Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.07.2024 – M 5 E 24.2685
Titel:

Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens – Ablauf der Monatsfrist

Normenketten:
VwGO § 123
BayVwVfG Art. 41 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Effektiver Rechtsschutz für das auf Fortführung eines abgebrochenen Auswahlverfahrens gerichtete Begehren ist ausschließlich durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu erlangen; damit kann das Fehlen eines sachlichen Grundes für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens geltend gemacht werden, wobei der Antrag binnen eines Monats nach Zugang der Mitteilung über den Abbruchgrund zu stellen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich der Abbruchmitteilung ist die Bekanntgabefiktion des Art. 41 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG nicht einschlägig, da es sich bei der Mitteilung über den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens nicht um einen Verwaltungsakt handelt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein "Erwägen" eines Rechtsmittels reicht nicht aus, um einer Verwirkung entgegenzutreten. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Stellenbesetzung, Abbruch des Besetzungsverfahrens, Verwirkung, Aktualisierung des Bewerberkreises, Neue Beurteilungslage, Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens, Monatsfrist, Vergabe eines Dienstpostens, vorläufiger Rechtsschutz, Abbruchmitteilung, Erwägung eines Rechtsmittels
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.09.2024 – 3 CE 24.1344
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18313

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens über die Vergabe des Dienstpostens der Leitung der Veterinärverwaltung im Landratsamt P.
2
Mit Ausschreibung vom … Juli 2022 wurde die streitgegenständliche Stelle der Leitung der Veterinärverwaltung am Landratsamt P. (entwicklungsfähig bis Besoldungsgruppe A 16) geschäftsbereichsintern ausgeschrieben.
3
Auf diese Stelle bewarben sich unter anderem die Antragstellerin und die Beigeladene. Die erste Auswahlentscheidung fiel auf die Beigeladene. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 23. Mai 2023 wurde dem Antragsgegner untersagt, die Stelle bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu besetzen (M 5 E 23.1516). Der Antragsgegner führte eine erneute Auswahlentscheidung unter Beibehaltung des Bewerberkreises durch und wählte mit Auswahlvermerk vom … November 2023 erneut die Beigeladene aus. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2024 wurde dem Antragsgegner erneut untersagt, die Stelle bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu besetzen (M 5 E 23.5825).
4
Mit Vermerk vom … April 2024 entschied das Bayerische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, das Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen und den streitgegenständlichen Dienstposten neu auszuschreiben. Die mit Beschluss vom 22. März 2024 bemängelten Verfahrensfehler könnten im derzeitigen Auswahlverfahren nicht mehr behoben werden, sodass eine Neuausschreibung bereits aus diesem Grunde vonnöten sei. Darüber hinaus sei seit der ersten Ausschreibung ein erheblicher Zeitraum verstrichen und es sei gewollt, den Bewerberkreis zu aktualisieren. Es könne sich ein aktualisiertes Bewerberfeld ergeben, da die bisher im Auswahlverfahren herangezogenen dienstlichen Beurteilungen nicht mehr aktuell seien. Nach Ziff. 2.1 und 2.8 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung und die Leistungsfeststellung der Beamten und Beamtinnen im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz v. 5.6.2023, BayMBI. 2023, 313) seien zum Stichtag 30.09.2023 aktuelle periodische Beurteilungen zu erstellen gewesen; diese Beurteilungen seien ab März 2024 einheitlich zu verwenden.
5
Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz teilte der Antragstellerin ausweislich des in den Akten befindlichen „OK-Vermerks“ mit Schreiben vom … April 2024 per Fax mit, dass das betreffende Stellenbesetzungsverfahren aus sachlichem Grund abgebrochen werde, da das bisherige Verfahren an nicht behebbaren Mängeln leide. Es sei beabsichtigt, die Stelle zur Besetzung erneut verwaltungsintern auszuschreiben. Die Abbruchmitteilung ging dem Antragstellerbevollmächtigten am 29. April 2024 zudem postalisch zu (vgl. Geheft 3, Blatt 382 der Behördenakte).
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2024 wies der Antragstellerbevollmächtigte das Ministerium darauf hin, dass die Antragstellerin durch den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens erheblich benachteiligt sei. Das Verwaltungsgericht München habe im Beschluss vom 22. März 2024 ausgeführt, dass der Antragstellerin nach den dienstlichen Beurteilungen der Vorzug hätte gegeben werden müssen. Die Antragstellerin erwäge ernsthaft, gerichtlich gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens vorzugehen, sei jedoch andererseits weiterhin an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Seine Mandantin habe ihn darum gebeten, längstens bis zum 15. Mai 2024 von der Einleitung gerichtlicher Schritte abzusehen.
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Da eine Antwort bis dahin ausgeblieben war, wandte sich der Antragstellerbevollmächtigte mit E-Mail vom 16. Mai 2024 erneut an das Ministerium und bat wegen der Eilbedürftigkeit um kurzfristige Rückäußerung bis spätestens 22. Mai 2024.
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Nachdem auf dieses Schreiben keine Rückmeldung vonseiten des Antragsgegners erfolgte, beantragte die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 23. Mai 2024, eingegangen bei Gericht am 24. Mai 2024, den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung wird angeführt, dass Verwirkung nicht gegeben sei, da bei der Gegenpartei kein Vertrauen dahingehend habe entstehen können, dass die Beamtin die Entscheidung akzeptieren würde. Denn mit Schreiben vom 7. Mai 2024 sei zum Ausdruck gebracht worden, dass ernsthaft erwogen werde, gerichtlich gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens vorzugehen. Zudem sei der Antrag unverzüglich, d.h. innerhalb einer Woche nach Fristablauf gestellt worden.
9
Zudem bestehe neben einem Anordnungsgrund auch ein Anordnungsanspruch. Die erneute Ausschreibung sei mit dem Ziel verbunden, die Antragstellerin aus leistungsfremden Erwägungen von der weiteren Auswahl für die Stelle auszuschließen. Eine rechtsfehlerfreie Entscheidung sei im laufenden Verfahren möglich, da der Antragsgegner die Stelle im gestuften Verfahren mit der Antragstellerin besetzen könne. Die Gesamtprädikate der dienstlichen Beurteilungen seien in der neuen Beurteilungsrunde gleichgeblieben. Der Aktenvermerk vom ... Juni 2024 lasse erkennen, dass der Antragsgegner die verfahrensgegenständliche Stelle mit Hilfe des „gemischten“ Auswahlverfahrens mit der Beigeladenen besetzen wolle. Bei einer Neuausschreibung verbunden mit der Entscheidung über ein „gemischtes“ Auswahlverfahren habe die Antragstellerin zwar formal, jedoch in der Praxis keine realistische Chance, ausgewählt zu werden. Daneben entstünden der Antragstellerin erhebliche Nachteile bei einer erneuten Ausschreibung, da eine Beförderung wegen der Sperrfrist in Art. 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LlbG pensionswirksam nicht mehr in Betracht käme.
10
Die Antragstellerseite hat beantragt,
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Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, das durch Verfügung vom …04.2024 abgebrochene Verfahren zur Besetzung des am …07.2022 ausgeschriebenen Dienstpostens der Leitung der Veterinärverwaltung im bayerischen Landratsamt P. (entwicklungsfähig bis Besoldungsgruppe A 16) fortzusetzen.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei infolge von Verwirkung unzulässig. Der Antrag sei ausweislich der Rechtsprechung binnen eines Monats nach Zugang der Mitteilung über den Abbruchgrund zu stellen; wenn der Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen derartigen Antrag stelle, könne der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreife, sondern sein Begehren im Rahmen der neuen Ausschreibung weiterverfolge. Die Abbruchmitteilung sei der Antragstellerin am … April 2024 zugegangen (Geheft 3, Bl. 352, 360f.), die Antragstellung bei Gericht sei am 24. Mai 2024 und damit verspätet erfolgt.
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Daneben sei auch ein sachlicher Grund für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens gegeben. Dem Dienstherrn komme hinsichtlich der Beendigung eines eingeleiteten Auswahlverfahrens ein weites organisations- und verwaltungspolitisches Ermessen zu. Ein sachlicher Grund liege bereits darin begründet, dass die in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts München festgestellten Verfahrensfehler im Auswahlverfahren nicht mehr behebbar gewesen seien, sodass eine dem Leistungsgrundsatz gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar sei. Ein weiterer sachlicher Grund liege darin, dass seit der ersten Ausschreibung ein erheblicher Zeitraum verstrichen sei und der Bewerberkreis aktualisiert oder vergrößert werden solle (NdsOVG, B.v. 14.9.2006 – 5 ME 219/06 – juris). Seit der letzten Ausschreibung vom 18. Juli 2022 seien nahezu zwei Jahre verstrichen. In der Zwischenzeit seien Regelbeurteilungen erstellt worden, die ausweislich der Beurteilungs- und Beförderungsrichtlinien als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen seien (BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 15 f.). Monetäre Erwägungen mit Blick auf etwaige pensionswirksame Beförderungen seien kein Element einer vom Leistungsgrundsatz geprägten Auswahlentscheidung.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 5 E 23.1516 und M 5 E 23.5825 Bezug genommen.
II.
17
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erweist sich als unzulässig.
18
1. Gemäß § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dafür muss sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch ein Anordnungsanspruch vorliegen, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache.
19
2. Die Antragstellerin hat bereits ihre prozessuale Antragsbefugnis verwirkt. Denn der Antragstellerbevollmächtigte hat das das Fehlen eines sachlichen Grundes hierfür nicht innerhalb der Monatsfrist nach Zugang der Abbruchmitteilung mittels eines Antrags nach § 123 VwGO gerichtlich geltend gemacht.
20
Effektiver Rechtsschutz für das auf Fortführung eines abgebrochenen Auswahlverfahrens gerichtete Begehren ist ausschließlich durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu erlangen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – BVerwGE 145, 185, juris Rn. 12; U.v. 3.12.2014 – 2 A 3.13 – BVerwGE 151, 14, juris Rn. 14, 22f.; B.v. 10.5.2016 – 2 VR 2.15 – BVerwGE 155, 152, juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 14; B.v. 28.4.2016 – 3 CE 16.583 – juris Rn. 18). Damit kann das Fehlen eines sachlichen Grundes für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens geltend gemacht werden, wobei der Antrag binnen eines Monats nach Zugang der Mitteilung über den Abbruchgrund zu stellen ist. Stellt der Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen derartigen Antrag, so darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen der neuen Ausschreibung weiterverfolgt. Nach Ablauf der Monatsfrist ist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt (BVerwG, U.v. 3.12.2014 a.a.O. Rn. 24; B.v. 10.5.2016 a.a.O. Rn. 13; B.v. 10.12.2018 – 2 VR 4.18 – NVwZ 2019, 724, juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 28.4.2016 a.a.O.; BayVGH, B.v. 5.2.2019 a.a.O.). Diese – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte – Monatsfrist ist an dem für Beamte generell geltenden Rechtsmittelsystem orientiert (vgl. § 126 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes, § 54 Abs. 2 des Beamtenstatusgesetzes, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und als ausreichend angesehen worden, um eine zeitnahe Klärung darüber herbeiführen zu können, ob der Bewerber eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens beantragen will (BVerwG, U.v. 3.12.2014 a.a.O. Rn. 24).
21
Der Antragstellerbevollmächtigte hat die Monatsfrist ab Zugang der Abbruchmitteilung nicht gewahrt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Mitteilung über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dem Antragstellerbevollmächtigten am Montag, den … April 2024 zugegangen ist. Diese ist per Fax ausweislich des OK-Vermerks des Faxgeräts des Antragsgegners am … April 2024 nachmittags an den Rechtsanwalt versandt worden (vgl. Geheft 3, Bl. 361 der Behördenakte). Dieser hat den Erhalt der Abbruchmitteilung am … April 2024 per Fax auf den Vortrag des Antragsgegners hin nicht angezweifelt, sondern geht ersichtlich selbst davon aus, die Monatsfrist verstrichen zu haben, wenn er angibt, dass Verwirkung nicht eingetreten sei, weil er „unverzüglich innerhalb einer Woche nach Fristablauf“ (vgl. Schriftsatz vom 14. Juni 2024) einen Eilantrag eingelegt zu haben. Daraus kann gefolgert werden, dass er die Abbruchmitteilung am … April 2024, spätestens am … April 2024 auch tatsächlich erhalten hat. Soweit in der Antragsbegründung der 29. April 2024 als Tag des Zugangs angegeben wird, betrifft dies die später postalisch versandte Abbruchmitteilung (vgl. Geheft 3, Bl. 382 der Behördenakte). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragstellerbevollmächtigte sich mit Schreiben vom … April 2024 zum Abbruch geäußert hat, was die Kenntnis vom Abbruch des Verfahrens zwingend voraussetzt.
22
Im Übrigen ist nicht die Bekanntgabefiktion des Art. 41 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG einschlägig, da es sich bei der Mitteilung über den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Eine derartige Mitteilung hat keinen Regelungsinhalt, sondern stellt ein schlicht hoheitliches Handeln ohne Regelungscharakter dar. Ihr Inhalt erschöpft sich in der Information der Bewerber darüber, dass und aus welchen Gründen das Stellenbesetzungsverfahren tatsächlich nicht fortgeführt wird. Selbständige materiell-rechtliche Folgen sind hiermit anders als bei einer das Verfahren abschließenden Sachentscheidung über die Besetzung des in Rede stehenden öffentlichen Amtes nicht verbunden (vgl. OVG NW, B.v. 15.9.2010 – 6 A 1966/08 – juris; SächsOVG, B.v. 14. Mai 2004 – 3 BS 265/03 – juris Rn. 5; SaarlOVG, B.v. 29.5.2002 – 1 W 9/02 – juris Rn. 41 f.).
23
Im Übrigen war die Abbruchmitteilung nicht zwingend förmlich bekannt zu geben. Denn das Erfordernis einer Zustellung der Abbruchmitteilung kann weder der Rechtsfortbildung des Bundesverwaltungsgerichts, noch dem Gesetz entnommen werden. Insbesondere fällt die Abbruchmitteilung nicht unter eine Entscheidung, die nach Art. 10 BayBG zuzustellen wäre, da das Bayerische Beamtengesetz keine Vorschrift enthält, die die Notwendigkeit einer Bekanntgabe der Abbruchmitteilung kraft Zustellung vorschreibt (vgl. auch OVG Berlin-Bbg., B.v. 26.3.2018 – OVG 4 S 44.17 – juris Rn. 5).
24
Damit begann die Monatsfrist entsprechend § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am … April 2024 zu laufen und endete am Mittwoch, den … Mai 2024 (§§ 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO). Der Eilantrag der Antragstellerpartei ist jedoch erst am Freitag, dem 24. Mai 2024 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Damit ist Verwirkung eingetreten.
25
Soweit der Antragstellerbevollmächtigte einwendet, die Antragstellerin habe mit anwaltlichem Schreiben vom ... Mai 2024 (Anlage A2) eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie „ernsthaft erwägt, gerichtlich gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens vorzugehen“, sodass beim Dienstherrn kein Vertrauen habe entstehen können, dass die Beamtin den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens akzeptieren würde, so kann er mit diesen Ausführungen nicht durchdringen.
26
Zutreffend ist zwar, dass der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben neben dem Zeitablauf voraussetzt, dass der Inhaber eines materiellen oder prozessualen Anspruchs oder Gestaltungsrechts innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 2 B 75.13 – juris Rn. 15 m.w.N.). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind indes nicht präzise voneinander zu trennen und abgrenzbar. Sie stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung zueinander (BGH, U.v. 19.12.2000 – X ZR 150/98 – juris Rn. 43). Maßgeblich ist letztlich eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (BVerwG, U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – juris Rn. 22).
27
Eine solche Gesamtbewertung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 3. Dezember 2014 (2 A 3.13 – a.a.O. Rn. 22 f.) im Hinblick auf die – auch hier vorliegende – (Sonder-)Konstellation, dass der Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung angegriffen werden soll, vorgenommen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Dienstherr dann, wenn ein Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag nach § 123 VwGO stellt, darauf vertrauen darf, der Bewerber werde gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens verwaltungsgerichtlich nicht mehr vorgehen (NdsOVG, B.v. 16.7.2020 – 5 ME 111/20 – juris Rn. 15). Begründet wurde dies mit dem aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgenden Erfordernis einer zeitnahen Klärung der Frage, ob das abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren (mit dem bestehenden Bewerberkreis) fortgeführt werden muss oder ein neues Stellenbesetzungsverfahren (mit möglicherweise anderem Bewerberkreis) durchgeführt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat damit deutlich gemacht, dass in Fällen wie dem Streitfall dem Gebot der zeitnahen Klärung der Rechtmäßigkeit des Abbruchs eine besondere Bedeutung zukommt. Sowohl der Dienstherr als auch die Bewerber bräuchten Klarheit darüber, in welchem Auswahlverfahren die Stelle vergeben werde; der zeitliche Parallellauf mehrerer auf dieselbe Planstelle bezogener Verfahren mit unterschiedlichen Bewerbern würde zu schwierigen Vergabe- und Rückabwicklungsproblemen führen. Daher müsse die Rechtmäßigkeit des Abbruchs geklärt sein, bevor in einem weiteren Auswahlverfahren eine Entscheidung getroffen und das Amt vergeben werde (BVerwG, U.v. 3.12.2014 a.a.O. Rn. 23). Im besonderen Dienst- und Treueverhältnis kann eine zeitnahe Entscheidung des Beamten erwartet werden, ob er den Abbruch eines Auswahlverfahrens angreift oder vielmehr an dem neuen Auswahlverfahren teilnimmt. Dies trägt nicht nur dem Interesse des Dienstherrn an einer zügigen Stellenbesetzung Rechnung, sondern auch dem Interesse aller Bewerber um die Beförderungsstelle an einer zeitnahen Besetzung (HessVGH, B.v. 3.5.2019 – 1 B 652/18 – juris Rn. 8). Ein klar bestimmter Fristbeginn und ein eindeutig bestimmbarer Fristablauf dienen damit der Gewährleistung der im Rahmen des Abbruchs eines Auswahlverfahrens besonders bedeutsamen Rechtssicherheit. Diese Erwägungen führen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dazu, dass nach Ablauf der Monatsfrist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt ist (zu alldem BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 3 CE 20.2213 – juris Rn. 8).
28
Es liegen im vorliegenden Verfahren keine besonderen Umstände vor, die ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigen würden. Allein ein „Erwägen“ eines Rechtsmittels, wie dies der Antragstellerbevollmächtigte mit Schreiben vom ... Mai 2024 angekündigt hat, reicht nicht aus, um einer Verwirkung entgegenzutreten. Denn aus dem vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehobenen Gebot der Rechtssicherheit und im Interesse einer zeitnahen Klärung ist zur Vermeidung einer Verwirkung zu verlangen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung innerhalb eines Monats tatsächlich bei Gericht gestellt und nicht nur angekündigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2015 – 6 CE 15.1379 – juris Rn. 11). Andernfalls würden Streitfragen über die Auswirkungen der jeweiligen Ankündigung eines Antrags nach § 123 VwGO auf das Vertrauen des Dienstherrn, die Bewerber werden die Abbruchentscheidung akzeptieren, Unsicherheiten in Bezug auf die Fristberechnung bedingen, die im Rahmen des Abbruchs eines Stellenbesetzungsvorgangs aus Gründen der Rechtssicherheit gerade zu vermeiden sind.
29
Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es der Antragstellerseite unzumutbar gewesen wäre, den Eilantrag rechtzeitig zu stellen. Insbesondere führt der Umstand, dass die Behörde auf die die Bemühungen um eine außergerichtliche Lösung und die in den Schreiben vom … Mai 2024 und … Mai 2024 gesetzten Fristen für eine Stellungnahme nicht reagiert hat, nicht zu einer anderen Bewertung. Denn es ist nicht erkennbar, wieso es dem Antragstellerbevollmächtigten, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, nicht möglich gewesen sein sollte, am … Mai 2024 einen Eilantrag einzulegen, insbesondere, da der Antragstellerbevollmächtigte dem Dienstherrn „wegen der Eilbedürftigkeit“ eine Äußerungsfrist bis zum … Mai 2024 gesetzt hat. Da die dem Dienstherrn gesetzte Äußerungsfrist am … Mai 2024 abgelaufen ist, ohne dass der Dienstherr hierauf reagiert hat, wäre es ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, am selben Tag einen Eilantrag einzulegen. Dies hat der Antragstellerbevollmächtigte nicht getan und damit die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, verwirkt.
30
3. Ungeachtet der Unzulässigkeit des Antrags wäre der Antrag auch unbegründet, da viel dafürspricht, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen kann. Der Antragsgegner durfte das streitbefangene Auswahlverfahren abbrechen, da ein sachlicher Grund vorgelegen hat.
31
Die Gründe für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens ergeben sich in transparenter und unmissverständlicher Weise aus dem Vermerk vom … April 2024. Hierin wird zum einen ausgeführt, dass Verfahrensfehler vorliegen, die im laufenden Stellenbesetzungsverfahren nicht mehr geheilt werden könnten und dass der Dienstherr zum anderen den Bewerberkreis aktualisieren wolle, da seit der ersten Ausschreibung am … Juli 2022 ein erheblicher Zeitraum verstrichen sei und ab März 2024 zwingend neue Beurteilungen zu verwenden seien.
32
Dabei kann dahinstehen, ob eine Heilung der im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2024 festgestellten Verfahrensfehler im laufenden Verfahren möglich gewesen ist. Das dem Dienstherrn zustehende Organisationsermessen ist selbst dann nicht überschritten, wenn er ein an wesentlichen Mängeln leidendes Auswahlverfahren nicht unter Heilung der unterlaufenden Fehler partiell neu betreibt, sondern sich dazu entschließt, es „ganz von vorne“ zu beginnen (vgl. nur OVG RhPf, B.v. 6.11.1997 – 10 B 12387/97 – juris Rn. 6 m.w.N.). Daneben ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen werden kann, wenn seit der Ausschreibung ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist und die Stelle zum Zwecke der Aktualisierung und ggf. auch der Vergrößerung des Bewerberkreises neu ausgeschrieben werden soll (NdsOVG, B.v. 14.9.2006 – 5 ME 219/06 – juris Rn. 15 m.w.N.; OVG RhPf, B.v. 6.11.1997 – 10 B 12387/97 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch dann, wenn eine Aktualisierung der Bewerberlage geboten erscheint, da zwischenzeitlich neue Beurteilungen erstellt worden sind, die der Auswahlentscheidung zugrunde zu legen sind (BayVGH, B.v. 5. April 2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 12 ff.; BayVGH, B.v. 7.1.2013 – 3 CE 12.1828 – juris Rn. 24 ff.). Dementsprechend kann ein Auswahlverfahren abgebrochen werden, wenn es bis zu dem Tag, an dem neue Beurteilungen zugrunde zu legen sind, nicht abgeschlossen werden konnte oder einer bereits getroffenen Auswahlentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 12 ff.). Dahinter steht der Gedanke, dass es zur Wahrung des Prinzips der Bestenauslese auch weiteren Bewerbern ermöglicht werden soll, sich auf die – erneut auszuschreibende – Stelle zu bewerben. Nach Ablauf eines Beurteilungszeitraums neu erstellte aktuelle Beurteilungen zu einem „einheitlichen Verwendungsbeginn“ im Sinne von Art. 56 Abs. 4 Satz 1 des Leistungslaufbahngesetzes/LlbG) sind als wesentliches Element des Leistungsvergleichs allen Auswahlentscheidungen zugrunde zu legen. Auch bei einer wiederholten Auswahlentscheidung sind in der Zwischenzeit erstellte Regelbeurteilungen zwingend zu Grunde zu legen (so NdsOVG, B.v. 14.9.2006 – 5 ME 219/06 – juris Rn. 15; SächsOVG, B.v. 3.1.2019 – 1 M 145/18 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 5. 4.2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 15).
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Das Bestreben, eine „Aktualisierung“ des Bewerberfeldes und unter Umständen auch eine Verbreiterung der Grundlage für die Entscheidungsfindung zu erreichen, kann mit Blick auf das vom Dienstherrn zu wahrende öffentliche Interesse an der bestmöglichen Besetzung der zu vergebenden Dienstposten nicht sachwidrig sein (vgl. nur OVG RhPf, B.v. 6.11.1997 – 10 B 12387/97 – juris Rn. 6 m.w.N.). Unter Umständen kann es in einem Fall, in denen aufgrund eines eingetretenen „einheitlichen Verwendungsbeginns“ aktuelle Beurteilungen heranzuziehen sind, sogar geboten sein, den Bewerberkreis im Wege einer neuen Ausschreibung zu aktualisieren (BayVGH, B.v. 5. April 2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 12 ff.; BayVGH, B.v. 7.1.2013 – 3 CE 12.1828 – juris Rn. 24 ff.).
34
Diese Anforderungen sind hier wohl erfüllt. Seit der am … Juli 2022 erfolgten Ausschreibung sind zwischenzeitlich knapp zwei Jahre vergangen, ohne dass eine wirksame Auswahlentscheidung ergangen ist, sodass durchaus die Möglichkeit einer teilweisen anderen Zusammensetzung bzw. ggf. auch Vergrößerung des Bewerberkreises besteht. Eine erneute Auswahlentscheidung hätte auf Grundlage aktualisierter periodischer Beurteilungen zu ergehen. Denn nach Ziff. 2.1 und 2.8 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung und die Leistungsfeststellung der Beamten und Beamtinnen im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz v. 5.6.2023, BayMBI. 2023, 313) sind zum Stichtag 30. September 2023 aktuelle periodische Beurteilungen zu erstellen, die ab März 2024 einheitlich zu verwenden sind. Diese neu erstellten aktuellen Beurteilungen zu einem „einheitlichen Verwendungsbeginn“ (hier: 1.3.2023) sind diesem Auswahlverfahren zu Grunde zu legen; aufgrund dessen ist es im Hinblick auf das Leistungsprinzip unter Umständen sogar geboten, den Bewerberkreis im Wege einer neuen Ausschreibung zu aktualisieren (vgl. BayVGH, B.v. 5. April 2019 – 3 CE 19.314 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
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Da das Bestreben, das Bewerberfeld aufgrund aktueller Beurteilungen zu aktualisieren, einen sachlichen Grund für den Abbruch des Verfahrens darstellt, kann dahingestellt bleiben, ob der Dienstherr den gerichtlich beanstandeten Verfahrensfehler im laufenden Auswahlverfahren unter Anwendung des gestuften Verfahrens hätte heilen können. Im Übrigen kann allein aus der Tatsache, dass der Antragsgegner von einer fehlenden Heilbarkeit der Verfahrensfehler im bestehenden Auswahlverfahren ausgeht, nicht per se auf eine „Benachteiligungsabsicht“ zulasten der Antragstellerin geschlossen werden.
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4. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Eine Halbierung des Streitwerts scheidet ungeachtet des Umstandes, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, schon deshalb aus, weil allein der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für das Begehren auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens in Betracht kommt (BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 2 VR 4.18 – NVwZ 2019, 724, Rn. 23; BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 3 CE 18.2608 – juris Rn. 36; B.v. 5.4.2019 – 3 CE 19.314 – RiA 2019, 179, juris Rn. 25).