Inhalt

VG München, Beschluss v. 16.07.2024 – M 8 SN 24.672
Titel:

Antrag eines Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Baugenehmigung für Errichtung eines Stabmattenzauns, Rücksichtnahmegebot, Abstandsflächen, gebäudegleiche Wirkung

Normenketten:
§ 80a Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 6
BayBO Art. 63
Schlagworte:
Antrag eines Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Baugenehmigung für Errichtung eines Stabmattenzauns, Rücksichtnahmegebot, Abstandsflächen, gebäudegleiche Wirkung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18303

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 7. Juni 2023, die bei dem erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen M 8 K 23.2847 geführt wird, gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Stabmattenzaunes auf dem Grundstück FlNr. 241/208 Gemarkung B* …, P* …straße 15 (im Folgenden: Vorhabengrundstück).
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 241/209 Gemarkung B* …, P* …straße 13 (im Folgenden: Nachbargrundstück), welches südlich an das Vorhabengrundstück angrenzt.
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Auf dem Vorhabengrundstück befindet sich ein Gebäude, welches als Synagoge genutzt wird. Bislang wird das Vorhabengrundstück an der südlichen Grenze durch einen Maschendrahtzaun vom Nachbargrundstück getrennt. An der Ostgrenze befindet sich zur Straße ebenfalls ein Zaun. Das Vorhabengrundstück zählt zudem zum Ensemble B* … und befindet sich in der Nähe von Baudenkmälern.
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Auch bei dem auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Gebäude handelt es sich um ein in die Denkmalliste des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege eingetragenes Einzelbaudenkmal, welches in der Denkmalliste wie folgt beschrieben wird:
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„Villa, zweigeschossiger pilastergegliederter Wamdachbau [richtig wohl: Walmdachbau] in neoklassizistischen Formen mit Steherkern, vom Baubüro H* … und … bez. 1922.“
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Mit Bescheid vom … Mai 2023 erließ die Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen eine Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren gemäß Art. 59, Art. 68 BayBO mit welcher der Beigeladenen gestattet wurde, auf dem Vorhabengrundstück einen im Süden und Osten 3,40 m und an der Südwestecke 5,20 m hohen Stabmattenzaun als Sicherheitszaun zu errichten. Im Süden und an der Südwestecke ist vorgesehen, dass der Stabmattenzaun unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück anstelle des bisher dort befindlichen Maschendrahtzaunes errichtet wird. In der Südwestecke befindet sich auf dem Nachbargrundstück die Einhausung einer Tiefgarageneinfahrt, die eine Höhe von etwa 1,80 m aufweist. Für das Vorhaben wurde gemäß Art. 63 Abs. 2 BayBO eine Abweichung von § 2 Abs. 2 der Einfriedungssatzung der Landeshauptstadt München erteilt. Ferner wurden denkmalrechtliche Auflagen mit dem Bescheid verbunden. Diese Auflagen umfassen zum einen die Verpflichtung, vor Ausführung der Arbeiten ein Farbkonzept mit Angabe der Farbtöne und des Farbmaterials vorzulegen und durch die untere Denkmalschutzbehörde abnehmen zu lassen. Ferner sehen die Auflagen vor, dass ein eigenes Erlaubnisverfahren nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz für alle Maßnahmen erforderlich ist, die über das in den Plänen genehmigte Vorhaben hinausgehen.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2023, eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Klage gegen diesen Bescheid erhoben und die Aufhebung der Baugenehmigung beantragt. Bislang wurde noch nicht über diese Klage entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2024 beantragt die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren:
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Die aufschiebende Wirkung der am 07.06.2023 erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom …05.2023 zugunsten der Beigeladenen, Az. … wird angeordnet.
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Die Antragstellerin führt zur Begründung aus, dass die erteilte Baugenehmigung wegen eines Verstoßes gegen die nachbarschützenden Vorgaben des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO rechtswidrig sei. Der geplante Stabmattenzaun sei abstandsflächenrelevant, da er gebäudegleiche Wirkung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO habe und keine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 7 Nr. 3 BayBO vorliege. Aus diesen Gründen hätte es der Erteilung einer Abweichung von den Vorgaben des Abstandsflächenrechts nach Art. 63, Art. 6 BayBO bedurft, was jedoch nicht geschehen sei und überdies auch nicht zulässig wäre. Das ergebe sich daraus, dass es nicht ohne Ermessensfehler möglich sei, die Abweichung zu erteilen, da eine solche unvereinbar mit den öffentlich-rechtlich geschützten Belangen der Antragstellerin als Nachbarin wäre. Der Stabmattenzaun habe eine erdrückende und eingrenzende Wirkung, verschlechtere sowohl die Belichtungs- als auch die Belüftungsverhältnisse auf dem Nachbargrundstück und belaste überdies den sozialen Wohnfrieden. Es sei ferner nicht nachvollziehbar, inwiefern der Stabmattenzaun zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Vorhabengrundstück beitrage, insbesondere vor dem Hintergrund, dass an der Nord- und Westseite keine Veränderung der bisherigen Einzäunung vorgenommen werden soll. Auch die für eine Abweichung erforderliche Atypik sei nicht dargelegt. Die erteilte Abweichung von § 2 der Einfriedungssatzung sei zu Unrecht erfolgt, da sie nicht mit den nachbarlichen Belangen vereinbar sei. Überdies stelle der Stabmattenzaun eine erhebliche Beeinträchtigung des denkmalgeschützten Gebäudes auf dem Nachbargrundstück dar und das Vorhaben verstoße gegen die Baumschutzverordnung. Auch verstoße das geplante Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot, da sich das Vorhaben nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfüge.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 4.Juni 2024, eingegangen bei Gericht am 12.Juni 2024
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den Antrag abzulehnen.
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Eine Stellungnahme der Antragsgegnerin in der Sache erfolgte nicht.
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Die Beigeladene beantragt mit Schriftsatz vom 4.Juli 2024:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Die Beigeladene ist der Ansicht, dass die Vorschriften des Abstandsflächenrechts nicht verletzt seien. Das Vorhaben sei schon nicht abstandsflächenpflichtig, da es zulässigerweise unmittelbar auf der Grenze errichtet werde und daher Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO anzuwenden sei. Auch die Abweichung von der Einfriedungssatzung begegne keinen Bedenken, da die Antragsgegnerin in pflichtgemäßem Ermessen gehandelt habe und die Einfriedungssatzung überdies keinen Drittschutz vermittle. Hinsichtlich der Vorschriften über den Denkmalschutz sei keine Verletzung nachbarschützender Vorschriften gegeben. Eine Verletzung von Art. 6 BayDSchG liege nicht vor. Insbesondere habe die Antragsgegnerin diesbezüglich zweckmäßige Auflagen in die Baugenehmigung aufgenommen. Auf eine Verletzung der Baumschutzverordnung könne sich die Antragstellerin nicht berufen, da diese nicht nachbarschützend sei. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, da das Vorhaben keine eingrenzende oder erdrückende Wirkung aufweise. Ferner sei das streitgegenständliche Vorhaben in Abstimmung mit der Polizei auf Basis einer Risikobewertung für jüdische Einrichtungen geplant worden. Auch sei die größere Höhe des Zaunes in der Südwestecke notwendig, um ein unbefugtes Betreten des Vorhabengrundstücks durch Überklettern des Zaunes von der Tiefgarageneinhausung auf dem Nachbargrundstück aus zu verhindern.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 23.2847) Bezug genommen.
II.
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Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat eine Anfechtungsklage eines Dritten gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Dabei nimmt das Gericht eine eigene, umfassende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und dem Interesse des Bauherrn an der Ausnutzung seiner Baugenehmigung andererseits vor. Die Interessen des Nachbarn und diejenigen des Bauherrn stehen sich dabei grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht einziges Indiz zu berücksichtigen (vgl. Hoppe, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022 Rn. 85 ff.). Fällt die Erfolgsprognose der Klage in der Hauptsache nach summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zugunsten des Antragstellers aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also als rechtswidrig, so überwiegen in der Regel die Interessen des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Erweist sich die Baugenehmigung hingegen als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig und die Klage in der Hauptsache damit als nicht erfolgversprechend, so überwiegen in der Regel die Interessen des Bauherrn an der Ausnutzung der Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind die Erfolgsaussichten offen, so findet eine reine Abwägung aller für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
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Ein Dritter kann eine Baugenehmigung, die einem anderen erteilt wurde, nur dann erfolgreich anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind und diese auch dem Schutz des Nachbarn dienen, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in schutzwürdigen Rechten betroffen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – juris; BayVGH B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
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2. Dies zugrunde gelegt, wird die Klage in der Hauptsache nach gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung keinen Erfolg haben. Die Klage erweist sich als voraussichtlich zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom 5.Mai 2023 ist voraussichtlich rechtmäßig, weil sie keine nachbarschützenden Vorschriften verletzt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 BayBO).
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2.1 Der von der Antragstellerin vorgetragene Verstoß gegen die Baumschutzverordnung begründet keine Verletzung drittschützender Normen. Die Baumschutzverordnung der Antragsgegnerin vermittelt schon keinen Drittschutz. Sie dient lediglich öffentlichen Zwecken, was insbesondere aus ihrer naturschutzrechtlichen Rechtsgrundlage folgt (vgl. BayVGH B.v. 9.11.2000 – 9 ZB 00.1635 – juris Rn. 7 ff; VG Ansbach U.v. 14.12.2021 – AN 9 K 21.477 – BeckRS 2021, 40601 Rn. 23).
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2.2 Das geplante Vorhaben verstößt nicht gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Der Umfang der Prüfung im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren richtet sich für die angefochtene Baugenehmigung nach Art. 59 Satz 1 BayBO. Bei dem geplanten Vorhaben handelt es sich nämlich nicht um einen Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 BayBO.
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Gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO ist die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens Teil des Prüfprogramms des vereinfachten Genehmigungsverfahrens. Eine Verletzung von Bauplanungsrecht, insbesondere eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots, welches im Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommt, liegt nach summarischer Prüfung nicht vor.
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2.2.1 Das Rücksichtnahmegebot ist ein objektiv-rechtliches Gebot, welches daher grundsätzlich keine subjektiv-öffentlichen Rechte verleiht. Das Rücksichtnahmegebot kommt in verschiedenen Normen zum Ausdruck und kann jedoch ausnahmsweise dann Drittschutz vermitteln, wenn in qualifizierter und individualisierbarer Weise auf besondere Rechtspositionen Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, solche Spannungen und Störungen möglichst zu vermeiden, die durch eine unverträgliche Grundstücksnutzung entstehen können. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, auf die Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen desjenigen sind, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger ist Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25. 2. 1977 – 4 C 22/75 – juris Rn. 22). Für eine sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25. 2. 1977 a.a.O.; BVerwG U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22).
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Gegen die im Gebot des Sich-Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verankerte Rücksichtnahme wird nicht bereits dann verstoßen, wenn das Vorhaben sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfügt. Das Maß der baulichen Nutzung als solches entfaltet keinen Drittschutz. Das Gebot der Rücksichtnahme ist aber jedenfalls dann verletzt, wenn die Bebauung eine „erdrückende“ Wirkung auslöst (vgl. VG München B.v. 23.07.2014 – M 11 SN 14.2037 – juris Rn. 34ff).
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2.2.2 Eine solche erdrückende Wirkung wird von dem geplanten Stabmattenzaun nicht ausgelöst. Eine „erdrückende“ Wirkung kommt bei nach Höhe, Breite und Volumen „übergroßen“ Baukörpern, die in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden errichtet werden, in Betracht (vgl. BayVGH B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28). Dabei ist eine erdrückende Wirkung nur anzunehmen, wenn der geplante Baukörper nach seinen Ausmaßen, seiner Baumasse oder seiner massiven Gestaltung das benachbarte Grundstück unangemessen benachteiligt, indem eine Situation entsteht, die ein Gefühl des „Eingemauertseins“ auslöst, einer „Gefängnishofsituation“ gleicht oder dem „erdrückten“ Gebäude „die Luft genommen“ wird (vgl. BayVGH B.v. 22.6.2020 – 2 ZB 18.1193 – juris Rn. 8).
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Durch die Errichtung des Stabmattenzauns wird das Grundstück der Antragstellerin nicht in dem beschriebenen Sinne „erdrückt“. Der Stabmattenzaun ist mit 3,40 m bzw. 5,20 m zwar überdurchschnittlich hoch und mag für die Antragstellerin optisch störend wirken. Jedoch ist der Stabmattenzaun aufgrund der Lücken zwischen den einzelnen Stäben licht- und luftdurchlässig, sodass er gerade nicht dem Nachbargrundstück „die Luft nimmt“. Auch die relativ filigrane Gestaltung vermittelt gerade nicht das Gefühl des „Eingemauertseins“ oder einer besonders dominierenden Gestaltung.
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2.3 Ein Verstoß gegen drittschützende Normen des Bauordnungsrechts ist ebenfalls nicht gegeben.
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2.3.1 Es liegt kein Verstoß gegen Art. 6 BayBO vor, welcher grundsätzlich nachbarschützende Wirkung hat. Der geplante Stabmattenzaun ist nicht abstandsflächenpflichtig. Abstandsflächenpflichtig sind nur Gebäude gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO und sonstige Anlagen, soweit von ihnen Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Bei dem Stabmattenzaun handelt es sich erkennbar nicht um ein Gebäude (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayBO). Auch eine gebäudegleiche Wirkung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO kommt ihm nicht zu.
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2.3.1.1 Ob eine Anlage gebäudegleiche Wirkung hat, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts bestimmen (BayVGH, B.v. 12.11.2001 – 2 ZB 99.3484 – juris Rn. 11). Gebäudegleiche Wirkung kann eine Anlage im Grundsatz aber erst dann haben, wenn sie mindestens so groß ist, wie ein Gebäude es sein müsste, um von Menschen betreten werden zu können. Außerdem muss sich die Anlage auf Schutzgüter des Abstandsflächenrechts, also insbesondere Belichtung, Belüftung und – nach umstrittener Ansicht (vgl. zum Streitstand: BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 22) – ein dem nachbarlichen „Wohnfrieden“ dienender Sozialabstand, ähnlich wie ein Gebäude negativ auswirken. (BayVGH U.v. 9.8.2007 – 25 ZB 05.1341 – juris Rn. 41; BayVGH B.v. 23.08.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 16).
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Die Höhe des streitgegenständlichen Stabmattenzauns allein vermag noch keine gebäudegleiche Wirkung zu begründen. Etwas Anderes folgt auch nicht aus Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO. Dieser ist auf offene Einfriedungen wie den streitgegenständlichen Stabmattenzaun schon gar nicht anwendbar. Es kann daher aus dieser Vorschrift nicht geschlossen werden, dass offene Einfriedungen, die über eine Höhe von 2 m hinausgehen, generell gebäudegleiche Wirkung haben.
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Der Zaun wirkt sich im Übrigen nicht in ähnlicher Weise wie ein Gebäude negativ auf die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts aus. Weder Belichtung noch Belüftung werden durch ihn erheblich beeinträchtigt. Der Stabmattenzaun ist aufgrund der Abstände zwischen den einzelnen Stäben licht- und luftdurchlässig. In der Gestaltung ist der Zaun relativ filigran. Er tritt, anders als etwa Mauern oder geschlossene Einfriedungen, nicht wandartig in Erscheinung. Auch der Sozialabstand wird durch ihn nicht beeinträchtigt. Der Zaun führt nichtzu einem vermehrten Aufenthalt von Menschen unmittelbar an der Grenze am Zaun, so dass keine erhöhten Beeinträchtigungen zum Beispiel in Form von Geräuschbelastungen zu erwarten sind. Aufgrund vergleichbarer Erwägungen wird in der Rechtsprechung eine gebäudegleiche Wirkung von Zäunen verneint (so für einen 4,50 m hohen Ballfangzaun: BayVGH B.v. 16.4.2009 – 2 ZB 08.3026 – juris).
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2.3.1.2 Selbst wenn man eine gebäudegleiche Wirkung annehmen wollte, wäre es der Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei möglich, eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zu erteilen. Dies hat zur Folge, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht geboten ist, nachdem mit einer Heilung des Abstandsflächenverstoßes durch die Erteilung einer Abweichung zu rechnen ist.
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Die nach Art. 63 BayBO für eine Abweichung erforderliche Atypik liegt vor. Diese ergibt sich aus der besonderen Gestaltung des geplanten Vorhabens. Der geplante Stabmattenzaun hat wegen seiner licht- und luftdurchlässigen Gestaltung gerade keine wandartige Wirkung und löst daher auch nicht in gleicher Weise einen Konflikt mit den vom Abstandsflächenrecht geschützten Belangen aus, wie das bei Gebäuden der Fall ist.
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Das Vorhaben ist auch mit den öffentlichen Belangen, die durch diejenige Vorschrift von der abgewichen werden soll (hier Art. 6 BayBO), vereinbar. Durch das Vorhaben werden die von Art. 6 BayBO geschützten Belange nur geringfügig tangiert. Wie bereits ausgeführt, wird die Belichtungs- und Belüftungssituation wegen der offenen und relativ filigranen Gestaltung des Zaunes auf dem Nachbargrundstück nicht wesentlich beeinträchtigt. Auch auf den Sozialabstand – soweit dieser vom Schutzzweck des Abstandsflächenrechts erfasst sein sollte (siehe oben) – hat der Zaun kaum Auswirkungen. Gleiches gilt auch hinsichtlich der nachbarlichen Interessen.
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2.3.2 Auch ein nachbarschutzrelevanter Verstoß gegen Art. 6 BayDSchG ist nicht gegeben. Art. 6 BayDSchG kann grundsätzlich nachbarschützende Wirkung entfalten, jedoch nur, soweit sich die Errichtung des Vorhabens erheblich auf den Bestand oder das Erscheinungsbild eines Baudenkmals oder Ensembles auswirkt (VG München B.v. 3.8.2016 – M 1 SN 16.3090 – juris). Eine erhebliche Auswirkung auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Baudenkmals der Antragstellerin ist nicht zu erwarten. Der Bestand des Baudenkmals auf dem Nachbargebäude wird durch das Vorhaben nicht berührt. Ebenso wird das Erscheinungsbild des Baudenkmals nicht erheblich berührt. Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen wurden zweckdienliche Auflagen zum Denkmalschutz in die Baugenehmigung aufgenommen. Insbesondere das geforderte Farbkonzept trägt dazu bei, dass der denkmalgeschützte Baukörper auf dem Nachbargrundstück optisch nicht durch den Stabmattenzaun beeinträchtigt wird. Wegen seiner filigranen Gestaltung und der Ausführung als offene, licht- und luftdurchlässige Einfriedung ist der Stabmattenzaun darüber hinaus nicht geeignet weitere, erhebliche Auswirkungen auf das benachbarte Baudenkmal zu entfalten.
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2.3.3 Auch hinsichtlich der erteilten Abweichung von der Einfriedungssatzung der Antragsgegnerin ist keine drittschützende Norm verletzt. Grundsätzlich zählen beantragte Abweichungen zum Prüfprogramm im Baugenehmigungsverfahren und können auch nachbarschützende Wirkung entfalten. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Norm von der die Abweichung erteilt wird ihrerseits nachbarschützende Wirkung hat oder die Interessen des Nachbarn nicht ausreichend gewürdigt wurden (vgl. König in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022 Rn. 43).
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Ersteres ist bei der Einfriedungssatzung nicht der Fall. Einfriedungssatzungen sind Satzungen nach Art. 81 BayBO und verfolgen als solche rein ortsgestalterische Ziele, sofern nicht der Satzungsgeber sie drittschützend ausgestalten wollte (vgl. VG München U.v. 6.6.2018 – M 9 K 17.5750 – juris Rn. 25). Anhaltspunkte, dass die Antragsgegnerin die Satzung vorliegend drittschützend ausgestalten wollte, liegen nicht vor. Insbesondere sieht die Einfriedungssatzung in § 2 Abs. 3 Ausnahmen nur dann vor, wenn das Straßen- und Ortsbild gewahrt bleibt. Eine Berücksichtigung nachbarlicher Interessen hingegen hat die Antragsgegnerin gerade nicht geregelt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich somit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.