Titel:
Erfolglose Klage gegen Nutzungsuntersagung für Dachterrasse auf einer Grenzgarage und Verpflichtung zur Errichtung einer Abtrennung
Normenkette:
BayBO Art. 54 Abs. 2, Art. 55, Art. 76 S. 2
Leitsätze:
1. Eine Anlage ist formell rechtswidrig, wenn sie Verfahrensvorschriften widerspricht, insbesondere ohne die erforderliche Baugenehmigung oder Zustimmung oder abweichend von ihr oder ohne das sonst erforderliche bauaufsichtliche Verfahren errichtet oder geändert worden ist, wobei grundsätzlich nicht geprüft werden muss, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. ( (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bloße formelle Rechtswidrigkeit kann eine Nutzungsuntersagung dann nicht rechtfertigen, wenn die ausgeübte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist, weil es im Allgemeinen unverhältnismäßig ist, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen bzw. ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das öffentliche Interesse gebietet grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung, weswegen die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch macht, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann (sog. intendiertes Ermessen). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dachterrasse auf Grenzgarage, Nutzungsuntersagung, Anordnung zur Errichtung einer Umwehrung, Ermessen, Verhältnismäßigkeit, Klage, formelle Rechtswidrigkeit, materielle Rechtswidrigkeit, intendiertes Ermessen, Bauvorhaben, Genehmigungspflicht, Grenzgarage, Dachterrasse
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18351
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine vom Landratsamt Würzburg ausgesprochene Nutzungsuntersagung für eine Dachterrasse auf einer Grenzgarage und gegen die Verpflichtung zur Errichtung einer Abtrennung des Garagendachs von dem sich anschließenden Terrassenbereich.
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1. Der Kläger ist Eigentümer des mit seinem Wohnanwesen bebauten Grundstücks Fl.Nr. …6 der Gemarkung H* …, A* Sc* … * in H* … (Baugrundstück). Bei einer Baukontrolle am 8. Oktober 2019 wurde festgestellt, dass die Dachfläche der grenzständigen Dreifachgarage als Terrasse ausgebildet wurde. Bei einer weiteren Baukontrolle am 22. Mai 2020 wurde festgestellt, dass auf dem Garagendach ein Glasgeländer errichtet wurde.
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Mit Bescheid vom 18. März 2021 erließ das Landratsamt Würzburg eine Beseitigungsanordnung für den Rückbau der grenzständigen Glasgeländerelemente. Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren (* * * …*) erklärten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2022 übereinstimmend für erledigt, nachdem das Landratsamt Würzburg erklärt hatte, den angegriffenen Bescheid aufzuheben. Zuvor hatte das Gericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich die Nutzungsänderung des Garagendaches als Dachterrasse wie auch die auf dem Dach ausgeführten baulichen Maßnahmen zwar als materiell rechtswidrig erwiesen hätten, dass die behördliche Maßnahme jedoch nicht geeignet gewesen sei, bauordnungsgemäße Zustände herbeizuführen.
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Das bauaufsichtliche Verfahren gegen den Kläger wurde daraufhin weitergeführt, ohne dass die Beteiligten eine abschließende Verständigung erzielen konnten.
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2. Unter Ziffer 1 des Bescheids vom 30. Oktober 2023 verpflichtete das Landratsamt Würzburg den Kläger, auf dem Grundstück Fl.Nr. …6 der Gemarkung H* … das nordwestlich gelegene Garagendach vollständig und öffnungslos mittels geeigneter mindestens 1,00 m hoher Umwehrung von der übrigen Terrasse abzutrennen (siehe Anlage 1+2). Unter Ziffer 2 des Bescheids wurde dem Kläger untersagt, das nordwestlich gelegene Garagendach als Dachterrasse zu nutzen oder nutzen zu lassen. Falls der Kläger die in Ziffer 1 festgelegte Pflicht nicht innerhalb von zwei Monaten nach Unanfechtbarkeit des Bescheids erfüllt, wird nach Ziffer 3 des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 zur Zahlung fällig. Für den Fall, dass der Kläger das Garagendach entgegen der Ziffer 2 des Bescheids nutzt oder nutzen lässt, wird gegenüber dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 4 des Bescheids).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid stütze sich auf Art. 54 Abs. 2 BayBO sowie auf Art. 76 Satz 2 BayBO. Die Tatbestandsvoraussetzungen beider Vorschriften seien erfüllt, da die Nutzung des Garagendachs als Dachterrasse die Privilegierung der Grenzgarage entfallen lasse und somit für das grenzständige Gebäude Abstandsflächen anfielen. Eine Nutzung des Garagendachs als Dachterrasse stehe somit im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Seien die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO erfüllt, stehe der Erlass einer Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, nicht zuletzt auch wegen der zusätzlichen Verletzung nachbarschützender Vorschriften, sei höher zu bewerten als die Interessen des Bauherrn. Durch die Abtrennung des Garagendachs von der übrigen Terrasse in Verbindung mit der gleichzeitigen Nutzungsuntersagung werde das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Um die auch vom Verwaltungsgericht Würzburg im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2023 festgestellte formelle und materiell rechtswidrige Nutzungsänderung des Garagendachs zu unterbinden, sei die Maßnahme in Verbindung mit der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung geeignet. Dies gelte allerdings nur, sofern die Abtrennung öffnungslos, vollständig und in einer gewissen Höhe erfolge, da die Maßnahme andernfalls keine ausreichende Hürde für die Weiternutzung darstelle und somit als unzureichend zu werten sei. Die Maßnahme sei auch erforderlich, da ein milderes und gleichzeitig geeignetes Mittel nicht ersichtlich sei. Wie aus der Verfahrensakte hervorgehe, sei bereits im Rahmen der Antragsstellung mehrfach auf die Unzulässigkeit der Nutzung des Garagendachs hingewiesen und eine entsprechend Umplanung gefordert worden. Dennoch sei dieses entgegen der genehmigten Pläne zur Dachterrasse ausgebaut und nachweislich der Kontrolle vom 8. Oktober 2019 auch als solche genutzt worden. Demnach könne auf etwaige Zusicherungen des Klägers nicht in ausreichender Weise vertraut werden, weshalb der Verzicht auf eine Abtrennung gänzlich ungeeignet sei. Dem Mittel der Nutzungsuntersagung fehle es, zumindest isoliert betrachtet, an der Geeignetheit, da aufgrund der Lage und Größe der Garage eine von der Straße aus nicht erkennbare Dachterrassennutzung weiterhin möglich sei. Daran ändere auch ein Rückbau der Glasgeländerelemente nichts. Die Nutzungsuntersagung müsse deshalb mit weiteren Rückbaumaßnahmen, insbesondere der vorhandenen Umwehrung auf dem Garagendach, wie gegebenenfalls auch dem Rückbau der Terrassendielen, einhergehen. Dies würde in der Gesamtschau als weitergehender Eingriff gesehen, zumal die grenzständige Abtrennung selbst die Maße des Art. 6 Abs. 7 BayBO einhalte. Demgegenüber sei die nun angeordnete Abtrennung als milderes Mittel zu sehen. Aus Sicht des Landratsamtes stelle die Abtrennung in Verbindung mit der Nutzungsuntersagung das mildeste aber gleichzeitig notwendige Mittel dar, um die Nutzung des Garagendachs, welche die abstandsflächenrechtliche Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 BayBO entfallen lasse, zu verhindern. Die Maßnahme sei auch angemessen, da der beabsichtigte Zweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehe. Die Abtrennung führe letztlich zu einer klaren Abgrenzung der aus rechtlicher Sicht zulässigen Terrassennutzung von der unzulässigen Nutzung des Garagendachs und schränke den Pflichtigen nur in sehr geringem Maße ein, nachdem er selbst erklärt habe, die Terrasse nicht (mehr) nutzen zu wollen. Zudem könnten hier bereits vorhandene Glasgeländerelemente von dem Garagendach verwendet werden, was den finanziellen Aufwand zusätzlich schmälern würde. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes orientiere sich an dem wirtschaftlichen Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme bzw. dem Unterbleiben der Handlung habe. Das Landratsamt schätze dieses Interesse für die Anbringung der geforderten Umwehrung auf 1.500,00 EUR und für die Nutzung des Garagendachs auf 1.000,00 EUR.
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3. Am 7. November 2023 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben, sinngemäß mit dem Antrag,
den Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 30. Oktober 2023, Az.: … …, aufzuheben.
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Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen: Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Es müssten keine bauordnungsgemäßen Zustände wiederhergestellt werden. Der Charakter des Garagendachs habe sich nicht verändert. Die Umwehrung sei allein aus Schutzgründen und Abgrenzungsgründen zum anliegenden Nachbargrundstück angebaut worden. Der Bereich sei, bis auf einen kurzen Zeitraum, in dem u.a. ein Sonnenschirm im streitgegenständlichen Bereich abgestellt gewesen sei, nie als etwas Anderes denn als Garagendach genutzt worden. Damit liege die Prägung der baulichen Anlage unzweifelhaft in der Nutzung als Abstellraum für Fahrzeuge und keinesfalls in einem Aufenthaltsraum für Menschen. Das Dach habe durch die Umwehrung keinen Aufenthaltscharakter wie bei einer Terrasse erfahren. Es handele sich lediglich um eine genehmigte und rechtmäßig erbaute Garage, die gem. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO in zulässiger Weise als Grenzbebauung errichtet werden dürfe. Es erscheine darüber hinaus fraglich, warum den Angaben zum wirklichen Zweck der Umwehrung, nämlich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des Kindes in den Erwägungen des Beklagten keinerlei Beachtung geschenkt worden sei. Selbst wenn die Umwehrung die Nutzung des Dachs als Terrasse bezwecken würde, sei die Nutzungsänderung gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 lit. g) BayBO verfahrensfrei. Das Garagendach habe selbst als Terrasse keine Auswirkungen auf den nachbarlichen Wohnfrieden und sei abstandsflächenirrelevant. Es liege somit auch keine materielle Illegalität vor. Der Nutzungsuntersagungs- und Abtrennungsbescheid beruhe auf dem Druck der Eigentümer des Nachbargrundstücks, die sich offensichtlich an der Bauweise des Klägers störten. Es sei festzuhalten, dass sich für das Nachbargrundstück durch die Umfriedung des Garagendachs nichts geändert habe. Es sei weder eine Beeinträchtigung des Lichteinfalls oder der Belüftung festzustellen noch ergäben sich neue Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück. Dem Kläger werde die Nutzung untersagt, obwohl er das Garagendach nicht einmal als Dachterrasse genutzt habe. Hilfsweise sei festzustellen, dass bei Vorliegen bauordnungswidriger Umstände die Nutzungsuntersagungs- und Abtrennungsverfügung keine bauordnungsgemäßen Zustände herstellen könne. Die angeordneten Maßnahmen seien nicht dazu geeignet, den von den Beklagten erwünschten legitimen Zweck zu erfüllen. Selbst wenn man die Geeignetheit bejahen würde, sei die Maßnahme jedenfalls nicht erforderlich, da eine undurchlässige und durchgehende Abtrennung nicht das mildeste und zugleich effektivste Mittel zur Herstellung bauordnungsgemäßer Zustände darstelle. Der Beklagte könne auch weniger eingriffsintensiv, nämlich durch stichprobenartige Überprüfungen vor Ort, die Nicht-Nutzung des Garagendachs als Terrasse gewährleisten. Als rechtstreuem Bürger sei dem Kläger das Vertrauen auf die Nicht-Nutzung entgegenzubringen, wenn er zusichere, dass er das Garagendach nicht nutzen werde. Die Interessenabwägung im Rahmen der Angemessenheitsprüfung falle ebenfalls unzureichend aus. Eine zusätzliche Abtrennung zwischen der Terrasse und dem Garagendach würde die Ästhetik der Gestaltung des Außenbereichs des Grundstücks der Kläger deutlich beeinträchtigen und zu unnötigen Erschwerungen bei Haushaltsarbeiten sowie zu finanziellen Einbußen führen.
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4. Demgegenüber beantragte das Landratsamt Würzburg als Vertreter des Beklagten,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen. Die erlassene Abtrennungsanordnung werde als Begleitmaßnahme zur Nutzungsuntersagung für erforderlich gehalten.
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5. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins über die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Baugrundstücks (vgl. Beschlüsse vom 12 und 22. März 2024). Auf das Protokoll über den am 9. April 2024 durchgeführten Augenschein wird verwiesen.
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In der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2024 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
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6. Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Die Akte zum Verfahren * * * … wurde beigezogen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 30. Oktober 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die angefochtene Nutzungsuntersagung in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich als rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 76 Satz 2 BayBO, wonach die Nutzung von Anlagen untersagt werden kann, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden.
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1.1. Anerkanntermaßen genügt für die Nutzungsuntersagung grundsätzlich die formelle Rechtswidrigkeit der Nutzung (BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 2 ZB 15.61 – juris; OVG NW, B.v. 25.6.2015 – 7 B 583/15 – juris; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Januar 2024, Art. 76 Rn. 282 m.w.N.). Eine Anlage ist formell rechtswidrig, wenn sie Verfahrensvorschriften widerspricht, insbesondere ohne die erforderliche Baugenehmigung oder Zustimmung oder abweichend von ihr oder ohne das sonst erforderliche bauaufsichtliche Verfahren errichtet oder geändert worden ist. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Januar 2024, Art. 76 Rn. 282 m.w.N.). Anders als bei der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO kommt es nicht darauf an, ob auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Damit ist es grundsätzlich unerheblich, ob die untersagte Nutzung (auch) gegen materielles Recht verstößt (VG Würzburg, U.v. 10.11.2022 – W 5 K 20.1113 – juris).
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Im vorliegenden Fall geht die Behörde zu Recht davon aus, dass die vom Kläger errichtete Dachterrasse auf der Garage der Baugenehmigungspflicht unterliegt. Eine Nutzungsänderung des genehmigten Garagendachs zu einer Dachterrasse ist ein gem. Art. 55 BayBO genehmigungspflichtiges Vorhaben, für das keine Baugenehmigung erteilt wurde. Das Vorhaben ist auch nicht verfahrensfrei. Insbesondere greift Art. 57 Abs. 1 Nr. 16g BayBO nicht ein, wonach andere unbedeutende Anlagen oder unbedeutende Teile von Anlagen wie u.a. „Terrassen“ verfahrensfrei sind. Eine Anlage oder ein Teil einer Anlage ist nicht unbedeutend, wenn es wegen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlich erheblichen Auswirkungen einer präventiven bauaufsichtlichen Prüfung bedarf (OVG Weimar, U.v. 26.2.2002 – 1 KO 305/99 – juris: Frei liegende Dachterrasse ist keine unbedeutende bauliche Anlage). Davon ist hier aufgrund der Lage der Terrasse auf dem Dach der grenzständigen Garage auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 13.2671 – juris; OVG Weimar, U.v. 26.2.2002 – 1 KO 305/99 – juris). Es bestehen deshalb keine Zweifel an der formellen Illegalität der vom Kläger errichteten Dachterrasse.
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1.2. Die bloße formelle Rechtswidrigkeit kann eine Nutzungsuntersagung – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – nur dann nicht rechtfertigen, wenn die ausgeübte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 2 ZB 15.61 – juris; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Januar 2024, Art. 76 Rn. 282). Denn es ist im Allgemeinen unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen (Art. 76 Satz 3 BayBO) bzw. ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2014 – 9 CS 14.451 – juris und U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – BayVBl 2012, 86). Hier kann von einer evidenten materiellen Rechtmäßigkeit der untersagten Nutzung aber nicht die Rede sein. Die Nutzung der Dachterrasse ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Durch die Terrasse verliert die Grenzgarage vielmehr ihre abstandsflächenrechtliche Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO mit der Folge, dass das Gebäude Abstandsflächen auslöst, die wegen der Grenzständigkeit des Gebäudes ohne Wahrung der nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderlichen Abstandsflächentiefe von 0,4 H, mindestens 3 m, auf das Nachbargrundstück fallen. Die Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO entfällt, wenn das Garagengebäude nicht mehr nur für das Unterstellen von Kraftfahrzeugen bzw. allenfalls noch von Zubehör, sondern zusätzlich anderen Zwecken – wie hier einer Dachterrasse – zugeführt wird. Es muss sich um „echte“ Garagen handeln, die von der Nutzung als Abstellraum für Kraftfahrzeuge geprägt sind. Aufgrund der gebotenen funktionalen Trennung vom Hauptgebäude sind Dachräume über der Garage, die nur vom Hauptgebäude aus betreten werden können, unzulässig bzw. stehen der Annahme einer Garage i.S.v. Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 entgegen. Entsprechend scheidet auch die Nutzung des Garagendachs als Dachterrasse aus; selbst dann, wenn diese Dachterrasse – anders als hier – eine Abgrenzung unter Beachtung des erforderlichen Grenzabstands aufweist (Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 29. Ed., Stand: 1.10.2023, Art. 6 Rn. 206 m.w.N.). Der Kläger kann auch nicht offensichtlich eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften beanspruchen, zumal hier nichts für die insoweit erforderliche Atypik spricht.
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1.3. Ein Ermessensfehler ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung über eine Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO stellt eine Ermessensentscheidung dar, welche vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. § 114 VwGO).
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Für die Ermessensausübung ist zu beachten, dass das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet. Die Behörde macht daher im Regelfall – so auch hier – von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. Dem Ermessen in Art. 76 Satz 2 BayBO ist deshalb die Tendenz eigen, die der Natur der Sache nach gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen (sog. intendiertes Ermessen, vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Januar 2024, Art. 76 Rn. 301). Damit rechtfertigt grundsätzlich bereits die Erfüllung des Tatbestands den Erlass einer Nutzungsuntersagung und es ist in der Regel keine besondere Begründung der Abwägungsentscheidung erforderlich. Es genügt, wenn die Bauaufsichtsbehörde zum Ausdruck bringt, dass der beanstandete Zustand wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden müsse (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 CS 18.2659; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – beide juris). Dem Vorstehenden ist das Landratsamt Würzburg mit den im Bescheid enthaltenen Ermessenserwägungen gerecht geworden.
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Die behördliche Maßnahme erweist sich auch als verhältnismäßig. Sie ist zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände zweckdienlich und damit geeignet. Die Maßnahme ist auch erforderlich, weil dem Landratsamt kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht. Die schlichte Erklärung des Klägers, wonach er seine Absicht zur Terrassennutzung aufgegeben habe, lässt das Erfordernis einer entsprechenden Nutzungsuntersagung nicht entfallen, da die beim gerichtlichen Augenschein am 9. April 2024 erkennbar gewordenen objektiven Gegebenheiten (insbesondere die ebenerdige Erweiterung des bisherigen Terrassenbereichs, Errichtung eines Außengeländers aus Milchglaselementen, Verlegung von Dielen, Einrichtung von Stromversorgung und Beleuchtung) eine Terrassennutzung nahelegen und jederzeit möglich machen. Die Nutzungsuntersagung war auch nicht lediglich auf den die gesetzliche Mindestabstandsfläche von 3 m nicht beachtenden Bereich der Dachterrasse zu beschränken (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2013 – Au 5 K 12.840 – juris m.w.N.). Von der Möglichkeit eines Bauantrags oder einer von der Bauaufsichtsbehörde geforderten Umplanung wurde kein Gebrauch gemacht; eine Legalisierungsmöglichkeit des Vorhabens in der errichteten Art ist für die Kammer auch nicht erkennbar. Ferner hat die Klägerseite die zunächst erwogene Lösung, das vorhandene Balkongeländer freiwillig vom Garagendach zurückzuversetzen, wieder zurückgezogen. Die Anordnung ist schließlich angemessen, da sie dazu beiträgt, bauordnungswidrige Zustände zu unterbinden und den Kläger auf ein Baugenehmigungsverfahren zu verweisen. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherstellung einer rechtmäßigen Nutzung des Gebäudes überwiegt das Privatinteresse des Klägers, von der Nutzungsuntersagung verschont zu bleiben.
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1.4. Im Ergebnis ist die Nutzungsuntersagung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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2. Die unter Ziffer 1 des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 30. Oktober 2023 ausgesprochene Verpflichtung, das Garagendach vollständig und öffnungslos mittels geeigneter, mindestens 1,00 m hoher Umwehrung von der übrigen Terrasse abzutrennen, ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 BayBO haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Gem. Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO können sie in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen.
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2.1. Die errichtete Dachterrasse ist eine Anlage, die öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt, weil sie sich nach den vorstehenden Ausführungen als formell illegal und als materiell nicht genehmigungsfähig darstellt. Hinsichtlich der Genehmigungspflicht der Errichtung der Dachterrasse einschließlich des dazu gehörigen Geländers sowie zu deren materieller Baurechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften in Art. 6 BayBO gilt das zur Nutzungsuntersagung Ausgeführte entsprechend.
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2.2. An der Bestimmtheit der angeordneten Maßnahme (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) bestehen keine Zweifel. Insbesondere ist anhand der Anlage zum streitgegenständlichen Bescheid und den darin enthaltenen Einzeichnungen für den Kläger in hinreichender Weise erkennbar, an welcher Stelle die Umwehrung zu errichten ist.
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2.3. Die Anordnung, die nach dem Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde steht („kann“), wahrt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens und entspricht dem Zweck der Ermächtigung (§ 114 Satz 1 VwGO). Im Bescheid vom 30. Oktober 2023 sind die notwendigen tragenden Ermessensgesichtspunkte gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG enthalten. Grundsätzlich entspricht es bei Anwendung des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO pflichtgemäßer Ermessensausübung, gegen formell und materiell rechtswidrige bauliche Anlagen einzuschreiten.
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Die Maßnahme ist verhältnismäßig. Insbesondere stellt sich die Maßnahme – in Ergänzung zur ausgesprochenen Nutzungsuntersagung – als geeignet und erforderlich dar. Soweit der Klägerbevollmächtigte einwendet, dass die Nutzungsuntersagung zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände ausreiche, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Nutzungsuntersagung hat in erster Linie die Funktion, den Kläger auf den Genehmigungsweg zu verweisen. Infolge der hier – evident – fehlenden Genehmigungsfähigkeit der errichteten und in der Vergangenheit zumindest vorübergehend auch als Dachterrasse genutzten Anlage bedarf es zur Sicherstellung rechtmäßiger Zustände weiterreichender Maßnahmen. Mildere Mittel als die getroffene Anordnung zur Errichtung einer Abtrennung nach Maßgabe von Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids sind nicht ersichtlich. Der Vorschlag des Klägerbevollmächtigten, die baulichen Gegebenheiten so zu belassen und stichpunktartige Kontrollen durchführen zu lassen, ist – verglichen mit der getroffenen Anordnung – nicht von gleicher Effektivität, da hierdurch der rechtswidrige Zustand nicht hinreichend verlässlich beseitigt wird und die Bauaufsichtsbehörde zudem mit unverhältnismäßig hohem und dauerhaftem Kontrollaufwand hinsichtlich des von der Straße aus nicht ohne weiteres einsehbaren Terrassenbereichs belastet würde. Im Weiteren stellt sich die gewählte Maßnahme als weniger eingriffsintensiv dar gegenüber einer ebenfalls denkbaren Beseitigung der Dachterrasse einschließlich des Geländers und der Terrassendielen. An der Angemessenheit der Maßnahme bestehen keine Zweifel. Die Abtrennung muss zur Entfaltung ihres Zwecks öffnungslos, vollständig und in einer gewissen Höhe erfolgen, da die Maßnahme andernfalls – worauf die Beklagtenseite zutreffend hingewiesen hat – keine ausreichende Hürde für eine Weiternutzung darstellen würde. Für die Angemessenheit der Maßnahme spricht auch, dass die konkret angeordnete Maßnahme zwischenzeitlich von der Klägerseite selbst als gangbarer Kompromiss vorgeschlagen wurde, dass in gleicher Weise Sicherheit vor einem Absturz geboten wird und dass für die zu errichtende Umwehrung die Glaselemente des errichteten Außengeländers Verwendung finden können. Auf die vom Klägerbevollmächtigten hervorgehobenen Aspekte der ästhetischen Gestaltung des Grundstücks und zu etwaigen Erschwerungen bei Haushaltsarbeiten kommt es hierbei ebenso wenig entscheidend an wie auf finanzielle Einbußen, die mit der Beseitigung des rechtswidrigen Zustands zwangsläufig verbunden sind. Insgesamt stellt sie sich unter Berücksichtigung der mit ihr für den Kläger verbundenen Belastungswirkungen ohne weiteres als verträglich dar.
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2.4. Die angefochtene Anordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich somit als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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3. Die Zwangsgeldandrohungen (Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids) sind ebenfalls rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1, 2 Nr. 1, Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 bis 3, 5 und Abs. 7 VwZVG. Die angedrohten Zwangsgelder sind ihrer Höhe nach nicht zu beanstanden und die eingeräumte Frist ist angemessen. Darüber hinaus liegt inhaltliche Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) der Zwangsgeldandrohungen vor, da jeweils ein gesondertes Zwangsgeld für die Anordnung unter Ziffer 1 und für die Nutzungsuntersagung unter Ziffer 2 angedroht wurde. Auch hinsichtlich der Kostenentscheidung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.