Titel:
Erfolgreicher Widerspruch gegen eine im Policenmodell geschlossene Lebensversicherung
Normenketten:
VVG § 5a (idF bis 31.7.2001)
VAG § 10a (idF bis 31.12.1999)
BGB § 242, § 812, § 818
Leitsätze:
1. Für die Frage, ob ein Widerspruchsrecht eines Versicherungsnehmers einer im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung nach § 5a VVG a.F. verwirkt ist, muss neben dem „Zeitmoment“ (hier: ca. 19 bzw. 21 Jahre zwischen Versicherungsbeginn und Widerspruchserklärung) zusätzlich auch ein „Umstandsmoment“ erfüllt sein. An dieses dürfen selbst bei längerem Zeitablauf keine geringeren Anforderungen gestellt werden. Eine gewöhnliche Vertragsdurchführung – auch über einen längeren Zeitraum – kann für sich genommen nicht als besonderer Umstand gewertet werden. Auch eine Kombination von Umständen, die als gewöhnliche Vertragsdurchführung anzusehen sind, verwirklicht das Umstandsmoment nicht (hier: Umschichtung und Änderung der Beitragsaufteilung, Ablauf des Vertrages, Entgegennahme der Ablaufleistung, Fondswechsel). (Rn. 24 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem beabsichtigten Vertragsschluss im Antragsmodell müssen die nach § 10a Abs. 1 S. 1 VAG a.F. erforderlichen Verbraucherinformationen eine Angabe über die Antragsbindungsfrist auch dann enthalten, wenn der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers binnen der vertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen Antragsbindungsfrist annimmt. Ansonsten wird der Versicherungsvertrag im Policenmodell geschlossen (Anschluss an BGH BeckRS 2023, 38730). (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine dann erforderliche Widerspruchsbelehrung ist fehlerhaft, wenn sie keine Angabe zu der bei einem Widerspruch zu wahrenden Form enthält (Anschluss an BGH BeckRS 2023, 42985). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Zeitspanne von mehr als 10 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch führt ebenso wenig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts wie eine Umschichtung von Fondsanteilen oder die Entgegennahme einer die Beitragszahlungen übersteigenden Ablaufleistung nach vollständiger Vertragserfüllung. (Rn. 27 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensversicherung, Antragsmodell, Policenmodell, Widerspruchsbelehrung, Formerfordernis, bereicherungsrechtliche Rückabwicklung, Verwirkung
Vorinstanzen:
LG Bamberg, Berichtigungsbeschluss vom 04.04.2024 – 45 O 727/23 Ver
LG Bamberg, Endurteil vom 07.03.2024 – 45 O 727/23 Ver
Fundstellen:
BeckRS 2024, 18290
LSK 2024, 18290
FDVersR 2024, 018290
NJOZ 2024, 1254
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 07.03.2024, Az. 45 O 727/23 Ver, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.976,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.809,06 € seit dem 12.03.2020 und aus weiteren 38.167,52 € seit dem 18.06.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung einer kapitalbildenden Lebensversicherung sowie eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags nach Widerspruch.
2
1. Der Kläger stellte bei der Beklagten am 14.11.1999 einen Antrag auf Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 01.12.1999 und -ende zum 01.12.2019 und am 20.12.2000 einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebunden Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung mit Versicherungsbeginn zum 01.01.2001 und -ende zum 01.01.2018. Beide Anträge wurden in der Folge von der Beklagten jeweils angenommen. Hinsichtlich des Inhalts der Belehrungen wird auf die Anlagen K 1 sowie S. 2 ff. des erstinstanzlichen Urteils, hinsichtlich der erfolgten Vertragsaktivitäten auf die Anlagen B 1- B 3 verwiesen.
3
Beide Verträge wurden nach Vertragsende abgerechnet und an den Kläger 58.181,54 € bzw. 133.439,36 € ausbezahlt.
4
Der Kläger hat mit Anwaltsschreiben vom 26.02.2020 bzw. 20.05.2020 den Widerspruch gegen den Abschluss der Verträge erklärt (vgl. Anlage K 3), was die Beklagte jeweils zurückwies (vgl. Anlage K 4).
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Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Verträge im sog. Policenmodell zustande gekommen seien. Die Widerspruchsbelehrungen seien nicht ordnungsgemäß erfolgt, die Widersprüche folglich nicht verfristet. Es bestünde daher ein Anspruch auf Zahlung von insgesamt 40.976,58 € sowie Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Verträge seien im Antragsmodell zustande gekommen und die Widersprüche verfristet, da der Kläger ordnungsgemäß belehrt worden sei. Die Ausübung des Widerspruchsrechts sei im Übrigen rechtsmissbräuchlich. Jedenfalls seien die Ansprüche verjährt.
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Ergänzend wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
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2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da diese unbegründet sei. Es könne dahinstehen, ob der Kläger ausreichend belehrt und ob die Verträge im Policenmodell abgeschlossen worden seien. Jedenfalls sei es aufgrund der vorliegenden besonderen Umstände rechtsmissbräuchlich, dass sich der Kläger auf die Ausübung des Widerspruchs-/ Rücktrittsrechts bzw. das Vorliegen eines Bereicherungsanspruchs berufe.
9
Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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3. Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 15.03.2024 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner mit Schriftsatz vom 10.04.2024 eingelegten und Schriftsatz vom 10.05.2024 begründeten Berufung, mit der er seine in erster Instanz gestellten Anträge weiterverfolgt.
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Entgegen der Ansicht des Landgerichts lägen vorliegend keine besonderen Umstände vor, welche eine Verwirkung der Ansprüche rechtfertigten. Vielmehr sei von einer gewöhnlichen Vertragsdurchführung auszugehen.
12
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.976,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 38.167,52 € seit dem 18.06.2020 für Versicherungsvertrag 1 und aus 2.809,06 € seit dem 11.03.2020 für Versicherungsvertrag 2 zu zahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 2.581,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht sei zutreffend von Verwirkung ausgegangen, insbesondere da die Widersprüche erst nach regulärem Vertragsablauf erfolgten. Im Übrigen sei der Kläger ordnungsgemäß belehrt worden.
14
Ergänzend wird Bezug genommen auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, insbesondere die Berufungsbegründung vom 10.05.2024 und die Berufungserwiderung vom 09.07.2024.
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Die zulässige Berufung ist weit überwiegend begründet.
16
1. Der mit dem Berufungsantrag unter Ziff. 1 geltend gemachte Zahlungsanspruch ist durch die wirksamen Widersprüche im Jahr 2020 für beide Verträge entstanden und auch durchsetzbar.
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a) Das Landgericht hat es dahinstehen lassen, ob jeweils von einer wirksamen Belehrung auszugehen ist. Eine Überprüfung durch den Senat hat indes ergeben, dass der Kläger jeweils nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist, weshalb seine im Jahr 2020 erklärten Widersprüche nicht verfristet waren.
18
aa) Vorliegend ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Vortrag, dass die Versicherungsverträge jeweils nicht nach dem Antragsmodell, sondern nach dem Policenmodell abgeschlossen worden sind, weil die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG in der seinerzeit gültigen Fassung erforderlichen Verbraucherinformationen wegen der fehlenden Information über die Antragsbindungsfrist nicht vollständig erteilt worden sind. Dem entsprechenden Vortrag der Klagepartei über die fehlenden Informationen (vgl. Replik vom 31.01.2024, S. 2 ff.) ist die Beklagte in der Folge nicht entgegengetreten.
19
bb) Die Frage, ob in der Verbraucherinformation Angaben zur Antragsbindungsfrist auch dann enthalten sein müssen, wenn der Versicherer den Antrag fristgerecht annimmt, ist durch das Urteil des BGH vom 29.11.2023 (IV ZR 117/22, juris) mittlerweile geklärt. Bei einem beabsichtigten Vertragsschluss im Antragsmodell müssen die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderlichen Verbraucherinformationen eine Angabe über die Antragsbindungsfrist auch dann enthalten, wenn der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers binnen der vertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen Antragsbindungsfrist (§ 147 Abs. 2 BGB) annimmt. An dieser Information besteht generell ein berechtigtes Interesse des Antragstellers. Insbesondere werden die unterbliebenen Angabe nicht ex post unbeachtlich, weil der Versicherungsantrag vor Ablauf einer üblichen Frist vom Versicherer angenommen wird (vgl. BGH a.a.O.).
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cc) Eine folglich notwendige Widerspruchsbelehrung enthielten die Unterlagen der Beklagten unstreitig nicht. Selbst wenn die Rücktrittsbelehrungen, die die Beklagte dem Kläger übergeben hat, als Widerspruchsbelehrungen ausgelegt würden, fehlte es dort jedenfalls an der Angabe der bei einem Widerspruch zu wahrenden Form, hier der Schriftform (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 29.11.2023, Az. IV ZR 322/22, Rn. 18 m.w.N., juris), welche unstreitig nicht erfolgte (so auch die Beklagte, vgl. S. 10 der Klageerwiderung).
21
dd) Auf die weiteren vom Kläger geltend gemachten Fehler der Belehrungen kommt es demzufolge nicht mehr streitentscheidend an.
22
Mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung hat das Widerspruchsrecht des Klägers im Zeitpunkt seiner Erklärung daher für beide Verträge grundsätzlich fortbestanden.
23
b) Das Recht des Klägers, sich auf die erklärten Widersprüche zu berufen, war nach Gesamtwürdigung durch den Senat abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung nicht verwirkt.
24
aa) Die Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens und begründet eine zeitliche Grenze für die Geltendmachung von Rechten und Rechtspositionen; der Verstoß gegen Treu und Glauben liegt in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung (vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, 82. Auflage 2023, § 242 Rn. 87). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles gegeben sind, die vom Tatrichter festzustellen sind (BGH, Beschluss vom 08.09.2021, Az. IV ZR 133/20, Rn. 17; zuletzt: BGH, Urteil vom 19.06.2024, Az. IV ZR 401/22, Rn. 21, beide juris). Voraussetzung für die Verwirkung sind ein „Zeitmoment“ – das hier angesichts einer Zeitspanne von ca. 19 bzw. 21 Jahren zwischen Versicherungsbeginn und Widerspruchserklärung erfüllt ist (so noch zutreffend LGU S. 7 f.) – und ein „Umstandsmoment“.
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bb) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger unter Würdigung sämtlicher Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls entgegen der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht nicht von seinem Widerspruchsrecht hinsichtlich beider Verträge in illoyaler Weise verspätet Gebrauch gemacht.
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(1) An das Umstandsmoment dürfen selbst bei längerem Zeitablauf – wie hier – keine geringeren Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2021, Az. IV ZR 67/20; BGH, Urteil vom 19.06.2024 a.a.O., Rn. 25), was vom Landgericht nicht ausreichend beachtet wurde (vgl. LGU S. 7 f.: „Wechselwirkung von Umstands- und Zeitmoment“ und „Unter Berücksichtigung des bestehenden Zeitmoments liegt auch das Umstandsmoment vor.“).
27
Auch ist der Verweis des Landgerichts auf die Zehn-Jahres-Frist in anderen Vorschriften (z.B. §§ 124 Abs. 3 BGB, vgl. LGU S. 8) für sich genommen nicht tragfähig. Eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch führt noch nicht zur Annahme einer Verwirkung. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass ein die Verwirkung begründender Vertrauenstatbestand nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann, sondern das Hinzutreten weiterer Umstände voraussetzt. Schon deshalb kann nicht mit Erfolg darauf abgestellt werden, dass selbst die Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung nach § 123 BGB gemäß § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB nur zum Tragen kommt, wenn nicht zuvor die kürzere kenntnisabhängige Frist des § 124 Abs. 2 BGB abgelaufen ist. Der Beginn der Widerspruchs- bzw. Rücktrittsfrist ist hingegen kenntnisunabhängig, es kommt allein auf eine ordnungsgemäße Belehrung an. Bereits dieser unterschiedliche Ansatz steht einer Übertragung des der Ausschlussfrist zu Grunde liegenden Rechtsgedankens auf die Widerspruchsfrist entgegen (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 05.03.2021, Az. 4 U 151/20, Rn. 30, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2018, Az.: 24 U 13/18, Rn. 8 m.w.N., juris).
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(2) Zudem kann eine gewöhnliche Vertragsdurchführung – auch über einen längeren Zeitraum – für sich genommen nicht als besonderer Umstand im oben genannten Sinne gewertet werden. Etwas Gegenteiliges ergibt sich für den streitgegenständlichen Fall auch nicht aus den Anlagen B 1 -3.
29
Insbesondere dass der Kläger für die fondsgebundene Rentenversicherung im Rahmen der Vertragslaufzeit von 17 Jahren im Jahr 2011 eine Umschichtung und Änderung der Beitragsaufteilung sowie im Jahr 2013 für denselben Vertrag einen Fondswechsel beantragt hat (vgl. LGU S. 11 und Anlagen B 2 und 3), stellt nach Ansicht des Senats kein über das normale Maß hinausgehendes Vertragsmanagement dar, durch welches bei der Beklagten ein besonderer Vertrauensbestand dahingehend erzeugt wurde, dass der Kläger den Vertrag mit den gewünschten Änderungen weiterführen will, d.h. unbedingt an diesem festhalten möchte (zumal sich dieser Punkt ohnehin nicht auf die kapitalbildende Lebensversicherung bezieht).
30
Ohne dass es hierauf ankommt, folgt dies für den Fondswechsel bereits daraus, dass dieser laut der vorgelegten Anlage B 3 „auf Grund Fondsfusion/Fondschließung“ durchgeführt werden musste, d.h. hier die Änderung aufgrund von Umständen notwendig wurde, die der Kläger ausweislich der vorgelegten Unterlagen nicht veranlasst hatte.
31
(3) Daneben hat das Landgericht zwar zutreffend berücksichtigt, dass die Verträge schon abgewickelt waren, als die Widersprüche erklärt wurden. Abweichend von den Sachverhaltskonstellationen im vom Landgericht zitierten Beschluss des erkennenden Senats vom 02.10.2023, Az. 1 U 119/23 e, bzw. im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.02.2023, Az. IV ZR 353/21, hat der Kläger im streitgegenständlichen Fall die Verträge allerdings nicht gekündigt, ist also nicht selbst aktiv geworden. Die streitgegenständlichen Verträge sind vielmehr von selbst abgelaufen.
32
Allein die Tatsache, dass der Kläger eine den Wert seiner Beitragszahlungen übersteigende Ablaufleistung entgegengenommen hat, gehört grundsätzlich zur gewöhnlichen Vertragsdurchführung und kann deshalb keinen besonders gravierenden Umstand darstellen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19.06.2024, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn seit der Abrechnung noch nicht die reguläre Verjährungszeit abgelaufen ist, der Versicherer daher noch mit einer möglichen Forderung hinsichtlich der Abrechnung rechnen musste.
33
(4) Dass der Kläger mit der Erklärung seiner Widersprüche vorwiegend den Zweck der Renditeoptimierung verfolgt haben dürfte, ist ebenfalls nicht geeignet, einen besonders gravierenden Umstand zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.2024, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.).
34
cc) Nach alledem reichen die vom Landgericht festgestellten und von der Beklagten vorgertragenen Punkte nach Würdigung durch den Senat nicht aus, um von besonders gravierende Umstände des Einzelfalles im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgehen zu können.
35
c) Der Kläger hat ausgehend hiervon einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 40.976,58 €.
36
aa) Der Kläger kann dem Grunde nach die gezahlten Prämien aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zurückverlangen, weil er diese rechtsgrundlos geleistet hat (vgl. etwa. OLG Celle, Urteil vom 10.09.2020, Az. 8 U 45/20, Rn. 73, juris).
37
bb) Der Versicherungsnehmer kann daneben die vom Versicherer tatsächlich gezogene Nutzungen herausverlangen und trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Er kann seinen Tatsachenvortrag nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe stützen (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 513/14, Rn. 48; Urteil vom 29.04.2020, Az. IV ZR 5/19, Rn. 16, beide juris). Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2016, Az. IV ZR 19/15, Rn. 20 m.w.N., juris), während bei Verwaltungskosten gezogene Nutzungen bei ausreichendem Tatsachenvortrag grundsätzlich verlangt werden können (vgl. BGH a.a.O., Rn. 21).
38
cc) Im Hinblick auf die vorgelegten Anlagen, insbesondere Anlage K 2, und dem Vortrag in der Klageschrift (dort S. 20 ff.), hat der Kläger zu den behaupteten Nutzungen ausreichend vorgetragen, insbesondere Abschlusskosten und den faktischen Versicherungsschutz abgezogen, d.h. für die Berechnung der gezogenen Nutzungen nicht berücksichtigt (vgl. S. 20 und 27 der Klageschrift). In der Replik (dort S. 29) hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass die konkreten Zahlen für die Beklagte bei der BaFin abgefragt und in die Berechnung eingepflegt worden seien.
39
dd) Dem ist die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten, weshalb der entsprechende Tatsachenvortrag zur Anspruchshöhe als zugestanden zu bewerten ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat hierzu mit Klageerwiderung vom 04.01.2024 lediglich (hilfsweise) vorgebracht, dass sie den klägerischen Vortrag nicht für ausreichend substantiiert halte, ohne auf den konkreten Vortrag der Klägerseite substantiiert einzugehen oder diesen konkret zu bestreiten.
40
(1) Soweit die Beklagte darauf verwiesen hat, dass der Versicherungsschutz für den Todesfallschutz abzuziehen sei (vgl. S. 21 f. der Klageerwiderung), hat der Kläger zutreffend darauf hingewiesen, dass der (faktische) Versicherungsschutz abgezogen worden sei (vgl. Replik S. 28), was auch der Berechnung in der Klageschrift und der Anlage K 2 entnommen werden kann. Dem ist die Beklagte in der Folge nicht entgegengetreten, ebenso wenig der vom Kläger behaupteten Höhe des faktischen Versicherungsschutzes (vgl. hierzu bereits S. 19 und 25 der Klageschrift).
41
(2) Insofern der Kläger für den fondsgebundenen Vertrag den sog. Nicht-Sparanteil mit 31.291,05 € beziffert hat (vgl. S. 19 der Klageschrift), ist die Beklagte dem nicht entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 ZPO). Gleiches gilt für die konkrete Bezifferung der Abschlusskosten (vgl. S. 21 und 28 der Klageschrift) sowie den berücksichtigten Zinssatz (vgl. S. 23 f. und 29 f. der Klageschrift sowie die Berechnungen in der Anlage K 2 mit konkret auf die einzelnen Monate bezogenen Zinssätzen).
42
(3) Hinsichtlich der geltend gemachten Nutzungen hat die Beklagte in der Klageerwiderung unter Hinweis auf ein Urteil des BGH vom 29.04.2020 (a.a.O.) lediglich die Rechtsauffassung vertreten, dass die Klägerseite nicht unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgetragen habe, weshalb der Vortrag unschlüssig sei (vgl. S. 22 f. der Klageerwiderung). Abweichend von der dortigen Sachverhaltskonstellation hat der Kläger im streitgegenständlichen Fall jedoch gerade nicht auf die Eigenkapitalrendite der Beklagten abgestellt (vgl. hierzu BGH a.a.O., Rn. 17 ff.; vgl. im Übrigen die vom Kläger für seine Berechnungen herangezogene Anlage K 7, dort S. 14, wonach die Eigenkapitalrendite für die Berechnungen nicht heranzuziehen sei).
43
(4) Der Senat hat die Beklagte mit Terminsverfügung vom 21.05.2024 darauf hingewiesen, dass er den klägerische Vortrag zur Anspruchshöhe – abweichend von der Rechtsauffassung der Beklagten – nicht für unsubstantiiert halte (vgl. Bl. 16 OLG-Band). Gleichwohl hat die Beklagte zur Anspruchshöhe nicht (aus ihrer Sicht vorsorglich) vorgetragen, insbesondere sich weder mit den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen näher auseinandergesetzt noch diese substantiiert bestritten. Vielmehr enthält die Berufungserwiderung vom 09.07.2024 keinerlei (hilfsweisen) Ausführungen zur Anspruchshöhe. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2024 erfolgte seitens der Beklagten kein ergänzender Vortrag.
44
d) Die Ansprüche sind auch durchsetzbar, weshalb dahinstehen kann, ob die Einrede der Verjährung umfassend erhoben wurde (siehe LGU S. 5 unten) oder sich nur auf Nebenforderungen beziehen soll (vgl. hierzu S. 24 der Klageerwiderung).
45
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. etwa Urteil vom 08.04.2015, Az. IV ZR 103/15) ist der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch nicht schon mit jeder einzelnen Prämienzahlung, sondern erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden.
46
Beide Widersprüche wurden unstreitig vom Kläger im Jahr 2020 erklärt. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Verjährungsfrist endete vorliegend mit Ablauf des 31.12.2023, so dass die am 11.10.2023 zugestellte Klage die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt hat.
47
2. Hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen hat die Berufung nur teilweise Erfolg.
48
a) Die Entscheidung zu den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klagepartei hat darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass sie ihren Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt hat (BGH, Urteil vom 22.06.2021, Az. VI ZR 353/20). Dazu liegt seitens des Klägers kein ausreichender Vortrag vor. Hierfür reichen auch die vorgelegten Anlagen K 3 bis K 4 nicht aus.
49
Im Übrigen ist schon nach dem klägerischen Vorbringen erst durch die vorgerichtlichen Rechtsanwalts-Schreiben Verzug eingetreten (vgl. S. 32 der Klageschrift), weshalb die vorgerichtlichen Anwaltskosten ohnehin keinen kausalen Verzugsschaden darstellen (st. Rspr., vgl. etwa OLG Hamm, BeckRS 2010, 28859; OLG Stuttgart, NJW 2011, 3172).
50
b) Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288, 286, 187 Abs. 1 BGB. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag in der Klageschrift (dort S. 7) haben die Klägervertreter die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 38.167,52 € bis einschließlich zum 03.06.2020 für den fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag und von insgesamt 2.809,06 € bis einschließlich zum 11.03.2020 für die kapitalbildenden Lebensversicherung jeweils vergeblich aufgefordert, weshalb die Beklagte mit Ablauf dieser Fristen in Verzug geraten ist (vgl. im Übrigen § 308 Abs. 1 S. 2 ZPO).
51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
52
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und Satz 2, 709 Satz 2 ZPO.
53
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt (vgl. so im Übrigen auch zutreffend die Beklagte mit Berufungserwiderung vom 09.07.2024, S. 11). Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der konkreten Sachverhaltskonstellation. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, weicht der Senat nicht von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ab.