Titel:
Aberkennung des Ruhegehalts wegen Trunkenheitsdeklikten und Therapieverweigerung
Normenketten:
BayDG Art. 2 Abs. 1 Nr. 2a, Art. 13
BeamtStG § 33 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 35 Abs. 1 S. 2, § 47 Abs. 1
StGB § 21
Leitsätze:
1. Bei Verstößen gegen die beamtenrechtliche Gehorsamspflicht kommt aufgrund der vielschichtigen Variationsbreite an Fehlverhalten ein Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme in Betracht. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Versagen von Polizeibeamten gerade in dem Bereich, der ihnen zur Bekämpfung zukommt, wiegt mit eigenständigem Gewicht schwer. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
3. Milderungsgründe müssen umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
4. Einer Erkrankung kommt nicht erst dann eine Berücksichtigungsfähigkeit als Milderungsgrund zu, wenn der Maßstab des § 21 StGB erreicht ist. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Alkoholerkrankung, Fortgesetzter Nichtantritt zu einer angeordneten stationären Therapie, Fahrlässiger Vollrausch, Aberkennung des Ruhegehalts, Polizeibeamter, Trunkenheit, Straftat, Alkoholabhängigkeit, Therapie, Suchtklinik, Verweigerung, Dienstvergehen, Disziplinarverfahren, Höchstmaßnahme, Vertrauensverlust, Milderungsgrund
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18274
Tenor
I. Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt im Disziplinarklagewege die Aberkennung des Ruhegehalts der Beklagten, da diese noch als aktive Beamtin neben strafrechtlicher Verfehlungen im Straßenverkehr mit zum fahrlässigen Vollrausch führenden Alkohol- und Medikamentenkonsums Weisungen im Zusammenhang mit ihrer Alkoholerkrankung, insbesondere zu Therapiemaßnahmen, nicht nachgekommen sei und damit ihrer beamtenrechtlichen Pflicht zur Gesunderhaltung durch entsprechende Maßnahmen zur Gesundwerdung zuwidergehandelt zu habe.
2
1. Die am … August 1981 geborene Beklagte war seit dem Jahre 2001 als Polizistin, davon seit dem Jahre 2008 bis zu ihrer Ruhestandsversetzung zum 31. August 2019 als Beamtin auf Lebenszeit, beim Kläger tätig. Hinsichtlich ihres Werdegangs und ihrer beruflichen Laufbahn im mittleren Polizeivollzugsdienst wird auf die Darstellung in der Disziplinarklage und die beigezogene Personalakte Bezug genommen. In ihrer letzten periodischen Beurteilung erhielt die Beklagte als Gesamtprädikat acht Punkte. Hinsichtlich der übrigen Beurteilungen wird ebenfalls auf die Personalakte verwiesen. Als Polizeihauptmeisterin wurde sie zuletzt aus A 9 besoldet. Gemäß Verfügung vom 23. Juni 2022 werden derzeit 5% des Ruhegehalts einbehalten. Die Ruhestandsbeamtin ist geschieden und kinderlos. Im Verfahren liegen Persönlichkeitsbilder vom 24. Juli 2018 und 28. August 2019 vor, auf die ergänzend Bezug genommen wird.
3
2. Mit Verfügung vom 10. Februar 2017 leitete das Polizeipräsidium S. … gemäß Art. 19 Abs. 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) ein Disziplinarverfahren gegen die Beklagte ein und setzte dieses gemäß Art. 24 Abs. 2 BayDG für die Dauer eines sachgleichen Strafverfahrens aus.
4
Nach Fortsetzung des Disziplinarverfahrens mit zunächst beschränkender Verfügung vom 12. Juli 2018 wurde das Disziplinarverfahren am 10. August 2018, am 18. Dezember 2018, am 8. Januar 2019 und am 19. Februar 2019 jeweils gemäß Art. 21 Abs. 1 BayDG ausgedehnt. Am 8. August 2019 übernahm das Polizeipräsidium M. als Disziplinarbehörde das Verfahren. Im Laufe des Disziplinarverfahrens nahm die Beklagte durch ihren Bevollmächtigten mit im Wesentlichen Schreiben vom 4. Oktober 2018, 21. Dezember 2018, 18. Januar 2019, 8. Februar 2019, 18. Februar 2019 und 11. März 2019 Stellung.
5
Nach Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des August 2019, gegen die der Bevollmächtigte der Beklagten am 14. August 2019 mitteilte, keine Einwendungen zu erheben, und erneuter Einholung eines Persönlichkeitsbildes wurde das Ergebnis der Ermittlungen gemäß Art. 32 BayDG am 4. September 2020 vermerkt und die Beklagte angehört. Hierauf nahm der Bevollmächtigte der Beklagten am 9. Oktober 2020 Stellung.
6
Hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens wird auf die beigezogenen Disziplinarakten des Polizeipräsidiums S. … sowie des Polizeipräsidiums M. als Disziplinarbehörde verwiesen.
7
3. Mit Klageschrift vom 1. September 2021, eingegangen am 7. September 2021, hat der Kläger Disziplinarklage auf Aberkennung des Ruhegehalts erhoben.
8
a) Dabei wird der Beklagten folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
9
„1.1 Die Beklagte trank am 11.11.2016 vor 17.05 Uhr in ihrer Wohnung in der … 4 in … mindestens 2 Flaschen Sekt und nahm Medikamente mit den Wirkstoffen Lorazepam, Trimipramin, Hydrosyzin und Sertralin zu sich. Damit versetzte sie sich in einen Rauschzustand, was sie zumindest hätte erkennen können und müssen. Infolge des Rausches war sie bei den anschließenden Taten schuldunfähig, jedenfalls ist dies nicht auszuschließen.
10
In ihrer rauschbedingten Schuldunfähigkeit fuhr die Beklagte am 11.11.2016 gegen 17.05 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen … …, auf der Straße „… … … …“ in … in südlicher Fahrtrichtung. Auf Höhe der Unterführung der BAB A 96 bog sie nach links auf das dortige Parkplatzgelände ein und stieß mit der linken Fahrzeugfront ihres Fahrzeugs gegen einen dort stehenden Laubbaum der Stadt …, der dadurch beschädigt wurde. Der Stadt … entstand dadurch letztlich kein Schaden. Eine bei der Beklagten am 11.11.2016 um 18.33 Uhr entnommene Blutprobe ergab das Vorliegen von 1,55 Promille Alkohol und 1001 ng/ml Lorazepam, 112 ng/ml Trimipramin, 20 ng/ml hlydroxyzin und 143 ng/ml Sertralin im Blut.
11
Nach der durchgeführten Blutentnahme wurde der Beklagten im Krankenhaus … gegen 19.05 Uhr durch PHM … erklärt, dass sie aufgrund einer bestehenden Eigengefährdung aufgrund ihres Rauschzustandes und bekannter Depression vorläufig im BKH … untergebracht werden sollte. Als sie sich weigerte, dieser Anordnung nachzukommen, wurde der Beklagten erklärt, dass andernfalls unmittelbarer Zwang angewendet werde. Nachdem die Beklagte sich trotzdem wegdrehte, nahm sie PHM … am Arm und schob sie in den Aufzug, um sie auf die Station des BKH … zu bringen. Im Aufzug stieß die Beklagte PHM … mit dem Knie wissentlich und willentlich in die Genitalien, sodass sich dieser eine Hodenkontusion zuzog und Schmerzen erlitt. Dies nahm sie bei ihrem Handeln zumindest in Kauf. Daraufhin wurde sie in die Ecke des Aufzugs gedrückt und am linken Arm und an der Schulter fixiert. Sie versuchte mehrfach, sich während des Transports loszureißen, was jedoch nicht gelang. Weiter äußerte sie gegenüber PHM … „Arschloch“, um diesen in seiner Ehre herabzusetzen.
12
1.2 Nachdem die stationäre Behandlung im BKH … am 12.11.2016 wieder beendet war, begab die Beklagte sich am Abend des 13.11.2016 erneut freiwillig dorthin. Nach ihrem Eintreffen wurde vom Krankenhauspersonal ein Alkoholtest bei ihr durchgeführt, der eine Atemalkoholkonzentration von über 1,5 Promille ergab. Aufgrund dieser hohen Alkoholisierung und ihres psychischen Zustandes, bei dem nicht ausgeschlossen werden konnte, dass eine Selbstgefährlichkeit vorliegt, wurde ihr von der diensthabenden Ärztin eröffnet, dass sie auf der Station bleiben müsse. Die Beklagte erregte sich hierüber sehr und verließ fluchtartig die Abteilung, wobei sie mit dem Fuß gegen eine versperrte Türe trat, welche sich darauf öffnete und sie sich aus dem Klinikgebäude entfernen konnte.
13
Vom Personal des BHK … wurde hierauf die Polizei verständigt, welche dann mit zahlreichen Kräften im Stadtgebiet … nach der Beklagten fahndete. Nach kurzer Zeit konnte sie durch eine Streife der Pl. in der Nähe des Klinikums … angetroffen werden. Es sollte hierauf eine erneute Einweisung gem. Art. 10 Abs. 2 UnterbrG in das BKhl … erfolgen. Nach einem Gespräch mit der diensthabenden Ärztin und einem weiteren Alkoholtest wurde sie jedoch dann im Laufe des Abends in die Obhut eines befreundeten Kollegen gegeben, bei dem sie nächtigen konnte.
14
Die Türe im BKH … wurde durch den Tritt beschädigt, das Klinikum … stellte diesbezüglich keinen Strafantrag. Von der Staatsanwaltschaft Memmingen wurde letztendlich mit Verfügung vom 29.12.2016 von der Verfolgung der Sachbeschädigung gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.
15
1.3 Am 17.01.2017 gegen 17.00 Uhr fuhr die Beklagte mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen … …, auf der F. in …, obwohl sie alkohol- und medikamentenbedingt fahruntüchtig war, was sie zumindest billigend in Kauf genommen hat. Infolge ihrer alkohol- und medikamentenbedingten Fahruntüchtigkeit übersah sie beim Abbiegen in die … den vorfahrtsberechtigten Herrn R. mit seinem Pkw, amtliches Kennzeichen … …, der im Begriff war, nach links in die F. abzubiegen. Deshalb kam es zur Kollision der linken vorderen Front ihres Pkw mit dem linken hinteren Kotflügel des von Herrn R. gefahrenen BMWs. Dabei entstand an dem Pkw des Herrn R. ein Schaden in Höhe von ca. 10.000,00 €. Dies hätte die Beklagte vorhersehen und vermeiden können. Obwohl sie den Zusammenstoß bemerkt hatte und auch bemerkt hatte, dass sie einen nicht unerheblichen Fremdschaden verursacht hatte, und obwohl sie wusste, dass sie alkohol- und medikamentenbedingt nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, fuhr die Beklagte mit ihrem Pkw weiter in die A. Straße in …
16
Zwei bei ihr am 17.01.2017 um 18.52 Uhr und 19.24 Uhr entnommene Blutproben ergaben das Vorliegen von 1,88 und 1,76 Promille Alkohol, sowie 92 ng/ml Sertralin im Blut. Eine gutachterliche Berechnung ergab unter Berücksichtigung eines Nachtrunks von 0,3 l Sekt eine tatsächliche BAK von 1,38 Promille.
17
Wegen der beiden von ihr am 11.11.2016 und 17.01.2017 unter Alkohol- und Medikamenteneinwirkung verursachten Unfälle erhob die Staatsanwaltschaft Memmingen, Zweigstelle …, am 31.03.2017 gegen die Beklagte die öffentliche Klage. Mit Urteil des Amtsgerichtes Memmingen vom 02.08.2017, rechtskräftig seit dem 10.08.2017, wurde sie letztendlich wegen fahrlässigen Vollrausches in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gemäß §§ 323a, 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 1, 142 Abs. 1 Nr. 1,316Abs. 1, 52, 53, 69, 69a, 113, 223, 230 StGB zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu Je 80,00 € (Gesamtstrafe 12.800,00 €) verurteilt. Gleichzeitig wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen. Die Verwaltungsbehörde durfte ihr vor Ablauf von 11 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen.
18
2. Im Rahmen des mit Schreiben des Polizeipräsidiums S. … …, vom 06.06.2017 gegenüber der Beklagten angewiesenen arbeitstäglich durchzuführenden Atemalkoholtests wurde bei ihr bei der Messung am 01.08.2018 um 08.12 Uhr nach Dienstantritt ein Atemalkoholwert von 0,12 mg/l festgestellt. Eine weitere Messung um 08.13 Uhr, nachdem ihr erlaubt worden war, den Mund mit Wasser auszuspülen, ergab einen Atemalkoholwert von 0,11 mg/l. Aufgrund der vorliegenden Alkoholisierung wurde sie daraufhin aufgefordert, den Dienst sofort zu beenden. Die ermittelte Atemalkoholkonzentration hat sich aus dem Umstand ergeben, dass sie vor Dienstantritt die alkoholhaltige Arznei Sinusyx zu sich genommen hatte. Das vom Staatsministerium des Innern verfügte absolute Alkoholverbot im Bereich der Bayer. Polizei bezieht sich auch aufgrund eines Präsidialschreibens des Polizeipräsidiums S. … vom 16.01.2009, AZ.: … auf das Verbot jeglicher Getränke, die mit alkoholfreiem Bier vergleichbar sind. Über diese Regelung wurde die Beklagte jährlich belehrt.
19
3. Auf Veranlassung des Polizeipräsidiums S. … führte die Beklagte von 01.02.2017 bis zum 29.03.2017 eine stationäre Alkoholentwöhnungsbehandlung in der AHG Klinik … durch. Dort wurde bei ihr eine bereits durch den Ärztlichen Dienst der Bayer. Polizei vordiagnostizierte Alkoholabhängigkeit bestätigt. Bei der darauf folgenden Begutachtung beim Ärztlichen Dienst der Bayer. Polizei am 18.04.2017 in München gab sie an, dass sie sowohl während der stationären Alkoholentwöhnungstherapie als auch am 12.04.2017 nach Beendigung des stationären Aufenthaltes einen Alkoholrückfall gehabt habe. Im Ergebnis der Untersuchung konnte bei ihr polizeiärztlich keine Alkoholabstinenz festgestellt werden sowie die gesundheitliche Eignung zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen sowie von Dienstwaffen nicht bestätigt werden. Weitere dienstliche Verwendungseinschränkungen lagen nicht vor.
20
Das Ergebnis der polizeiärztlichen Begutachtung wurde der Beklagten mit Schreiben des Polizeipräsidiums S. … vom 06.06.2017 mitgeteilt. Hierbei wurde sie aufgefordert, bis auf weiteres wöchentlich an einer ambulanten Selbsthilfegruppe teilzunehmen und Teilnahmebestätigungen monatlich vorzulegen. Darüber hinaus wurde sie angewiesen, künftig zu Beginn ihres Dienstes unaufgefordert bei Ihrem Dienstgruppenleiter einen Alkoholtest mittels eines Handalkomaten durchführen zu lassen. Gesondert hingewiesen wurde sie auch auf mögliche disziplinarrechtliche Folgen der Nichtbefolgung dieser Anordnung bzw. bei sonstigen Verstößen gegen Beamtenpflichten.
21
In der Folgezeit wurde die Beklagte bei der Pl … in der Verfügungsgruppe im Tagdienst verwendet, aufgrund der Verwendungseinschränkungen ausschließlich im Innendienst.
22
Am 07.03.2018 fand beim Ärztlichen Dienst der Bayer. Polizei eine Nachuntersuchung bei der Beklagten statt, bei der sie angab, seit der letzten polizeiärztlichen Untersuchung durchgehend Alkoholabstinenz eingehalten zu haben. Diese Angaben waren jedoch aufgrund der bei der Untersuchung erhobenen Laborbefunde erheblich in Zweifel zu ziehen. Eine abschließende objektive Überprüfung anhand einer Haaranalyse war jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich, da die Beklagte ihre Haare gefärbt hatte und deshalb eine Haarentnahme und -analyse zu Fehlinterpretationen hätte führen können. Die Beklagte war zum Untersuchungszeitpunkt dienstfähig, jedoch konnte polizeiärztlicherseits ihre gesundheitliche Eignung zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen und Dienstwaffen weiterhin nicht bestätigt werden. Weitere dienstliche Verwendungseinschränkungen lagen nicht vor.
23
Das Ergebnis der polizeiärztlichen Untersuchung wurde der Beklagten durch das Polizeipräsidium S. … mit Schreiben vom 30.05.2018 mitgeteilt. Sie wurde erneut ausdrücklich auf die Einhaltung ihrer beamtenrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit ihrer Alkoholerkrankung und auf mögliche disziplinarrechtliche Folgen bei Nichtbeachtung, die bis hin zur Entfernung aus dem Dienst reichen könnten, hingewiesen.
24
Nachdem es am 01.08.2018 zu der festgestellten Dienstverrichtung unter Alkoholeinfluss gekommen war, die bereits Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens ist, erfolgte am 11.09.2018 eine weitere Nachuntersuchung der Beklagten beim Ärztlichen Dienst der Polizei, hierbei wurde festgestellt, dass die Beklagte die geforderte Alkoholabstinenz nicht einhält. Aufgrund der erhobenen Befunde war davon auszugeben, dass sie in den Wochen und Monaten vor der Untersuchung einen hohen, intensiven Alkoholkonsum praktiziert hat. Aufgrund dessen war sie zum Untersuchungszeitpunkt nicht dienstfähig. Polizeiärztlicherseits wurde zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Dienstfähigkeit die nochmalige Durchführung einer stationären Alkoholentwöhnungsbehandlung von mindestens dreimonatiger Dauer für erforderlich erachtet.
25
Aufgrund dieses Untersuchungsergebnisses wurde die Beklagte mit Schreiben vom 08.10.2018 aufgefordert, sich unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 25.10.2018, erneut für eine mindestens dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung in eine geeignete Suchtfachklinik zu begeben. Wiederum wurde sie diesbezüglich über ihre Beamtenpflichten sowie über mögliche disziplinarrechtliche Folgen bei Verstößen hiergegen belehrt. Das Schreiben wurde ihr am 17.10.2018 durch den Suchtberater PHK+ … persönlich ausgehändigt. Dieser hatte sie jedoch bereits vorab mündlich über dieses Schreiben und die darin angeordnete stationäre Alkoholentwöhnungstherapie informiert. Am 09.10.2018 äußerte sie diesbezüglich ihm gegenüber, dass sie nicht bereit sei, erneut eine stationäre Therapie zu machen, sie wäre maximal zu einer ambulanten Therapie und zu täglichen Alkoholkontrollen auf der Dienststelle bereit.
26
Mit per Telefax am 22. 10.2018 übersandtem Schreiben zeigte Herr Rechtsanwalt … an, dass er die Beklagte nunmehr auch in dieser Angelegenheit vertrete. Er teilte mit, dass ihr das Schreiben des Polizeipräsidiums S. vom 08.10.2018 erst am 17.10.2018 spätnachmittags übergeben worden sei und deshalb ein Therapieantritt bis zum 25.10.2018 nicht mehr realistisch sei. Er bat um Mitteilung, dass die Frist bis 25.10.2018 deshalb hinfällig sei.
27
Mit am selben Tag per Telefax übersandtem Schreiben vom 23.10.2018 wurde mitgeteilt, dass an dem Termin festgehalten werde, da die Beklagte frühzeitig durch den Suchtberater PHK+ … über die Anordnung zur Aufnahme einer stationären Therapie bis spätestens 25.10.2018 informiert war. Zudem wurde sie nochmals auf die möglichen disziplinarrechtlichen Folgen bei Missachtung der Anordnung hingewiesen. Eine fristgerechte Aufnahme der geforderten Therapiemaßnahme bis zum 25.10.2018 erfolgte letztendlich nicht.
28
Mit Schreiben des Polizeipräsidiums S. … vom 29.10.2018 wurde die Beklagte erneut aufgefordert, sich unverzüglich in eine mindestens dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung in einer geeigneten Suchtfachklinik zu begeben und bis spätestens 07.11.2018 eine Aufnahmebestätigung der Fachklinik dem Polizeipräsidium S. … vorzulegen. Auf Initiative von PHK+ … konnte für die Beklagte ein Therapieplatz ab dem 10.12.2018 in der … Fachklinik … in … gefunden werden. PHK+ … klärte diesbezüglich auch die Modalitäten mit ihrer privaten Krankenkasse und der Beihilfe. Da von Seiten ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für die Therapie abgelehnt wurde, erging eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung durch das Polizeipräsidium S. …, welche am 22.11.2018 übersandt wurde.
29
Nachdem die Beklagte am 04.12.2018 Herrn PHK+ … per WhatsApp mitgeteilt hatte, dass sie sich momentan bei Ihren Eltern aufhalte, es ihr gut gehe und sie keine stationäre Therapie brauchte – und sie deshalb auch die erforderlichen Vorgespräche mit der Fachklinik … nicht geführt und den Behandlungsvertrag nicht abgeschlossen habe, wurde sie mit Schreiben vom 05.12.2018 nochmals aufgefordert, die Therapie am 10.12.2018 anzutreten und vorab die noch fehlenden Unterlagen dort einzureichen. Die möglichen disziplinarrechtlichen Folgen einer Nichtbeachtung wurden ihr wiederholt dargelegt.
30
Am 05.12.2018 teilte Herr Rechtsanwalt … mit, dass die Beklagte die stationäre Therapiemaßnahme nicht antreten könne, da es ihr nicht gelungen sei, für ihre Haustiere eine mehrmonatige Versorgung sicherzustellen. Darüber hinaus stehe bei ihr am 15.01.2019 eine dringende und aufwändige Zahnbehandlung in Memmingen an, die nicht mehr verschoben werden könne. Er regte deshalb die Aufnahme einer zeitnahen ambulanten Therapie an.
31
Dieser Vorschlag wurde mit Schreiben vom 06.12.2018 mit dem Hinweis abgelehnt, dass für die Beklagte ausreichend Zeit für die Unterbringung der Haustiere sowie für die Absprache des Zahnarzttermins im Januar 2019 mit der Fachklinik … bestanden habe. Sie wurde nochmals aufgefordert, die Entwöhnungsbehandlung am 10.12.2018 anzutreten. Auch auf die möglicherweise massiven disziplinarrechtlichen Folgen einer Nichtbeachtung dieser Anweisung wurde sie erneut hingewiesen. Trotz dieser letzten, eingehenden Versuche, die Beklagte zu dem Therapieantritt am 10.12.2018 zu bewegen, erfolgte dieser letztendlich nicht.
32
4.1 Nachdem die Beklagte dem vom Polizeipräsidium S. … angeordneten Therapieantritt zur Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik … am 10.12.2018 nicht Folge geleistet hatte, wurde sie mit Schreiben vom 10.12.2018 an Herrn Rechtsanwalt … erneut aufgefordert, sich nunmehr unverzüglich in eine mindestens dreimonatige Entwöhnungsbehandlung in einer geeigneten Suchtfachklinik zu begeben und dem Polizeipräsidium S. … bis spätestens 21.12.2018 eine Aufnahmebestätigung dieser Fachklinik vorzulegen. Herr Rechtsanwalt … teilte hierauf mit Schreiben vom 21.12.2018 mit, dass für sie der Antritt einer stationären Entwöhnung weiterhin nicht möglich sei, da sie nach wie vor keine Unterbringungsmöglichkeit für ihren Hund habe finden können. Dieser habe zwischenzeitlich einen Krampfanfall und als Folge daraus einen Bandscheibenvorfall erlitten, so dass eine Fremdunterbringung dieses Tieres nicht möglich sei. Im Übrigen sei es unzumutbar, in dieser Situation von ihr zu verlangen, das Tier zu verlassen.
33
Letztendlich leistete die Beklagte der Anordnung des Polizeipräsidiums S. … vom 10.12.2018 erneut keine Folge, kümmerte sich nicht um eine fristgerechte Aufnahme in eine entsprechende Fachklinik und trat bis zur Versetzung in den Ruhestand die geforderte erforderliche Entwöhnungsbehandlung nicht an.
34
4.2 Mit Schreiben des Polizeipräsidiums S. … vom 08.01.2019 an Herrn Rechtsanwalt … wurde die Beklagte wiederholt aufgefordert, sich unverzüglich in eine mindestens dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung in einer geeigneten Suchtfachklinik zu begeben und dem Polizeipräsidium S. … bis spätestens 23.01.2019 eine Aufnahmebestätigung dieser Fachklinik zu übersenden. Auf die disziplinarrechtlichen Folgen einer erneuten Nichtbeachtung dieser Weisung wurde sie wiederum hingewiesen. Herr Rechtsanwalt … teilte hierauf mit Schreiben vom 23.01.2019 mit, dass für die Beklagte der Antritt der angeordneten stationären Entwöhnung und somit auch die Vorlage einer Aufnahmebestätigung einer entsprechenden Klinik in der gesetzten Frist nicht möglich gewesen sei. Ihre bekanntgegebene Zahnbehandlung am 15.01.2019 habe nicht zum Abschluss gebracht werden können, ein weiterer Behandlungstermin sei für den 05.02.2019 angesetzt worden. Ein Antritt einer Alkoholentwöhnungsbehandlung erscheine vor Abschluss der Zahnbehandlung nicht zielführend.
35
4.3 Aufgrund der erneuten Nichtbeachtung der dienstlichen Weisung vom 08.01.2019 wurde gegenüber der Beklagten durch das Polizeipräsidium S. … mit Schreiben an Herrn Rechtsanwalt … vom 24.01.2019 nochmalig angeordnet, sich nunmehr unverzüglich in eine mindestens dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung in einer geeigneten Suchtfachklinik zu begeben und dem Polizeipräsidium S. … bis zum 08.02.2019 eine Aufnahmebestätigung der Fachklinik vorzulegen. Auch hierbei wurde sie wieder auf mögliche disziplinarrechtliche Folgen einer Nichtbeachtung hingewiesen. Mit Schreiben vom 08.02.2019 hat dann Rechtsanwalt … mitgeteilt, dass der Antritt einer stationären Entwöhnung und damit die Vorlage einer Aufnahmebestätigung nicht möglich gewesen sei. Die Beklagte leide nun an einer massiven Bursitis trochanterica und sei bis auf weiteres immobil. Eine von einem Herrn …, Internist in … A., für die Beklagte ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung legte Herr Rechtsanwalt … mit vor. Er führte weiter aus, dass wegen der aktuellen Erkrankung der ursprünglich für den 05.02.2019 anberaumte Zahnarzttermin nun auf den 11.03.2019 habe verschoben werden müssen. Ein gegenwärtiger Therapieantritt sei für die Beklagte nicht möglich und bis zum Abschluss der Zahnbehandlung nicht zielführend.“
36
(Auszug aus der Disziplinarklage)
37
b) Zur Begründung wird in der Disziplinarklage und ergänzend mit Schriftsatz vom 14. März 2022 vorgetragen. Hierauf wird Bezug genommen, vgl. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Zusammengefasst und ergänzt wurde in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2024, dass schon der disziplinarische Vorwurf innerdienstlicher Natur durch die mehrfachen Nichtantritte zur Aufnahme einer stationären Suchtbehandlung ein derart schwerwiegendes Verhalten darstelle, dass die Höchstmaßnahme indiziert sei. Die beklagtenseitigen, insbesondere in den Rechtsanwaltsschriftsätzen enthaltenen Gründe, warum die Beklagte den vielfachen Therapieantritten nicht habe Folge leisten können, seien vielmehr als Ausrede bzw. Schutzbehauptung zu werten. Dem liege zugrunde, dass die Beklagte mehrfach ausgeführt und betont hätte, dass es ihr gut gehe und sie keine Therapie brauche. Damit sei der Nichtantritt zur Therapie schwerpunktmäßig hiervon geprägt und nicht von einzelnen entgegenstehenden Hinderungsgründen. Von vorne herein habe die Beklagte keine Bemühungen erkennen lassen, einen entsprechenden Therapieantritt zu ermöglichen. Vielmehr sei gegenüber dem Suchtberater deutlich ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck gekommen. Gerade angesichts der sich bereits abzeichneten Ruhestandsversetzung aus der andauernden Dienstunfähigkeit der Beklagten heraus habe ihr die Erheblichkeit und Bedeutung, zu einer Therapie anzutreten, bewusst gewesen sein müssen. Bei der Beklagten sei nicht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens auszugehen. Zum einen bedürfe es einer Erheblichkeit, um gegenüber der Schwere des Dienstvergehens milderndes Gewicht entfalten zu können. Bei den Weisungsverstößen der Beklagten handele es sich jedoch um leicht einsehbare Kernpflichten, auf die die Beklagte mehrfach hingewiesen wurde. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens bzw. die regelmäßigen Ausdehnungen hätten der Beklagten unzweifelhaft ihr pflichtwidriges Verhalten vor Augen geführt. Ein etwaiger Verbotsirrtum, von dem nach Auffassung des Polizeipräsidiums schon nicht ausgegangen werden könne, wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Durch die Stellungnahme des Polizeipräsidiums habe die Beklagte jedenfalls begründete Zweifel an ihrem Vorbringen bzw. insbesondere auch dem rechtsanwaltschaftlichen Vorbringen haben müssen. Von der Möglichkeit von Rechtsmitteln gegen die Anordnung zum Therapieantritt habe die Beklagte keinen Gebrauch gebraucht. Von einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit könne daher selbst unter Berücksichtigung der Alkoholerkrankung bei der Beklagten nicht gesprochen werden. Bei Betrachtung der genauen Ausprägung der Erkrankung bei der Beklagten sei zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte augenscheinlich ihr Konsumverhalten zumindest in zeitlicher Hinsicht noch weitgehend kontrollieren konnte. Schließlich sei es der Beklagten bis auf den vorgeworfenen 1. August 2018 gelungen, nicht alkoholisiert zum Dienst zu erscheinen. Daher könne auch nicht von einer erheblich verminderten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden. Bei der Maßnahmebemessung sei letztlich angesichts der Suchterkrankung und anzustellenden Zukunftsprognose das hohe Rückfallrisiko mit der im Polizeidienst sich daraus ergebenden erheblichen Gefährdungslage nicht außer Acht zu lassen. Eine Reaktivierungsprüfung sei bisher nicht erfolgt, da von einem vollständigen Vertrauensverlust auszugehen sei.
der Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
39
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
40
Auf die Disziplinarklage erwiderte der Bevollmächtigte mit Schriftsätzen vom 4. November 2021 und 6. Juli 2022. Insbesondere seien die Vorfälle I.1.1 bis I.1.3 während einer akuten und unbehandelten Alkoholerkrankung und im – zumindest teilweise nicht ausschließbar – Zustand aufgehobener Steuerungsfähigkeit begangen worden. Im Folgenden habe sich die Beklagte unter anderem weisungsgemäß einer stationären Entwöhnungsbehandlung unterzogen. Zu den Behandlungsantritten und den jeweiligen Hinderungsgründen aus Sicht der Beklagten wurde ergänzend zum bereits schriftsätzlichen Vorbringen im Disziplinarverfahren vorgetragen. Die Nichtbefolgung der Anordnungen zur Aufnahme einer stationären Therapie seien jeweils sachlich begründet und gerechtfertigt gewesen. Verweigert habe sie die Therapie nicht. Nachdem die Beklagte nach ihrer festgestellten Dienstunfähigkeit über Monate keine Abstinenz eingehalten, jedoch keinen übermäßigen Alkoholkonsum entwickelt hätte, sei die Motivation bzgl. einer mehrmonatigen Therapie zunehmend gesunden. Eine konkrete Eruierung des Alkoholkonsums der Beklagten sei ebensowenig erfolgt wie die Diskussion alternativer Therapiemaßnahmen. Durch die fortgesetzte Nichtdurchführung der Reaktivierungsuntersuchung halte der Kläger die faktischen Voraussetzungen der erhobenen Klage aufrecht. Vielmehr sei statt der Aberkennung des Ruhegehalts die Reaktivierung der Beklagten zu prüfen.
41
Der Bevollmächtigte führte in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2024 aus, die Beklagte habe auch im Nachgang zur Ruhestandsversetzung keine Therapie zur Alkoholentwöhnung durchgeführt, erscheine jedoch „trocken“. Bis zum 1. August 2018 – so sei den Ausführungen des Polizeipräsidiums zuzustimmen – habe die Beklagte ihr Trinkverhalten entsprechend unter Kontrolle gehabt. Was danach passiert sei, insbesondere vor dem Hintergrund der zusammengebrochenen Tagesstruktur, sei jedoch unklar. Die Schwelle des § 21 StGB sei zwar sicherlich nicht überschritten, hingegen durchaus die Frage, ob die Beklagte imstande gewesen war, ihr Fehlverhalten entsprechend einzuordnen. Grundsätzlich sei die Beklagte der Auffassung gewesen und habe dies auch ihm gegenüber deutlich gemacht, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt habe und sie mit den bisherigen Maßnahmen und Weisungen, wie dem Besuch der Selbsthilfegruppe und Alkoholtestungen, gut gefahren sei. Eine Bereitschaft zu einem Therapieantritt, wenn denn der Dienstherr dies von ihr verlange, sei jedoch ebenso grundsätzlich vorhanden gewesen.
42
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2024 und der beigezogenen Disziplinarakten sowie die Personalakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
43
Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts der Beklagten gemäß Art. 13 BayDG erkannt.
44
Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG liegen nicht vor.
45
Insbesondere ist der Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden, von der sie auch durch ihren Bevollmächtigten Gebrauch gemacht hat.
46
Soweit der Bevollmächtigte der Beklagten das Unterbleiben einer Reaktivierungsüberprüfung rügt, ist dies nicht geeignet, einen Mangel des Disziplinarverfahrens zu begründen.
47
Mangelhaft ist das Disziplinarverfahren auch nicht durch die Vielzahl an Ausdehnungen und die entstandene Verfahrensdauer. Die Ausdehnungen finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 21 Abs. 1 BayDG. Zwar ist in einem Disziplinarverfahren angesichts des Beschleunigungsgrundsatzes und des auch pflichtenmahnenden Charakters durch die Disziplinarbehörde zu überprüfen, ob ein Verfahren beschleunigt zum Abschluss gebracht werden kann, statt ein solches auszudehnen. Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens ist dabei jedoch zu beachten. Ein formeller Mangel i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG ergibt sich daraus aus den Ausdehnungen jedenfalls nicht. Ggf. wäre die Länge des Disziplinarverfahrens dann bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen, sofern nicht ein vollständiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ebenso wäre ggf. auch zu berücksichtigen, wenn bzw. dass es erst verspätet zu einer Fortsetzung nach Abschluss des Strafverfahrens kam. Vorliegend wirken sich diese Verzögerungen aufgrund des vollständigen Vertrauensverlusts jedoch nicht ergebnisrelevant aus.
48
Der in der Disziplinarklage dargelegte Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
49
Bezüglich der Vorwürfe 1.1 und 1.3 steht der Sachverhalt bereits durch die bindenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts Memmingen im Urteil vom 2. August 2017 gemäß Art. 25 Abs. 1 BayDG fest. Der unter 1.2 zur Last gelegte Sachverhalt, bezüglich dessen gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung der Sachbeschädigung abgesehen wurde, wurde seitens der Beklagten am 4. Oktober 2018 eingeräumt, mit Ausnahme der Frage einer eingeschränkten Schuldfähigkeit, und ergibt sich auch nach Aktenlage.
50
Auch der weitere zur Last gelegte Sachverhalt 2., 3. und 4. steht nach Aktenlage fest. Anhaltspunkte, dass die Beklagte insoweit nicht schuldhaft gehandelt hat, bestehen keine.
51
Die Beklagte hat durch den ihr vorstehend zur Last gelegten Sachverhalt ein einheitliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) während ihrer Zeit als aktive Beamtin begangen, das auch noch disziplinarisch verwertet werden kann (Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 a) BayDG). Ob sie sich als Ruhestandsbeamtin mangels Therapieantritts fortgesetzt noch weisungswidrig und disziplinarrechlich relevant verhalten haben hat, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage.
52
1. Außerdienstlich handelte die Beklagte ihrer beamtenrechtlichen Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 BeamtStG zuwider, als sie sich des fahrlässigen Vollrausches in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gemäß §§ 323a, 315c Abs. 1 Nr. 1a; Abs. 3 Nr. 1, 142 Abs. 1 Nr. 1, 316 Abs. 1, 52, 53, 69, 69a StGB, §§ 113, 223, 230 StGB, § 303 StGB strafbar machte. Die Beklagte handelte insoweit schuldhaft (s.o.).
53
Damit handelte die Beklagte auch entgegen ihrer Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3
BeamtStG zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten.
54
2. Durch den unter 2. zur Last gelegten Sachverhalt verstieß die Beklagte schuldhaft gegen ihre Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen und allgemeiner Richtlinien ihrer Vorgesetzten i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, indem sie alkoholisiert ihren Dienst am 1. August 2018 antrat. Auf das absolute Alkoholverbot im Bereich der Bayerischen Polizei des Bayerischen Staatsministerium des Innern mit IMS IC5-0142.1-11 vom 4. Mai 2000, ergänzt durch das PS des Polizeipräsidiums S. … vom 16. Januar 2009, wird Bezug genommen, über das die Beklagte nach Angaben des Klägers jährlich belehrt wurde. Dass die Arznei Sinusyx Alkohol erhält, war für die Beklagte hinreichend erkennbar, die gemäß Schreiben vom 6. Juni 2017 verpflichtet worden war, bei jedem Dienstantritt einen Alkoholtest durchzuführen und daher die Bedeutung des absoluten Alkoholverbots für sie bewusst war.
55
Zudem verstieß die Beklagte auch gegen ihre Pflicht nach § 34 Abs. 1 BeamtStG zur vollen Hingabe an ihren Beruf und Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit.
56
3. Indem sie den wiederholten – rechtmäßigen – Aufforderungen, sich in eine stationäre Behandlung in einer Suchtklinik bis zum 25. Oktober 2018, bis zum 7. November 2018, bis zum 10. Dezember 20218, bis zum 21. Dezember 2018, bis zum 23. Januar 2019 und bis zum 5. Februar 2019 zu begeben, jeweils nicht nachkam, handelte die Beklagte gegen ihre Gehorsamspflicht gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Damit einher geht ein Verstoß gegen die Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG zur Gesunderhaltungs- bzw. Gesundwerdungspflicht, die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Wiederherstellung der Arbeitskraft dienen. Dabei begegnen die entsprechenden Aufforderungen keinen rechtlichen Bedenken.
57
Hinsichtlich der jeweils vorgetragenen Hinderungsgründe wird auf die Ausführungen des Klägers in der Disziplinarklage verwiesen, denen sich das Gericht anschließt. Insbesondere die Frage der zwischenzeitlichen Unterbringung der Haustiere, die zu diesem Zeitpunkt anstehende, wenngleich komplexe Zahnbehandlung oder beklagtenseitig angegebene Brusitis trochanterica vermochten nicht, die Beklagte von der Pflicht zum Therapieantritt zu befreien.
58
Selbst wenn der Beklagten zu ihren Gunsten unterstellt würde, sie habe auf die in den Schriftsätzen ihres Bevollmächtigen enthaltenen Gründe vertraut, nicht (mehr) zum Therapieantritt verpflichtet gewesen zu sein, würde es sich allenfalls um einen vermeidbaren Verbotsirrtum handeln. Hierzu hat die Klägervertreterin zutreffend in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, worauf Bezug genommen wird. Der Beklagten war immer wieder sehr deutlich im Disziplinarverfahren der Hinweis auf die Verpflichtung zum Therapieantritt und die disziplinarischen Folgen vor Augen gehalten worden. Spätestens durch die Aufrechterhaltung der Aufforderung zum Therapieantritt durch den Dienstherrn musste der Beklagten ihre fortbestehende Verpflichtung klar sein. Auch hatte sie eine entsprechende Beratung und Betreuung durch ihren Suchtberater. Dies ist ausführlich in der mündlichen Verhandlung dargestellt und erörtert worden.
59
Zudem folgt das Gericht dem Kläger, der das Vorbringen als nicht glaubhafte Schutzbehauptungen wertet. Die Beklagte hat konsequent keinerlei Bestreben erkennen lassen, sich der angeordneten Therapiemaßnahme zu unterziehen. Eigenständig entschied sie sich immer wieder dagegen, was auch dadurch untermauert wird, dass sie auch nicht nach der Ruhestandsversetzung einer stationären Therapie nachgekommen ist. Der fehlenden Motivation zum Therapieantritt vermochte auch der Bevollmächtigte der Beklagten nicht entgegenzutreten.
60
4. Herauszustellen ist, dass der Beklagten nicht der Vorwurf eines sog. Rückfalls in die „nasse Phase“ einer Alkoholerkrankung gemacht wird (vgl. hierzu näher u.a. BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.2483 – beck-online Rn. 65).
61
Die Alkoholkrankheit als solche ist disziplinarisch (noch) nicht vorwerfbar. Erst wenn deren Folgen in den dienstlichen Bereich hineinreichen, wird die Alkoholabhängigkeit disziplinarrechtlich relevant, sei es, dass der Beamte im Dienst oder kurze Zeit davor Alkohol zu sich nimmt, sei es, dass der Alkoholkonsum eine zeitweilige oder dauernde Dienstunfähigkeit zur Folge hat. Zudem müssen dem Beamten die dienstlichen Folgen der Alkoholkrankheit auch subjektiv vorwerfbar sein. Außerdem muss der Beamte trotz seiner Alkoholkrankheit in der Lage gewesen sein, deren dienstliche Folgen zu vermeiden. Zu den dienstlichen Pflichten eines alkoholkranken Beamten gehört es, nach einer Entwöhnungsbehandlung den Griff zum „ersten Glas“ Alkohol zu unterlassen, weil jeder Genuss von Alkohol nach einer Entzugstherapie das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben lässt und so erfahrungsgemäß in die „nasse Phase“ der Alkoholabhängigkeit zurückführen kann (BayVGH, a.a.O.).
62
Zwar hat der Bevollmächtigte der Beklagten im Laufe des Disziplinarverfahrens ausgeführt, die Beklagte habe sich „erfolgreich“ einer stationären Entwöhnungsbehandlung unterzogen. Folgte das Gericht dieser Annahme, käme dem dann als Rückfall zu bezeichnenden Verhalten der Beklagten eine weitere dienstpflichtwidrige Relevanz von durchaus deutlichem Gewicht zu. Zwar ist es nicht das „erste Glas“ selbst, das disziplinarrechtlich bedeutsam und als beamtenrechtliche Pflichtverletzung vorwerfbar ist (BayVGH, a.a.O.). Disziplinarrechtliche Relevanz erhält der Rückfall in die „nasse Phase“ der Alkoholsucht erst, wenn eine Entwöhnungstherapie erfolgreich war, so dass der Beamte im Zeitpunkt des Rückfalls in der Lage war, der Gefahr eines Rückfalls in die Alkoholsucht mit Erfolg zu begegnen, und wenn die erneute Abhängigkeit Folgen im dienstlichen Bereich hat (BayVGH, a.a.O.; st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2001 – 1 D 64.00 – juris Rn. 24).
63
Allerdings geht das Gericht – in Übereinstimmung mit der Disziplinarbehörde – davon aus, dass die erste stationäre Behandlung der Beklagten im Jahre 2017 nicht erfolgreich war. Dem liegt zugrunde, dass der polizeiärztliche Dienst mit Email vom 21. April 2017 eine längerfristig eingehaltene Alkoholabstinenz verneinte. Einem Gesundheitszeugnis vom 4. Mai 2017 lässt sich entnehmen, dass es während der Entwöhnungsbehandlung zu einem einmaligen Rückfall gekommen sei und nach Beendigung des stationären Aufenthalts zu einem weiteren. Auch mit Email vom 7. März 2018 des polizeiärztlichen Dienstes wurde die notwendige Alkoholabstinenz nicht bejaht.
Das (einheitliche) Dienstvergehen nach Art. 47 Abs. 1 BeamtStG wiegt derart schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BayDG, dass ein endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Beklagte eingetreten ist. Wäre die Beklagte noch im Dienst, wäre sie aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Folglich ist ihr als Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt i.S.v. Art. 13 BayDG abzuerkennen, Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG. Unter Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, ihrem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten der Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG wäre bei einer aktiven Beamtin die Höchstmaßnahme auszusprechen.
65
Der Maßnahmebemessung liegen dabei die in Art. 14 BayDG genannten und in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2021 – 16a D 19.989 – beck-online Rn. 83 f.) bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 13 BDG (U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris; U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 61; U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.1992 – juris Rn. 34) entwickelten Kriterien zugrunde.
66
1. Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist die Schwere des Dienstvergehens, wobei von der schwersten Dienstpflichtverletzung auszugehen ist, weitere Dienstpflichtverletzungen aber erschwerende Wirkung entfalten können.
67
In Übereinstimmung mit der Disziplinarbehörde ist das innerdienstliche Fehlverhalten durch die Nichtbefolgung der Anordnung zur stationären Therapie als schwerwiegendste Dienstpflichtverletzung einzustufen. Bei Weisungsverstößen kommt aufgrund der vielschichtigen Variationsbreite an Fehlverhalten ein Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme in Betracht (vgl. BayVGH, a.a.O. Rn. 83 m.w.N.). So gehört die Gehorsamspflicht zu den Kernpflichten eines Beamten, mit der Folge eines erheblichen Gewichts vorsätzlicher Nichtbefolgung von Weisungen; in minder schweren Fällen kommt regelmäßig nur eine Gehaltskürzung in Betracht (BayVGH, a.a.O.). Besonders schwerwiegende Weisungsverstöße mit erheblichen Folgen oder aber ein andauernd oder wiederholend dienstpflichtwidriges Verhalten können je nach Umständen des Einzelfalls aber ein Ausschöpfen des bis zur Höchstmaßnahme eröffneten Orientierungsrahmen mit sich bringen. Vorliegend wurde die Beklagte im Zeitraum Oktober 2018 bis Februar 2019 einige Male zum Therapieantritt aufgefordert, dem die Beklagte jeweils nicht nachkam. Hierdurch erreichte das dienstpflichtwidrige Verhalten vor dem Hintergrund der jeweiligen Ausdehnungen des Disziplinarverfahrens und der deutlichen Hinweise an die Beklagte ein hohes Maß der Schwere.
68
Jedenfalls in der Zusammenschau mit dem vorangegangenen strafbaren Verhalten der Beklagten, dem durchaus eigenständiges und erschwerendes Gewicht zukommt, ist von der Höchstmaßnahme auszugehen.
69
Bei isolierter Betrachtung wäre schon dieses außerdienstliche Fehlverhalten im Bereich einer Kürzung im mittleren bis oberen Bereich zu verorten (vgl. BVerwG, B.v. 4.1.2016 – 1 DB 16/95 – beck-online Rn. 12). Auch unter Berücksichtigung der Alkoholerkrankung der Beklagten ist bei der gebotenen Betrachtung der Einzelfallumstände der enorme Ansehens- und Vertrauensschaden herauszustellen, den ein fahrlässiger Vollrausch im Zusammenhang mit Straßenverkehrsdelikten bzw. Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Alkoholeinfluss bei einem Polizeibeamten mit sich bringt. Hierbei handelt es sich gerade um typische Straftaten, deren Bekämpfung und Verfolgung Polizeibeamten obliegt. Ein Versagen gerade in dem Bereich, der ihnen zur Bekämpfung zukommt, wiegt mit eigenständigem Gewicht daher schwer.
70
In der Zusammenschau des innerdienstlichen und außerdienstlichen Fehlverhaltens ergibt sich somit ein Dienstvergehen von derartiger Schwere, dass die Höchstmaßnahme indiziert ist.
71
3. Durchgreifende mildernde Gesichtspunkte, die zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen würden, liegen demgegenüber nicht vor.
72
Über die bislang in der Rechtsprechung anerkannten typisierten Milderungsgründe hinaus bedarf es dabei einer Würdigung der jeweiligen be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls und würde eine allein typisierende Betrachtungsweise zu kurz greifen. Vielmehr dürfen entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines „anerkannten“ Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen – im Zusammenwirken mit anderen Umständen – zu erfüllen (BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 2 B 35.13 – beck-online Ls.1 sowie Rn. 21). Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, die Verwaltungsgerichte müssten bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten („klassischen“) Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden. Sie dürfen nicht in einer nicht nachvollziehbaren Weise „abgetan“ werden. Nach der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Milderungsgründe jedoch umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 2 WD 10.18 – beck-online Rn. 44 m.w.N.).
73
a) Zwar lässt die Disziplinarklage eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Alkoholerkrankung der Beklagten und den diesbezüglichen Auswirkungen auf das Disziplinarverfahren vermissen. Schließlich kommt einer Erkrankung nicht erst dann eine Berücksichtigungsfähigkeit zu, wenn der Maßstab des § 21 StGB erreicht ist. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat insoweit bei einer vorliegenden Alkoholerkrankung das Erfordernis weitergehender Ermittlungen durch die Disziplinarbehörde herausgestellt, wenn dem Beamten gerade (auch) eine Verletzung seiner Pflichten zur Gesunderhaltung und zum Gehorsam vorgeworfen wird (VG Karlsruhe, U.v. 18.11.2021 – DL 17 K 4832/20 – beck-online Leitsatz und Rn. 47f.).
74
Dass vorliegend die Schwelle zur eingeschränkten Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB in Bezug auf die innerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen nicht erreicht ist, hat der Bevollmächtigte, wie dargestellt, in der mündlichen Verhandlung zu gestanden. Das Gericht hatte insofern keine Veranlassung zu weiterer Beweisaufnahme bezüglich der Erkrankung der Beklagten. Die Schuldunfähigkeit bezüglich des strafrechtlich relevanten Verhaltens am 11. November 2016 zog tatbestandlich die Annahme des fahrlässigen Vollrauschs nach sich und steht damit fest. Beim strafrechtlich relevanten Verhalten am 17. Januar 2017 ist aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Memmingen das Vorliegen der Eingangsvoraussetzungen des § 21 StGB zu verneinen. Selbst bei Annahme einer eingeschränkten Schuldunfähigkeit am 13. November 2016 würde dies an der Gesamtbetrachtung nichts ändern.
75
Im Disziplinarverfahren ist auf die Einsichtsfähigkeit in die Dienstpflichtwidrigkeit des Verhaltens abzustellen. Vorliegend hat das Gericht keine Zweifel an der Bejahung dieser Einsichtsfähigkeit. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten angenommen würde, bei der ein oder anderen Begründung zumindest darauf vertraut zu haben, dadurch einen Grund zu haben, den Therapieantritt hinauszuzögern, war sie doch sehr deutlich auf ihren Pflichten und deren Folgen hingewiesen worden und hatte eine Unterstützung durch die Suchtberatung ihres Dienstherrn erhalten. Erkennbar war das Verhalten der Beklagten von einer fehlenden Motivation für eine stationäre Behandlung getragen. Sie stellte heraus – bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung durch ihren Bevollmächtigten – keine Therapie zu benötigen. Die Pflicht, der Anordnung ihres Dienstherrn zu einer stationären Maßnahme Folge zu leisten, ist dabei eine leicht einsehbare Kernpflicht im Kontext solcher Erkrankungen. Es ist offensichtlich, dass sich ein Beamter nicht auf seine Dienstunfähigkeit zurückziehen und weiter alimentieren lassen kann, aber nicht hinreichend an der Überwindung seiner Dienstunfähigkeit mitwirkt. Durch die Einleitung des Disziplinarverfahrens und mit jeder der zahlreichen Ausdehnungen wurde der Beklagten deutlich die Dienstpflichtwidrigkeit ihres Verhaltens vor Augen geführt. Am Ausreichen der vorgetragenen Hinderungsründe musste die Beklagte trotz der Ausführungen ihres Bevollmächtigten im Disziplinarverfahren angesichts der jeweiligen Antwortschreiben der Polizeipräsidien begründete Zweifel haben. Daher kann – wie dargestellt – nicht von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum ausgegangen werden. Zudem spricht, wie die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung deutlich skizziert hat, für ein hinreichendes Maß an Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, dass es der Beklagten zumindest über einen langen Zeitraum bis zum 1. August 2018 gelungen war, ihr Alkoholkonsumverhalten so zu steuern, dass die Kontrollen negativ verliefen und sie zum Dienst erscheinen konnte.
76
Die Suchterkrankung vermag daher vorliegend unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keine durchgreifende mildernde Wirkung zu entfalten.
77
b) Das bisherige dienstliche Wirken der Beklagten vermag – auch unter Berücksichtigung der eingeholten Persönlichkeitsbilder, bezüglich derer auch auf die umfangreichen Ausführungen in der Disziplinarklage verwiesen wird – die Schwere des Dienstvergehens nicht zu mindern. Selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen wäre eine langjährig pflichtgemäße Dienstausübung für sich genommen regelmäßig aber nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09. 3029 – juris Rn. 96). Soweit die Beklagte disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelastet war, stellt dies an sich eine Selbstverständlichkeit und ein sozial zu erwartendes Verhalten dar und kann sich damit nicht entlastend zu ihren Gunsten auswirken (BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 16a D 18.1038 – juris Rn. 46).
78
c) Letztlich ist auch die Dauer des Disziplinarverfahrens nicht geeignet, sich durchgreifend mildernd auszuwirken. Der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer zu langen Verfahrensdauer ist nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, wenn die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9). Bei mittlerweile im Ruhestand befindlichen Beamten gilt dies entsprechend für die Aberkennung des Ruhegehalts. Eine Fortführung der Alimentierung ist nicht hinnehmbar, wenn ein Beamter einen vollständigen Vertrauensverlust wegen Dienstpflichtverletzungen zu einer aktiven Zeit erlitten hat. Ein solcher wird durch zeitliches Fortschreiten nicht wiederhergestellt.
79
Aufgrund des vollständigen Vertrauensverlustes ist auch das Unterbleiben einer Reaktivierungsuntersuchung nicht zu beanstanden. Das Verhalten der Beklagten im Ruhestand ist, wie bereits dargestellt, nicht Gegenstand des vorliegenden Disziplinarklageverfahrens.
80
Die Aberkennung des Ruhegehalts als Höchstmaßnahme ist insoweit auch verhältnismäßig. Es ist der Allgemeinheit gegenüber nicht vertretbar, dass der Dienstherr der Beklagten weiterhin Ruhegehalt zahlt, nachdem sie derart schwerwiegend gegen ihre Dienstpflichten verstieß und weisungswidrig wiederholt keine therapeutischen Maßnahmen zur Gesundwerdung ergriff, sowie zuvor außerdienstlich ansehens- und vertrauensschädigend von eigenem deutlichen Gewicht in Erscheinung getreten war. Für eine positive Zukunftsprognose mangelt es zudem an Engagement bzw. Bestreben, sich in stationäre Behandlung zu begeben und so ihre Erkrankung zu überwinden. Dabei ist auch das Alter der Beklagten zu beachten, so dass durchaus noch eine Reaktivierung und viele Dienstjahre nach einer erfolgreichen Entwöhnungstherapie realistisch gewesen wären, wäre es nicht zum vollständigen Vertrauensverlust durch das Verhalten der Beklagten gekommen.
81
Aufgrund des vollständigen Vertrauensverlusts der Allgemeinheit und des Dienstherrn in den Beklagten ist die Aberkennung des Ruhegehalts geeignet, erforderlich und auch angemessen, um auf das sehr schwere Dienstvergehen zu reagieren.
82
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.