Titel:
Erneute Zwangsgeldandrohung bezüglich Pflicht zur Nachweisvorlage über den Masernschutz
Normenketten:
BayVwZVG Art. 29, Art. 30, Art. 31, Art. 36, Art. 37
IfSG § 20 Abs. 12 S. 4, § 22 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Anders als bei der regelmäßigen zulässigen erstmaligen Zwangsgeldandrohung ist eine weitere Zwangsgeldandrohung mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Unzulässigkeit eines Impfzwangs in einem anderen Licht zu sehen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Nichtvorlage eines Nachweises trotz einer vollziehbaren behördlichen Anforderung innerhalb einer angemessenen Frist ist der Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20 Abs. 12 S. 4 IfSG jedoch im Regelfall die gesetzlich vorgesehene Konsequenz und nicht der Erlass einer erneuten Zwangsgeldandrohung (ebenso BayVGH BeckRS 2024, 644). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Masernschutz, erneute Zwangsgeldandrohung, Ermessen, vom Gesetzgeber vorgezeichnetes Entscheidungsprogramm, Kindergarten, Nachweisvorlage, Zwangsgeldandrohung, Vollstreckungsvoraussetzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18361
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 26. Februar 2024 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Tatbestand
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Die Kläger wehren sich gegen den Bescheid des Beklagten (vertreten durch das Landratsamt Würzburg) vom 26. Februar 2024, mit dem Zwangsgeld angedroht wird für den Fall, dass sie der Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz ihres fünfjährigen Sohnes nicht nachkommen.
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Mit Bescheid vom 31. August 2023 verpflichtete das Landratsamt Würzburg für den Beklagten die Kläger, dem beim Landratsamt Würzburg verorteten Gesundheitsamt für Stadt und Landkreis Würzburg (nachfolgend: Gesundheitsamt Würzburg) für Ihr Kind innerhalb von acht Wochen nach Zustellung dieses Bescheids a) eine Impfdokumentation (nach § 22 Abs. 1 und 2 IfSG) oder ein ärztliches Zeugnis, auch in Form einer Dokumentation nach § 26 Abs. 2 Satz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuchs, darüber, dass ein nach den Maßgaben von § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht; b) ein ärztliches Zeugnis darüber, dass eine Immunität gegen Masern vorliegt; c) ein ärztliches Zeugnis darüber, dass aufgrund einer medizinischen Kontraindikation keine Impfung erfolgen kann (Kontraindikation mit Angabe der Dauer) oder d) eine Bestätigung einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer anderen von diesem Gesetz betroffenen Einrichtung darüber, dass einer der vorangegangenen Nachweise bereits vorgelegen hat, vorzulegen (Nr. 1). Für den Fall der Nichtbeachtung der in Nr. 1 angeordneten Verpflichtungen wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR pro Personensorgeberechtigtem angedroht (Nr. 2).
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Nachdem dem Landratsamt Würzburg innerhalb der festgesetzten Frist keiner der in § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG genannten Nachweise für den Sohn der Kläger vorgelegt wurde, stellte es mit Schreiben vom 26. Februar 2024 das Zwangsgeld fällig.
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Mit Bescheid vom 26. Februar 2024, der Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 6. März 2024, stellte das Landratsamt Würzburg für den Beklagten fest, dass die Kläger die Verpflichtung gemäß Nr. 1 des Bescheids des Gesundheitsamtes Würzburg vom 31. August 2023 umzusetzen haben. Für den Fall, dass die Kläger der genannten Pflicht in Nr. 1 nicht innerhalb von acht Wochen nach Zustellung des Bescheides nachkommen, wurde einmalig ein Zwangsgeld in Höhe von 600,00 EUR pro Personensorgeberechtigtem angedroht (Nr. 1). Die Kosten des Verfahrens wurden den Klägern auferlegt (Nr. 2). Für den Bescheid wurden Kosten in Höhe von 75,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrugen 3,45 EUR, die Gesamtkosten 78,45 EUR (Nr. 3). In den Gründen des Bescheids wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Androhung des Zwangsgeldes in Nr. 1 dieses Bescheids stütze sich auf die Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG könnten Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die auferlegte Verpflichtung erfüllt sei. Die neue Androhung des Zwangsgeldes sei zulässig, weil die vorausgegangene Zwangsgeldandrohung erfolglos geblieben sei (Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG). Der Höhe des Zwangsgeldes liege eine Schätzung des wirtschaftlichen Interesses entsprechend Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG zugrunde. Das Zwangsgeld und die Zwangsgeldhöhe entsprächen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens und seien unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter in Höhe von einmalig 600,00 EUR pro Personensorgeberechtigtem angemessen. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit könne so vor Beeinträchtigung geschützt werden und habe Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Pflichtigen. Die Angemessenheit der Höhe des Zwangsgeldes ergebe sich unabhängig von den Kosten, da ein massiver Grundrechtseingriff erfolge und der Druck durch die Zwangsgeldhöhe so erhöht werden müsse, sodass die Umsetzung der Maßnahme entsprechend erfolge. Gemäß dem Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG werde in ähnlich gelagerten Fällen ein Zwangsgeld in selbiger Höhe angedroht. Das Interesse der Einhaltung der Verpflichtung nach Nr. 1 des Bescheids vom 31. August 2023 überwiege, da vor allem der Schutz von Leben, Leib und Gesundheit der Bevölkerung höher bewertet werden müsse als die wirtschaftlichen Interessen der Pflichtigen. Die Umsetzung innerhalb von acht Wochen nach Zustellung dieses Bescheides und die Zwangsgeldandrohung bei Nichteinhaltung der Pflicht sei im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit angemessen, da es um die Verhinderung der Weiterverbreitung einer übertragbaren Krankheit (Masern) gehe und die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung betroffen sei.
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1. Am 8. April 2024 ließen die Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und zur Begründung ausführen: Den Klägern sei unter dem 6. März 2024 der gegenständliche Bescheid zugestellt worden. Dieser sei ermessensfehlerhaft ergangen, denn die Behörde habe die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu § 20 IfSG nicht ausreichend berücksichtigt.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 7. Juni 2024 ließen die Kläger ergänzend ausführen, dass die Rechtsfrage, ob eine Masernimpfung mittels Zwangsgeld bei Kindergartenkindern umsetzbar sei, bisher keiner Entscheidung zugeführt worden sei. In den beiden Beschlüssen vom 21. September 2023 und vom 15. Januar 2024 zu Masern-Zwangsgeldandrohungen bei Schulkindern habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es keine, auch keine mittelbare Impfpflicht in § 20 IfSG gebe. Zugleich stehe fest, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen gewesen sei, eine zwangsweise Impfung per Anwendung unmittelbaren Zwangs komme nicht in Betracht. Für Kindergartenkinder habe im Übrigen das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung darauf abgestellt, dass es den Eltern freistehe, ihre Kinder anderweitig betreuen zu lassen. Für die fehlende Möglichkeit der Behörden, eine Impfung bei Kindergartenkindern mittels Zwangsgeldandrohungen umzusetzen, streite im Übrigen die Gesetzessystematik und die ausdrücklich vorgesehene Regelung, dass ein Betretungsverbot angeordnet werde. Bestünden beide Möglichkeiten nebeneinander, wäre die Behörde im Sinne der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, das mildere der beiden Mittel auszuwählen. Zumindest unter der teilweise in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (OVG Berlin) vertretenen Prämisse, dass spätestens mit Schuleintritt eine Masernimpfung verpflichtend sei (Zwangsgeld also in Betracht komme), wäre regelhaft im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung davon auszugehen, dass bei Kindergartenkindern die Androhung von Zwangsgeld gegenüber dem Betretungsverbot das mildere Mittel darstelle. Denn dann wäre lediglich bei der Beurteilung der Eingriffsschwere der zeitliche Aufschub zu berücksichtigen, nicht der gesundheitliche Eingriff namens Impfung als solcher, wenn dieser ohnehin verpflichtend sei. Aufgrund dieser Überlegungen komme man zum Ergebnis, dass bei Zulässigkeit eines Zwangsgelds gegenüber Kita-Kindern bzw. deren Eltern in der Praxis (wäre Zwangsgeld generell möglich) de facto kein Anwendungsbereich mehr für ein Betretungsverbot verbliebe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Hinzu komme, dass auf dem Umweg über ein Zwangsgeld de facto der gem. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Rechtsschutz gegen ein Betretungsverbot faktisch unterlaufen werden könnte. Bis zu seiner Vollstreckung könnten die Eltern es nämlich durch Herausnahme des Kindes aus dem Kindergarten vermeiden, dass das Zwangsgeld vollstreckt werden könne. Spätestens mit dem Ende des Kita-Besuchs fehlten die Voraussetzungen für eine Zwangsgeldandrohung und Zwangsvollstreckung. Das angestrebte Ziel sei angesichts dieses „Auswegs“ so gut wie nie erreichbar, wobei bei einer lediglich mittelbar über das Zwangsgeld herbeigeführten Herausnahme, die Prüfung, ob ein Betretungsverbot rechtmäßig ergangen sei, erst gar nicht mehr stattfinden würde. Dass im Übrigen auch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unter dem Aspekt, dass Zwangsgeld per definitionem der Durchsetzung einer bestehenden Verpflichtung dienen solle, mithin ernsthaft und zielgerichtet angewendet werden müsse, erhebliche Zweifel bestünden, stehe auf einem anderen Blatt. Eine Rechtsprechung, die letztlich darauf hinauslaufe, dass etwas nur halb durchgesetzt werden solle, sei unter rechtsstaatlichen Aspekten hoch bedenklich. Von der Gesetzessystematik her sei auch ein erstes Zwangsgeld bei Kita-Kindern nicht vorgesehen.
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2. Das Landratsamt Würzburg trat für den Beklagten der Klage mit Schriftsatz vom 31. Mai 2024 entgegen und führte zur Begründung der Klageerwiderung im Wesentlichen aus: Die erneute Androhung eines Zwangsgeldes sei rechtmäßig. Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG könnten Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt sei. Die Voraussetzungen hierfür lägen auch vor. Die erneute Androhung eines Zwangsgeldes sei immer noch ein milderes Mittel im Vergleich zu einem möglichen Betretungsverbot. Andere gleich effektive mildere Mittel lägen nicht mehr vor, insbesondere seien alle von dem Beklagten zur Verfügung gestellten Instrumentarien (Beratungsgespräch etc.) bereits erfolglos in Anspruch genommen worden. Somit sei die erneute Androhung des Zwangsgeldes gerade unter Berücksichtigung des elterlichen Erziehungsrechts und dem Allgemeingut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung und auch der vulnerablen Teile der Bevölkerung, die sich nachweislich nicht impfen lassen könnten, angemessen. Hierbei greife gerade die Tatsache, dass nicht nur Individualinteressen der Kläger und ihres Kindes betroffen seien. Die Frist von acht Wochen sei auch ausreichend, um einen vollständigen Impfschutz zu erlangen.
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3. In der mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte:
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Der Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 26. Februar 2024 wird aufgehoben.
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Der Beklagtenvertreter beantragte,
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 23.1440 und des Sofortverfahrens W 8 S 23.1441) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist erfolgreich.
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Der Bescheid des Landratsamtes Würzburg vom 26. Februar 2024, mit dem für den Fall, dass die Kläger der Verpflichtung gemäß Nr. 1 des Bescheids des Gesundheitsamts Würzburg vom 31. August 2023 nicht innerhalb der genannten Frist nachkommen, ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 600,00 EUR pro Personenberechtigtem angedroht wird, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Bei der mit Nr. 1 des Bescheids vom 26. Februar 2024 erfolgten Feststellung, dass die Kläger die Verpflichtung gemäß Nr. 1 des Bescheids des Gesundheitsamtes Würzburg vom 31. August 2023 umzusetzen haben, handelt es sich mangels Regelungsabsicht lediglich um eine wiederholende, nicht selbständig angreifbare Verfügung (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Auflage 2023, § 35 Rn. 98a). Diese ist nicht streitgegenständlich. Die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 31. August 2023 ist Gegenstand des Verfahrens W 8 K 23.1440. Auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Juni 2024 in diesem Verfahren wird Bezug genommen.
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Die auf Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 26. Februar 2024 gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG) und auch im Übrigen zulässig.
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Die Klage ist auch begründet.
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Rechtsgrundlage für die Androhung des Zwangsgeldes sind Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Nach Art. 29 Abs. 1 VwZVG kann ein Verwaltungsakt, mit dem die Vornahme einer Handlung oder eine Duldung gefordert wird, mit Zwangsmitteln im Sinne des Art. 29 Abs. 2 VwZVG vollstreckt werden. Gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG müssen Zwangsmittel schriftlich unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erfüllung der Verpflichtung angedroht werden. Zwangsmittel können so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Zu beachten ist hier, dass hinsichtlich etwaiger Verstöße gegen die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 31. August 2023 bereits in diesem Bescheid Zwangsgelder angedroht wurden. Eine neue Androhung von Zwangsgeldern ist erst dann zulässig, wenn die vorausgegangene Androhung des Zwangsmittels erfolglos geblieben ist (Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG).
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Zwar lagen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 18 ff. VwZVG im Zeitpunkt des Bescheiderlasses vor. Die Anordnung der Nachweisvorlage in Nr. 1 des Bescheids vom 31. August 2023 ist kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) sofort vollziehbar, der Grundverwaltungsakt damit gemäß Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG vollstreckbar. Die Kläger sind der Verpflichtung hieraus nicht nachgekommen. Insoweit sowie hinsichtlich der Wirksamkeit von Nr. 1 des Verwaltungsakts (Art. 43 Abs. 3 BayVwVfG) vom 31. August 2023 als Vollstreckungsvoraussetzung und der grundsätzlichen Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Nachweisvorlageanordnung wird auf das Urteil des erkennenden Gerichts vom 10. Juni 2024 im Verfahren W 8 K 23.1440 Bezug genommen.
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Das gewählte Zwangsmittel und damit auch die vorausgehende Androhung müssen jedoch verhältnismäßig sein, Art. 29 Abs. 3 Satz 1 VwZVG. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens müssen eingehalten worden und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden sein, § 114 Satz 1 VwGO.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich einer erneuten Zwangsgeldandrohung bezüglich der Pflicht zur Vorlage eines Nachweises im Sinn des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG – in Bezug auf ein Schulkind – wie folgt entschieden (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935 – juris Rn. 28 ff.):
„Ein Nachweis über den Impfschutz, die Immunität oder die Kontraindikation ist grundsätzlich vor Beginn der Betreuung oder Tätigkeit zunächst der jeweiligen Einrichtungsleitung vorzulegen; […]. Unterbleibt die Vorlage oder bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, hat die jeweilige Einrichtungsleitung das zuständige Gesundheitsamt zu informieren (§ 20 Abs. 9 Satz 2, Abs. 10 Satz 2 IfSG). Die rechtlichen Befugnisse des zuständigen Gesundheitsamts ergeben sich sodann aus § 20 Abs. 12 IfSG: Auf einer ersten Stufe kann die Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG binnen einer bestimmten Frist durch Verwaltungsakt verbindlich angeordnet werden (§ 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG). Wird daraufhin ein solcher Nachweis vorgelegt, bestehen aber Zweifel an dessen Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit, kann das Gesundheitsamt – ebenfalls durch Verwaltungsakt – eine ärztliche Untersuchung anordnen, Auskünfte einholen und Unterlagen einsehen (§ 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG). Wird dagegen innerhalb einer angemessenen Frist kein solcher Nachweis vorgelegt (oder ist die Echtheit oder inhaltliche Richtigkeit vom Gesundheitsamt widerlegt worden), ergibt sich das vom Gesetzgeber vorgezeichnete Entscheidungsprogramm aus § 20 Abs. 12 Satz 3 bis Satz 6 IfSG: Die zur Vorlage verpflichtete Person kann zu einer Beratung geladen werden (§ 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 1 IfSG); jedenfalls aber ist sie vom Gesundheitsamt zu einer Vervollständigung des Impfschutzes gegen Masern aufzufordern (§ 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 2 IfSG). Ob diese vom Gesetz als zwingend („hat“) ausgestaltete Aufforderung zur Vervollständigung des Impfschutzes auch dann erforderlich ist, wenn es im konkreten Einzelfall gar nicht an der Vollständigkeit des Impfschutzes, sondern nur an der Vorlage eines geeigneten Nachweises fehlt, bleibt nach dem Gesetzeswortlaut offen; die Begründung des Gesetzentwurfs spricht allerdings dagegen (vgl. BT-Drs. 19/13452 S. 30: „wenn ein solcher Impfschutz fällig ist“). Schließlich kann das Gesundheitsamt der vorlageverpflichteten Person in einem letzten Schritt durch Verwaltungsakt untersagen, die dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung dienenden Räume zu betreten oder in einer solchen Einrichtung tätig zu werden (§ 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG). Speziell ein solches – zudem kraft Gesetzes sofort vollziehbares (§ 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) – Betretungs- oder Tätigkeitsverbot greift weitreichend in die Grundrechte der Betroffenen ein und bewirkt einen erheblichen Druck, die Anordnungen des Gesundheitsamts nach § 20 Abs. 12 Satz 1 und Satz 2 IfSG zu befolgen. Gegenüber schulpflichtigen (im Hinblick auf Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen i.S.d. § 33 Nr. 3 IfSG) und unterbringungspflichtigen Personen (im Hinblick auf Einrichtungen i.S.d. § 33 Nr. 4 und § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG) ist der Erlass eines Betretungsverbots jedoch nach § 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG gesetzlich ausgeschlossen.
Über den Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots hinausgehende Konsequenzen für den Fall der Nichterfüllung einer Vorlageanordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG sieht das Gesetz nicht vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich klargestellt, dass es sich beim Bestehen eines ausreichenden Impfschutzes oder einer anderweitig erworbenen Immunität gegen Masern „nicht um eine durch unmittelbaren Zwang durchsetzbare Pflicht“ handelt; vielmehr ergäben sich „die Konsequenzen eines nicht ausreichenden Impfschutzes beziehungsweise einer nicht ausreichenden Immunität (…) aus den Folgeabsätzen“, d.h. aus § 20 Abs. 9 ff. IfSG (BT-Drs. 19/13452 S. 27). Der Gesetzgeber hat seinem Beschluss demnach zugrunde gelegt, dass die Durchsetzung des grundsätzlichen Erfordernisses eines ausreichenden Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität gegen Masern für bestimmte Personengruppen aus § 20 Abs. 8 IfSG nur nach Maßgabe der speziell hierfür geschaffenen Regelungen (§ 20 Abs. 9 ff. IfSG) erfolgen soll. Ausnahmen und Freiheitsräume von dem Erfordernis einer Impfung oder Immunität, die nach Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Befugnisse verbleiben, sind danach hinzunehmen, zumal sie verfassungsrechtlich relevant – wenn nicht sogar geboten – sein dürften: Das Bundesverfassungsgericht hat das Gewicht des mit dem Erfordernis einer Impfung für bestimmte Personengruppen verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG maßgeblich daran gemessen, ob jeweils auch ein Verzicht auf die Impfung – und sei es unter Inkaufnahme gravierender Nachteile – möglich bleibt (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 145; B.v. 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21 – juris Rn. 209, 221). Vor diesem Hintergrund ist die im Gesetz angelegte (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 8 IfSG; vgl. auch BT-Drs. 19/13452 S. 30: „eine durch Verwaltungsvollstreckungsrecht und insbesondere mit Zwangsgeld durchsetzbare Pflicht“) selbständige Vollstreckbarkeit einer behördlichen Anordnung der Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG aus systematischen, teleologischen und verfassungsrechtlichen Gründen zu begrenzen: Wird innerhalb einer angemessenen Pflicht trotz einer vollziehbaren behördlichen Anforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG kein Nachweis vorgelegt, ist im Regelfall der Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG die gesetzlich vorgesehene Konsequenz. Parallel zu einem solchen Verbot wird eine (weitere) Vollstreckung der Nachweisvorlagepflicht mittels Zwangsgeld grundsätzlich schon deshalb nicht mehr in Betracht kommen, weil für die Dauer der Wirksamkeit des Betretungs- oder Tätigkeitsverbots keine Betreuungs-, Unterbringungs- oder Tätigkeitssituation besteht, die das Erfordernis eines Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität nach § 20 Abs. 8 IfSG begründen würde. Ist dagegen der Erlass eines Betretungsverbots ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen – wie bei schul- und unterbringungspflichtigen Personen (§ 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG) – kann der vom Gesetzgeber damit belassene Freiheitsraum für den Verzicht auf eine Impfung nicht im Einzelfall dadurch geschlossen werden, dass im Wege einer Zwangsvollstreckung der Nachweisevorlagepflicht aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG im Ergebnis mittelbar die Durchführung der Impfung – denn nur diese stellt (anders als das Bestehen einer anderweitigen Immunität oder einer medizinischen Kontraindikation) ein individuell beeinflussbares Verhalten dar – behördlicherseits durchgesetzt wird. Schul- und unterbringungspflichtige Personen, bei denen weder eine anderweitige Immunität gegen Masern noch eine medizinische Kontraindikation gegen die Impfung besteht, können sich der Durchführung einer Impfung nicht dadurch entziehen, dass sie auf das Betreten der jeweiligen Schul- oder Unterbringungsräume verzichten (vgl. auch Art. 118 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 BayEUG). Insbesondere der gesetzlichen Schulpflicht als Ausfluss des staatlichen Bildungsauftrags aus Art. 7 GG und dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf schulische Bildung kommt jeweils eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. zur Schulpflicht nur BVerfG, B.v. 15.10.2014 – 2 BvR 920/14 – juris Rn. 21; BVerwG, B.v. 15.10.2009 – 6 B 27/09 – juris Rn. 5; zum Recht auf Bildung vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21 – juris Rn. 42 ff.; dazu auch Christ in NVwZ 2023, 1), was sich auch daraus ergibt, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens seitens des Bundesrats sogar noch weitergehend vorgeschlagen worden war, generell keine Betretungsverbote für Bildungseinrichtungen vorzusehen, da es auch bei nicht schulpflichtigen Personen „in keinem angemessenen Verhältnis [stehe], wegen des angestrebten Masernschutzes den Bildungsanspruch einzelner zu beeinträchtigen“ (BR-Drs. 358/1/19, Ausschussempfehlungen v. 6.9.2019, S. 15). Das Betreten der Schulräume steht jedenfalls von vornherein nicht zur Disposition schulpflichtiger Schülerinnen und Schüler. Insofern verbliebe ihnen – vorbehaltlich einer anderweitig erworbenen Immunität gegen Masern oder einer medizinischen Kontraindikation gegen die Impfung – bei einer zwangsweisen Durchsetzung der Pflicht zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG kein verfassungsrechtlich relevanter Freiheitsraum mehr, von der Durchführung einer Impfung abzusehen. Auf die Frage, wie oft und bis zu welcher Höhe Zwangsgelder angedroht werden können, kommt es dabei von vornherein nicht an.
Dem kann im Übrigen schon aus logischen Gründen nicht entgegengehalten werden, die Vorlagepflicht hätte deshalb keine impferzwingende Wirkung, weil sie von den Betroffenen alternativ zur Durchführung der Impfung auch durch die Vorlage eines Nachweises der Immunität oder einer medizinischen Kontraindikation erbracht werden könne. Denn diese beiden Varianten sind – im Gegensatz zur Impfung – von den Betroffenen nicht zu beeinflussen. Wer nicht immun ist oder keine Kontraindikation aufweist, kann daran willentlich nichts ändern und daher auch keinen Nachweis über die Immunität oder eine Kontraindikation vorlegen, um keinen Impfnachweis vorlegen zu müssen.
In welchen Konstellationen danach noch Raum für eine selbständige Durchsetzbarkeit der vom Gesetzgeber ausdrücklich als mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchsetzbar angesehene (vgl. BT-Drs. 19/13452 S. 30) Vorlagepflicht verbleibt, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung.“
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Das Verwaltungsgericht Würzburg schließt sich für den vorliegenden Fall den vorstehenden Ausführungen im Ergebnis sowie der wesentlichen Begründung an. Auch wenn es anders als in der zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs um den Masernschutz eines Kindergartenkindes geht, haben seine Ausführungen zum vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 12 IfSG vorgezeichneten Entscheidungsprogramm auch insoweit Geltung.
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Dieses Entscheidungsprogramm wurde vorliegend jedoch bei Erlass der erneuten Zwangsgeldandrohung durch den streitgegenständlichen Bescheid nicht hinreichend beachtet und damit das Ermessen fehlerhaft ausgeübt (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Denn beim Erlass von Zwangsmitteln hat die Behörde ihr Ermessen auszuüben und die Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Allgemeingut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu berücksichtigen und im Einzelfall unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bewerten. Anders als bei der regelmäßigen zulässigen erstmaligen Zwangsgeldandrohung ist eine weitere Zwangsgeldandrohung mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Unzulässigkeit eines Impfzwangs in einem anderen Licht zu sehen (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.429 – dejure.org [https://www.landesanwaltschaft.bayern.de/media/themenbereiche/sonstiges/2024-05-17_infektionsschutzrecht.pdf] BA Rn. 6 ff.).
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Ausweislich der vorliegenden Behördenakte hat das Gesundheitsamt im konkreten Fall nach Eingang der Meldung der Kindertagesstätte des Sohnes der Kläger, es sei eine ärztliche Bescheinigung über eine vorübergehende, zeitlich befristete medizinische Kontraindikation vorgelegt worden, den Kläger zu 2) zunächst um deren Vorlage gebeten. Nachdem das Gesundheitsamt den vorgelegten Nachweis nicht akzeptierte, wurden die Kläger erneut um Vorlage eines entsprechenden Nachweises gebeten und zu einem persönlichen Beratungsgespräch geladen. Das Gesundheitsamt erkannte das hierbei von dem Kläger zu 2) vorgelegte Gutachten nicht an und stellte als Sachlage zum Ende des Gesprächs fest, dass keine Bereitschaft zur Impfung erkennbar sei. Es verpflichtete die Kläger mit Bescheid vom 31. August 2023 unter Androhung von Zwangsgeldern förmlich zur Vorlage eines Nachweises im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG. Hiergegen haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht (W 8 K 23.1440). Mit Schreiben vom 26. Februar 2024 stellte das Landratsamt das angedrohte Zwangsgeld fällig und drohte mit dem streitgegenständlichen Bescheid ein weiteres Zwangsgeld an.
24
Demnach wurde das Ermessen vorliegend infolge Nichtbeachtung der Entscheidungssystematik des § 20 Abs. 12 IfSG sowie der dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, elterliches Erziehungsrecht, Gesundheitsschutz, kein Impfzwang) in einer dem Gesetzeszweck widersprechenden Weise ausgeübt, § 114 Satz 1 VwGO, so dass der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist. Zwar ist hier bereits eine Impfberatung erfolgt. Es ist jedoch keine Aufforderung zur Vervollständigung des Impfschutzes nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbsatz 1 IfSG ergangen bzw. wurde unabhängig davon, ob diese Aufforderung überhaupt bei – wie hier – fehlender Vorlage eines geeigneten Nachweises im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG erforderlich ist, jedenfalls kein Betretungsverbot nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG ausgesprochen. Bei Nichtvorlage eines Nachweises trotz einer vollziehbaren behördlichen Anforderung innerhalb einer angemessenen Frist ist nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935 – juris Rn. 29) der Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG jedoch im Regelfall die gesetzlich vorgesehene Konsequenz und nicht der Erlass einer erneuten Zwangsgeldandrohung. Das gesetzlich vorgesehene und verfassungsrechtlich determinierte Entscheidungsprogramm kann im Wege der Ermessensausübung nicht konterkariert werden.
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Nach alledem hat die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.