Inhalt

VG München, Beschluss v. 11.06.2024 – M 15 S 24.1700
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz, Pfändungs- und Überweisungsverfügung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwZVG Art. 26 Abs. 5
ZPO § 829 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 835 Abs. 3 Satz 1
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Pfändungs- und Überweisungsverfügung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18277

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung, mit der der Antragsgegner wegen der Überzahlung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Ansprüche des Antragstellers gegen dessen Bank gepfändet hat.
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Der Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II. Er arbeitete zudem als Dolmetscher. Das Jobcenter machte über verschiedene Zeiträume Rückforderungsansprüche gegen den Antragsteller geltend, da die Fahrtkosten bei der Berechnung der Sozialleistungen zu hoch angesetzt worden seien.
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Die Antragsgegnerin erließ am … … 2024 eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung. Die der Pfändungs- und Überweisungsverfügung beigefügte Forderungsaufstellung bezieht sich auf einen Erstattungsbescheid vom … … 2023, der die Monate … bis … 2022 umfasst, Mahngebühren, die Pfändungsgebühr sowie die Postzustellungsgebühr und weist einen Gesamtbetrag von … Euro aus. Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung wurde der Bank des Antragstellers als Drittschuldnerin am … … 2024 zugestellt, worüber die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom … … 2024 informierte. Ein Nachweis, wann das Schreiben zur Post gegeben wurde, findet sich in der Akte nicht.
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Mit Schreiben vom … … 2024 wandte der Antragsteller sich an das Jobcenter … und forderte die Anerkennung seiner Fahrtkosten im tatsächlich angefallenen Umfang von … Cent pro Kilometer, da seine Tätigkeit als Gerichtsdolmetscher andernfalls wirtschaftlich gefährdet sei.
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Am … … 2024 beantragte der Antragsteller beim Amtsgericht … eine einstweilige Verfügung zur Aufhebung der Pfändung des Geschäftskontos und zur Vermeidung einer Räumungsklage.
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Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, die Pfändung seines Geschäftskontos habe seit zwei Monaten schwerwiegende Auswirkungen auf seine wirtschaftliche Situation, seinen Ruf und auf seine Tätigkeit als Gerichtsdolmetscher. Die der Pfändung zugrundeliegenden Rückforderungsansprüche von Fahrtkosten seien ungerechtfertigt. Die Antragsgegnerin habe die tatsächlichen Fahrtkosten anzuerkennen, die sich auf … Cent pro Kilometer beliefen. Die Antragsgegnerin genehmige jedoch nur … Cent pro Kilometer. Aufgrund der gekürzten Ansprüche sei der Antragsteller mit der Miete im Rückstand, weshalb seine Vermieterin mit einer Räumungsklage drohe.
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Mit Beschluss vom … … 2024 erklärte das Amtsgericht … den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtstreit an das Verwaltungsgericht …
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom … … 2024, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt: Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – scheitere bereits an der verspäteten Klageerhebung. Dem Antragsteller sei das Schreiben nach der gesetzlichen Dreitagesfiktion am … … 2024 zugegangen. Selbst wenn man den Antrag des Antragstellers vom … … 2024 als Klageerhebung auslege, sei diese nicht binnen der Klagefrist erfolgt. Zudem wäre eine solche Klage unbegründet, da die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gem. Art. 19 und Art. 23 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) erfüllt seien. Der Antragsteller richte sich allein gegen den zu vollstreckenden Anspruch, was nach Art. 21 VwZVG unzulässig sei. Die Grundverwaltungsakte seien bereits bestandskräftig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
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Der Antrag ist unzulässig und hat daher keinen Erfolg.
12
1. Das Begehren des Antragstellers ist nach seinem erkennbaren Rechtschutzziel zugunsten des Antragstellers dahingehend auszulegen, dass dieser die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom … … 2024 begehrt. Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung ist ein Verwaltungsakt, so dass die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist (vgl. VG München, B.v. 28.7.2016 – M 15 S 16.2591 – juris Rn. 14). Da eine solche Klage gegen eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung als Maßnahme der Vollstreckung gemäß Art. 21a Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), beurteilt sich der einstweilige Rechtsschutz hier nach § 80 Abs. 5 VwGO (BayVGH, B.v. 4.4.2013 – 6 CS 13.136 – juris).
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2. Dieser Antrag ist jedoch mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig. Dies gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller die Einreichung einer Klage versäumt hat oder sein Antragschreiben vom … … 2024 als Klage auszulegen ist.
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Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO fehlt, wenn der bezweckte Erfolg, nämlich der Eintritt der aufschiebenden Wirkung, nicht mehr eintreten kann. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der streitgegenständliche Verwaltungsakt bestandkräftig geworden ist, also die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO verstrichen ist. Bei einer – nach Art. 26 Abs. 5 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 VwZVG i.V.m. §§ 829 Abs. 2 Satz 1, 835 Abs. 3 Satz 1 ZPO auch im Verwaltungsverfahren zulässigen – Zustellung an den Drittschuldner ist für den Fristbeginn die Zustellung an den Schuldner maßgeblich, die diesen in Kenntnis von der Vollstreckung setzt (BeckOK ZPO/Riedel, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 829 Rn. 94).
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Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung wurde der Bank des Antragstellers als Drittschuldnerin am … … 2024 zugestellt und dem Antragsteller mit Schreiben vom … … 2024 zugesandt. Im konkreten Fall ist von einer Aufgabe zur Post spätestens am … … 2024 auszugehen, da die Antragsgegnerin auf dem Schreiben einen Datumstempel vom … … 2024 angebracht hat. Der Antragsteller hat zudem selbst vorgetragen, dass die Pfändung zum Zeitpunkt der Antragseinreichung bereits seit zwei Monaten bestand. Mithin hat er nicht im Sinne des Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) substantiiert vorgetragen, dass die Pfändungs- und Überweisungsverfügung später zugegangen sei (vgl. BeckOK VwVfG/Tiedemann, 63. Ed. 1. April 2024, VwVfG § 41 Rn. 80).
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Gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG erfolgte die fristauslösende Zustellung daher spätestens am … … 2024. Die einmonatige Klagefrist des § 74 VwGO lief demnach am … … 2024 ab. Eine Klage hat der Antragsteller in diesem Zeitraum nicht erhoben. Selbst wenn der Antrag des Antragstellers vom … … 2024 als Klage auszulegen sein sollte, war die Pfändungs- und Überweisungsverfügung zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig geworden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO wurden nicht glaubhaft gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig.
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3. Eine Auslegung des Antrags, gemäß § 123 VwGO im Wege des einstweiligen Rechtschutzes eine Rücknahme oder einen Widerruf der Pfändungs- und Überweisungsverfügung zu erwirken, ist nicht geboten, da es auch einem solchen Antrag wegen der vorrangigen Möglichkeit, fristgerecht eine Anfechtungsklage zu erheben, am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Antragsteller hat zudem keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, der eine Rücknahme oder einen Widerruf der Pfändungs- und Überweisungsverfügung oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen könnte.
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4. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten fallen gemäß § 188 Satz 2 VwGO in diesem Verfahren nicht an, da die Vollstreckung einer Forderung nach dem SGB II als Annex zur gerichtskostenfreien Hauptforderung anzusehen ist.