Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 10.06.2024 – W 8 K 23.1440
Titel:

Anfechtungsklage, Infektionsschutzrecht, Masernschutz eines Kindergartenkindes, Anordnung der Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz bzw. über eine medizinische Kontraindikation, Zwangsgeldandrohung, Ermessen

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 114
IfSG § 20 Abs. 12
IfSG § 20 Abs. 9
IfSG § 20 Abs. 13
VwZVG Art. 29
VwZVG Art. 31
VwZVG Art. 36
Schlagworte:
Anfechtungsklage, Infektionsschutzrecht, Masernschutz eines Kindergartenkindes, Anordnung der Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz bzw. über eine medizinische Kontraindikation, Zwangsgeldandrohung, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18355

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Die Kläger wehren sich gegen den Bescheid des Beklagten (vertreten durch das Landratsamt W.) vom 31. August 2023, mit dem sie für ihren fünfjährigen Sohn zur Vorlage eines Nachweises über die Immunität gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation des Kindes gegen eine Masernschutzimpfung verpflichtet werden und für den Fall der Nichterfüllung Zwangsgeld angedroht wird.
2
Am 4. März 2022 erfolgte per Formblatt eine Meldung der Kindertagesstätte des Sohnes der Kläger an das Gesundheitsamt W. mit der Angabe: Ärztliche Bescheinigung über eine vorübergehende, zeitlich befristete medizinische Kontraindikation.
3
Laut einem Telefonat des Gesundheitsamts mit dem Kläger zu 1) am 5. Oktober 2022 liege dem Kindergarten ein Nachweis über eine medizinische Kontraindikation vor, der Vater wolle diese jedoch dem Gesundheitsamt W. nicht zuschicken.
4
Am 21. Oktober 2022 legte der Kläger zu 1) den Nachweis dem Gesundheitsamt persönlich vor. Dieses teilte dem Kläger zu 1) mit, dass der vorgelegte Nachweis aufgrund der fehlenden zeitlichen Begrenzung und der Generalisierung für alle Impfungen nicht akzeptierbar sei.
5
Mit Schreiben vom 5. Januar 2023 und Anhörungsschreiben vom 22. Februar 2023 wurden die Kläger erneut zur Vorlage eines Nachweises gebeten.
6
Mit Schreiben vom 28. Februar 2023 übersendete der Kläger zu 1) einen Rücklaufbogen der Kindertagesstätte zum Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz vom 28. Februar 2023 an das Gesundheitsamt W.
7
Am 8. März 2023 nahm der Kläger zu 1) beim Gesundheitsamt ein Beratungsgespräch wahr, bei dem er erneut die Bescheinigung der Kindertagesstätte über die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses über Kontraindikation und das ärztliche Zeugnis vom 6. April 2020 im Original vorlegte. Der Kläger zu 1) führte aus, dass seine Tochter im Alter von einem Jahr gegen Masern geimpft worden sei und in zeitlichem Zusammenhang dazu dann eine respiratorische Problematik entwickelt habe mit Atemnot und einer Entzündung, sodass ein Krankenhausaufenthalt und Therapien notwendig gewesen seien.
8
Mit Schreiben vom 6. April 2023 baten die Kläger das Gesundheitsamt W. um Ausstellung einer Überweisung oder Anordnung für eine Untersuchung an einem allergologischen Fachzentrum sowie Zusage hinsichtlich der Kostenübernahme und legten ein Ärztliches Gutachten zur Impffähigkeit vom 3. April 2023 vor. Mit Schreiben vom 11. April 2023 teilte der Beklagte mit, dass dieses Gutachten nicht anerkannt werden und auch die erbetene Überweisung bzw. Anordnung mit Kostenübernahme nicht ausgestellt werden könne. Mit Schreiben vom 14. April 2023 bat die Klägerin zu 2) um Ausstellung eines amtsärztlichen Attestes, in dem die Impfunfähigkeit festgestellt werde, und eine Haftungszusage.
9
Mit Bescheid vom 31. August 2023, den Klägern zugestellt am 16. September 2023, verpflichtete das Landratsamt W., Gesundheitsamt, für den Beklagten die Kläger, dem beim Landratsamt W. verorteten Gesundheitsamt für Stadt und Landkreis W. (nachfolgend: Gesundheitsamt W.) für ihr Kind innerhalb von acht Wochen nach Zustellung dieses Bescheids a) eine Impfdokumentation (nach § 22 Abs. 1 und 2 IfSG) oder ein ärztliches Zeugnis, auch in Form einer Dokumentation nach § 26 Abs. 2 Satz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuchs, darüber, dass ein nach den Maßgaben von § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht; b) ein ärztliches Zeugnis darüber, dass eine Immunität gegen Masern vorliegt; c) ein ärztliches Zeugnis darüber, dass aufgrund einer medizinischen Kontraindikation keine Impfung erfolgen kann (Kontraindikation mit Angabe der Dauer) oder d) eine Bestätigung einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer anderen von diesem Gesetz betroffenen Einrichtung darüber, dass einer der vorangegangenen Nachweise bereits vorgelegen hat, vorzulegen (Nr. 1). Für den Fall der Nichtbeachtung der in Nr. 1 angeordneten Verpflichtungen wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR pro Personensorgeberechtigtem angedroht (Nr. 2). Für den Bescheid wurden Kosten in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrugen 3,50 EUR (Nr. 3). In den Gründen des Bescheides ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnung in Nr. 1 dieses Bescheids stütze sich auf § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 sowie Abs. 13 Satz 1 IfSG. Ein ausreichender Impfschutz gegen Masern bestehe nach § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG, wenn ab der Vollendung des ersten Lebensjahres mindestens eine Schutzimpfung bzw. ab der Vollendung des zweiten Lebensjahres zwei Masernschutzimpfungen nachgewiesen seien. Das Kind der Kläger besuche die Einrichtung … Kindertagesstätte … und unterliege somit der Verpflichtung, einen der oben genannten Nachweise vorzuweisen. Die Anordnung sei an die Kläger zu richten, da ihr Kind minderjährig sei und diese Pflicht damit sie als Sorgeberechtigte treffe (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Die Frist zur Erfüllung der Verpflichtung sei den Umständen des Einzelfalls angemessen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gebe als Mindestabstand zwischen zwei Masernschutzimpfungen vier Wochen an. Eine Frist von acht Wochen erscheine daher als angemessen, um einen vollständigen Impfschutz, wie von § 20 Abs. 8 lfSG gefordert, durch zwei Impfungen herzustellen. Die übrigen Nachweise ließen sich hingegen schon in einer kürzeren Zeitspanne beschaffen. Die gesetzte Frist werde damit allen Fallgestaltungen der Nachweiserbringung gerecht. Die körperliche Unversehrtheit sei ein hohes Gut, welches es vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu schützen gelte und hinter welches auch das Recht der Kläger auf freie Entfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) zurücktreten müsse. Nach medizinisch gesicherten Erkenntnissen sei die Empfänglichkeit des Menschen als einziger Wirt des Masernvirus sehr hoch. Da die Übertragung über die Luft durch Tröpfcheninfektion (Husten, Niesen, Sprechen) erfolge, führe das Masernvirus bereits bei kurzem Kontakt mit Erkrankten zu einer Infektion. Eine Infektion könne schwere Folgen haben. Masern führten zu einer länger andauernden Schwächung des Immunsystems, wodurch bakterielle Infektionen wie Mittelohrentzündungen oder Lungenentzündungen begünstigt würden. Laut Informationen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege komme es bei 1 von 1.000 Erkrankten nach Erkrankungsbeginn zu einer gefährlichen Gehirnentzündung, die mit bleibenden Schäden wie Lähmungen oder geistiger Behinderung und selten auch tödlich enden könne. Da die für die Eliminierung notwendige Impfquote von 95% noch nicht habe erreicht werden können, komme es immer wieder zu Masernhäufungen, insbesondere bei ungeimpften Jugendlichen und Erwachsenen. Im Falle eines weiteren Besuches der Kindertagesstätte des nichtgeimpften und somit ansteckungsverdächtigen Kindes der Kläger würde dies eine drohende Gefahr für den Einzelnen oder die Allgemeinheit darstellen (vgl. § 16 Abs. 1 IfSG), da bei einer Masernerkrankung ernsthafte Komplikationen wie Lungen- und Mittelohrentzündungen auftreten könnten und dies somit eine schwere Gefährdung des Schutzgutes der körperlichen Unversehrtheit anderer und auch des Kindes der Kläger darstellen würde. Die Anordnung sei verhältnismäßig. Bei einer Abwägung der subjektiven Interessen der Betroffenen wie deren allgemeine Handlungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit mit dem öffentlichen Interesse nach § 1 Abs. 1 IfSG, übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern, überwiege das öffentliche Interesse. Die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens, insbesondere immungeschwächter, älterer oder kranker Personen, würden überwiegen. Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 dieses Bescheides stütze sich auf Art. 18, 19, 20, 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes von 300,00 Euro bemesse sich an der Abwägung des privaten subjektiven Interesses des Betroffenen mit dem öffentlichen Interesse nach § 1 Abs. 1 IfSG, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (vgl. Art. 29 Abs. 3, Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Dahingehend überwiege das öffentliche Interesse. Das Zwangsgeld sei notwendig und ausreichend, um die Anordnung durchzusetzen.
II.
10
1. Am 14. Oktober 2023 erhob der Kläger zu 1) Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Eltern hätten das Recht, über die Gesundheit ihrer Söhne und Töchter selbst zu entscheiden – Elterliche Sorge – Gesundheitssorge: Art. 6 Abs. 2 GG, Pflege und Erziehung der Kinder seien das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Anwendung von Verwaltungszwang in Form von Zwangsgeld führe faktisch zum Impfzwang. Aufwiegen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit des Sohnes gegen die körperliche Unversehrtheit eines Anderen sei unsittlich und unstatthaft.
11
Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2023 erhob die neu bestellte Prozessbevollmächtigte für den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) in Klarstellung zur Klageeinreichung vom 14. Oktober 2023 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Kläger seien gemeinsam sorgeberechtigte Eltern des Kindes …, geboren am 31. Oktober 2018, der altersentsprechend den Kindergarten besuche. Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022, 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 120, 1 BvR 472/20, dort Rz. 145 stehe fest, dass die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern unangetastet bleibe und eine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht nicht bestehe. Vorliegend sei der angefochtene Bescheid als verbindliche Vorlageanordnung mit entsprechender Rechtsfolgenandrohung zu verstehen. Diese habe konkret nicht ausgesprochen werden dürfen. Ob zur Begründung auf eine fehlende Verwaltungsakt-Kompetenz der erlassenden Behörde oder auf den Inhalt der Vorlageaufforderung – zwingende Vorlagepflicht – abgestellt werde, sei im Ergebnis gleichgültig. Bei Kindergartenkindern, für die das Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen habe, dass die Nachweisvorlage freiwillig sei und eine Impfpflicht nicht bestehe, dürfte die vorliegende Anordnung mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig sein. Die gesetzlich vorgesehene Handlungsoption bestehe nicht in dem Erlass einer Nachweisvorlageanordnung. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. September 2023 – 20 CS 23.1432 ändere an der Rechtswidrigkeit der Nachweisvorlageanordnung nichts, da gerade bei Kindergartenkindern insoweit keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bestehe. Die Handlungsoptionen der Verwaltung seien im Gesetz klar vorgegeben. Eine Umsetzung mittels Zwangsgeld erscheine auch unter keinen Umständen sinnvoll und praktisch umsetzbar, da jeweils durch Herausnahme des betreffenden Kindes aus dem Kindergarten die weitere Verwaltungsvollstreckung jeweils unzulässig werden würde; die gesetzliche Voraussetzung des Besuchs einer Kindertageseinrichtung hätte, bevor eine solche Anordnung ergehe, zumindest zur Bedingung gemacht werden müssen. Die Behörde – sollte sie überhaupt zum Erlass einer verbindlichen Vorlageanordnung berechtigt sein – habe das ihr zustehende Handlungsermessen und Auswahlermessen überhaupt nicht ausgeübt. Fraglich erscheine die Vorgehensweise unter anderem auch deshalb, weil finanziell mittellose Eltern, bei denen ein negatives Vollstreckungsergebnis bereits jetzt feststehe, aufgrund einer derartigen Anordnung praktisch kaum negative Konsequenzen zu befürchten hätten, wenn nicht nachfolgend doch noch ein Betretungsverbot ausgesprochen werde.
12
Mit weiterem Schriftsatz vom 7. Juni 2024 ließen die Kläger ergänzend ausführen, dass die Rechtsfrage, ob eine Masernimpfung mittels Zwangsgeld bei Kindergartenkindern umsetzbar sei, bisher keiner Entscheidung zugeführt worden sei. In den beiden Beschlüssen vom 21. September 2023 und vom 15. Januar 2024 zu Masern-Zwangsgeldandrohungen bei Schulkindern habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es keine, auch keine mittelbare Impfpflicht in § 20 IfSG gebe. Zugleich stehe fest, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen gewesen sei, eine zwangsweise Impfung per Anwendung unmittelbaren Zwangs komme nicht in Betracht. Für Kindergartenkinder habe im Übrigen das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung darauf abgestellt, dass es den Eltern freistehe, ihre Kinder anderweitig betreuen zu lassen. Für die fehlende Möglichkeit der Behörden, eine Impfung bei Kindergartenkindern mittels Zwangsgeldandrohungen umzusetzen, streite im Übrigen die Gesetzessystematik und die ausdrücklich vorgesehene Regelung, dass ein Betretungsverbot angeordnet werde. Bestünden beide Möglichkeiten nebeneinander, wäre die Behörde im Sinne der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, das mildere der beiden Mittel auszuwählen. Zumindest unter der teilweise in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (OVG Berlin) vertretenen Prämisse, dass spätestens mit Schuleintritt eine Masernimpfung verpflichtend sei (Zwangsgeld also in Betracht komme), wäre regelhaft im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung davon auszugehen, dass bei Kindergartenkindern die Androhung von Zwangsgeld gegenüber dem Betretungsverbot das mildere Mittel darstelle. Denn dann wäre lediglich bei der Beurteilung der Eingriffsschwere der zeitliche Aufschub zu berücksichtigen, nicht der gesundheitliche Eingriff namens Impfung als solcher, wenn dieser ohnehin verpflichtend sei. Aufgrund dieser Überlegungen komme man zum Ergebnis, dass bei Zulässigkeit eines Zwangsgelds gegenüber Kita-Kindern bzw. deren Eltern in der Praxis (wäre Zwangsgeld generell möglich) de facto kein Anwendungsbereich mehr für ein Betretungsverbot verbliebe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Hinzu komme, dass auf dem Umweg über ein Zwangsgeld de facto der gem. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Rechtsschutz gegen ein Betretungsverbot faktisch unterlaufen werden könnte. Bis zu seiner Vollstreckung könnten die Eltern es nämlich durch Herausnahme des Kindes aus dem Kindergarten vermeiden, dass das Zwangsgeld vollstreckt werden könne. Spätestens mit dem Ende des Kita-Besuchs fehlten die Voraussetzungen für eine Zwangsgeldandrohung und Zwangsvollstreckung. Das angestrebte Ziel sei angesichts dieses „Auswegs“ so gut wie nie erreichbar, wobei bei einer lediglich mittelbar über das Zwangsgeld herbeigeführten Herausnahme, die Prüfung, ob ein Betretungsverbot rechtmäßig ergangen sei, erst gar nicht mehr stattfinden würde. Dass im Übrigen auch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unter dem Aspekt, dass Zwangsgeld per definitionem der Durchsetzung einer bestehenden Verpflichtung dienen solle, mithin ernsthaft und zielgerichtet angewendet werden müsse, erhebliche Zweifel bestünden, stehe auf einem anderen Blatt. Eine Rechtsprechung, die letztlich darauf hinauslaufe, dass etwas nur halb durchgesetzt werden solle, sei unter rechtsstaatlichen Aspekten hoch bedenklich. Von der Gesetzessystematik her sei auch ein erstes Zwangsgeld bei Kita-Kindern nicht vorgesehen.
13
2. Das Landratsamt W. trat für den Beklagten der Klage mit Schriftsatz vom 30. November 2023 entgegen und führte zur Begründung der Klageerwiderung im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die Anforderung eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG sei § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig sei, habe derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zustehe (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Dabei habe der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert. Die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 8 ff. IfSG habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2022 nicht durchgreifend in Frage gestellt. Insbesondere verweise das Bundesverfassungsgericht auf die Dringlichkeit des Gesundheitsschutzes denjenigen Personen gegenüber, die sich nicht durch Impfung schützen könnten, mittels Gemeinschaftsschutz. Der Gesetzgeber verfolge mit der Nachweispflicht aus § 20 IfSG unter anderem auch die Stärkung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung, um die Lücken im Impfschutz in Deutschland zu schließen (vgl. auch BT-Drs. 19/13452 S. 16). Das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG werde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch dadurch abgemildert, dass die Nachweispflicht die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufhebe und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belasse. Die Nachweispflicht ordne keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG). Vielmehr verbleibe den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum. Auch die Anwendung der Normen im konkreten Fall erweise sich als formell und materiell rechtmäßig. Zunächst sei klarzustellen, dass es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines Nachweises gemäß § 20 Abs. 12 IfSG um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handele. Die Ausführungen bezüglich der fehlenden Ermächtigungsgrundlage bezüglich der Vorlageanordnung bei Kindergartenkindern gingen fehl. Insoweit unterscheide das Gesetz nicht zwischen Schul- und Kindergartenkindern. Einen tauglichen Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG hätten die Kläger nicht vorgelegt. Insbesondere genüge das vom Kläger zu 1) am 21. Oktober 2022 im Gesundheitsamt W. der Ärztin vorgelegte Attest vom 6. April 2020 den nachfolgenden Anforderungen nicht. Grundsätzlich gelte, dass ein ärztliches Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG darüber, dass eine Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne, folgende Voraussetzungen erfüllen müsse: Es müsse durch eine Ärztin/einen Arzt ausgestellt und unterzeichnet sein, auf eigener Wahrnehmung der Ärztin/des Arztes (persönliche Untersuchung) beruhen und – bei Vorlage gegenüber dem Gesundheitsamt wenigstens solche (konkreten) Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die eine Plausibilitätsprüfung ermöglichten. Beruhten Nachweise, welche dem Gesundheitsamt vorgelegt würden, daher (ausschließlich) auf Aktenlage und/oder würden sie eine nicht abschließende Beurteilung bzw. die pauschale Feststellung darstellen, dass (ausschließlich nach Angaben der zu begutachtenden Person) nicht sicher ausgeschlossen werden könne, dass eine allergische (Über) Reaktion im Falle einer Impfung gegen Masern auftrete, würden diese keinen suffizienten Nachweis im Sinne des Gesetzes darstellen. Das vorgelegte Attest vom 6. April 2020 sei zeitlich unbegrenzt und beziehe sich ohne nähere Konkretisierung auf alle Impfungen. Das Attest sei als „ärztliches Zeugnis“ betitelt. Es sei in einem Vordruck ausgefüllt, in welchem lediglich Name, Geb. und Anschrift der betroffenen Person sowie Stempel und Unterschrift der Praxis handschriftlich/Original seien. Es fehle die zeitliche Dauer der Kontraindikation, es sei generalisiert (für alle Impfungen, lebenslang und es würden Angaben zur Art der Kontraindikation fehlen). Demgemäß enthalte es nicht solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen würden, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Auch das am 6. April 2023 im Gesundheitsamt eingegangene ärztliche Gutachten zur Impffähigkeit, ausgestellt von Prof. Dr. … vom 3. April 2023 genüge den aufgezeigten Anforderungen nicht. Prof. Dr. … sei ein impfkritischer Arzt und Mitglied der Partei „Die Basis“. Von diesem lägen bereits zwei weitere ärztliche Atteste mit jeweils völlig identischem Anschreiben beim Gesundheitsamt W. vor. Auch genüge die durch Schreiben des Klägers zu 1) vorgelegte Bestätigung des Kindergartens, dass ein „Ärztliches Zeugnis über Kontraindikation“ vorgelegt worden sei, nicht den Anforderungen. Zum einen fehle die Unterschrift der Leitung des Kindergartens, zum anderen sei die Phrase „Ärztliches Zeugnis über Kontraindikation“ handschriftlich eingefügt worden. Das Schriftbild und die Schriftfarbe seien verschieden von den Angaben „Ort“, „Datum“, „Einrichtungsname“ und „gesehen durch“. Auch die vom Kläger zu 1) erbetene Ausstellung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung sowie um Erteilung einer Haftungszusage durch das Gesundheitsamt würden nichts am Vorliegen der Voraussetzungen zu ändern vermögen. Es bestehe nämlich keine Zuständigkeit des Gesundheitsamtes, Impfunfähigkeitsbescheinigungen oder gar Haftungszusagen auszustellen. Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids sei auch ermessensfehlerfrei ergangen. Ein Vertretungsverbot sei insbesondere kein milderes Mittel, da dies in aller Regel sowohl für die kindliche Entwicklung sowie für berufstätigte Eltern gravierendere Einschnitte bedeuten würden. Im Übrigen würde die (dauerhafte) freiwillige Herausnahme des Kindes durchaus zu dem nach dem IfSG gewünschten Ergebnis kommen. Das Kind als vulnerable Person würde nicht mehr in einer Gemeinschaftseinrichtung mit anderen Personen in Kontakt kommen. Damit profitierten vor allem auch jene Personen von einem Gemeinschaftsschutz, die auf Grund ihrer gesundheitlichen Verfassung eine Schutzimpfung nicht in Anspruch nehmen könnten. Das Zwangsgeld sei nach der Eingriffsintensität das mildeste, am wenigsten einschneidende Zwangsmittel. Als reines Beugemittel ohne Sanktionscharakter setze die Androhung eines Zwangsgeldes bei den Pflichtigen grundsätzlich kein Verschulden voraus. Die Zwangsgeldandrohung sei erlassen worden, um Erkrankungen beim Menschen vorzubeugen und sicherzustellen, dass für die Bevölkerung, insbesondere immungeschwächte, ältere oder kranke Personen, das hohe Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens geschützt werde. Dem stehe ein geringer wirtschaftlicher Aufwand der Pflichtigen gegenüber, der zugebilligt werden könne. Die Androhung sei geeignet, um der Anordnung Nachdruck zu verleihen. Auch das Argument, ein Zwangsgeld bringe bei finanziell mittellosen Eltern nichts, verfange in keiner Weise und vermöge an der Rechtmäßigkeit des Bescheides nichts zu ändern. Dieses sei demgemäß auch das mildeste Zwangsmittel. Im Übrigen werde – unabhängig von diesem Fall – darauf hingewiesen, dass das VwZVG auch für diese Fälle der Mittellosigkeit ein Instrumentarium bereitstelle (beispielsweise Ersatzzwangshaft Art. 33 VwZVG).
14
3. In der mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte:
Der Bescheid des Landratsamts W. vom 31. August 2023 wird aufgehoben.
15
Der Beklagtenvertreter beantragte,
die Klage abzuweisen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Sofortverfahrens W 8 S 23.1441 und des Verfahrens W 8 K 24.573) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
18
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
19
Insbesondere ist die mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 16. Oktober 2023 erfolgte Klageänderung in Form des Einbezugs der Klägerin zu 2) in den Prozess zulässig. Der Beklagte hat durch die rügelose inhaltliche Einlassung zur Hauptsache stillschweigend in den Parteiwechsel eingewilligt, § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage 2023, § 91 Rn. 16f.).
20
Die Klage ist jedoch unbegründet.
21
Der Bescheid des Landratsamts W. vom 31. August 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22
Dass die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz des Sohnes der Kläger oder über dessen medizinische Kontraindikation gegen eine Masernschutzimpfung sowie für die Androhung von Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung vorliegen, hat der Beklagte im Bescheid vom 31. August 2023, auf dessen Gründe, die sich das Gericht nach eingehender Sachprüfung zu eigen macht, zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO), zutreffend begründet und mit Schriftsatz vom 30. November 2023 sowie in der mündlichen Verhandlung vertiefend ausführlich in nachvollziehbarer Weise erläutert.
23
Das Vorbringen der Kläger führt zu keiner anderen Beurteilung.
24
Die verbindliche Anordnung der Pflicht der Kläger zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG binnen einer Frist von acht Wochen über die Immunität ihres Sohnes gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation des Kindes gegen eine Masernschutzimpfung beruht auf § 20 Abs. 13 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG. Nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Wenn – wie vorliegend – die verpflichtete Person minderjährig ist, so hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht, § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. Der Gesetzgeber hat mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
25
Es ist nicht ersichtlich, weshalb § 20 Abs. 12 Satz IfSG nur bei Schulkindern und nicht auch bei Kindergartenkindern die Rechtsgrundlage für eine Nachweisvorlageanordnung sein sollte. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten ist auch bei Kita-Kindern als in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG Betreute der Erlass einer Nachweisvorlageanordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine gesetzlich vorgesehene Handlungsoption und es besteht insoweit eine Rechtsgrundlage. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022, wonach die Maßnahmen nach § 20 Abs. 8 ff. IfSG die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 472/20 – juris Rn. 145) steht dem nicht entgegen. Vielmehr geht auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Kindergartenkinder von der Möglichkeit zur Verpflichtung einer Nachweisvorlage aus, wenn es ausführt, dass der Gesetzgeber mit der Bindung der Auf- und Nachweispflicht einer Masernimpfung an die Betreuung in Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 Nr. 1 und 2 IfSG die Reichweite der angegriffenen Regelungen gegenständlich begrenze und das Ausbleiben des in § 20 Abs. 8 und 9 IfSG geforderten Auf- und Nachweises der Masernimpfung auch nicht zum Ausschluss jeglicher frühkindlichen Förderung außerhalb der Familie führe, da die anderweitige Betreuung von Kindern in den betroffenen Alterskohorten auch familienübergreifend jedenfalls im selbstorganisierten privaten Bereich zulässig bleibe (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 472/20 – juris Rn. 148).
26
Das Landratsamt, Gesundheitsamt, als zuständige Behörde nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG, § 65 Satz 4 ZustV, Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG ist zum Erlass der hier streitgegenständlichen Vorlagenanordnung ermächtigt. Bei dieser Anordnung handelt es sich um einen selbständig angreifbaren Verwaltungsakt (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.428 – BA Rn. 3; Gerhardt in Gerhardt, IfSG, 6. Auflage 2022, § 20 Rn. 111, 124).
27
Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG für den Erlass der streitgegenständlichen Anordnung liegen vor.
28
Der Sohn der Kläger besucht eine Kindertagesstätte. Er wird damit in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG (Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte) betreut.
29
Die Kläger haben für ihren Sohn keinen Nachweis im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorgelegt, obwohl ein solcher vor Beginn der Betreuung der Leitung der Einrichtung vorzulegen ist. Das Kind der Kläger besuchte die Kindertagesstätte auch im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids.
30
Eine Impfdokumentation nach § 22 Abs. 1 und 2 IfSG oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass beim Sohn der Kläger ein ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht, oder ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer Immunität des Kindes gegen Masern wurden unstreitig nicht vorgelegt.
31
Entgegen der klägerischen Ansicht wurde auch ein den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG genügendes ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation nicht vorgelegt.
32
Ein ärztliches Zeugnis im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG darf nicht allein den Gesetzeswortlaut zum Bestehen einer medizinischen Kontraindikation wiederholen, sondern muss wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und hierfür u.a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z.B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, sprechen hierfür auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG) die schlichte Bescheinigung vom Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 14 m.w.N.).
33
Das von den Klägern vorgelegte ärztliche Zeugnis des Dr. … vom 6. April 2020 entspricht diesen Anforderungen nicht. Es bezieht sich ohne nähere Konkretisierung auf alle Impfungen, wobei Angaben zur Art der Kontraindikation fehlen. Das Attest ist somit nicht auf seine Plausibilität hin überprüfbar.
34
Auch das „Ärztliche Gutachten zur Impffähigkeit“ des Prof. Dr. … vom 3. April 2023 ist inhaltlich nicht zum Nachweis geeignet, dass der Sohn der Kläger tatsächlich nicht geimpft werden kann. Als medizinische Kontraindikation zu einer Masernimpfung gelten nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI), welchem der Gesetzgeber nach § 4 IfSG im Bereich des Infektionsschutzgesetzes besonderes Gewicht einräumt, akutes Fieber (>38,5°C) oder eine akute schwere Erkrankung, Schwangerschaft, bestimmte schwere Einschränkungen des Immunsystems und bekannte Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs (siehe Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Masern Masernimpfung: Wirksamkeit, Sicherheit und Kontraindikationen, Stand: 02.02.2024, Wer sollte die MMR-Impfung nicht erhalten? Welche medizinischen Kontraindikationen gibt…, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ_Uebersicht_MSG.html). In der Begründung des Ärztlichen Gutachtens zur Impffähigkeit vom 3. April 2023 finden sich jedoch nur allgemeingültige Ausführungen, dass eine allergische Disposition nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden und eine schwere allergische Reaktion jede geimpfte Person treffen könne. Dass beim Sohn der Kläger eine bekannte Allergie gegen Impfstoffbestandteile vorliegt, lässt sich dem Gutachten gerade nicht entnehmen. Vielmehr dient die ärztliche Stellungnahme ausdrücklich ausschließlich zur vorläufigen Bescheinigung einer Impfunfähigkeit bis zur Abklärung durch ein allergologisches Zentrum und abschließender Feststellung einer Impfunfähigkeit durch einen Amtsarzt, spätestens bis zum 3. Oktober 2023. Die Ausstellung einer dauerhaften Impfunfähigkeitsbescheinigung könnte nur durch den behandelnden Allergologen in Zusammenarbeit mit einem Amtsarzt erfolgen. Im Übrigen sieht der Kläger zu 1) selbst das Gutachten zur Impffähigkeit nicht als ärztliches Attest an (siehe Schreiben des Klägers zu 1) vom 14. April 2023 an das Gesundheitsamt, S. 39 der Behördenakte).
35
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme des IMD zur Diagnostik bei Medikamentenunverträglichkeit. Auch in dieser wird lediglich allgemein dargelegt, dass allergische Reaktionen auf Medikamente nicht vorhersehbar seien und Medikamentenallergien auch bei Patienten mit völlig unauffälliger Allergieanamnese aufträten. Eine Kontraindikation konkret in Bezug auf den Sohn der Kläger in Form einer bekannten Allergie ergibt sich hieraus jedoch nicht.
36
Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris) vorbringen ließen, es genüge die Vorlage eines Nachweises – welcher hier erfolgt sei –, der dann Nachforschungspflichten des Gesundheitsamts zur Überprüfung des Nachweises nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG auslöse, ist dem entgegenzuhalten, dass die vorgelegten Bescheinigungen für das Gesundheitsamt nicht wegen Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit, sondern schon mangels Überprüfbarkeit auf die Plausibilität bzw. mangels Vorliegens der Anforderungen an geeignete Nachweise im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG als nicht ausreichend angesehen wurden, und somit die Voraussetzungen des § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG gerade nicht vorlagen. Somit konnten insoweit auch keine Nachforschungspflichten des Gesundheitsamtes zwecks Überprüfung ausgelöst werden.
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Ferner liegt auch eine Bestätigung einer Stelle im Sinn von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 IfSG, dass entsprechende Nachweise bereits vorgelegt wurden, nicht vor. Die von den Klägern vorgelegte Bestätigung des Kindergartens vom 28. Februar 2023 (S. 30 der Behördenakte) ist schon nicht unterschrieben. Auffallend ist im Übrigen, dass die Anmerkung „Ärztliches Zeugnis über Kontraindikation“ mit einer anderen Handschrift als die weiteren handschriftlichen Angaben eingefügt wurde.
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Die Kläger sind damit der nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bestehenden Vorlagepflicht nicht nachgekommen. Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung des Schreibens des Klägers zu 1) vom 3. April 2023 an das Landratsamt W., in dem er um Ausstellung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung für seinen Sohn, bis eine abschließende Klärung der möglichen Kontraindikation erfolgt, und zugleich um Ausstellung einer entsprechenden Überweisung oder Anordnung mit Zusage der Kostenübernahme bittet. Die Kläger können sich hierdurch nicht ihrer nach dem Gesetz bestehenden Vorlagepflicht entziehen.
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Das Gesundheitsamt des Landratsamts W. hat zudem das ihm obliegende Entschließungs- und Auswahlermessen (Gerhardt in Gerhardt, IfSG, 6. Auflage 2022, § 20 Rn. 119) fehlerfrei ausgeübt und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. In besonderem Maße ist bei der Ermessensausübung der durch die Vorlage bezweckte Schutz der Gesundheit, insbesondere vulnerabler Personen, vor einer Maserninfektion zu beachten (Gerhardt in Gerhardt, IfSG, 6. Auflage 2022, § 20 Rn. 119; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 56). So führt das Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid aus, dass die körperliche Unversehrtheit ein hohes Gut sei, welches es vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu schützen gelte und welches hinter dem Recht der Kläger auf freie Entfaltung zurücktreten müsse. Zudem hat es die Möglichkeit ernsthafter Komplikationen bei einer Masernerkrankung und damit einer schweren Gefährdung des Schutzgutes der körperlichen Gesundheit anderer und auch des Kindes der Kläger gewürdigt sowie eine Abwägung der subjektiven Interessen der Betroffenen mit dem öffentlichen Interesse vorgenommen.
40
Soweit die Klägerbevollmächtigte vorbringt, die gesetzliche Voraussetzung des Besuchs einer Kindertageseinrichtung hätte vor Ergehen der Anordnung zumindest zur Bedingung gemacht werden müssen, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Gründen des Bescheids ergibt, dass diesem als Sachverhalt der Besuch einer Kindertagesstätte durch den Sohn der Kläger zugrunde gelegt wurde und die Verpflichtung wegen des Kita-Besuchs gelten soll. Bei Änderung des zugrundeliegenden Sachverhalts käme die Erledigung der Anordnung in Betracht. Die Aufnahme einer Bedingung bzw. Befristung als Nebenbestimmung ist insoweit nicht erforderlich.
41
Dem Vorbringen des Klägers zu 1), das Aufwiegen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit seines Sohnes gegen die körperliche Unversehrtheit eines Anderen sei unsittlich und unstatthaft, die Pflege und Erziehung der Kinder seien das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht, ist entgegenzuhalten, dass hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 8 ff. IfSG in Bezug auf – wie hier – Kindergartenkinder keine Bedenken bestehen (siehe hierzu BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 472/20 – juris). Der Gesetzgeber hat ohne Verstoß gegen das Verfassungsrecht mit der Nachweispflicht sowie den bei deren Ausbleiben eintretenden Folgen dem Schutz durch eine Maserninfektion gefährdeter Menschen den Vorrang vor den Interessen der der Nachweispflicht unterfallenden Kinder bzw. deren Eltern eingeräumt, wobei ihnen die damit verbundenen Grundrechtseingriffe zuzumuten sind. Das Gewicht des die Gesundheitssorge treffenden Eingriffs in das Elternrecht durch die streitgegenständliche Anordnung der Nachweisvorlage wird dadurch reduziert, dass die Impfung nach medizinischen Standards gerade auch dem Gesundheitsschutz der auf- und nachweisverpflichteten Kinder selbst dient. Für die Eingriffstiefe ist hierbei von Bedeutung, dass die Einschränkung der Gesundheitssorge ihrerseits nach medizinischen Standards gerade den Schutz der Gesundheit des Kindes fördert. Ein nach medizinischen Standards gesundheitsförderlicher Eingriff in die elterliche Gesundheitssorge wiegt weniger schwer als ein nach fachlicher Einschätzung die Gesundheit des Kindes beeinträchtigender Eingriff (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 472/20 – juris Rn. 147, 136 f.).
42
Gegen die Angemessenheit der im streitgegenständlichen Bescheid erfolgten Fristsetzung von acht Wochen bestehen keine Bedenken (vgl. VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 56: Frist von siebeneinhalb Wochen ausreichend).
43
Die im Bescheid vom 31. August 2023 unter Nr. 1 angeordnete Nachweisvorlage ist damit rechtmäßig.
44
Die unter Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Zwangsgeldandrohung gemäß Art. 36 i.V.m. Art. 31 VwZVG für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Nachweispflicht ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
45
Die Ermessensausübung ist im Rahmen des gerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) ordnungsgemäß erfolgt. Das Gesundheitsamt hat das ihm bei der Entscheidung zukommende Ermessen erkannt, es im Sinne von Art. 40 BayVwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten. Die Ausführungen des Landratsamts im streitgegenständlichen Bescheid sind zwar knapp, lassen aber die angestellten Erwägungen erkennen. Im Übrigen hat das Landratsamt seine Ermessensausübung im gerichtlichen Verfahren in nicht zu beanstandender Weise nach § 114 Satz 2 VwGO ergänzt und dargelegt, dass die wirtschaftlichen Interessen der Pflichtigen mit dem Zwangsgeld nicht überstiegen werden und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit so vor Beeinträchtigung geschützt werden kann und Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Pflichtigen hat.
46
Soweit die Kläger vortragen lassen, mangels Bestehens einer mit Zwang durchsetzbaren Impfpflicht habe die streitgegenständliche verbindliche Vorlageanordnung mit entsprechender Rechtsfolgenandrohung konkret nicht ausgesprochen werden dürfen, folgt das Gericht dem nicht. Vorliegend bezweckt die Zwangsgeldandrohung gerade nicht unmittelbar die Durchsetzung der in § 20 Abs. 8 IfSG geregelten Verpflichtung, einen ausreichenden Impfschutz oder eine Immunität gegen Masern aufweisen zu müssen, sondern die Durchsetzung der Nachweispflicht, denn nur diese wurde angeordnet. Die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche wird dadurch nicht aufgehoben. Bei einem Verzicht auf die Schutzimpfung des Kindes können die Eltern ihr Kind allerdings nicht mehr in einer Kindertagesstätte betreuen lassen. Das Zwangsgeld ist geeignet, die Kläger anzuhalten, ernsthafte Überlegungen dahingehend anzustellen, die geforderte Nachweispflicht doch noch zu erfüllen. Insbesondere kann die Nachweispflicht nicht nur durch eine Impfung erbracht werden, sondern auch durch ein ärztliches Zeugnis, das nachweist, dass eine Immunität gegen Masern vorliegt oder eine Impfung aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht möglich ist (vgl. VG Bayreuth, B.v. 14.11.2022 – B 7 S 22.1038 – Rn. 47 f.; VG München, B.v. 1.8.2023 – M 26a S 23.2699 – juris Rn. 51). Die Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung der Nachweispflicht ist deshalb – auch nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 19/13452, S. 30) – grundsätzlich zulässig (siehe auch BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.429 – dejure.org [https://www.landesanwaltschaft.bayern.de/media/themenbereiche/sonstiges/2024-05-17_infektionsschutzrecht.pdf] BA Rn. 6 ff., zur einrichtungsbezogenen Nachweispflicht der Masernimpfung bei schulpflichtigen Kindern; Kießling, IfSG, 3. Auflage 2022, § 20 Rn. 61; Sangs/Ebenstein, IfSG, 1. Auflage 2022, § 20 Rn. 159). Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2022 – 1 BvR 469/20 u.a. (- juris Rn. 123, 145) davon aus, dass der Gesetzgeber unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums annehmen durfte, ohne entsprechenden Druck auf die Willensbildung der Eltern die erforderliche Impfquote nicht gleichermaßen erreichen zu können.
47
Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich um die Durchsetzung der Nachweispflicht in Bezug auf ein schulpflichtiges Kind oder ein Kindergartenkind handelt. Dem stehen entgegen der klägerischen Ansicht weder die Gesetzessystematik noch die ausdrücklich vorgesehene Regelung der Anordnung eines Betretungsverbots entgegen. Denn das Betretungsverbot stellt anders als die Zwangsgeldandrohung kein Zwangsmittel im Sinn von Art. 29 Abs. 2 VwZVG dar und ist somit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nicht als milderes Mittel zum Zwangsgeld zu wählen, so dass de facto kein Anwendungsbereich mehr für ein Betretungsverbot bliebe. Vielmehr handelt es sich beim Betretungsverbot im Rahmen des vom Gesetzgeber vorgezeichneten Entscheidungsprogramms aus § 20 Abs. 12 Satz 3 bis 6 IfSG bei Kindergartenkindern um die letzte Stufe (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 20 CS 1910, 20 CE 23.1935 – juris Rn. 29).
48
Das Vorbringen der Kläger, eine Umsetzung mittels Zwangsgeld erscheine auch unter keinen Umständen sinnvoll und praktisch umsetzbar, da jeweils durch Herausnahme des betreffenden Kindes aus dem Kindergarten die weitere Verwaltungsvollstreckung jeweils unzulässig werden würde, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dem Ziel des Masernschutzgesetzes, einen „ausreichenden Gemeinschaftsschutz“ zu erreichen (vgl. BayVHG, B.v. 15.1.2024 – 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935 – juris Rn. 26), würde dadurch gerade entsprochen. Die Zwangsvollstreckung wäre mit sofortiger Wirkung einzustellen, § 20 Abs. 12 Satz 8 IfSG.
49
Dem Hinweis der Kläger, dass finanziell mittellose Eltern, bei denen ein negatives Vollstreckungsergebnis bereits jetzt feststeht, aufgrund einer derartigen Anordnung praktisch kaum negative Konsequenzen zu befürchten haben, wenn nicht nachfolgend doch noch ein Betretungsverbot ausgesprochen wird, ist entgegenzuhalten, dass dieses Argument allgemein für Zwangsgeldandrohungen gilt und es für Fälle der Uneinbringlichkeit des Zwangsgelds die gesetzliche Regelung der Ersatzzwangshaft nach Art. 33 VwZVG gibt.
50
Gegen die Höhe des angedrohten Zwangsgelds bestehen keine Bedenken.
51
Des Weiteren ist die Festsetzung der Gebühr in Höhe von 100,00 EUR und der Auslagen in Höhe von 3,50 EUR für den Bescheid rechtlich nicht zu beanstanden.
52
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
53
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.