Titel:
Nachbareilantrag, Isolierte Befreiung, Bebauungsplan „P* Hellip, Süd“, Befreiung, Gebot der Rücksichtnahme
Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1
VGemO Art. 4 Abs. 1 S. 3
VGemO Art. 4 Abs. 2
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 63 Abs. 3
Schlagworte:
Nachbareilantrag, Isolierte Befreiung, Bebauungsplan „P* Hellip, Süd“, Befreiung, Gebot der Rücksichtnahme
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18295
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 6.250,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 24. Mai 2024, welche unter dem Aktenzeichen M 1 K 24.2741 geführt wird und eine isolierte Befreiung von Festsetzungen des am *. Februar 1989 bekannt gemachten Bebauungsplans „P* …-Süd“ der Antragsgegnerin (im Folgenden: Bebauungsplan) zum Neubau einer Garage auf dem Flurstück 187/45, Gem. P* … der Beigeladenen (A* … 8; im Folgenden: Baugrundstück) zum Gegenstand hat.
2
Die Antragsteller sind Miteigentümer des nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilten Grundstücks B* … 10, Fl.Nr. 187/46, Gem. P* … (im Folgenden: Nachbargrundstück) verbunden mit dem jeweils hälftigen Sondereigentum an der Wohnung im Erdgeschoss samt Kellerräumen im Kellergeschoss sowie einer Doppelgarage (lt. Aufteilungsplan „Nr. 1“), in der Person der Antragstellerin zu 2) darüber hinaus noch verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss samt Balkonen nebst Kellerräumen im Kellergeschoss (lt. Aufteilungsplan „Nr. 2“). Das Nachbargrundstück grenzt im Norden an das Baugrundstück und ist im nördlichen, straßenseitigen Bereich mit einem Wohnhaus mit Garage bebaut. Der rückwärtige, südliche Teil wird als Hausgarten genutzt. Auf dem Baugrundstück befindet sich ein Wohngebäude.
3
Bau- und Nachbargrundstück liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans, der für das Baugrundstück u.a. einen Bauraum für eine Garage und einen Stellplatz im südwestlichen, zur Straße hin orientierten Bereich des Grundstücks vorsieht. In Ziff. 4 Abs. 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans wird u.a. die Traufhöhe von Garagen mit maximal 2,75 m festgelegt.
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Am … März 2024 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer isolierten Befreiung „von den Festsetzungen des Bebauungsplans“. Vorgesehen war die Errichtung einer Garage mit einer Grundfläche von 8,71 m (Ostseite) x 5,74 m (Nordseite) mit einem Abstand von 0,25 m zum Nachbargrundstück in der nord-östlichen Ecke des Baugrundstücks.
5
Mit Bescheid vom … April 2024, den Antragstellern per einfachem Brief übermittelt, erteilte die Verwaltungsgemeinschaft P* … für die Antragsgegnerin die Befreiung „von der Einhaltung der Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich der Größe des Bauraumes für Nebenanlagen und der traufseitigen Wandhöhe von 3 m anstatt 2,75 m nach Maßgabe der amtlichen Korrekturen“ (Lit. A). Von den Festsetzungen des Bebauungsplans könne eine Befreiung erteilt werden, weil die Grundzüge der Planung nicht berührt würden, die Abweichung städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Dem Bescheid beigefügt war eine von der Antragsgegnerin gestempelte Bauzeichnung, in dem die Vermaßung der Wandhöhe (3,00 m, „Ansicht Norden“) ergänzt worden war, sowie der Abstand zu nördlichen Grundstücksgrenze an der engsten Stelle mit 50 cm vermaßt ist.
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Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhoben die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten unter Beifügung des streitgegenständlichen Bescheids „gegen die Verwaltungsgemeinschaft P* …“ Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Ziel, dass der Bescheid vom … April 2024 aufgehoben wird. Über diese Klage (M 1 K 24.2741) ist noch nicht entschieden worden.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Juni 2024 beantragen sie:
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Die aufschiebende Wirkung der am 24.05.2024 erhobenen Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht München, Aktenzeichen M 1 K 24.2741, gegen die isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „P* …-Süd“ wird angeordnet.
9
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beigeladene beabsichtige, eine Garage an der südlichen Grundstücksgrenze der Antragsteller zu errichten. Dies verstoße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans. Aus dessen Begründung ergebe sich, dass es sich um ein kleinmaschig beplantes Baugebiet handele, in dem nur eingeschränkt Platz für die zu errichtenden Häuser vorhanden sei. Wegen dieser Enge seien die Lage und die Höhe der Baukörper und insbesondere der Garagen festgelegt worden, sodass die Festsetzungen gerade auch darauf gerichtet seien, bei Ausschöpfung der größtmöglichen Bebaubarkeit die sich hieraus ergebende Zumutbarkeitsgrenze für die Nachbarschaft festzulegen. Daher hätten die Festsetzungen nachbarschützenden Charakter. Das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot gebiete, auch die Bebauung von Garagen so auszuführen, dass der Nachbar nicht beeinträchtigt werde. Die Garage verschatte das Grundstück der Antragsteller, die Hälfte des Gartens, welche als Nutzgarten verwendet werde, werde unbrauchbar.
10
Das Gericht hat am 31. Mai 2024 im Verfahren der Hauptsache und am 13. Juni 2024 im hiesigen Verfahren die Erstzustellung der Klage- bzw. Antragsschrift an die Antragsgegnerin als Beklagte bzw. Antragsgegnerin verfügt. Aufgrund eines Büroversehens sind Klage- und Antragsschrift jeweils an die Verwaltungsgemeinschaft P* … zugestellt worden.
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Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2024 bestellte sich der Vertreter der Antragsgegnerin für die Verwaltungsgemeinschaft P* … mit weiterem Schriftsatz vom 5. Juli 2024 für die Antragsgegnerin und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
13
Mit der „Verwaltungsgemeinschaft P* …“ sei sowohl die falsche Beklagte wie in der Folge auch die falsche Antragsgegnerin gegriffen worden. Für die Erteilung der isolierten Befreiung sei die Gemeinde P* … zuständig und damit passivlegitimiert. Die Rechtsmittel seien daher unzulässig, in jedem Fall aber unbegründet. Überdies ließe sich weder aus den Festsetzungen des Bebauungsplans noch aus dessen Begründung erkennen, dass es sich bei den inmitten stehenden Festsetzungen um solche handele, die zumindest auch dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt seien. Der Bebauungsplan und auch die Begründung dazu äußerten sich zu den Festsetzungen hinsichtlich der Bauräume und der Traufe von Garagen nicht.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 4. Juli 2024 beantragen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten,
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das Rubrum von Amts wegen zu berichtigen,
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die Klage gegen die Gemeinde P* … im Wege der Klageänderung gemäß § 263 ZPO umzubenennen und der Gemeinde P* … zuzustellen.
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Ferner beantragen sie,
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den Eilantrag möglichst kurzfristig zu entscheiden und die Beklagte anzuweisen, einen Baustopp zu verfügen, damit die Beigeladene keine vollendeten Tatsachen schaffen kann.
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Die Beigeladene habe bereits damit begonnen, die Bodenplatten für die Garage auszuheben und zu verlegen. Offensichtlich versuche sie Tatsachen zu schaffen, bevor eine Entscheidung des Gerichts ergehe.
20
Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2024 trat die Antragsgegnerin dem entgegen und beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
22
Das Rubrum sei richtig, da die Verwaltungsgemeinschaft in den Schriftsätzen des Bevollmächtigten der Antragsteller als Antragsgegnerin geführt werde. Es würde sich nicht um eine Berichtigung des Rubrums, sondern um den Austausch des Beklagten handeln. Hinsichtlich des beantragten Baustopps mangele es an der Passivlegitimation der Gemeinde.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten, auch im Verfahren der Hauptsache (M 1 K 24.2741), verwiesen.
24
Der Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 24. Mai 2024 (M 1 K 24.2741), bleibt in der Sache ohne Erfolg. Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist eine für den Erfolg der Anfechtungsklage erforderliche Verletzung von Rechten der Antragsteller durch Gewährung der isolierten Befreiung nicht ersichtlich (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 63 Ab. 3 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB), so dass das Interesse (der Bauherrin) an der Vollziehung der isolierten Befreiung gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragsteller überwiegt.
25
1. Der Antrag ist zulässig.
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Im Rahmen der Antrags- bzw. Klagebefugnis ist es ausreichend, wenn die Möglichkeit einer Rechtsverletzung geltend gemacht wird (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 42 Rn. 59). Die Antragsteller haben im Rahmen der Klage und des Antrags nicht offengelegt, dass es sich bei dem Nachbargrundstück um ein nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteiltes Grundstück handelt und welche Bereiche in ihrem Sondereigentum stehen. Durch Grundbucheinsicht konnte das Gericht indes ermitteln, dass die Antragsteller als Wohnungseigentümer nach dem WEG verbunden sind, weshalb sie die nur der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zustehenden Rechte nicht geltend machen können. Der einzelne Wohnungseigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Halbs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte jedoch aus eigenem Recht geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 7 ff., BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5, B.v. 24.11.16 – 1 CS 16.2011 – juris Rn. 4, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22). Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn – wie hier gerügt – das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 23; B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 6).
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2. Der Antrag ist nicht begründet.
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2.1. Der Antrag richtet sich gegen die richtige Antragsgegnerin, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog, nämlich die Gemeinde Pf* …
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Unschädlich ist, dass der Bevollmächtigte der Antragsteller in der Antragsschrift die „Verwaltungsgemeinschaft P* …“ als Antragsgegnerin benannt hat, denn zur Bezeichnung des Antragsgegners lässt das Gesetz die Angabe der Behörde genügen, § 78 Abs. 1 Nr. 1, Halbsatz 2 VwGO analog. Die Verwaltungsgemeinschaft P* … hat bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids auch als Behörde für die Antragsgegnerin gehandelt.
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Bei einer Verwaltungsgemeinschaft bestimmt sich die Passivlegitimation danach, ob sie lediglich als ausführende Behörde der Mitgliedsgemeinde tätig wird (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsgemeinschaftsordnung für den Freistaat Bayern – VGemO) oder ob sie als selbstständige Körperschaft (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 VGemO) eine eigene Aufgabe erfüllt (Art. 4 Abs. 1 VGemO). Dies richtet sich grundsätzlich danach, ob es sich für die Mitgliedsgemeinde um eine Aufgabe des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises handelt. Grundsätzlich führt die Verwaltungsgemeinschaft nur die nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 VGemO bei den Mitgliedsgemeinden verbleibenden Aufgaben des eigenen Wirkungskreises als deren Behörde aus. Art. 4 Abs. 2 Satz 4 VGemO erstreckt diese Regelung auch auf die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die nach Art. 4 Abs. 1 VGemO bei den Mitgliedsgemeinden verbleiben. Dies sind nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Erlass von Satzungen und Verordnungen. Darüber hinaus kann nach Art. 4 Abs. 1 Satz 3 VGemO durch Rechtsverordnung allgemein bestimmt werden, dass einzelne Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises bei den Mitgliedsgemeinden verbleiben. Von dieser Möglichkeit hat der Bayerische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht und gem. § 1 Nr. 1 der Verordnung über Aufgaben der Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften vom 30. April 1995 (GVBl. S. 259, BayRS 2020-2-1-1-I) festgelegt, dass die Aufgabe der Entscheidung nach Art. 63 Abs. 3 BayBO bei den Mitgliedsgemeinden verbleibt. Die Aufgabe obliegt folglich der Antragstellerin als Mitgliedsgemeinde, die im gerichtlichen Verfahren passivlegitimiert ist.
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Hat der Kläger die Beklagte zwar nicht korrekt bezeichnet, lässt das Gesetz diese Inkorrektheit aber ausdrücklich zu, so ist die Klage nicht gegen den falschen Beklagten gerichtet. Das Gericht hat in diesen Fällen von Amts wegen die korrekte Bezeichnung in das Rubrum aufzunehmen. Hinter der Vorschrift des § 78 Abs. 1 Nr. 1, Halbsatz 2 VwGO steht die Überlegung des Gesetzgebers, den Kläger mit der oft schwierig zu beantwortenden Frage, welchem Rechtsträger eine Behördenentscheidung zuzurechnen ist, nicht allein zu lassen. Es ist in diesen Fällen Aufgabe des Gerichts, den richtigen Beklagten zu ermitteln (Meissner/Schenk in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 45. EL Januar 2024, § 78 Rn. 60f. m.w.N.). Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach den § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 und § 123 VwGO ist § 78 VwGO entsprechend anzuwenden, sofern – wie hier – im Hauptsacheverfahren die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage statthaft wäre (Kintz in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, 69. Edition, Stand: 1.4.2024, § 78 Rn. 9).
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Die Berichtigung des Rubrums bzw. der Stammdaten (auch der erhobenen Anfechtungsklage) konnte daher ohne Weiteres von Amts wegen erfolgen, zumal es sich, insbesondere aufgrund des erfolgten Büroversehens bei Ausfertigung der Zustellungsverfügung des Gerichts lediglich um eine Klarstellung und nicht um einen „Austausch“ des Antragsgegners handelt.
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2.2. Nach § 212a BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die einem anderen erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens – auch gegen eine „isolierte“ Befreiung gemäß Art. 63 Abs. 3 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB – keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Gericht daher gem. § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, wenngleich nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 15 CS 23.142 – juris Rn. 24 m.w.N.).
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Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die einem Dritten erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn diese rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind und die im einschlägigen Genehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
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2.3. Verstöße gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts, welche im Verfahren nach Art. 63 Abs. 3 BayBO zu prüfen sind, insbesondere gegen das Gebot der Rücksichtnahme, sind im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht ersichtlich.
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2.3.1. Der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB hängt davon ab, ob die jeweiligen Festsetzungen dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Soweit dagegen eine Befreiung eine Festsetzung zum Gegenstand hat, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird. Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung werden grundsätzlich generell und unabhängig davon, ob der Nachbar durch die gebietswidrige Nutzung unzumutbar oder auch nur tatsächlich spür- und nachweisbar beeinträchtigt wird, schon kraft bundesrechtlicher Vorgabe als drittschützend angesehen. Bei sonstigen Festsetzungen darf der Plangeber regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden, ob er diese auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet. Ob sie nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollen, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2022 – 9 ZB 22.376 – BeckRS 2022, 19862 Rn. 8 m.w.N.).
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Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls, so dass der Verweis der Antragsteller auf die Einzelfallentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juni 2021 (9 CS 21.817) insoweit unbehelflich ist.
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2.3.2. Bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Grundsätze sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen vorliegend befreit wurde – Bauraumausweisung für Garagen und Wandhöhe von Garagen – nach dem Willen der Plangeberin (auch) einem wechselseitigen nachbarlichen Austauschverhältnis dienen sollten und nicht allein aus städtebaulichen Gründen erfolgt sind.
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Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Wandhöhe sowie zu Gestaltungsanforderungen sind grundsätzlich nicht drittschützend (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2023 – 15 CS 23.1816 – BeckRS 2023, 34270 Rn. 21 m.w.N.), gleiches gilt für Bauraumausweisungen (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2002 – 15 CS 02.423 – juris Rn. 16). Weder der Bebauungsplan selbst noch seine Begründung oder die sonstigen Umstände seiner Entstehung lassen Rückschlüsse darauf zu, dass dies hier aufgrund der Umstände des Einzelfalls anders zu beurteilen wäre.
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Die Begründung des Bebauungsplans verhält sich zu den Vorschriften, von denen dispensiert wurde – Bauraumausweisung für Garagen sowie Wandhöhe von Garagen – gar nicht. Ziele und Zwecke des Bebauungsplans sind danach, die zu erwartende bauliche Entwicklung des Gebiets in geordnete Bahnen zu lenken (Begründung zum Bebauungsplan, S. 1). Hierzu wurde u.a. ein allgemeines Wohngebiet („WA“) mit 72 Wohnungen und 53 Garagen und 46 Pkw-Stellplätzen vorgesehen (Begründung zum Bebauungsplan, S. 2). Das verfolgte städtebauliche Konzept besteht demnach darin, die Anzahl der Wohneinheiten im WA und die damit einhergehende Anzahl der Stellplätze auf ein in Bezug zur Größe des überplanten Gebiets verträgliches Maß zu beschränken. Das Gebiet erweist sich dabei – entgegen der Ansicht der Antragsteller – weder als besonders dicht gedrängt, noch besonders kleinteilig, was sich insbesondere an den großzügig bemessenen unbebaubaren Flächen zwischen den ausgewiesenen Bauräumen für Hauptbaukörper – sowohl im seitlich als auch im rückwärtigen Bereich – und den ihnen zugeordneten Bauräumen für Stellplätze und Garagen zeigt. Der Planung liegt weiterhin das – insbesondere aus den planerischen Festsetzungen ablesbare – Konzept zugrunde, Wohnbauvorhaben mit ausreichend zugeordneten Freiflächen, insbesondere im rückwärtigen Bereich zu ermöglichen. Die Antragsteller partizipieren jedoch nur mittelbar daran, dass aufgrund der städtebaulichen Vorstellungen der Gemeinde Garagen im vorderen straßenseitigen Bereich anzuordnen sind. Ein über diesen bloßen Reflex hinausgehender Wille der Plangeberin, dass die Anordnung der Garagen zum Schutz Dritter, also zum Ausgleich widerstreitender (privater) Interessen der Planbetroffenen im Sinne eines wechselseitigen Austauschverhältnisses getroffen wurde, ist nicht ersichtlich.
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Nichts anderes folgt – entgegen der Auffassung der Antragsteller – aus Ziff. 2 der textlichen Festsetzungen („Maß der baulichen Nutzung“), wonach im Bereich der WA-Flächen aus städtebaulichen Gründen nur Einzel- und Doppelhäuser mit je einer Hauptwohnung und maximal eine Einliegerwohnung im Sinne von § 12 II. WoBauGB zulässig sind, da sich andernfalls für das Bebauungskonzept (unter anderem im Garagenbereich) erhebliche negative Konsequenzen ergeben würden. Die Vorschrift dient schon dem klaren Wortlaut nach lediglich der Umsetzung des der Planung zugrundeliegenden städtebaulichen Konzepts, ohne einen drittschützenden Bezug aufzuweisen. Gleiches gilt für die ebenfalls von den Antragstellern in Bezug genommene Festsetzung unter Ziffer 4, wonach u.a. Grenzgaragen mit gleicher Dachneigung und mit gleicher Dacheindeckung aneinander zu bauen sind und die Traufhöhe von Garagen und Nebengebäuden auf maximal 2,75 m festgelegt wird. Nachbarliche Abwehrrechte oder Ansprüche gehen mit dieser Festsetzung nicht einher.
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2.3.3. Da die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen die Antragsgegnerin Befreiungen gewährte, keinen Drittschutz vermitteln, kommt es für den Erfolg der Nachbarklage – wie bereits ausgeführt – nicht darauf an, ob die objektiven Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen. Die Nachbarrechte sind darauf beschränkt, unzumutbare Beeinträchtigungen abzuwehren.
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
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Bei Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ist nicht ersichtlich, dass mit dem Vorhaben Auswirkungen einhergehen, welche den Antragstellern nicht zugemutet werden können.
45
Garagen und Stellplätze können im rückwärtigen Gartenbereich zwar rechtlich bedenklich sein (BayVGH, B.v. 25.5.2010 – 15 CS 10.982 – juris). Dass mit der Nutzung der Garage unzumutbare Geräuschbelastungen einhergehen könnten, ist jedoch nicht gerügt und auch nicht zu erwarten, zumal Zufahrt und Garagentor auf der vom Nachbargrundstück abgewandten Seite situiert sind und die Ein- und Ausfahrt aufgrund der Tiefe der Garage nicht im rückwärtigen Bereich, sondern in etwa in der Mitte des Baugrundstücks erfolgt und damit der Einfahrtsituation der Umgebung (A* … 6, 4 und 2) im Wesentlichen entspricht. Es verbleibt mangels Sondersituation daher bei dem Grundsatz, dass der Grundstücksnachbar die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben (vgl. § 12 Abs. 2 BauNVO) und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 23 m.w.N.).
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Auch die durch das Vorhaben zu erwartenden Auswirkungen auf die Belichtung des Hausgartens – das Wohngebäude ist offensichtlich nicht betroffen – sind nicht ansatzweise derart gravierend, dass damit ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme einherginge. Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze in der Regel nicht rücksichtslos und daher hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 – 1 B 19/15 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 – 1 B 56/14 – juris Rn. 19). Dass diese Grenze vorliegend aufgrund einer besonderen Belastungswirkung im konkreten Fall überschritten sein könnte, ist nicht ersichtlich, zumal das Rücksichtnahmegebot weder eine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der natürlichen Belichtung noch die unveränderte Beibehaltung einer insoweit zuvor gegebenen Situation gewährleistet (OVG Hamburg, B.v. 26.9.2007 – 2 Bs 188/07 – ZfBR 2008, 283).
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Ferner ist eine „einmauernde“ oder „erdrückende“ Wirkung des Vorhabens aufgrund der Höhenentwicklung und Entfernung der Gebäude – der Abstand zwischen dem Vorhaben und dem Wohnhaus der Antragsteller beträgt ca. 11 m (abgegriffen) – zueinander fernliegend.
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Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Rücksichtnahmegebot dem Bauherrn keine Pflicht auflegt, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6). Auf mögliche Alternativstandorte für die streitgegenständliche Garage kommt es daher nicht an.
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Der zulässige Antrag auf Baueinstellung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat ebenfalls keinen Erfolg.
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Bei sachgerechter Auslegung des mit Schriftsatz vom 4. Juli 2024 gestellten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), begehren die Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, bauaufsichtliche Anordnungen („Baustopp“) gegenüber der Beigeladenen zu treffen.
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Die Antragsgegnerin ist als Gemeinde jedoch für den Vollzug der Baugesetze insoweit nicht zuständig, vgl. Art. 75 BayBO in Verbindung mit Art. 53f. BayBO. Deshalb richtet sich der Antrag bereits gegen die falsche Antragsgegnerin, § 78 VwGO.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht – für beide Anträge – auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.