Titel:
Prozesskostenhilfe für Klage gegen den Widerruf einer Einstellungszusage für den Polizeivollzugsdienst
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1, S. 1, S. 4, § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2
BayVwVfg Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
StGB § 156
Leitsatz:
Der Dienstherr darf die Einstellung eines Bewerbers bereits dann ablehnen, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen. Dies gilt insbesondere im Polizeivollzugsdienst, bei dem besonders hohe Anforderungen an die Gesetzestreue zu stellen sind, denn die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehört zu dessen Kernaufgaben. Eigene Verstöße in diesem Bereich sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers zu begründen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe (abgelehnt), Widerruf einer Einstellungszusage für den Polizeivollzugsdienst, Erledigung durch Zeitablauf (Zusage nur für bestimmten Einstellungstermin), Fortsetzungsfeststellungsinteresse, fehlende charakterliche Eignung, Ermittlungsverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung in Bezug auf Angaben zur Gesundheit, maßgeblicher Zeitpunkt, Prozesskostenhilfe, Widerruf, Einstellungszusage, Polizeivollzugsdienst, Erledigung, Zeitablauf, Einstellungstermin, Ermittlungsverfahren, falsche eidesstattliche Versicherung, Angaben zur Gesundheit, Bewilligungsreife, Beamtenverhältnis auf Widerruf, gesundheitliche Eignung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18397
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage, mit der er sich gegen den Widerruf der Mitteilung wendet, dass er als Anwärter in den Polizeivollzugsdienst eingestellt werde.
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Auf die Einstellungsbewerbung des Klägers vom 28. April 2022 teilte ihm das Präsidium der Bayerischen ...polizei mit Schreiben vom 20. Dezember 2022 mit, dass vorgesehen sei, ihn zum 1. März 2023 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Polizeimeisteranwärter bei der Bayerischen ...polizei einzustellen, wenn am Einstellungstag alle beamten- und laufbahnrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Mit am 5. Januar 2023 unterschriebenem und am 13. Januar 2023 beim Beklagten eingegangenem Formblatt erklärter der Kläger, den angebotenen Ausbildungsplatz zum März 2023 anzunehmen.
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Ab 12. Januar 2023 erörterte der Beklagte in E-Mails den Umstand, dass gegen den Kläger wegen falscher Versicherung an Eides statt ermittelt wurde. Der Kläger hatte mit Datum 26. Juli 2022 gegenüber dem Verwaltungsgericht ... eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, nachdem das Land ... seine Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst wegen unvollständiger Angaben zu seinem Gesundheitszustand und damit mangelnder charakterlicher Eignung abgelehnt und der Kläger hierauf um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht hatte. Mit Beschluss vom 28. Juli 2022 hatte das Verwaltungsgericht ... den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Mit Bescheid vom 26. Januar 2023 widerrief das Präsidium der Bayerischen ...polizei den Bescheid vom 20. Dezember 2022 (1.) und ordnete die sofortige Vollziehung an (2.). Der Widerruf werde auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG gestützt. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Fachlaufbahn Polizei und Verfassungsschutz (FachV-Pol/VS) könne in die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes u.a. nur eingestellt werden, wer charakterlich geeignet sei. An der charakterlichen Eignung des Klägers bestünden angesichts des Ermittlungsverfahrens wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung derzeit Zweifel. Bei den Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst müsse der Beklagte wegen der Besonderheiten des Berufs einen strengen Maßstab anlegen. Ermessen sei pflichtgemäß ausgeübt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids vom 26. Januar 2023 verwiesen.
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Der Kläger ließ am 27. Februar 2023 – zunächst ohne Antragstellung – Klage gegen den Bescheid vom 26. Januar 2023 erheben.
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Am 17. Mai 2023 stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten.
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Am 31. Juli 2023 stellte der Kläger den Antrag,
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den Bescheid vom 26. Januar 2023 aufzuheben.
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Er gehe davon aus, dass – obwohl der Einstellungszeitpunkt bereits verstrichen sei – sein Bewerberverfahrensanspruch noch nicht untergegangen sei, da nach Aktenlage die Stelle noch nicht mit einem anderen Bewerber besetzt worden sei. Entgegen der Annahme des Beklagten bestünden keine berechtigten Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers als Polizeivollzugsbeamter und/oder ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht, da der in dem – nach wie vor nicht abgeschlossenen – strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhobene Vorwurf offensichtlich unbegründet sei. Eine Strafbarkeit nach § 156 StGB setze im subjektiven Tatbestand die Vorstellung von der Falschheit bzw. Unwahrheit des Bekundeten voraus. Diese sei beim Kläger nicht vorhanden gewesen, zumal er den Beklagten selbst von dem gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt habe und es sich bei dem „Gesundheitsproblem“ nach einem Arztbericht des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 6. Juli 2022 um ein solches ohne jeden Krankheitswert für den Kläger, keinesfalls aber um eine seelische Störung handele.
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Ohne Grundlage sei das Verwaltungsgericht ... davon ausgegangen, dass bereits die Erstdiagnose beim Kläger eine erhebliche Unsicherheit und Besorgnis ausgelöst habe; der Kläger sei – ebenfalls aktenkundig – beschwerdefrei. Auch die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ... in Bezug genommene Einschätzung der Bundeswehr, der Kläger sei dienstuntauglich, sei nicht nachvollziehbar, zumal nur von einer Dienstuntauglichkeit bis Mai 2022 die Rede gewesen sei, der Kläger aber den Gesundheitsbogen für den Einstellungstermin Juli 2022 erst am 29. April 2022 mit Relevanz für den Zeitraum nach Ablauf der angeblichen Dienstuntauglichkeit ausgefüllt habe. Der Kläger habe also keine Vorstellung von einer erheblichen Bedeutung für und weiterem Klärungsbedarf durch den künftigen Dienstherrn haben müssen. Damit sei ohne den Widerruf auch nicht das öffentliche Interesse gefährdet. Zur Berechtigung des klägerischen Begehrens werde zudem die Einvernahme des Klägers als Partei und die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt.
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Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 6. September 2023,
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Die Klage sei bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil der angestrebte Einstellungszeitpunkt März 2023 mittlerweile verstrichen sei
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Der Kläger erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 19. November 2023, er habe ein berechtigtes Feststellungsinteresse gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr, der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses und des Rehabilitationsinteresses. Zudem ergebe sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG. Der Beklagte habe unreflektiert die ehrenrührigen Vorwürfe gegen den Kläger übernommen. Mit Verfügung vom 12. September 2023 habe die Staatsanwaltschaft ... das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; es habe sich herausgestellt, dass der Kläger unschuldig sei. Damit werde – gegebenenfalls hilfsweise – beantragt,
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dass der mit Bescheid vom 26. Januar 2023 erfolgte Widerruf der Einstellungsmitteilung vom 20. Dezember 2022 samt Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig war.
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Auf gerichtliche Nachfrage teilte der Beklagte mit Schreiben vom 28. Dezember 2023 mit, dass die Einstellungszusage seinerzeit ausschließlich aufgrund des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens widerrufen worden sei; mit Einstellung des Strafverfahrens sei dieses Einstellungshindernis weggefallen. Der Kläger nehme aktuell regulär am Einstellungsverfahren für den Termin September 2024 teil, für das er sich am 4. Oktober 2023 beworben habe.
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An einem gerichtlichen Erörterungstermin am 3. Mai 2024 nahm die Klägerseite nicht teil.
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Mit Beschluss vom 7. Mai 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2024 legte der Kläger einen Arztbrief des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 10. Januar 2024 vor, wonach der Befund beim Kläger weiterhin unauffällig sei. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren habe dem Kläger damit zu keinem Zeitpunkt entgegengehalten werden dürfen. Der Beklagte verschleppe die erneute Bewerbung des Klägers. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe weiterhin.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten bleibt ohne Erfolg. Die Rechtverfolgung hat nicht i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung dessen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden dürfen. Vorliegend sind insbesondere keine schwierigen, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen im Prozesskostenhilfeverfahren zu entscheiden. Die Erfolgschance der Klage ist allenfalls lediglich eine entfernte, weshalb die Versagung von Prozesskostenhilfe zulässig ist (vgl. BVerfG, B.v. 30.10.2023 – 1 BvR 687/22 – juris Rn. 18 f. m.w.N.). Es spricht alles dafür, dass die Klage zumindest unbegründet ist, weil der streitgegenständliche Bescheid vom 26. Januar 2023 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2022 – 22 CE 22.177 – juris Rn. 47 m.w.N.).
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1.1 Das Gericht geht zu Gunsten des Klägers davon aus, dass Bewilligungsreife nicht schon nach der Klageerwiderung des Beklagten vom 6. September 2023 vorlag, sondern erst, nachdem der Kläger Gelegenheit hatte, zu der vom Beklagten in diesem Schriftsatz geltend gemachten Erledigung der (durch den streitgegenständlichen Bescheid widerrufenen) Einstellungszusage vom 20. Dezember 2022 wegen Zeitablaufs – vgl. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG – Stellung zu nehmen und prozessual zu reagieren (jedenfalls hilfsweise Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Denn vor dieser Äußerung des Beklagten war nicht hinreichend klar, dass der in der Zusage als „vorgesehen“ bezeichnete Einstellungszeitpunkt 1. März 2023 tatsächlich (nur) eine Einstellung zu diesem Termin umfasste, so dass durch dessen Verstreichen, weil der Beklagte nur zu bestimmten (wenn auch wiederkehrenden) Zeitpunkten Einstellungen vornimmt, der Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers untergegangen war (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2023 – 6 ZB 23.1478 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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1.2 Ferner lässt das Gericht zu Gunsten des Klägers für die Bewilligungsreife die Äußerung des Beklagten mit Schreiben vom 29. November 2023 außer Betracht, mit der der Beklagte sich dahin äußerte, mit der Einstellung des Strafverfahrens (Schreiben der Staatsanwaltschaft ... vom 17.9.2023) sei der – einzige – Grund für den Widerruf der Einstellungsmitteilung weggefallen. Würde diese Äußerung für die Beurteilung der Bewilligungsreife noch berücksichtigt, dürften hinreichende Erfolgsaussichten der Klage schon deshalb nicht bestanden haben, weil die Klage angesichts der Erledigung der Einstellungszusage (vgl. 1.1.) und mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) unzulässig war. Denn angesichts der soeben genannten Äußerung des Beklagten bestand ab diesem Zeitpunkt weder eine Wiederholungsgefahr noch ein Rehabilitationsinteresse; insbesondere dauerte eine Stigmatisierung in der Gegenwart nicht mehr an (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 27.15 – juris Rn. 21 m.w.N.). Hinsichtlich der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses fehlte die notwendige Substantiierung. Auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen eines sich typischer Weise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakts hätte nicht vorgelegen, weil sich die kurzfristige, eine Anfechtungsklage ausschließende Erledigung nicht aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (vgl. zu den Anforderungen jeweils BayVGH, U.v. 10.3.2022 – 22 B 19.196 – juris Rn. 53, Rn. 60 m.w.N.).
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1.3 Wird damit zu Gunsten des Klägers hinsichtlich der Bewilligungsreife auf den Zeitpunkt seines Schriftsatzes vom 19. November 2023 abgestellt, so war die Klage zu diesem Zeitpunkt auch im Falle der Erledigung der Einstellungszusage als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und lag ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Gestalt einer konkreten Wiederholungsgefahr vor, weil zu diesem Zeitpunkt keine Äußerung des Beklagten vorlag, dass dem Kläger der Vorwurf einer falscher Versicherung an Eides statt (§ 156 StGB) bei seiner erneuten Bewerbung nicht entgegengehalten würde.
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2. Jedoch spricht alles dafür, dass die Klage unbegründet ist, weil der Bescheid vom 26. Januar 2023 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO).
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2.1 Rechtsgrundlage für den mit dem Bescheid ausgesprochenen Widerruf der Einstellungsmitteilung vom 20. Dezember 2022 ist Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft u.a. dann widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Maßgebender Bezugspunkt bei der Prüfung der Frage, ob eine Änderung der Sachlage eingetreten ist, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (Abel in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1.4.2024, § 49 Rn. 49 m.w.N.; Suerbaum in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 49 Rn. 89), hier also derjenige des Erlasses des Widerrufsbescheids vom 26. Januar 2023.
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2.1.1 Vorliegend traten nach der Einstellungszusage Tatsachen ein, die den Beklagten berechtigt hätten, dem Kläger keine Einstellungszusage zu erteilen, nämlich das gegen den Kläger eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt (§ 156 StGB). Dieses Ermittlungsverfahren lief auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids. „Tatsache“ im Sinne des Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG ist vorliegend also nicht der Gesundheitszustand des Klägers als solcher und damit seine gesundheitliche Eignung für eine Einstellung. In Rede steht vielmehr ausschließlich die Frage, ob der Beklagte, wäre gegen den Kläger wegen falscher eidesstattlicher Versicherung bereits im Zeitpunkt der Einstellungszusage vom 20. Dezember 2022 ermittelt worden, berechtigt gewesen wäre, eine solche Zusage wegen fehlender charakterlicher Eignung des Klägers für eine Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf nicht zu erteilen. Diese Frage ist zu bejahen.
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2.1.1.1 Die charakterliche Eignung eines Einstellungsbewerbers ist ein Unterfall der persönlichen Eignung, die wiederum ein Merkmal der Eignung i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 2 B 17.16 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris Rn. 19 f.). Die Beurteilung der persönlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der gerichtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeine gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2010 – 3 CS 10.887 – juris Rn. 27). Der Dienstherr darf die Einstellung eines Bewerbers bereits dann ablehnen, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen (vgl. HessVGH, B.v. 2.12.2016 – 1 B 1194/16 – juris Rn. 15). Dies gilt insbesondere im Polizeivollzugsdienst, bei dem besonders hohe Anforderungen an die Gesetzestreue zu stellen sind, denn die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehört zu dessen Kernaufgaben. Eigene Verstöße in diesem Bereich sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers zu begründen (vgl. HessVGH, B.v. 9.1.2020 – 1 B 2155/19 – juris Rn. 34 m.w.N.). Zur Begründung diesbezüglicher Zweifel bedurfte es keiner strafrechtlichen Verurteilung des Klägers. Der Beklagte konnte vielmehr im Zeitpunkt seiner Auswahlentscheidung vom Fehlen der charakterlichen Eignung des Klägers schon wegen des Sachverhalts, der dem gegen den Kläger geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde lag, ausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – juris Rn. 15, Rn. 17; OVG Berlin Bbg, B.v. 29.1.2018 – OVG 4 S 41.17 – juris Rn. 42; VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 8 ff.).
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Der Kläger hatte gegenüber dem Verwaltungsgericht ... in dem von ihm geführten Rechtsstreit hinsichtlich einer Einstellung in den Polizeivollzugsdienst des Landes ... eine Versicherung an Eides statt (Datum 26.7.2022; Behördenakt Bl. 28 f.) vorgelegt, welche die Frage betraf, ob er im dortigen Bewerbungsverfahren vorsätzlich falsche und/oder bedenklich unvollständige Angaben betreffend seinen Gesundheitszustand gemacht hatte. Zwar wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger mit staatsanwaltlicher Verfügung vom 12. September 2023 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; in dem vom Kläger vorgelegten entsprechenden staatsanwaltlichen Schreiben vom 17. September 2023 ist der Zusatz enthalten, es habe sich herausgestellt, dass der Kläger unschuldig sei. Die Einstellung erfolgte jedoch erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids vom 26. Januar 2023.
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2.1.1.2 Der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger erhobene Vorwurf war auch nicht – hierauf stellt der Kläger maßgeblich ab – offensichtlich unbegründet (vgl. zu dieser Voraussetzung OVG Berlin Bbg, B.v. 29.1.2018 – OVG 4 S 41.17 – juris Rn. 42; VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 7).
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Gem. § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist Behörde i.S.d. § 156 StGB auch ein Gericht. Das Verwaltungsgericht ... hat sich in seinem den Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss vom 28. Juli 2022 (Behördenakt Bl. 30 ff.) näher mit den Angaben des Klägers in seiner eidesstattlichen Versicherung befasst. Es hat sein Vorbringen als „lückenhaft und in sich nicht schlüssig“ bezeichnet (BA S. 7); ihm könne „nicht abgenommen werden“, dass er – wie er im Rahmen seiner eidesstattlichen Versicherung vorgetragen habe – beim Ausfüllen des Bewerbungsbogens keinen Zusammenhang zwischen der Fragestellung über bedeutsame Vorerkrankungen und seinem Befund habe erkennen können (BA S. 8 f.). Dabei hat sich das Verwaltungsgericht nicht allein auf die vom Kläger als „Erfindung“ kritisierte Annahme gestützt, die neurologische Befundlage habe beim Kläger bereits im Rahmen der Erstdiagnose Unsicherheit und Sorgen ausgelöst (BA S. 8). Vielmehr hat es (BA S. 7 f.) mehrere ärztliche Berichte und Befunde gewürdigt – auch den vom Kläger im vorliegenden Verfahren in Bezug genommenen Bericht des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 6. Juli 2022 – und daraus gefolgert (BA S. 8), dass die Befundlage im Sinne einer gesundheitlichen „Störung“ weiterhin laufender Kontrolle bedürfe und diese entgegen der Einschätzung des Klägers „keineswegs“ zeige, dass „alles intakt“ sei. Es könne dem Kläger nicht abgenommen werden, dass er keinen Zusammenhang zwischen der Fragestellung über bedeutsame Vorerkrankungen und seinem Befund habe erkennen können; es liege bewusstes Verschweigen im Rahmen des Bewerbungsbogens vor, welches im Übrigen auch eine nebenbefundlich dokumentierte Operation (Resektion) aus dem Jahr 2016 umfasse.
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Angesichts dieser näheren gerichtlichen Gegenüberstellung und Würdigung der ärztlichen Befundlage, der vom Kläger im Einstellungsverfahren ... in gesundheitlicher Hinsicht geforderten Angaben und der Einlassungen des Klägers in seiner eidesstattlichen Versicherung kann keine Rede davon sein, die Vorwürfe gegen den Kläger hätten offensichtlich nicht zugetroffen. Zwar ist – wie erwähnt – das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 VwGO eingestellt worden, allerdings erst etwa acht Monate nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses; dass die Vorwürfe gegen den Kläger offensichtlich nicht zutrafen, lässt sich im Übrigen auch dem Einstellungsschreiben vom 17. September 2023 nicht entnehmen. Für die Bewertung, ob die eidesstattliche Versicherung des Klägers i.S.d. § 156 StGB „falsch“ war, waren zunächst ein Abgleich und eine nähere Würdigung der von ihm im Bewerbungsverfahren ... abgefragten gesundheitlichen Angaben und der vorliegenden ärztlichen Befunde erforderlich, wie auch die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Einordnung in die ICD-Klassifikation verdeutlicht. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, da die Bundeswehr bei ihm eine Untauglichkeit bis Mai 2022 angenommen habe, habe er hieraus folgern dürfen, dass diese für den Einstellungstermin Juli 2022 (...) nicht mehr relevant sei. Hiergegen spricht vielmehr, dass am 6. Juli 2022 beim Kläger eine weitere Untersuchung im Bundeswehrkrankenhaus stattgefunden hat und in dem entsprechenden Arztbrief (Anlage K1) zwar „derzeit“ keine Indikation zur operativen Resektion gesehen wurde, wohl aber eine weitere bildgebende Verlaufskontrolle sowie endokrinologische und augenärztliche Kontrollen empfohlen wurden. Da – wie das Verwaltungsgericht ... nachvollziehbar angenommen hat (BA S. 5) – die Frage des Landes ... nach „bedeutsamen Vorerkrankungen seit der Geburt“ eindeutig gewesen ist und es gerade nicht darauf ankam, ob diese aktuell Beschwerden verursachen sowie der Kläger im Bewerbungsbogen keine nennenswerten Angaben gemacht hatte (vgl. Behördenakt Bl. 25), lag die Annahme, die Ausführungen des Klägers in der eidesstattlichen Versicherung, seine Angaben im Bewerbungsverfahren seien nicht vorsätzlich falsch oder bedenklich unrichtig gewesen, ihrerseits i.S.d. § 156 StGB falsch gewesen, nicht von vornherein fern. Dies gilt auch in Bezug auf den subjektiven Tatbestand, denn auch im Rahmen des § 156 StGB genügt bedingter Vorsatz (vgl. Bosch/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 156 Rn. 34).
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Im Übrigen hat sich der Beklagte Unterlagen betreffend die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe beschafft (Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei ...; eidesstaatliche Versicherung des Klägers; Entscheidung des Verwaltungsgerichts ...; Behördenakt Bl. 25 ff.). Weitere Ermittlungen des Beklagten, ob die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe zutreffen, waren im Auswahlverfahren nicht veranlasst. Im Rahmen des hinsichtlich der charakterlichen Eignung bestehenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums kann der Dienstherr beurteilungsfehlerfrei zu der Erkenntnis gelangen, einen Bewerber für die Dauer einer gegen ihn durchgeführten strafrechtlichen Ermittlung und eines sich gegebenenfalls anschließenden förmlichen Strafverfahrens als charakterlich ungeeignet anzusehen, bis der Dienstherr zu der Überzeugung gelangen kann (z.B. nach Nichterweislichkeit des vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Sachverhalts, Einstellung der Ermittlungen bzw. des Strafverfahrens, Freispruch u.a.), dass der Bewerber (uneingeschränkt) geeignet ist. Es ist auch nicht beurteilungsfehlerhaft, wenn regelmäßig dem Bewerber das daraus resultierende Risiko auferlegt wird. Denn strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder gar gerichtliche Strafverfahren beruhen in der Regel – und so auch hier – auf Umständen, die in der Person oder doch in der Sphäre des betreffenden Bewerbers liegen (vgl. zum Ganzen VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 9 f.).
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2.1.1.3 Angesichts des Vorstehenden kommen der Klage auch nicht deshalb hinreichende Erfolgsaussichten zu, weil zunächst noch weitere Sachaufklärung erforderlich wäre, insbesondere – wie vom Kläger u.a. beantragt – durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Vielmehr würde gerade die Erforderlichkeit, ein solches Gutachten einzuholen, verdeutlichen, dass die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe nicht offensichtlich unzutreffend waren, zumal im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids. Insofern liegt auch keine unzulässige Beweislastumkehr zu Lasten des Klägers oder ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor. Die Nichtberücksichtigung der Bewerbung eines Beamten wegen fehlender charakterlicher Eignung hat keinen Strafcharakter; ebenso besteht keine mit der Unschuldsvermutung korrespondierende beamtenrechtliche Eignungsvermutung (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – juris Rn. 14; B.v. 30.8.2019 – 3 ZB 18.508 – juris Rn. 22). Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass – wie die Einlassung des Beklagten vom 28. Dezember 2023 zeigt – eine fehlende charakterliche Eignung nicht mehr angenommen wurde, sobald das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Annahme der fehlenden charakterlichen Eignung des Klägers war also zumindest im vorliegenden Fall gleichsam akzessorisch zum Ermittlungsverfahren und insoweit lediglich vorübergehend.
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2.1.2 Der Beklagte hat auch in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass i.S.d. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Er hat insoweit zu Recht auf die Aufgaben der Polizei gem. Art. 2 Abs. 1 PAG verwiesen (Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung). Insofern gilt ebenso, dass gerade im Polizeivollzugsdienst die durch ein (mit nachvollziehbarem Anlass eingeleitetes) Ermittlungsverfahren aufgeworfenen Zweifel daran, ob der Bewerber gegen strafrechtliche Normen verstoßen hat, geeignet sind, seine Eignung zur Erfüllung dieses – unzweifelhaft ganz wesentlich im öffentlichen Interesse liegenden – Auftrags in Frage zu stellen.
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2.1.3 Schließlich hat der Beklagte ausweislich der Bescheidgründe erkannt, dass der Widerruf nach Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG in seinem Ermessen steht. Dass seine zum Widerruf führenden Ermessenserwägungen rechtsfehlerhaft sind, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2.2 Ergänzend ist zu bemerken, dass sich an der vorstehenden Beurteilung betreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 26. Januar 2023 nichts ändern würde, wäre das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger bereits im Zeitpunkt der Einstellungszusage (Bescheid vom 20.12.2022) eröffnet gewesen, so dass dann diese mangels (objektiv) bestehender fehlender Eignung des Klägers rechtswidrig gewesen wäre. Denn dann hätte dieser Bescheid als Rücknahme nach Art. 48 BayVwVfG Bestand; entsprechend wäre er umzudeuten (vgl. näher BVerwG, U.v. 19.9.2018 – 8 C 16.17 – BVerwGE 163, 102 – juris Rn. 19 ff.). Im Kern geht es vorliegend um die – zu bejahende – Frage, ob das Einstellungshindernis mangelnder charakterlicher Eignung des Klägers wegen eines Ermittlungsverfahrens, in dem einem (nicht offensichtlich unbegründeten) Strafbarkeitsvorwurf nachgegangen wurde, vorlag. Hierfür spielt letztlich keine Rolle, ob dieses Verfahren bereits im Zeitpunkt der Einstellungszusage eröffnet war oder erst später eröffnet wurde. Die Bedeutung, die der Beklagte – ohne, dass dies rechtlich zu beanstanden wäre – laufenden Ermittlungsverfahren beimisst, ergibt sich auch daraus, dass entsprechende Angaben von Bewerbern gezielt abgefragt werden (vgl. Behördenakt Bl. 4). Somit ist auch für die Ermessensausübung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, nicht entscheidend, ob Ermittlungsverfahren schon im Zeitpunkt der Einstellungsmitteilung (unerkannt) vorlagen oder erst nachträglich eröffnet wurden.