatzung sei auch materiell rechtswidrig, weil die Umsetzung der städtebaulichen Maßnahmen nicht ernsthaft geplant sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Vorkaufsrechtssatzung erst 17 Jahre nach Inkrafttreten des Bebauungsplans beschlossen worden sei, dass ein zeitlicher Zusammenhang mit der Einleitung des Enteignungsverfahrens bestehe und dass es seit Inkrafttreten des Bebauungsplans und der Vorkaufssatzung keine Interessenten für die Errichtung von Aussiedlerhöfen gegeben habe bzw. gebe. Die Beklagte habe die Notwendigkeit zur Sicherung durch Vorkaufsrecht erst zu dem Zeitpunkt gesehen, als das Tauschgrundstück für die Realisierung der Deponie im Gespräch gewesen sei. Es bestünde kein Sicherungsbedürfnis für die Beklagte und es habe keine Alternativenprüfung stattgefunden. Auch stelle der Bebauungsplan keine Grundlage für den Erlass der Vorkaufssatzung dar. In der Legende des Lageplans vom 28. Februar 2024 zur 1. Änderung der Vorkaufssatzung tauche ein „Konsolidierender Bebauungsplans ... West“ auf, der am 4. November 2019 gefasst worden sein solle. Dieser Bebauungsplan sei der Klägerin nicht bekannt. Wenn darunter ein Bebauungsplan zu verstehen sei, der die dort genannten verschiedenen Versionen des Bebauungsplans zusammenführe, bedürfe dieses eines eigenen Bebauungsplanverfahrens mit erneuter Abwägung. Dieser „Konsolidierende Bebauungsplan“ werde als Grundlage der Vorkaufsrechtssatzung benannt. Damit sei in diesem Rechtsstreit auch die Rechtsmäßigkeit dieser Satzung insgesamt inzident zu überprüfen. Der Ausübungsbeschluss vom 19. März 2024 sei ebenfalls bereits formell rechtswidrig. Eine Heilung sei nur innerhalb der Ausübungsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB zulässig, wenn es sich bei dem Beschluss vom 19. März 2024 tatsächlich nur um eine bloße Ergänzung handeln würde. Bereits dem Ausübungsbeschluss vom 9. Mai 2023 hätten keine (ausreichenden) Gründe für die Ausübung des Vorkaufsrechts zugrunde gelegen. Die Schriftsätze der Klägerin und der Beigeladenen mitsamt den hierin enthaltenen, umfassenden Stellungnahmen zur Sach- und Rechtslage seien dem Gremium nicht zur Verfügung gestellt worden. Der in der Beschlussvorlage befindliche Sachvortrag umfasse nicht einmal ansatzweise die von der Klägerin und der Beigeladenen vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts. Darüber hinaus sei der Sachvortag in der Beschlussvorlage auch inhaltlich falsch. Eine Heilung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anhörung könne nur durch eine auch in der Substanz vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinn des Art. 28 BayVwVfG bewirkt werden. Eine Heilung erfordere daher, dass sämtliche vorgebrachten Tatsachen von der organzuständigen Erstbehörde, die die Entscheidungskompetenz trage, zur Kenntnis genommen und berücksichtigt worden seien. Ob die gesetzlichen Ausübungsvoraussetzungen für das Vorkaufsrecht erfüllt seien, beurteile sich nach den konkreten Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung; der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung sei daher der Verwaltungsakt zugrunde zu legen. Nach § 114 Satz 2 VwGO sei eine Ergänzung der im Verwaltungsverfahren angegebenen Ermessenserwägungen im Verwaltungsprozess möglich. Eine solche Ergänzung setze voraus, dass die Gemeinde überhaupt an solche Erwägungen anknüpfen könne. Eine neue „Richtung“ oder ein Austausch der Gründe für den Vorkauf sei auch auf Grundlage dieser Regelung nicht zulässig. Für eine rechtmäßige Ermessensausübung und ein rechtmäßiges Ergebnis müsse die Verwaltung den Rat jedoch vollumfänglich ins Bild setzen. Dies sei weder bei der Beschlussfassung am 9. Mai 2023 noch am 19. März 2024 geschehen. Die Beklagte habe dem Gemeinderat den Sachverhalt zur Beschlussfassung in 2023 nicht und in 2024 nur in unzutreffender bzw. unvollständiger Weise zur Kenntnis gegeben. Die Beschlussvorlage vom 9. Mai 2023 enthalte keine Ermessenserwägungen bzw. Gegenüberstellung eines Für und Wider. Die Beschlussvorlage für die Sitzung vom 19. März 2024 enthalte im Hinblick auf die Ermessenausübung auch keine ergänzenden Gesichtspunkte, die diesen Mangel heilen könnten. Damit liege weiterhin ein Ermessensausfall, zumindest ein erhebliches Ermessensdefizit vor, da der Gemeinderat durch die Verwaltung gar nicht in die Lage versetzt worden sei, zu erkennen, dass es entgegenstehende Belange von Klägerin und Beigeladener gebe, die abzuwägen gewesen wären. In der Bescheidsergänzung vom 15. Mai 2024 würden keine ergänzenden Ermessenserwägungen vorgetragen, in denen die – spätestens jetzt bekannten – Belange der Klägerin und der Beigeladenen abgewogen würden; die Darstellung erschöpfe sich in der Wiedergabe von Rechtsauffassungen des Prozessbevollmächtigten.
37
Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 20. Juni 2024 wird Bezug genommen.
38
Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2024 verteidigte die Beklagte die formelle und materielle Wirksamkeit der Änderungssatzung. Insbesondere sei der Lageplan ausgefertigt worden. Der festgestellte Unterschied im Beschrieb des Lageplans liege freilich vor. Der der Einladung zur Sitzung am 27. Februar 2024 beigefügte – inhaltlich vollständig identische – Lageplan trage den Vermerk „Lageplan zur Satzung“. Gerade im Hinblick auf die von der Beklagten und der Beigeladenen erhobenen Rügen habe es die Verwaltung als angezeigt angesehen, die erforderliche „gedankliche Schnur“ zwischen der beschlossenen Satzung und dem ebenfalls beschlossenen Lageplan durch Erweiterung des Vermerks herzustellen. Der Ausfertigungsakt wie auch die Anbringung des Vermerks bedürften keines Gemeinderatsbeschlusses. Die ursprüngliche Vorkaufssatzung sei am 18. Dezember 2019 in Kraft getreten, weshalb sich die Änderungssatzung folgerichtig auf dieses Datum beziehe. Bei dem „konsolidierenden Bebauungsplan“ handle es sich nur um eine Arbeitsbezeichnung der Verwaltung. Das Planungsbüro sei gebeten worden, zum Zwecke der besseren Übersichtlichkeit eine „konsolidierte Fassung“ der Bebauungsplanung herzustellen, aus der ersichtlich sei, welche Festsetzungen nach den diversen Bebauungsplanänderungen heute aktuell (noch) gälten. Um eine Rechtsnorm handle es sich dabei nicht.
39
Das Vorkaufsrecht sei auch wirksam ausgeübt worden. Anhörungsmängel seien geheilt worden. Es sei nicht erforderlich, dem Gemeinderat den gesamten Schriftverkehr aus dem Klageverfahren vorzulegen. Die Enteignungsverhandlung am 2. Dezember 2019 habe nichts mit der Ausübung des Vorkaufsrechts zu tun. Die Erwägungen in der Bescheidsergänzung vom 15. Mai 2024 seien nicht sachfremd gewesen. Sie stellten auch keine Ersetzung der ursprünglich angegebenen Gründe dar. Der angegriffene Verwaltungsakt werde in seinem Wesen nicht geändert.
40
Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes vom 28. Juni 2024 wird ergänzend verwiesen.
41
Am 4. Juli 2024 wurde in der Sache mündlich verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird ergänzend verwiesen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten und die beigezogene Akte des Landratsamts ... im Enteignungsverfahren.
Entscheidungsgründe
42
Die zulässige Klage ist begründet.
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1. Die Klage ist zulässig.
44
Die Anfechtungsklage nach 42 Abs. 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist die statthafte Klageart für das Begehren der Klägerin, wobei nach dem Klagevorbringen gemäß § 88 VwGO davon auszugehen ist, dass der Ergänzungsbescheid vom 15. Mai 2024 in das Klageverfahren einbezogen wurde. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt, der sich gegenüber der Käuferin – unabhängig davon, ob sie (materielle) Adressatin ist – als belastender Verwaltungsakt darstellt (VGH BW, U.v. 29.2.2024 – 8 S 58/23 – juris Rn. 51 m.w.N.). Insofern ist die Klagebefugnis der Klägerin gegeben (§ 42 Abs. 2 VwGO). Dies gilt auch im Hinblick auf Ziff. II. des Bescheids, da die hierin erfolgte Festsetzung des Teilkaufpreises durch Verwaltungsakt in unmittelbarem Zusammenhang mit der für die Klägerin belastenden Ausübung des Vorkaufsrechts in Ziff. I. des Bescheids zu sehen ist. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist gewahrt.
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2. Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2023 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 15. Mai 2024 (Az. ...) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Nach der Rechtsauffassung der Kammer ist der Bescheid vom 15. Mai 2023 zwar formell rechtmäßig.
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aa) Es ist davon auszugehen, dass die Beschlussfassung des Gemeinderats vom 9. Mai 2023 über die Ausübung des Vorkaufsrechts wirksam ist.
48
(1) Der Gemeinderat hat als zuständiges Organ über die Ausübung des Vorkaufsrechts entschieden.
49
Kommunalrechtlich setzt die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts eine wirksame Beschlussfassung des Gemeinderats voraus. Dieser – und nicht etwa die „Verwaltung“ – ist das sachlich zuständige Beschlussorgan (BayVGH, U.v. 30.3.2023 – 15 B 22.1761 – juris Rn. 16). Ausweislich des Auszugs aus dem Sitzungsbuch der Beklagten über die Sitzung vom 9. Mai 2023 hat der Gemeinderat mit 11:0 Stimmen beschlossen, das Vorkaufsrecht auszuüben (Nr. 1 des Beschlusses), den Kaufpreis im Gemeindehaushalt bereitzustellen (Nr. 2 des Beschlusses) und die Verwaltung darum gebeten, einen entsprechenden Vorkaufsrechtsausübungsbescheid zu erlassen unter dem Vorbehalt, dass sich aus der Anhörung der Betroffenen keine Gründe ergeben, welche die Ausübung des gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheinen lassen und, dass die Käuferin die Ausübung des Vorkaufsrechts i.S.d. § 27 BauGB nicht wirksam abwendet (Nr. 4 des Beschlusses). Obwohl der Beschluss des Gemeinderats auf den 9. Mai 2023 datiert, die Frist zur Stellungnahme für die Beigeladene und die Klägerin aber bis 12. Mai 2023 lief, sodass der Gemeinderat etwaige, nach der Beschlussfassung eingegangene Stellungnahmen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (wohl) nicht berücksichtigt hätte, ist hier von der Entscheidung des zuständigen Gemeinderats auszugehen. Dieser hat durch Nr. 4 des Beschlusses nicht die Letztentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts in unzulässiger Weise an die Verwaltung abgegeben, da in Nr. 1 des Beschlusses die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits unbedingt beschlossen wurde. Von Nr. 4 des Beschlusses ist lediglich der Erlass des Bescheides, d.h. die Umsetzung des Gemeinderatsbeschlusses, betroffen.
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(2) Es ist von der Beschlussfähigkeit des Gemeinderats auszugehen.
51
Art. 47 Abs. 2 GO setzt die ordnungsgemäße Ladung sämtlicher Gemeinderatsmitglieder voraus und dass die Mehrheit der Mitglieder anwesend und stimmberechtigt ist. Zwar bestreitet die Klägerin die form- und fristgerechte Ladung sämtlicher Gemeinderatsmitglieder. Von der Beklagten wurde mit Schriftsatz vom 17. Mai 2024 lediglich die (fristgerechte) Ladung des 1. Bürgermeisters exemplarisch vorgelegt. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen wurden, dass nicht alle Gemeinderatsmitglieder form- und fristgerecht geladen wurden, weshalb für die Kammer kein Anlass zu weiteren Nachforschungen besteht.
52
(3) Ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nach Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO liegt nicht vor.
53
Nach Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO sind die Sitzungen des Gemeinderats öffentlich, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche Einzelner entgegenstehen. Über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird gemäß Art. 52 Abs. 2 Satz 2 GO in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden. Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes stellt nach herrschender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung einen Verstoß gegen tragende Verfahrensprinzipien der Kommunalverfassung dar. Der Verstoß kann im Falle eines Satzungsbeschlusses die Ungültigkeit desselben und damit die Nichtigkeit einer Satzung zur Folge haben (BayVGH, U.v. 26.1.2009 – 2 N 08.124 – juris Ls und Rn. 8; B.v. 29.2.2018 – 20 CS 17.1824 – juris Rn. 18; U.v. 3.12.2020 – 2 N 18.1181 – juris Rn. 26). Auch im Übrigen kann die Verletzung des Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO aufgrund eines unrechtmäßigen, vollständigen Ausschlusses der Öffentlichkeit zur Ungültigkeit des gefassten Gemeinderatsbeschlusses führen (Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Stand: 1.2.2024, GO Art. 52 Rn. 32 m.w.N.).
54
Vorliegend wurde jedoch nicht gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen. Ob der Gemeinderat öffentlich oder nichtöffentlich berät und entscheidet bzw. unter welchen Voraussetzungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann oder muss, beurteilt sich nach dem jeweiligen Landesrecht. Bei der Anwendung und Auslegung der Rechtsbegriffe „Wohl der Allgemeinheit“ und „berechtigte Ansprüche Einzelner“ ist einer bayerischen Gemeinde ein gewisser Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum eingeräumt. Vor dem Hintergrund der typischen Betroffenheit sensibler Daten der Kaufvertragsparteien oder Dritter wird es in der bayerischen Verwaltungsrechtsprechung als grundsätzlich vertretbar und daher im Rahmen des Beurteilungsspielraums angesehen, die Behandlung von Grundstücksvorkaufsrechten in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln (BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn. 9 m.w.N.). Aus der mit Schriftsatz vom 17. Mai 2024 vorgelegten Ladung (Bl. 190 der Gerichtsakte) ergibt sich, dass zu der Gemeinderatssitzung am 9. Mai 2023 von vorneherein zu einer nichtöffentlichen Sitzung geladen wurde. Hierbei handelt es sich zwar nur um einen entsprechenden Vorschlag bzw. Antrag des Bürgermeisters. Die Entscheidung, ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, steht nur dem Gemeinderat selbst zu (Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Stand: 1.2.2024, Art. 52 Rn. 26). Eine Beschlussfassung über die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung ist nicht erfolgt. Allerdings kann – wie hier erfolgt – die Entscheidung konkludent durch den nicht beanstandeten Eintritt in die nichtöffentliche Sitzung erfolgen, wenn in der Tagesordnung für den Beratungsgegenstand der Öffentlichkeitsausschluss beantragt war. Ein gesonderter Beschluss ist nicht erforderlich, wenn sich die Nichtöffentlichkeit bereits unmittelbar aus dem Gesetz oder aus der Geschäftsordnung ergibt (Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, Stand: 1.2.2024, GO Art. 52 Rn. 27). Im Hinblick darauf, dass nach der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Beklagten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 „Rechtsgeschäfte über Grundstücksangelegenheiten“ grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln sind, ist nicht ersichtlich, inwiefern der gemeindliche Beurteilungsspielraum vorliegend ausnahmsweise überschritten wäre.
55
bb) Der Bescheid ist nach Auffassung der Kammer nicht wegen einer fehlerhaften Anhörung formell rechtswidrig, wobei dies mangels Entscheidungserheblichkeit letztlich offenblieben kann.
56
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hier erfolgte die Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 4. Mai 2023 (erhalten per Mail am 5. Mai 2023, per Post am 8. Mai 2023). Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12. Mai 2023 gegeben. Der Gemeinderat hat den Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits am 9. Mai 2023 gefasst. Der Bescheid selbst datiert auf den 15. Mai 2023. Stellungnahmen der Klägerin (oder der Beigeladenen) sind bis dahin nicht eingegangen. In Anbetracht der Komplexität der Materie ist die Kammer der Ansicht, dass es sich bei der von der Beklagten gesetzten Frist zur Stellungnahme – die sie vor der Beschlussfassung nicht einmal abgewartet hat – nicht um eine angemessene Frist handelt, weshalb (zunächst) von einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung auszugehen ist. Ist die Anhörung unterblieben, kann sie – auch bei einer Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts – nach Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG noch bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 28 Rn. 23; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 15. Aufl. 2022, § 28 Rn. 4; VG Augsburg, U.v. 19.9.2013 – Au 5 K 13.140 – juris Rn. 30). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt eine Heilung voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Aufgabe besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend reichen Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht aus. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken (BVerwG, U.v. 22.2.2022 – 4 A 7.20 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 22 ZB 21.3088 – juris Rn. 19).
57
Die Beklagte hat nach der Rechtsauffassung der Kammer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausreichend zu erkennen gegeben, dass und aus welchen Gründen sie an ihrer Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin und der Beigeladenen festhält. Dabei wurde auch der Gemeinderat als zuständiges Organ nochmals damit befasst (für dieses Erfordernis VGH BW, U.v. 20.7.2022 – 3 S 3915/21 – juris Rn. 49, OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.3.2023 – 1 A 10150/22.OVG – juris Rn. 34 ff.). Das Vorbringen der Klägerin und der Beigeladenen wurde in der Gemeinderatssitzung vom 19. März 2024 – wenn auch nicht vollumfassend – thematisiert und es wurde der Beschluss gefasst, dass der Gemeinderat an der Ausübung des Vorkaufsrechts festhält. Mit Bescheid vom 15. Mai 2024 wurde der Vorkaufsrechtsausübungsbescheid vom 15. Mai 2023 sodann in seiner Begründung ergänzt. Zwar ist der Klägerin und der Beigeladenen darin zuzustimmen, dass der Gemeinderat nicht über jegliches Vorbringen informiert war und dass es eine unzutreffende Information des Gemeinderats darstellt, dass die Beigeladene nur die rechtlichen Einwände aufgegriffen habe, die bereits die Klägerin geltend gemacht habe. Allerdings ist wiederum der Beklagten darin zuzustimmen, dass die Heilung eines Anhörungsmangels nicht voraussetzt, dass sämtliche im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebrachten, teils rein rechtlichen Argumente behandelt werden müssten. Zwar darf eine wirksame Nachholung nicht hinter den Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zurückbleiben (Schemmer in BeckOK VwVfG, Stand: 1.4.2024, § 45 Rn. 42). Im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG geht es jedoch darum, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen äußern zu können (Herrmann in BeckOK VwVfG, Stand: 1.4.2024, § 28 Rn. 15). Hierbei ist auch zu sehen, dass, wäre die Anhörung von vornherein ordnungsgemäß, d.h. mit ausreichend bemessener Frist, erfolgt, zu Themenkomplexen wie bspw. der ordnungsgemäßen Beschlussfassung über die Vorkaufsrechtsausübung, die Einhaltung der Frist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB und die fehlerhafte Ermessensausübung im Bescheid noch gar nicht hätte Stellung genommen werden können. Die Kammer ist der Ansicht, dass es für die Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG hier ausreicht, dass sich der Gemeinderat in der Sitzung vom 19. März 2024 sich mit dem wesentlichen tatsächlichen Argument – konkret: der Gedanke eines Ringtauschs – sowie einigen rechtlichen Argumenten – konkret: der Vorrang des Deponievorhabens, die Wirksamkeit des Bebauungsplans und die bereits auf dem Grundstück ausgeübte Nutzung – auseinandergesetzt hat. Mit den Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Vorkaufssatzung – konkret: die fehlerhafte Bekanntmachung und die inhaltliche Unbestimmtheit – hat sich der Gemeinderat der Beklagten zudem in der Sitzung vom 27. Februar 2024 auseinandergesetzt, in der die 1. Änderungssatzung beschlossen wurde. Da der Gemeinderat mit einem Ergebnis von 12:0 beschlossen hat, an der Vorkaufsrechtsausübung festzuhalten (Bl. 201 der Gerichtsakte), ist es darüber hinaus i.S.v. Art. 46 BayVwVfG offensichtlich, dass die fehlerhafte Anhörung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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b) Ziff. I. des Bescheids ist aber materiell rechtswidrig.
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Vorliegend hat die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des westlichen und mittleren Grundstücksteils auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gestützt und hinsichtlich des östlichen Grundstücksteils, für den Ausgleichsflächen gemäß § 1a Abs. 3 BauGB festgesetzt sind, auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB.
60
Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB ist die Ausübung des Vorkaufsrechts fristgebunden. Danach kann das Vorkaufsrecht nur binnen drei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden. Es handelt sich um eine materielle Ausschlussfrist, das heißt eine vom materiellen Recht gesetzte Frist, deren Nichteinhaltung den Verlust einer materiell-rechtlichen Rechtsposition zur Folge hat. Materiellrechtliche Ausschlussfristen sind für Behörden und Beteiligte gleichermaßen verbindlich und stehen nicht zur Disposition der Verwaltung oder der Gerichte. Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden, so dass innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB sämtliche für die Ausübung des Vorkaufsrechts erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.3.2023 – 1 A 10150/22 – juris Rn. 25; VGH BW, U.v. 29.2.2024 – 8 S 58/23 – juris Rn. 64 m.w.N.).
61
aa) Die materielle Rechtswidrigkeit ergibt sich dabei entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin und der Beigeladenen nicht aus der nicht fristgerechten Ausübung des Vorkaufsrechts.
62
Die in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB normierte Ausübungsfrist beginnt erst mit der Mitteilung des gesamten und vollständigen Inhalts des Kaufvertrags (BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn. 25 f.; B.v. 28.7.2021 – 9 ZB 20.2276 – juris Rn. 7). Ausweislich des Eingangsstempels der Verwaltungsgemeinschaft ... ist der vollständige Kaufvertrag dort am 13. Februar 2023 eingegangen. Da der 13. Mai 2023 ein Samstag war, endete die Frist folglich am Montag, den 15. Mai 2023. Aus Sicht der Kammer gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass der Eingangszeitpunkt des Kaufvertrags, der laut der Klägerin vom Notariat am 7. Februar 2023, spätestens aber am 8. Februar 2023 versandt worden sei, bereits vor dem 13. Februar 2023 lag. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass man in der Regel mit kürzeren Postlaufzeiten rechnen kann. Allerdings ist der Kammer aus der Gerichtspraxis bekannt, dass längere Postlaufzeiten durchaus nicht unüblich sind. Eine Postlaufzeit vom 7. oder 8. Februar 2023 bis zum Montag, den 13. Februar 2023 erscheint nicht ungewöhnlich lange und ist damit – mangels konkreter gegenteiliger Hinweise – vorstellbar.
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Die Beklagte hat die Frist durch Einwurf des Bescheids in den Briefkasten am Firmensitz der Beigeladenen am 15. Mai 2023 um 16:52 Uhr gewahrt. Nach der Rechtsauffassung der Kammer sind vorliegend nicht §§ 130 ff. BGB für die Frage des Zugangs von Willenserklärungen maßgeblich, sondern es gelten die öffentlich-rechtlichen Bekanntgabevorschriften. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB regelt explizit, dass das Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt ausgeübt wird. Für den Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB gelten die gleichen Bestimmungen wie für sonstige Verwaltungsakte (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 28 Rn. 23). Die ältere Rechtsprechung, die die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts als privatrechtliche Willenserklärung angesehen hat, ist damit obsolet (Daum in BeckOGK BGB, Stand: 1.4.2024, § 464 Rn. 15). Über Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG gelangt man in die Art. 2 ff. VwZVG. Hier regelt Art. 5 VwZVG die Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VwZVG sind die §§ 177 bis 181 ZPO anzuwenden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwZVG ist in den Fällen der Ersatzzustellung nach §§ 180 und 181 ZPO zum Nachweis der Zustellung in den Akten der Grund der Ersatzzustellung zu vermerken sowie, wann und wo das Dokument in einen Briefkasten eingelegt oder sonst niedergelegt und in welcher Weise die Niederlegung schriftlich mitgeteilt wurde. Ausweislich des in der Behördenakte befindlichen Empfangsbekenntnisses (Bl. 43 der Behördenakte) wurde der Bescheid durch den Bürgermeister am 15. Mai 2023 (um 16:52 Uhr) in den Briefkasten eingelegt. Es wurden der Grund der Ersatzzustellung sowie der Umstand, wann und wo das Dokument in den Briefkasten eingelegt wurde, vermerkt. Das Datum der Zustellung ist gemäß § 180 Satz 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks vermerkt. Die Klägerin trägt – übereinstimmend mit der Beigeladenen – vor, dass um 16:52 Uhr niemand im Büro anzutreffen gewesen sei. Insofern war eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht ausführbar, sodass der Anwendungsbereich der Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO eröffnet war. Das Empfangsbekenntnis erbringt hierbei nach § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Zwar ist ein qualifizierter Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO möglich, der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert allerdings den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens (BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 15 CS 23.606 – juris Rn. 19). Hierfür bedarf es einer substantiierten Darlegung der Umstände, die gegen die Richtigkeit des Inhalts der öffentlichen Urkunde sprechen (BVerfG, B.v. 9.1.2023 – 2 BvR 2697/18 – juris Rn. 9). An einer solchen substantiierten Darlegung fehlt es vorliegend. Zwar hat die Klägerin im Schriftsatz vom 22. September 2023 (dort S. 13) vorgetragen, dass der Geschäftsführer der Beigeladenen um 19 Uhr den Brief nicht im Briefkasten gesehen habe. Abgesehen davon, dass diese pauschale Behauptung nicht ausreichend ist, hat die Beigeladene dies selbst so nicht vorgetragen. Im Schriftsatz vom 4. April 2024 (dort S. 9) heißt es vielmehr, dass am 15. Mai 2023 ab 16:30 Uhr niemand mehr im Büro anwesend gewesen sei. Die Beigeladene hat nur darauf abgestellt, dass bei einer Zustellung zu dieser Zeit nicht mehr mit einer Leerung des Briefkastens habe gerechnet werden müssen/können. Da § 130 BGB nicht anwendbar ist, kommt es hierauf aber nicht an.
64
Eine Zustellung an die Notarin anstelle der oder für die Beigeladene musste vorliegend nicht erfolgen, da § 9 des Kaufvertrags keine Vollmacht für derartige Zustellungen vorsieht. Nach § 9 Nr. 1 des Kaufvertrags wurde die Notarin bevollmächtigt, alle zum Vollzug des Vertrags erforderlichen oder zweckdienlichen Erklärungen, insbesondere Zustimmungs- und Lastenfreistellungserklärungen entgegenzunehmen. Die Empfangnahme eines Verwaltungsakts ist hierunter nicht zu subsumieren. Nach § 9 Nr. 2 des Kaufvertrags wurde die Notarin bevollmächtigt, Zeugnisse über gesetzliche Vorkaufsrechte, entgegenzunehmen. Mit der Entgegennahme von Zeugnissen ist nach der Rechtsauffassung der Kammer aber nicht der Bescheid über die Ausübung eines Vorkaufsrechts gemeint, sondern vielmehr ein Negativzeugnis, dass kein Vorkaufsrecht besteht bzw. dass die Gemeinde ein solches nicht ausübt (§ 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB).
65
Folglich hat die Beklagte das Vorkaufsrecht noch fristgerecht ausgeübt.
66
bb) Allerdings scheitert die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des westlichen und mittleren Grundstücksteils, die sich auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB stützt, an der formellen Unwirksamkeit der Vorkaufssatzung.
67
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch Satzung ihr Vorkaufsrecht an unbebauten Grundstücken begründen. Das besondere Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB besteht nicht kraft Gesetzes, sondern wird von der Gemeinde durch (besondere) Satzung begründet. Die Vorkaufsrechtssatzung muss wirksam, d.h. formell ordnungsgemäß zustande gekommen und materiell rechtmäßig sein. Fehlt es hieran, ist das besondere Vorkaufsrecht nicht wirksam begründet (VG Würzburg, U.v. 22.7.2021 – W 5 K 20.928 – juris Rn. 27). Maßgeblich ist hierbei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – juris Rn.17 m.w.N.; VG Ansbach, U.v. 17.1.2024 – An 3 K 21.1947 – juris Rn. 34). Eine Vorkaufssatzung kann nur für künftige Verkaufsfälle – also für Vertragsschlüsse ab dem Inkrafttreten der Satzung – in Kraft gesetzt werden. Nicht dem Vorkaufsrecht unterliegen also die vor dem Inkrafttreten der Vorkaufssatzung geschlossenen Kaufverträge. Die rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung wäre unvereinbar mit dem Gebot des Vertrauensschutzes und damit dem Rechtsstaatsprinzip, soweit dadurch ein Vorkaufsrecht rückwirkend geschaffen werden soll. Allerdings ist es nach Maßgabe des § 214 Abs. 4 BauGB zulässig, eine fehlerhafte Vorkaufssatzung nach Fehlerbehebung rückwirkend in Kraft zu setzen. Damit werden ab dem rückwirkenden Inkrafttreten der Satzung geschlossene Kaufverträge erfasst (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152: EL Oktober 2023, § 25 Rn. 24a). Im Wege des ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB behebbar sind grundsätzlich alle beachtlichen Satzungsmängel. Ausgenommen sind nur Nachbesserungen, die geeignet sind, das planerische Grundkonzept in Frage zu stellen. Die Identität der Satzung darf nicht angetastet werden. Behebbar sind neben Verfahrens- und Formfehlern auch materiell-rechtliche Mängel (BVerwG, U.v. 18.9.2003 – 4 CN 20/02 – juris; VG Köln, U.v. 14.11.2017 – 2 K 4269/17 – juris Rn. 60). Das rückwirkende Inkraftsetzen der Vorkaufssatzung gemäß § 214 Abs. 4 BauGB mit Beschluss des Gemeinderats bewirkt, dass zuvor ergangene Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit nunmehr so zu beurteilen sind, als ob die Satzung bereits zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens wirksam geworden wäre (BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570 – juris Rn. 14 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 19.7.2023 – Au 4 K 23.199 – juris Rn. 28; Uechtritz in BeckOK BauGB, Stand: 1.2.2024, § 214 Rn. 147). Insofern ergeben sich dann auch keine Probleme mit der materiellen Ausschlussfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB.
68
Dies vorausgeschickt, liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine wirksame Vorkaufssatzung vor, die ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB begründen kann.
69
(1) Die 1. Änderungssatzung zur Vorkaufssatzung, die der Gemeinderat in der Sitzung vom 27. Februar 2024 beschlossen hat, ist unwirksam.
70
Hier hat der Gemeinderat eine Satzung folgenden Inhalts beschlossen:
71
Durch § 1 der 1. Änderungssatzung vom 27. Februar 2024 wird erkennbar § 1 der (ursprünglichen) Vorkaufssatzung geändert, ebenso wie dessen § 3. Nach § 2 der 1. Änderungssatzung sollen die übrigen Bestimmungen der Vorkaufssatzung unberührt bleiben.
72
Die (ursprüngliche) Vorkaufssatzung, die der Gemeinderat der Beklagten am 3. Dezember 2019 beschlossen hat, lautet wie folgt:
73
Daraus ergibt sich, dass durch die 1. Änderungssatzung die Regelung in der Vorkaufssatzung zum Geltungsbereich geändert wurde, konkret, dass beim Lageplan der Zusatz „ausgefertigt am 04.12.2019“ entfallen ist. Mit § 1 der 1. Änderungssatzung wurde zudem die Inkrafttretensregelung der Vorkaufssatzung dahingehend geändert, dass diese – mit geändertem § 1 – rückwirkend zum 18. Dezember 2019 in Kraft tritt.
74
Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass die ursprüngliche Vorkaufssatzung in § 3 – übereinstimmend mit der Regelung in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GO – vorsah, dass die Satzung am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft tritt. Dies wäre nach den Angaben auf dem Bekanntmachungsvermerk der Beklagten der 19. Dezember 2019. Es wäre dann nicht möglich, durch die 1. Änderungssatzung ein Inkrafttreten zum 18. Dezember 2019 vorzusehen, denn das Inkraftsetzen der Satzung auf einen Zeitpunkt, der vor demjenigen liegt, zu dem die Satzung bei fehlerfreiem Verfahren in Kraft getreten wäre, ist unzulässig (Uechtritz in BeckOK BauGB, Stand: 1.2.2024, § 214 Rn. 143). Allerdings gelangt man über die Normenkette des § 25 Abs. 1 Satz 4 BauGB zu § 16 Abs. 2 BauGB, der wiederum die Anwendung von § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB vorsieht. Danach tritt der Bebauungsplan – bzw. hier die Vorkaufssatzung – mit der Bekanntmachung in Kraft. Bei der Bestimmung in § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB handelt es sich um eine zwingende Vorschrift, die landesrechtlichen Vorschriften vorgeht (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 10 Rn. 143; Oehmen in BeckOK BauGB, Stand: 1.2.2024, § 10 Rn. 28). Mithin wäre die (ursprüngliche) Vorkaufssatzung – wäre sie wirksam bekanntgegeben worden (siehe nachfolgend unter (2)) – am 18. Dezember 2019 in Kraft getreten, weshalb es grundsätzlich möglich ist, in der 1. Änderungssatzung eine Rückwirkung zum 18. Dezember 2019 vorzusehen. Die Unwirksamkeit der 1. Änderungssatzung ergibt sich folglich nicht schon aus einer unzulässigen Rückwirkung.
75
Allerdings wurde die 1. Änderungssatzung nach der Rechtsauffassung der Kammer fehlerhaft bekannt gemacht. Wie vorstehend ausgeführt, wird durch § 1 der 1. Änderungssatzung die (ursprüngliche) Vorkaufssatzung hinsichtlich des Geltungsbereichs (§ 1) und des Inkrafttretens (§ 3) geändert. Nach § 2 der 1. Änderungssatzung bleiben die übrigen Bestimmungen der Vorkaufssatzung (§ 2) unberührt. Weitere Regelungen enthält die 1. Änderungssatzung nicht, insbesondere enthält sie also selbst keine Regelung zum Inkrafttreten, weshalb sie als (Änderung einer) Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 4 BauGB, § 16 Abs. 2 BauGB, § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB mit der Bekanntmachung in Kraft tritt. Die Bekanntmachung war ausweislich des Bekanntmachungsvermerks der Beklagten am 29. Februar 2024.
76
In dem Bekanntmachungstext der 1. Änderungssatzung heißt es demgegenüber jedoch auszugsweise:
77
Bekanntgemacht wurde also, dass das die 1. Änderungssatzung rückwirkend zum 18. Dezember 2019 in Kraft tritt. Dies wurde vom Gemeinderat so nicht beschlossen, sondern nur, dass die (ursprüngliche) Vorkaufssatzung – mit geändertem § 1 – rückwirkend zum 18. Dezember 2019 in Kraft tritt. Zwar wird den formalen Anforderungen an die Bekanntmachung schon dann Genüge getan, wenn die ausgefertigte Rechtsnorm bekanntgemacht wird. Ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen an die Verkündung / Bekanntmachung gemäß § 10 Abs. 3 BauGB i.V.m. Art. 26 GO liegt aber vor, wenn die Satzungsbekanntmachung sich nicht gemäß § 10 Abs. 3 BauGB darauf begrenzt, den Satzungsbeschluss bekannt zu machen, sondern wenn der Bekanntmachungstext dazu genutzt wird, eine Norm zu verkünden, die inhaltlich nicht vom Satzungsbeschluss gedeckt ist und inhaltlich so nicht beschlossen wurde. (BayVGH, U.v. 26.9.2022 – 15 N 21. 3023 – juris Rn. 41). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Anordnung der Rückwirkung kein Teil des Satzungsbeschlusses nach § 10 Abs. 1 BauGB, sondern ein Bestandteil des Bekanntmachungsverfahrens ist (BVerwG, U.v. 10.8.2000 – 4 CN 2/99 – juris Rn. 23 zu einem Fall, in dem ein Bebauungsplan erneut und rückwirkend bekanntgemacht wurde; VGH BW, U.v. 10.5.2023 – 14 S 396/22 – juris Rn. 55 ff.). Denn wird das ergänzende Verfahren in einem Verfahrensstadium nach dem Beschluss der Satzung aufgenommen, wird nur eine rückwirkende Bekanntmachung auf den Zeitpunkt des ursprünglichen Inkrafttretens in Betracht kommen. Anders liegt es jedoch, wenn das für den Beschluss der Satzung zuständige Organ erneut mit der Satzung befasst wird, sei es, weil das ergänzende Verfahren vor dessen Beschluss einsetzt, sei es, weil das ergänzende Verfahren gerade der Heilung eines Fehlers bei diesem Beschluss dient. Hier liegt es im Satzungsermessen, ob die Heilung mit vollständiger oder teilweiser Rückwirkung oder ex nunc erfolgen soll (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 214 Rn. 256 f.). Vorliegend wurde der Gemeinderat erneut mit der Satzung befasst und hat die ursprüngliche Satzung – wenn auch marginal – abgeändert. Das bedeutet, dass das ergänzende Verfahren nicht in einem Verfahrensstadium nach dem Beschluss der Satzung aufgenommen (bspw. lediglich Heilung einer fehlerhaften Ausfertigung oder Bekanntmachung) wurde, sondern dass der Gemeinderat hier erneut einen Beschluss gefasst hat. So, wie die Satzung vom Gemeinderat beschlossen wurde, hätte es im Bekanntmachungstext heißen müssen, dass die 1. Änderungssatzung – mangels Regelung zum Inkrafttreten – mit Bekanntmachung in Kraft tritt.
78
Die fehlerhafte Bekanntmachung führt zur Unwirksamkeit der 1. Änderungssatzung. Auf die von der Klägerin im Schriftsatz vom 20. Juni 2024 weiteren aufgeworfenen Probleme kommt es insofern nicht mehr entscheidungserheblich an. Für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kommt es im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts folglich auf die Wirksamkeit der Vorkaufssatzung vom 3. Dezember 2019 in ihrer ursprünglichen Fassung an.
79
(2) Auch die Vorkaufssatzung, die der Gemeinderat in der Sitzung vom 3. Dezember 2019 beschlossen hat, ist unwirksam.
80
Die Kammer geht mangels konkreter anderweitiger Anhaltspunkte wiederum von einem wirksamen Satzungsbeschluss aus. Insbesondere greift der Vortrag der Klägerin nicht durch, dass das Mitwirken des Gemeinderatsmitglieds ... als Miteigentümer des enteignungsbetroffenen Grundstücks Fl.Nr. ... zur Fehlerhaftigkeit des Satzungsbeschlusses geführt hat. Nach Art. 49 Abs. 4 GO hat die Mitwirkung eines wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossenen Mitglieds die Ungültigkeit des Beschlusses nur zur Folge, wenn sie für das Abstimmungsergebnis entscheidend war. Das ist bei einem Abstimmungsergebnis von 10:0- sofern der Gemeinderat W. bei der Sitzung überhaupt dabei war – ausgeschlossen.
81
Entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen wurde die Vorkaufssatzung auch nicht fehlerhaft ausgefertigt. Richtig ist, dass nur der Satzungstext ausgefertigt werden darf, der auch tatsächlich beschlossen worden ist. Zulässig ist in der ausgefertigten Satzungsfassung allenfalls die Vornahme von redaktionellen Änderungen (z.B. Korrektur von Rechtschreibfehlern); darüberhinausgehende inhaltliche Änderungen sind dagegen – trotz weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung – unzulässig (BayVGH, U.v. 26.9.2022 – 15 N 21.3023 – juris Rn. 36). Da der Zusatz in § 1 der Vorkaufssatzung „ausgefertigt am 04.12.2019“ ausweislich des mit Schriftsatz der Beklagten vom 10. Juni 2024 übersandten Auszugs aus dem Sitzungsbuch der Beklagten über die Sitzung vom 3. Dezember 2019 bereits Teil der Beschlussfassung war, ist kein Ausfertigungsmangel wegen nachträglicher Änderungen erkennbar. Auch ist ein solcher nicht darin zu sehen, dass der Lageplan zur Satzung keine „gedankliche Schnur“ zum Textteil der Satzung herstellt. Hier sind sowohl der einseitige Textteil der Vorkaufssatzung als auch der Lageplan mit einem Ausfertigungsvermerk versehen. Da alle Einzelteile der Satzung ausgefertigt wurden, bedarf es keiner (weiteren) gedanklichen Schnur (zu den Anforderungen: BayVGH, U.v. 10.12.2020 – 1 N 16.682 – juris Rn. 26; U.v. 27.9.2023 – 9 N 17.1105 – juris Rn. 18; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris LS und Rn. 33 ff. jew. m.w.N).
82
Entgegen der Ansicht der Klägerin und der Beigeladenen hat die Beklagte die Bekanntmachungsart zutreffend gewählt. Die Gemeinde kann nach § 25 Abs. 1 Satz 4 BauGB, § 16 Abs. 2 Satz 2 BauGB im Wege der Ersatzverkündung bekannt machen, dass eine Vorkaufssatzung beschlossen wurde. Die „Ortsüblichkeit“ der Bekanntmachung i.S.v. § 16 Abs. 2 BauGB beurteilt sich allein landesrechtlich (BayVGH, U.v. 13.10.2021 – 14 N 20.749 – juris Rn.16; Hornmann in BeckOK BauGB, Stand: 1.3.2024, § 16 Rn. 11). Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO sind die Satzungen im Amtsblatt des Landkreises oder des Landratsamts, sonst in regelmäßig erscheinenden Druckwerken amtlich bekanntzumachen, wenn die Gemeinde kein Amtsblatt i.S.d. Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO hat. Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO kann die amtliche Bekanntmachung auch dadurch bewirkt werden, dass die Satzung in der Verwaltung der Gemeinde niedergelegt und die Niederlegung digital über das Internet, durch Anschlag oder Anzeige an den für öffentliche Bekanntmachungen allgemein bestimmten Stellen (Gemeindetafeln), auf einer öffentlichen Internetseite der Gemeinde oder durch Mitteilung in einer Tageszeitung bekanntgegeben wird. Nach der Rechtsauffassung der Kammer konnte die Beklagte die Bekanntmachung durch Niederlegung wählen. Diese ist nicht deswegen fehlerhaft, weil keine Veröffentlichung im Amtsblatt des Landkreises erfolgt ist. Eine Subsidiarität der Bekanntmachung durch Niederlegung ist nur im Verhältnis zur Bekanntmachung nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO anzunehmen. Wenn kein eigenes Amtsblatt i.S.d. Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO existiert, kann die Gemeinde zwischen den Bekanntmachungsarten des Art. 26 Abs. 2 Satz 2 GO wählen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Zudem spricht die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 1 Bayerische Verordnung zur Ausführung kommunalrechtlicher Vorschriften (BayKommV) (bis 31. Dezember 2023: § 1 Abs. 1 Satz 1 Bekanntmachungsverordnung (BekV)) dafür, dass innerhalb des Art. 26 Abs. 2 Satz 2 GO keine Vorrangigkeit der Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises vorgesehen ist. Denn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BayKommV bestimmen Gemeinden, die kein Amtsblatt im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO haben, in der Geschäftsordnung oder durch Beschluss des Gemeinderats eine der in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 GO genannten Arten der Bekanntmachung. In § 34 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung vom 14. Mai 2020 hat der Gemeinderat der Beklagten festgelegt, dass Satzungen und Verordnungen dadurch amtlich bekannt gemacht werden, dass sie in der Verwaltung der Gemeinde zur Einsichtnahme niedergelegt werden und die Niederlegung durch Anschlag an den Gemeindetafeln bekannt gegeben wird. Dies ist vorliegend erfolgt.
83
Die Vorkaufssatzung wurde jedoch – wie auch die 1. Änderungssatzung – nicht wirksam bekannt gemacht. Wie oben bereits ausgeführt, darf der Bekanntmachungstext keine Norm verkünden, die inhaltlich nicht vom Satzungsbeschluss gedeckt ist und inhaltlich so nicht beschlossen wurde. Der Bekanntmachungstext, der am 18. Dezember 2019 an die Gemeindetafel geheftet wurde, lautet (auszugsweise) wie folgt:
84
Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgt nicht mit der beschlossenen Satzung – dies ist auch gar nicht möglich –, sondern die Satzung bildet nur die Grundlage für die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Mit der Bekanntmachung wurde zwar auch über den Erlass der Vorkaufssatzung informiert, allerdings wurde der Inhalt der verkündeten Satzung falsch wiedergegeben. Der Beigeladenen ist darin zuzustimmen, dass streng zwischen der Begründung eines Vorkaufsrechts und der Ausübung eines solchen zu unterscheiden ist. Während eine satzungsmäßige Schaffung eines Vorkaufsrechts mit der Normenkontrolle nach § 47 VwGO zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angegriffen werden kann, ist gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten statthaft. Die Verfahrensarten unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der antrags- bzw. klagebefugten Personen, des zuständigen Gerichts als auch der Rechtsmittelfristen erheblich. Die Fehlerhaftigkeit der Bekanntgabe führt dazu, dass die Vorkaufssatzung auch in ihrer ursprünglichen Fassung nicht wirksam in Kraft getreten ist.
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Dieser Bekanntgabemangel wurde auch durch die erneute Bekanntmachung am 29. Februar 2024 nicht mit Rückwirkung geheilt. Hier heißt es:
86
Nach der Rechtsauffassung der Kammer wäre es vorliegend zwar möglich gewesen, dass der 1. Bürgermeister im ergänzenden Verfahren, das in einem Verfahrensstadium nach Satzungsbeschluss aufgenommen wird, im Bekanntmachungsverfahren eine Rückwirkung anordnet (hierzu s.o. unter (1)). Dem vorliegenden Bekanntmachungstext ist jedoch keine solche Rückwirkungsanordnung zu entnehmen. Nach der erneuten Bekanntmachung „ist“ die Satzung „am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft getreten“. Abgesehen davon, dass die Satzung schon mit der Bekanntmachung in Kraft getreten wäre (hierzu s.o. unter (1)), bezieht sich die gewählte Perfektform auf einen bereits eingetretenen Zustand. Sprachlich stellt die erneute Bekanntmachung also auf die aus Sicht der Beklagten bereits in Kraft getretene Satzung ab, misst aber der erneuten Bekanntgabe selbst keine Rückwirkung bei. Für den objektiven Betrachter entsteht damit der fälschliche Eindruck, dass die Satzung bereits in Kraft getreten ist, es kommt jedoch nicht zum Ausdruck, dass erst durch die erneute Bekanntmachung das Inkraftsetzen erfolgen soll. Hierzu hätte es auch Sicht der Kammer einer anderen sprachlichen Formulierung bedurft, wie beispielsweise: „Die Satzung wird mit Hinweis auf § 214 Abs. 4 BauGB rückwirkend zum 18.12.2019 in Kraft gesetzt“.
87
Da sowohl die erste als auch die erneute Bekanntmachung der am 3. Dezember 2019 beschlossenen Vorkaufssatzung fehlerhaft waren, ist diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht wirksam.
88
(3) Mangels wirksamer Vorkaufssatzung kann die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des westlichen und mittleren Grundstücksteils nicht auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gestützt werden. Damit ist die Ausübung des Vorkaufsrechts insofern – ungeachtet der Frage, ob die Vorkaufssatzung materiell rechtmäßig ist, woran die Klägerin und die Beigeladene nicht unerhebliche Zweifel geltend gemacht haben – bereits aus diesem Grund rechtswidrig.
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cc) Darüber hinaus ist die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des mittleren Grundstücksteils, für das im Bebauungsplan lediglich Flächen für Landwirtschaft festgesetzt sind, nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt.
90
Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 BauGB i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Die Definition des Wohls der Allgemeinheit ist kontextabhängig anhand der Ziele zu gewinnen, die mit den einzelnen Tatbeständen der Vorkaufsrechte aus § 24, § 25 BauGB verfolgt werden (BayVGH, B.v. 24.4.2020 – 15 ZB 19.1987 – juris Rn. 17). Das besondere Interesse an der Ausübung des Satzungsvorkaufsrechts an unbebauten Flächen im Geltungsbereich eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans liegt insbesondere dann vor, wenn dieses Grundstück baulichen Nutzungen entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zugeführt werden soll (Grziwotz in BeckOK BauGB, Stand: 1.2.2024, § 25 Rn. 14). Die Gemeinde kann das Vorkaufsrecht in den Fällen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB auch dann ausüben, wenn – wie dies die Regel sein wird – nur eine Nutzung durch private Dritte infrage kommt. Bei Ausübung des Vorkaufsrechts braucht aber weder der künftige Vertragspartner der Gemeinde festzustehen, noch muss die Gemeinde überhaupt darlegen, dass sie schon Vorbereitungen für eine Privatisierung eingeleitet hat (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 25 Rn. 29). Umgekehrt entspricht die Ausübung nicht dem Wohl der Allgemeinheit, wenn das Grundstück bereits entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird. Dies soll selbst dann gelten, wenn ein Erwerber Nutzungsänderungsabsichten äußert (Grziwotz in BeckOK BauGB, Stand: 1.2.2024, § 25 Rn. 14). Zwar ist der Ausschlusstatbestand des § 26 Nr. 4 BauGB hier nicht einschlägig, weil es sich beim streitgegenständlichen Grundstück nicht um ein bebautes Grundstück handelt. Zwischen der Regelung in § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB und den in § 26 BauGB genannten Ausschlussgründen besteht dennoch ein enger sachlicher Zusammenhang. Der Katalog der ausdrücklich ausgeführten Ausschlusstatbestände konkretisiert Beispielsfälle, in denen das Allgemeinwohl die Ausübung des Vorkaufsrechts typischerweise nicht rechtfertigt. Er bietet für die Anwendung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB ebenfalls einen gewichtigen Orientierungspunkt. Auch bei Tatbeständen, die nicht von § 26 BauGB erfasst werden, hat sich die Prüfung, ob das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt, an der gesetzgeberischen Wertung auszurichten, die dieser Vorschrift zugrunde liegt (BVerwG, B.v. 29.6.1993 – 4 B 100/93 – juris Rn. 5). Dass die Ausübung nicht dem Wohl der Allgemeinheit entspricht, wenn das Grundstück bereits entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird, sieht letztlich auch die Beklagte so (vgl. unter II. Begründung Ziff. 2.2 des Bescheids vom 15. Mai 2023).
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Die Planzeichnung stellt für das Grundstück Fl.Nr. ... Folgendes dar:
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Hieraus ergibt sich, dass im westlichen und mittleren Grundstücksteil Flächen für Landwirtschaft (§ 9 Abs. 1 Nr. 18 a) BauGB) festgesetzt sind (hellgrüne Flächen). Im westlichen Grundstücksbereich sind Baugrenzen festgesetzt (blaue Linien), die von privaten Grünflächen umgeben werden (dunkelgrüne Flächen). Aus der Begründung des Bebauungsplans geht hervor, dass der Bereich mit den Baugrenzen als Aussiedlungsmöglichkeit für Landwirte zur Verfügung stehen soll. Unter 6. Planungsabsichten heißt es im Bebauungsplan (S. 5 des Textteils), dass Baufenster für Aussiedlerhöfe festgesetzt würden. Anliegen der Beklagten sei es, durch die Aufstellung des Bebauungsplans die erforderlichen Flächen für aussiedlungswillige Landwirte sicherzustellen. Unter 7. Umsetzung ist ein eigenständiger Punkt zu den “Aussiedlerflächen“ geregelt (S. 7 – 14 des Textteils). Hier werden die durch die geplanten landwirtschaftlichen Aussiedlungen betroffenen Flächen beschrieben, der Bestand bewertet und der daraus resultierende Ausgleichsbedarf dargestellt und berechnet (der dann in der Folge u.a. im östlichen Bereich des Grundstücks Fl.Nr. ... als Ausgleichsfläche festgesetzt wurde). Ob die Beklagte dadurch wirksam Aussiedlerflächen festgesetzt hat, oder ob es – wie die Beigeladene meint – hierfür der Ausweisung eines „Sondergebiets Landwirtschaft“ nach § 11 BauNVO zur gezielten Ausweisung derartiger landwirtschaftlicher Betriebe (Aussiedlerhöfe) bedurft hätte, kann letztlich dahinstehen. Durch die planerischen Festsetzungen ist jedenfalls klar, dass auf den Flächen für Landwirtschaft im westlichen Grundstücksteil eine Bebauung vorgesehen ist. Dass die zu realisierende Bebauung landwirtschaftlich sein muss, ergibt sich nach der Rechtsauffassung der Kammer hinreichend aus dem Zusammenspiel zwischen landwirtschaftlicher Fläche und Baugrenzen. Der Planzeichnung ist zudem zu entnehmen, dass der westliche Teil mit den Baugrenzen und den umgebenden privaten Grünflächen von der „reinen“ Fläche für Landwirtschaft im mittleren Grundstücksteil abgegrenzt ist. Die hier eingezeichnete, schwarze Perlschnur ist in der Planzeichnung beschrieben mit „Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung“.
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Diese Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde gelegt, ist die Kammer der Rechtsauffassung, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts in Bezug auf den mittleren Grundstücksteil nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist, da diese Fläche derzeit als Ackerfläche und damit bereits entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird. Dabei wird nicht verkannt, dass es auf den ersten Blick interessengerecht erscheinen mag, das Grundstück als Ganzes zu erwerben, weil ein aussiedlungswilliger Landwirt ggf. die sich an die bebaubare Fläche anschließende Fläche auch im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs nutzen möchte. Allerdings hat die Plangeberin – die Beklagte – hier selbst eine Unterteilung des Grundstücks herbeigeführt, indem sie zwischen der „Aussiedlerfläche“ im westlichen und den bloßen Flächen für Landwirtschaft im mittleren Grundstücksteil eine Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung vorgesehen hat. Nach dem klaren Planungswillen der Beklagten kann das streitgegenständliche Grundstück hinsichtlich des westlichen und mittleren Teils nicht als untrennbar zusammengehörig angesehen werden, sodass eine differenzierte Betrachtung der Nutzungen angezeigt ist. Abgesehen davon ist es angesichts der Größe des westlichen, abgegrenzten Grundstücksteils durchaus möglich, hierauf ein Aussiedlungsvorhaben zu errichten und gleichwohl über ausreichend restliche Fläche zur Bewirtschaftung zu verfügen.
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Daraus folgt, dass die Beklagte von der Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des mittleren Grundstücksteils hätte absehen müssen. Im Rahmen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ist in der Rechtsprechung geklärt, dass in Fällen, in denen im Bebauungsplan Teile eines Grundstücks als öffentliche Flächen festgesetzt sind, die Gemeinde nicht gehindert ist, ihr Vorkaufsrecht lediglich in Bezug auf die betroffenen Teilflächen auszuüben. Eine Erstreckung des Vorkaufsrechts auf das Restgrundstück kommt nur in Betracht, wenn die Teilfläche, um deren Erwerb es der Gemeinde geht, und das Restgrundstück nicht ohne Nachteil für den Vorkaufsverpflichteten/Verkäufer getrennt werden können und dieser deshalb die Erstreckung verlangt (BayVGH, B.v. 8.4.2015 – 15 ZB 13.2564 – juris Rn. 22 m.w.N.). Das Vorkaufsrecht erstreckt sich also nicht von vornherein auf das gesamte verkaufte Grundstück. Der allgemein geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Privatrechtssphäre gebietet vielmehr, das gesetzliche Vorkaufsrecht ausdrücklich auf den Grundstücksteil zu beschränken, dessen Erwerb durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 24 Rn. 48 ff.). Da es auch im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB auf die Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit ankommt, gelten diese Grundsätze nach der Rechtsauffassung der Kammer auch in der vorliegenden Konstellation.
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Da die Beigeladene hier zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die Erstreckung des Vorkaufsrechts auf das Restgrundstück, d.h. den mittleren Grundstücksteil, verlangt, und darüber hinaus auch der mittlere Grundstücksteils angesichts seiner Größe wirtschaftlich sinnvoll verwertbar sein sollte, ist die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst im Falle einer rückwirkenden Heilung der Fehler der Vorkaufssatzung in Bezug auf den mittleren Grundstücksteil mangels Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit rechtswidrig.
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dd) Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist ebenso hinsichtlich des östlichen Grundstücksteils rechtswidrig.
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Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zu beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke oder für Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich im Sinne des § 1a Abs. 3 BauGB festgesetzt ist. Eine solche Ausgleichsfläche ist im östlichen Grundstücksteil im Bebauungsplan festgesetzt. Dabei geht die Kammer davon aus, dass der Bebauungsplan – mit Ausnahme der vom BayVGH für unwirksam erklärten 3. Änderung –, bzw. konkret die Festsetzung der Ausgleichsfläche in diesem, nach wie vor wirksam ist. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass der Bebauungsplan obsolet oder funktionslos geworden ist. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit erstens die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und zweitens eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels besteht, d.h. dass die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen planerischer Festsetzung und tatsächlicher Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (BayVGH, B.v. 23.9.2022 – 1 ZB 21.2872 – juris Rn. 6; B.v. 21.9.2023 – 2 ZB 22.589 – juris Rn. 9). Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung unter anderem der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibilität der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse. Die Anforderungen an das Außerkrafttreten von Festsetzungen eines Bebauungsplanes wegen Funktionslosigkeit sind als streng anzusehen. Es ist hinsichtlich einer solchen Feststellung große Zurückhaltung geboten (BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 9 ZB 19.2503 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 13 m.w.N.). Bebauungspläne können nur in äußerst seltenen Fällen funktionslos sein (BayVGH, B.v. 12.1.2023 – 1 ZB 22.1764 – juris Rn. 12). Dies zugrunde gelegt, sind die hohen Anforderungen an die Funktionslosigkeit vorliegend nicht erfüllt. Zum einen ist nicht erkennbar, dass im Plangebiet eine Vielzahl an Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt worden wäre. Zum anderen macht allein der Umstand, dass der Bebauungsplan schon ein Alter von über 20 Jahren aufweist, ihn bzw. seine Festsetzungen nicht automatisch unwirksam (zu einem über 30 Jahre alten Bebauungsplan: BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn 14). Derzeit ist auch nicht ersichtlich, dass die Verhältnisse in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, welcher die Verwirklichung der Festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließt. Trotz des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses können die Festsetzungen des Bebauungsplans – wenn auch wegen der Überplanung des Deponiegeländes wohl nicht alle – nach wie vor umgesetzt werden. Zum Verhältnis Planfeststellungsbeschluss und Bebauungsplan hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Normenkontrollverfahren ausgeführt, dass keine kollidierenden Planungen vorlägen. Vielmehr stehe die Bauleitplanung nach dem erklärten Willen der Beklagten gleichsam unter der auflösenden Bedingung, dass die Deponie tatsächlich verwirklicht werde (BayVGH, U.v. 4.5.2006 – 26 N 03.1737 – juris Rn. 57). Der Bebauungsplan sei durch den Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses nicht funktionslos geworden. Der Bebauungsplan könne erst dann außer Kraft treten, wenn und soweit der Planfeststellungsbeschluss umgesetzt werde, die Deponie also errichtet werde (BayVGH, U.v. 4.5.2006 – 26 N 03.1737 – juris Rn. 67). Die Deponie ist bislang allerdings nicht errichtet worden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat weiter ausgeführt, dass das Eintreten der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses auch nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führe, soweit dessen Festsetzungen seiner Umsetzung entgegenstünden. Die Fachplanung mache die entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplans nicht unwirksam. Denn zwischen den beiden Planungen bestehe keine Kollision, weil die Bauleitplanung unter dem Vorbehalt der Nichtverwirklichung der Deponie stehe (BayVGH, U.v. 4.5.2006 – 26 N 03. 1737 – juris Rn. 68). Es ist ohnehin nicht erkennbar, dass die Festsetzung der Ausgleichsfläche im Bebauungsplan dem planfestgestellten Deponievorhaben entgegenstehen könnte, sodass die hier maßgebliche Festsetzung nicht vom Vorrang des Deponievorhabens betroffen sein dürfte. Ebenso dürfte – dies wird lediglich ergänzend erwähnt – die Festsetzung der bebaubaren Fläche auf dem Grundstück Fl.Nr. ... dem Deponievorhaben nicht entgegenstehen. Dieses Grundstück ist nicht vom Planfeststellungsbeschluss umfasst. Die Regierung von ... geht in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses davon aus, dass das planfestgestellte Vorhaben zu keiner nachhaltigen Störung der gemeindlichen Bauleitplanung führe. Mit der Verwirklichung der Deponie würden sich keine prinzipiellen Hinderungsgründe für die Etablierung landwirtschaftlicher Aussiedlergebiete auf den von der Beklagten dafür vorgesehenen Flächen ergeben. Konflikte könnten sich ergeben, wenn auf den der Deponie unmittelbar benachbarten Flächen Wohnhäuser zugelassen würden (BayVGH, U.v. 4.5.2006 – 26 N 03.1737 – juris Rn. 4). Die Errichtung von Stallgebäuden oder anderweitiger landwirtschaftlicher Bebauung, die keine Wohnnutzung darstellt, dürfte auch im Falle der Verwirklichung der Deponie dieser nicht entgegenstehen. Diese Festsetzung des Bebauungsplans dürfte also ebenfalls noch realisierbar sein, was gegen eine Funktionslosigkeit oder Obsoleszenz des Bebauungsplans spricht.
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Bei Flächen mit öffentlicher Zweckbestimmung und zum Ausgleich im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 2 BauGB tritt das Satzungsvorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB hinter das speziellere Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zurück (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 25 Rn. 11, 37). Daraus folgt, dass es auf die Wirksamkeit der Vorkaufssatzung im Hinblick auf den östlichen, als Ausgleichsfläche festgesetzten Grundstücksteil nicht ankommt.
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Allerdings geht die Kammer unter Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls davon aus, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des östlichen Grundstücksteils nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Es wird nicht verkannt, dass in den Fällen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB die Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig schon dann dieses Erfordernis erfüllt, wenn die Gemeinde das Eigentum am Grundstück erstrebt, um dort den in einem rechtsverbindlichen Bebauungsplan festgesetzten Gemeinbedarfs-Zweck zu erfüllen bzw. um die Verwirklichung der im Bebauungsplan der Beklagten festgelegten Planungsvorstellungen zu erleichtern oder zu ermöglichen (BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn. 13; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 152. EL Oktober 2023, § 24 Rn. 67). Weiter wird nicht verkannt, dass die Ausgleichsfläche bisher nicht hergestellt wurde, sodass die Festsetzung noch umsetzbar ist. Nach dem Vorbringen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung stand für sie der Erwerb der östlichen Teilfläche jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit dem Erwerb der westlichen Teilfläche, auf der eine Bebauung vorgesehen ist. Der Zusammenhang zwischen bebaubarer Fläche und Ausgleichsfläche ergibt sich auch aus dem Bebauungsplan selbst. Unter A. 5.4 der Begründung des Bebauungsplans (S. 13 des Textteils) wird zu den Ausgleichsflächen ausgeführt, dass der Bedarf anteilsmäßig den einzelnen Vorhaben zur landwirtschaftlichen Aussiedlung zugeordnet und auf den jeweilig betroffenen Grundstücken gewährleistet werde. Für das Grundstück Fl.Nr. ... ergebe sich ein Kompensationsbedarf von 4.523,36 m². So hat der Bevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Beklagte noch keine Ermessenserwägungen dazu angestellt habe, ob ein Interesse nur an der östlichen Teilfläche bestünde. Hier müssten völlig neue Überlegungen, bspw. zur Finanzierung, angestellt werden. Die für eine Bebauung auf Fl.Nr. ... erforderlichen Ausgleichsflächen sollten unmittelbar auf dem Grundstück selbst vorgehalten werden. Diesem Vortrag ist zu entnehmen, dass es der Beklagten bei Ausübung des Vorkaufsrechts im Kern ausschließlich oder jedenfalls vordergründig darum ging, die Aussiedlerfläche zu erwerben und nicht darum, die Ausgleichsfläche herzustellen. Zusammen mit dem Erwerb der bebaubaren Flächen sollte dann die nach dem Bebauungsplan zugehörige Ausgleichsfläche – sozusagen im Paket – erworben werden. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Beklagte an einem isolierten Erwerb lediglich der Ausgleichsfläche und der Herstellung desselben ein Interesse gehabt hätte. Dementsprechend wird in den Gründen des Bescheids vom 15. Mai 2023 unter II. Begründung Ziff. 2.3.1 zum Vorliegen des Wohls der Allgemeinheit ausschließlich zur Notwendigkeit des Erwerbs der Aussiedlungsflächen ausgeführt. Hinsichtlich des östlichen Teilbereichs wird in Bezug auf die erforderlichen Allgemeinwohlgründe auf diese Ausführungen verwiesen. Da die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des westlichen, bebaubaren Grundstücksteils mit der Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich der hierfür festgesetzten Ausgleichsfläche nach den Erwägungen der Beklagten erkennbar in untrennbarem Zusammenhang stand, ist der Erwerb der östlichen Teilfläche hier nach der Rechtsauffassung der Kammer nicht vom Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt, da die Ausübung des Vorkaufsrechts im Hinblick auf die westliche Grundstücksfläche am Fehlen einer wirksamen Vorkaufssatzung scheitert.
100
ff) Ohne, dass es hierauf entscheidungserheblich ankommt, weist die Kammer zur Frage der ordnungsgemäßen Ermessensausübung im Rahmen der Ausübung des Vorkaufsrechts lediglich ergänzend auf Folgendes hin:
101
(1) Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Ein Ermessensfehler liegt zunächst vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall oder -nichtgebrauch), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (sog. Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit), und schließlich, wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich mithin von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.3.2023 – 1 A 10150/22 – juris Rn. 48). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung setzt bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (BayVGH, U.v. 30.3.2023 – 15 B 22.1761 – juris Rn. 16; B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 13). Der für die Ausübung des Vorkaufsrechts zuständige Gemeinderat entscheidet nicht lediglich darüber, ob von dem Instrumentarium des Vorkaufsrechts im konkreten Fall überhaupt Gebrauch gemacht werden soll. Dem Gemeinderat als sachlich zuständigen Beschlussorgan und nicht etwa der „Verwaltung“ (= dem Bürgermeister als Vollzugsorgan) obliegt in diesem Fall auch die ordnungsgemäße Ermessensentscheidung selbst (BayVGH, U.v. 30.3.2023 – 15 B 22.1761 – juris Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.3.2023 – 1 A 10150/22 – juris Rn. 52; VGH BW, U.v. 20.7.2022 – 3 S 3915/21 – juris Rn. 50 ff.).
102
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann auch der Verwaltungsakt über die Ausübung des Vorkaufsrechts trotz seiner Fristgebundenheit nachgebessert bzw. es können im Prozess weitere (Ermessens-)Gründe nachgeschoben werden; insbesondere kann eine bisher unvollständige Begründung ergänzt werden, indem die bereits im Ansatz vorgetragene Rechtfertigung untermauert wird (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 6 zum naturschutzrechtlichen Vorkaufsrecht). Allerdings kann eine neue Ermessensausübung auf wesentlich geänderter Tatsachenbasis, bei der es sich nicht um ein bloßes (ergänzendes) „Nachschieben von Gründen“ zur getroffenen Ermessensentscheidung handelt, im Hinblick auf die Ausübungsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB verspätet sein (BayVGH, U.v. 30.3.2023 – 15 B 22.1761 – juris Rn. 17). Das schließt es also aus, völlig neue Ermessenserwägungen nach Ablauf der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB anzustellen.
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(2) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist er vorliegend zweifelhaft, dass der Gemeinderat der Beklagten das Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat.
104
Zwar sind dem Bescheid vom 15. Mai 2023 (knappe) Ermessenserwägungen zu entnehmen. Unter II. Begründung Ziff. 2.3.2 des Bescheids ist eine Abwägung zwischen den Interessen der bisherigen Vertragsparteien und den Interessen der vorkaufsberechtigten Gemeinde erfolgt. Zu den Interessen der Klägerin ist hier ausgeführt, dass diese zwar nicht das Eigentum am Grundstück erlange, dafür aber auch nicht den Kaufpreis schulde. Auch die Nebenkosten des Vertrags habe die Beklagte zu tragen. Zu berücksichtigen sei ferner das Interesse der Klägerin an einer weiteren landwirtschaftlichen Nutzung. Dem stünden die städtebaulichen Interessen der Beklagten gegenüber. Sie ließen sich nicht in Einklang bringen mit den Nutzungsvorstellungen der Klägerin. Allerdings ist die Ermessensausübung durch den Gemeinderat Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114 Satz 1 VwGO. Die Ermessenserwägungen in dem von der Gemeindeverwaltung in Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses erlassenen Ausübungsbescheid sind also nicht von ausschlaggebender Bedeutung; sie sind allenfalls ein Indiz dafür, dass der Gemeinderat entsprechende Ermessenserwägungen angestellt hat (VGH BW, U.v. 20.7.2022 – 3 S 3915/21 – juris Rn. 53). Hier hat der Gemeinderat in der Sitzung vom 9. Mai 2023 beschlossen, das Vorkaufsrecht auszuüben (Nr. 1 des Beschlusses, S. 35 der Behördenakte). Weder der Beschlussvorlage für die Sitzung (Bl. 30 ff. der Behördenakte), noch dem Auszug aus dem Sitzungsbuch über die Sitzung vom 9. Mai 2023 (Bl. 33 ff. der Behördenakte) lässt sich eine Interessenabwägung, so, wie sie im Bescheid (knapp) zum Ausdruck kommt entnehmen. Damit ergeben sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinderat als zuständiges Gremium selbst ein Ermessen in der Art ausgeübt hat, dass eine Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erfolgt ist. Unter I. Sachvortrag heißt es in der Beschlussvorlage und dem Auszug aus dem Sitzungsbuch über die Sitzung vom 9. Mai 2023 jeweils nur, dass das Vorkaufsrecht ausgeübt werden könne, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Ausübung des Vorkaufsrechts im Ermessen der Gemeinde stehe, das pflichtgemäß auszuüben sei. Dies wurde hier aber nur im Zuge der Erläuterung der rechtlichen Voraussetzungen der Vorkaufsrechtsausübung erwähnt, wie bspw. auch die einzuhaltende Frist. Unter III. Ausübung des Vorkaufsrechts, Ziff. 2.1 heißt es, dass das Tatbestandsmerkmal „Wohl der Allgemeinheit“ eine Abwägung der Interessen des Verkäufers, ggf. auch des Käufers, mit den Interessen der Gemeinde erfordere. Allerdings werden die Interessen des Vorkäufers nirgends zur Sprache gebracht. In Nr. 4 des Beschlusses des Gemeinderats vom 9. Mai 2023 heißt es, dass die Verwaltung gebeten wird, einen entsprechenden Vorkaufsrechtsausübungsbescheid zu erlassen unter dem Vorbehalt, dass sich aus der Anhörung der Betroffenen keine Gründe ergeben, welche die Ausübung des gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheinen lassen (Bl. 36 der Behördenakte). Aus den Unterlagen ergibt sich damit lediglich, dass dem Gemeinderat zwar bekannt war, dass ihm Ermessen zusteht; dass der Gemeinderat tatsächlich ein solches ausgeübt hätte, ist indessen nicht erkennbar. Da der Bescheid vom 15. Mai 2023, zu dessen Erlass die Verwaltung durch den Gemeinderat gebeten wurde, inhaltlich – jedoch unter abgeänderter Anordnung der Punkte – weitgehend wortgleich mit dem Text der Beschlussvorlage und dem Inhalt des Auszugs aus dem Sitzungsbuch über die Gemeinderatssitzung am 9. Mai 2023 übereinstimmt, im Bescheid erstmalig jedoch der Passus unter Ziffer 2.3.2 des Bescheids, in dem konkret betroffene Interessen abgewogen werden, auftaucht, spricht viel dafür, dass die Interessenabwägung nachträglich durch die Verwaltung ergänzt wurde, dass aber der Gemeinderat nicht selbst die Abwägung des „Für und Wider“ vorgenommen hat. Zwar hat der 1. Bürgermeister der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass bei der Beklagten nur Ergebnisprotokolle geführt würden. Bei einem Ergebnisprotokoll läge es in der Natur der Sache, dass der Verlauf der Sitzung nicht ins Protokoll aufgenommen würde. Folglich ließe sich eine etwaig erfolgte Interessenabwägung dem Protokoll nicht entnehmen. Der Inhalt des vorgelegten Auszugs aus dem Sitzungsbuch geht jedoch deutlich über den Inhalt eines Ergebnisprotokolls und die Vorgaben nach Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GO und § 32 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Beklagten hinaus. Wie bereits erwähnt, ist der Inhalt des Bescheids nahezu vollständig deckungsgleich mit dem Inhalt des Auszugs aus dem Sitzungsbuch (und der dazugehörigen Beschlussvorlage). Es ist also mitnichten so, dass lediglich das Ergebnis protokolliert wurde. Der Auszug aus dem Sitzungsbuch enthält Passagen wie „Herr ... beginnt mit einleitenden Worten und einem kurzen Rückblick“, „Im Anschluss daran trägt RA ... die aktuelle Situation vor“ und „Zudem weist RA ... auf die Risiken im Falle einer Entscheidung für die Ausübung des Vorkaufsrechts hin“. Von einem Ergebnisprotokoll kann dabei keine Rede sein. Wenn sogar derartige Nichtigkeiten wie einleitende Worte und ein Rückblick Eingang in die Niederschrift gefunden haben, spricht es dafür, dass entscheidende Sitzungsinhalte, wie die Gegenüberstellung der Interessen, der wesentliche Inhalt des Abwägungsvorgangs sowie das Abwägungsergebnis ebenfalls erwähnt worden wären, hätten sie denn stattgefunden.
105
Hinzu kommt der Umstand, dass der Beschluss des Gemeinderats am 9. Mai 2023 erfolgt ist, die Frist zur Stellungnahme im Rahmen der Anhörung aber bis zum 12. Mai 2023 lief. Gleichwohl hat der Gemeinderat in Nr. 1 des Beschlusses die Ausübung des Vorkaufsrechts vorbehaltlos beschlossen. Die Bitte an die Verwaltung, einen entsprechenden Ausübungsbescheid zu erlassen unter dem Vorbehalt, dass sich aus der Anhörung keine Gründe ergeben, welche die Ausübung des gemeindlichen Ermessens als rechtswidrig erscheinen lassen (Nr. 4 des Beschlusses), lässt nicht den Schluss zu, dass der Gemeinderat mit eingehenden Stellungnahmen nochmals befasst worden wäre, um auch die darin vorgebrachten Tatsachen/Interessen in eine Abwägungsentscheidung einzubeziehen. Jedenfalls hat es der Gemeinderat im Zeitpunkt des vorbehaltlosen Beschlusses der Ausübung des Vorkaufsrechts in Kauf genommen, auf Grundlage nicht umfassend ermittelter und dargestellter Tatsachen entschieden zu haben. Sofern der Bevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass sich im Gemeinderat der Beklagten viele Mitglieder befänden, die seit Jahren mit den Vorgängen um die Deponie befasst seien und dementsprechend über die Hintergründe informiert seien, drängt sich die Frage auf, weshalb die – für dieses Grundstücksgeschäft ganz maßgeblichen – Interessen der Käuferin an einem Ringtausch im Zusammenhang mit dem Enteignungsverfahren im Bescheid vom 15. Mai 2023 nicht einmal ansatzweise erwähnt und erstmals im Bescheid vom 15. Mai 2024 zur Sprache gebracht wurden. Noch mehr verwundert es, dass im Bescheid ausgeführt wird, dass nicht unmittelbar erkennbar sei, aus welchem Antrieb und auf welche Weise die in ... ansässige Klägerin Landwirtschaft betreiben wolle. Entweder kannte der Gemeinderat die Motive der Klägerin nicht und hat vor Ablauf der Anhörungsfrist bewusst auf unvollständiger Tatsachenbasis die Ausübung des Vorkaufsrechts beschlossen, oder der Gemeinderat kannte die Motive, hat diese aber sowohl in der Beschlussvorlage, in dem Auszug aus dem Sitzungsbuch und dem Bescheid vom 15. Mai 2023 ignoriert.
106
Darüber hinaus lassen sich den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen sowie dem Bescheid keine Erwägungen dazu entnehmen, weshalb die Beklagte das Vorkaufsrecht nicht nur in Bezug auf die Teilflächen ausgeübt hat, hinsichtlich derer sie selbst von einer Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit ausgeht. Im Auszug aus dem Sitzungsbuch über die Sitzung vom 9. Mai 2023 heißt es dazu nur, dass es zulässig sei, das Vorkaufsrecht für die gesamte Fläche auszuüben, obwohl dazwischen nur eine „bloß“ landwirtschaftliche Fläche liege (Bl. 35 der Behördenakte unter 7.). Dies ist jedoch nur als Feststellung anzusehen, dass es rechtlich möglich sei, dass Vorkaufsrecht hinsichtlich des gesamten Grundstücks auszuüben. Überlegungen dahingehend, was dafür oder dagegen spricht, das Vorkaufsrecht auf die Teilfläche zu erstrecken, in der lediglich Flächen für Landwirtschaft festgesetzt sind, finden sich nirgends. Aus den vorgelegten Unterlagen geht eindeutig hervor, dass es der Beklagten um die Flächen zur Errichtung von Aussiedlerhofstellen ging, auf die entsprechenden Festsetzungen wird mehrfach Bezug genommen. „Hinsichtlich der restlichen Teilflächen des Grundstücks“ seien zudem Ausgleichsflächen festgesetzt (Bl. 34 der Behördenakte unter 2.2). Die dazwischen liegenden Flächen für Landwirtschaft spielen in den Ausführungen hingegen keine Rolle. Sofern der Bevollmächtigte der Beklagten zu diesem Thema in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass sich der Gemeinderat bewusst gewesen sei, dass es sich bei den in Frage stehenden Flächen um einzelne Teilflächen handle, so kommt dieses Bewusstsein des Gemeinderats in den vorgelegten Unterlagen jedenfalls nicht zum Ausdruck. Der Bevollmächtigte der Beklagten hat weiter vorgetragen, dass sich daran, dass der Gemeinderat auf einen Erwerb des Grundstücks Fl.Nr. ... verzichtet habe, zeige, dass der Gemeinderat zwischen den Flächen differenziert habe. Wenn der Gemeinderat – und nur auf diesen kommt es an – tatsächlich solche Überlegungen auch beim streitgegenständlichen Grundstück Fl.Nr. ... angestellt hat, stellt sich wiederum die Frage, weshalb dann nirgends erwähnt wird, dass der Gemeinderat die Situation im Hinblick auf das mittlere Teilstück anders beurteilt.
107
Die Kammer konnte letztlich von der Einvernahme der Gemeinderatsmitglieder absehen, da es auf die Frage der ordnungsgemäßen Ermessensausübung wegen der anderweitigen Rechtswidrigkeit (siehe vorstehend unter bb) – dd)) nicht mehr entscheidungserheblich ankommt.
108
Auf die Frage, ob der Ergänzungsbescheid vom 15. Mai 2024, der auf dem Gemeinderatsbeschluss vom 19. März 2024 basiert, wirksam zustande gekommen ist und etwaige Ermessensfehler heilen konnte, kommt es ebenfalls nicht entscheidungserheblich an. Diesbezüglich weist die Kammer nur darauf hin, dass, wenn nicht lediglich bereits angestellte Ermessenserwägungen in zulässiger Weise nach § 114 Satz 2 VwGO ergänzt wurden, sondern nach Ablauf der materiellen Ausschlussfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB erstmalig Erwägungen angestellt wurden – etwa der hinsichtlich des Gedankens eines Ringtauschs im Zuge des Enteignungsverfahren –, ein „Nachschieben“ nicht in Betracht kommt. Ermessenserwägungen, weshalb man die Ausübung des Vorkaufsrechts auf das ganze Grundstück erstreckt hat, finden sich auch im Ergänzungsbescheid nicht, sodass die Ermessensausübung diesbezüglich – sollte sie nicht nachweisbar bereits in der Gemeinderatssitzung am 9. Mai 2023 erfolgt sein, wofür jedenfalls nach den vorgelegten Unterlagen nichts spricht – nach wie vor defizitär wäre.
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gg) Nach alldem ist Ziff. I. des Bescheids vom 15. Mai 2023 (trotz der ergänzenden Begründung im Bescheid vom 15. Mai 2024) rechtswidrig.
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c) Auch Ziff. II. des Bescheids ist materiell rechtswidrig.
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Vorliegend hat die Beigeladene der Klägerin zwei Grundstücke verkauft (Fl.Nrn. ... und ...). Im Kaufvertrag wurde ein Kaufpreis von EUR 19,50 pro m² vereinbart, mithin ein Kaufpreis von insgesamt EUR 1.007.389,50. Die Gemeinde hat das Vorkaufsrecht nur hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. ... ausgeübt. Unter II. Begründung Ziff. 6 des Vorkaufsrechtsausübungsbescheids heißt es zutreffend, dass die Beschränkung der Ausübung auf nur ein Grundstück gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB, § 467 Satz 1 BGB zulässig sei. Die Gemeinde hat sodann den auf den vorkaufsbetroffenen Teil entfallenden verhältnismäßigen Anteil des Gesamtkaufpreises in Ziff. II. des Tenors des Bescheids vom 15. Mai 2023 auf 648.570 EUR bestimmt.
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Im Anwendungsbereich von § 28 Abs. 2 BauGB ist die Gemeinde jedoch nicht befugt, den (Teil-)Kaufpreis durch Verwaltungsakt festzusetzen. Eine entsprechende Befugnis ist im Gesetz weder ausdrücklich enthalten, noch kann sie ihm im Wege der Auslegung entnommen werden. Übt die Gemeinde ein Vorkaufsrecht gemäß § 28 Abs. 2 BauGB aus, richten sich die Rechtswirkungen grundsätzlich nach den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten zivilrechtlichen Vorschriften. Der Kauf zwischen der Gemeinde und dem Verkäufer kommt unter den Bestimmungen zustande, die der Verkäufer mit dem Dritten vereinbart hat (§ 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i. V. m. § 464 Abs. 2 BGB; Grundsatz der Vertragsidentität). Die Gemeinde hat daher den im Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). Eine hoheitliche Bestimmung des Kaufpreises durch Verwaltungsakt ist weder erforderlich noch in § 28 Abs. 2 BauGB vorgesehen. Für Streitigkeiten über die Ausübung des Vorkaufsrechts ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Anders verhält es sich bei den sog. preislimitierenden Vorkaufsrechten nach § 28 Abs. 3 und 4 BauGB, für die das Gesetz der Gemeinde „abweichend von Abs. 2 Satz 2“ die Befugnis einräumt, den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufs (Abs. 3 Satz 1) oder dem Entschädigungswert (Abs. 4 Satz 1) zu bestimmen. In diesen Fällen erstreckt sich die Verwaltungsaktbefugnis der Gemeinde mithin kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch auf die Festsetzung des Preises. Verwaltungsakte nach § 28 Abs. 3 und 4 BauGB können nur durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden. Über den Antrag entscheidet das Landgericht, Kammer für Baulandsachen (§ 217 Abs. 1 Satz 4 BauGB). Für den Fall, dass das Vorkaufsrecht nach § 28 Abs. 2 BauGB – wie hier – nur teilweise ausgeübt wird, was nach § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i. V. m. § 467 Satz 1 BGB analog grundsätzlich zulässig ist, trifft § 28 Abs. 2 BauGB keine spezielle Regelung. Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinde für diesen Fall eine Befugnis zur Preisfestsetzung durch Verwaltungsakt zustehen sollte, sind nicht ersichtlich. Zwar wird der Grundsatz der Vertragsidentität in diesen Fällen durchbrochen. Das führt aber nicht zu einem Wechsel in das System für die preislimitierenden Vorkaufsrechte. Eine hoheitliche Befugnis zur Bestimmung eines Teilkaufpreises ist in diesen Fällen weder erforderlich noch – wie bei § 28 Abs. 3 und 4 BauGB – im öffentlichen Interesse gerechtfertigt. Gemeinde und Vertragspartner begegnen sich hinsichtlich des Vertragsinhalts unverändert auf der privatrechtlichen Ebene der Gleichordnung. Die Teilausübung vermittelt der Gemeinde keine weitergehenden Gestaltungsmöglichkeiten als einem privaten Vorkaufsberechtigten. Ist im Kaufvertrag nur ein einheitlicher Kaufpreis vereinbart, ist der Teilkaufpreis entsprechend § 467 Satz 1 BGB zu ermitteln und der Vertrag insoweit anzupassen. Dass gegebenenfalls ein weiteres gerichtliches Verfahren notwendig wird, wenn die Vertragsparteien sich nicht auf einen Teilkaufpreis verständigen können, ist Folge der in § 28 BauGB getroffenen Unterscheidung zwischen den Fällen des Absatzes 2 einerseits und der Absätze 3 und 4 andererseits. Zivilrechtliche Folgeprozesse sind auch sonst, etwa bei Streit über die Vertragsmodalitäten, nicht ausgeschlossen (BVerwG, U.v. 9.11.2023 – 4 C 2/22 – juris Rn. 9 ff.). Nach der Rechtsauffassung der Kammer macht es keinen Unterschied, ob sich die Teilausübung auf ein Grundstück bezieht, oder ob – wie hier – die Teilausübung daraus resultiert, dass von zwei verkauften Grundstücken nur in Bezug auf eines das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, sodass die vorgenannten Grundsätze auch im vorliegenden Fall zur Rechtswidrigkeit der (Teil-)Kaufpreisfestsetzung im Bescheid führen.
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d) Die Klage erweist sich insgesamt als begründet. Der Bescheid war demzufolge aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch nicht dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.