Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Beschluss v. 15.07.2024 – BayAGH II – 3- 1/23
Titel:

keine berufliche Pflichtverletzung – Beteiligung eines Rechtsanwalts an einem Verstoß gegen ein Vertretungsverbot

Normenketten:
BRAO § 43, § 43a Abs. 3, § 113 Abs. 1, § 114a
BORA § 59a
Leitsätze:
1. Weder die BRAO noch die BORA enthalten allgemeine oder spezielle Regelungen, die die "Beteiligung" eines Rechtsanwalts an einem Berufsrechtsverstoß (hier: Verstoß gegen ein Vertretungsverbot) erfassen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Rechtsanwalt, der es einem Rechtsanwalt, gegen den ein berufsrechtliches Vertretungsverbot besteht, ermöglicht, im Rahmen eines Zivilprozesses Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu machen, in dem er diesen als seinen "internen Bevollmächtigten" in das Verfahren einführt, begeht keine durch die BRAO und die BORA normierte berufliche Pflichtverletzung. (Rn. 9) (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Voraussetzung für die Ahndung einer Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts ist, dass die verletzte Pflicht ihrerseits in der BRAO oder der BORA hinreichend klar normiert ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 43 BRAO kann nicht als Auffangtatbestand zum Zweck der Ahndung von beruflichen Pflichtverletzungen subsidiär herangezogen werden, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber bewusst auf eine Statuierung einer Berufspflicht verzichtet hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwalt, berufliche Pflichtverletzung, Verstoß gegen ein Vertretungsverbot, Beteiligung, Berufsrechtsverstoß, gesetzliche Regelung, Auffangtatbestand, Subsidiarität
Vorinstanz:
Anwaltsgericht München, Beschluss vom 22.12.2022 – 1 AnwG 61/19
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2024, 305
LSK 2024, 18208
BeckRS 2024, 18208
NJW-RR 2024, 1246

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft München vom 04.01.2023 gegen den Beschluss des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München vom 22.12.2022, Az. 1 AnwG 61/2019, 41 EV 265/17 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Rechtsanwaltskammer München auferlegt.

Gründe

I.
1
1. Gegen den Betroffenen hat die Generalstaatsanwaltschaft München am 28.08.2019 eine Anschuldigungsschrift bei dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München erhoben.
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Dem Betroffenen wird zur Last gelegt, dem gesondert anwaltsgerichtlich verfolgten, zwischenzeitlich verstorbenen Rechtsanwalt G*** ermöglicht zu haben, in dem Zivilrechtsstreit K***./. H***, der beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 O 3503/14 geführt wurde, in der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2017 vor dem Landgericht München I aufzutreten, obwohl gegen den gesondert verfolgten Rechtsanwalt G*** seit dem 28.12.2015 ein Verbot, auf dem Gebiet des Zivilrechts und des anwaltlichen Berufsrechts als Vertreter und Beistand auf die Dauer von 3 Jahren tätig zu werden, verhängt worden war. Dies habe der Betroffene gewusst und im Protokoll der mündlichen Verhandlung gleichwohl vermerken lassen, dass es sich bei Rechtsanwalt G***um seinen "internen Bevollmächtigten" handele. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht München I habe Rechtsanwalt G*** die Ausführungen zur Sache, die Ablehnung eines gütlichen Vorschlags zur Beendigung des Rechtsstreits und die Beantragung einer Schriftsatzfrist übernommen. Der Betroffene habe gewusst, dass es sich um das Mandat des anderweitig angeschuldigten Rechtsanwalts G*** gehandelt habe, der, was beiden Rechtsanwälten bewusst gewesen sei, auf dem ihm untersagten Rechtsgebiet wissentlich einem Vertretungsverbot zuwider gehandelt habe und dabei auch nach außen gegenüber anderen Personen aufgetreten sei.
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Dem Betroffenen wird daher vorgeworfen, die ihm obliegende Pflicht, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, schuldhaft verletzt zu haben, indem er einem anderen Beihilfe zum Verstoß gegen ein Vertretungsverbot leistete.
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2. Das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München hat am 30.12.2019 darauf hingewiesen, dass nach seiner vorläufigen Bewertung Zweifel bestünden, ob das dem Betroffenen durch die Generalstaatsanwaltschaft München zur Last gelegte Verhalten eine Pflichtverletzung im Sinne des § 113 BRAO darstelle. Nach Eingang der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München vom 24.01.2020, diversen Stellungnahmen des Betroffenen und seines Verteidigers hat das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München mit Beschluss vom 20.07.2022 beschlossen, die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abzulehnen.
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3. Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 04.01.2023 erstrebt die Generalstaatsanwaltschaft München die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München.
II.
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Das nach § 210 Abs. 2 Alt. 2 StPO statthafte und zulässig erhobene Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Anwaltsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, da entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft kein hinreichender Tatverdacht gegen den Betroffenen besteht.
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1. Der Senat teilt die Ansicht des Anwaltsgerichts, wonach es für das hier inmitten stehende Verhalten des Betroffenen an einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage für die Ahndung einer berufsrechtlichen Pflichtverletzung fehlt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Anwaltsgerichts im Beschluss vom 22.12.2022 Bezug genommen; der Senat macht sich diese Ausführungen zu eigen.
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2. Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:
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a) Auch der Senat ist der Ansicht, dass weder die BRAO noch die BORA allgemeine oder spezielle Regelungen enthalten, die die "Beteiligung" eines Rechtsanwalts an einem Berufsrechtsverstoß (hier: Verstoß gegen ein Vertretungsverbot) enthalten.
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aa) Die Berufspflichten des Rechtsanwalts müssen nach § 113 Abs. 1 BRAO ihre Rechtsgrundlage in der BRAO selbst oder in auf § 59a BORA haben (Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, 9. Aufl. 2022, BRAO § 113 Rn. 7).
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bb) Eine solche (verletzte) spezifische Berufspflicht vermag der Senat vorlie-gend nicht zu erkennen. Davon scheint letztlich auch die Generalstaatsanwaltschaft München auszugehen, da sie in ihrer sofortigen Beschwerde ausführt, der Betroffene habe einen eigenständigen anwaltsgerichtlich zu ahndenden berufsrechtlichen Verstoß gemäß §§ 43,114a BRAO begangen, nachdem sie in der Anschuldigungsschrift davon ausgegangen war, dass der Betroffene einem anderen Beihilfe zu einem Verstoß gegen ein Vertretungsverbot leistete. Letztlich vermag dies aber dahinzustehen, da ein berufsrechtlicher Verstoß nicht festgestellt werden kann.
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b) Der Senat vermag keinen eigenständigen anwaltsgerichtlich zu ahndenden berufsrechtlichen Verstoß des Betroffenen zu erkennen.
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aa) Die Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft München läuft im Kern auf die Aussage hinaus, es bedürfe keiner ausdrücklichen Regelung möglicher Beteiligungsformen an einer gesetzlich geregelten Pflichtverletzung im Berufsrecht, da es anderenfalls zu einer nicht vertretbaren und nicht beabsichtigten Regelungslücke käme.
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bb) Der Senat teilt diese Ansicht nicht. Voraussetzung für die Ahndung einer Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts ist, dass die - angeblich - verletzte Pflicht ihrerseits überhaupt bzw. hinreichend klar nominiert ist, um dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Absatz 2 GG) genüge zu tun. Anderenfalls liefe der Rechtsanwalt Gefahr, für ein Verhalten zur Rechenschaft gezogen zu werden, das weder durch Normen des Berufsrechts noch durch Normen außerhalb des Berufsrecht als pflichtwidriges Verhalten überhaupt erkennbar ist.
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(1) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das - hier als zutreffend geschilderte - Verhalten des Betroffenen und des Rechtsanwalts G*** ersichtlich darauf angelegt war, dass gegen Rechtsanwalt G*** bestehende Vertretungsverbot zu umgehen. Rechtsanwalt G*** und der Betroffene haben den Umstand ausgenutzt, wonach im Zivilprozess der Vorsitzende die Verhandlung insbesondere dadurch leitet, dass er das Wort erteilt und entzieht (§ 136 Abs. 2 S. 1 ZPO) und ihm das Gesetz dabei einen großen Spielraum einräumt, solange er die Parteien nicht willkürlich ungleich behandelt (BeckOK ZPO/von Selle, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 136 Rn. 5). Es obliegt deswegen auch im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) allein dem Vorsitzenden, ob und wem er neben dem Rechtsanwalt und der Partei (§ 137 Abs. 4 ZPO) gestattet, das Wort zu ergreifen. Deswegen kann der Vorsitzende auch Dritten, zum Beispiel selbst nicht vertretungsberechtigten Mitarbeitern juristischer Personen, Steuerberatern, Rechtsreferendaren etc. das Wort erteilen. Diese Befugnis schließt auch die Erteilung des Wortes an "Hilfspersonen" des an sich alleinvertretungsberechtigten (§ 78 Abs. 1 ZPO) Rechtsanwalts im Anwaltsprozess ein.
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(2) Diesen weiten Ermessensspielraum des Gerichts haben der Betroffene und Rechtsanwalt G*** letztlich dadurch ausgenutzt, dass der Rechtsanwalt, gegen den ein Vertretungsverbot bestand, Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung machen durfte, obwohl ihm dies berufsrechtlich untersagt war. Es ist indes Sache des Gesetzgebers, die Beteiligung an einem Vertretungsverbot oder dessen Umgehung zu regeln. Derzeit ist aber nur die Zuwiderhandlung gegen ein Vertretungsverbot durch den betreffenden Rechtsanwalt selbst sanktioniert (§ 114a BRAO). Aus der Formulierung des § 114a BRAO lässt sich der Schluss ziehen, dass Unterstützungshandlungen durch Dritte (Rechtsanwälte) in dieser Norm gerade nicht mit einer Sanktion belegt sind.
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(3) Eine Verurteilung des Betroffenen wird auch nicht auf § 43 BRAO i. V. m. §§ 113 ff. BRAO gestützt werden können. Dabei kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob § 43 BRAO eine Generalklausel zur Statuierung berufsrechtlicher Pflichten des Anwalts enthält, die Grundlage einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme sein kann (Kleine-Cosack/KleineCosack, 9. Aufl. 2022, BRAO § 43 Rn. ff.) oder ob die Generalklausel zu unbestimmt ist, um daraus eigene Rechte und Pflichten herzuleiten (BeckOK BRAO/Praß, 23. Ed. 1.8.2022, BRAO § 43 vor Rn. 1).
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(i) Zwar spricht einiges dafür, dass sich die Verpflichtung einer gewissenhaften Berufsausübung eines Anwalts nicht nur über die BRAO bzw. BORA und über einige, gegebenenfalls einschlägige, Vorschriften im Strafgesetzbuch erfassen lässt (AnwGH Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.09.2012 - 2 AGH 8/12, NJW-RR 2013, 624).
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(ii) Allerdings teilt der Senat die Ansicht, dass bei der Anwendung des § 43 BRAO zurückhaltend vorzugehen ist, insbesondere kann die Vorschrift nicht als Auffangtatbestand zum Zweck der Ahndung von beruflichen Pflichtverletzungen subsidiär herangezogen werden, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber bewusst auf eine Statuierung einer Berufspflicht verzichtet hat (AnwGH Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.09.2012 - 2 AGH 8/12, NJW-RR 2013, 624).
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So liegt der Fall jedoch hier. Der Gesetzgeber hat in § 114 a BRAO umfassend geregelt, welche Folgen der Verstoß gegen ein Vertretungsverbot für den Betroffenen hat. Der Gesetzgeber hat darüber hinaus in Abs. 3 Satz 3 die Zurückweisung des Betroffenen Rechtsanwalts durch Gerichte und Behörden nominiert und damit insbesondere das Verhalten Dritter im Zusammenhang mit dem Bestehen eines Vertretungsverbotes geregelt. Angesichts dessen hätte es nahegelegen, dass der Gesetzgeber zugleich regelt, dass Handlungen, die darauf gerichtet sind, ein Vertretungsverbot zu umgehen, ihrerseits eine Berufspflichtverletzung darstellen. Aus dem Schweigen des Gesetzes ist in der vorliegenden Konstellation der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Abhandlung nicht beabsichtigte.
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cc) Der Senat vermag schließlich auch keine Unsachlichkeit gemäß § 43a Abs. 3 BRAO in dem Verhalten des Betroffenen - seine Nachweisbarkeit unterstellt - zu erkennen. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen der Begründung ihrer sofortigen Beschwerde der Ansicht ist, es läge eine Unsachlichkeit gemäß § 43 a Abs. 3 BRAO dahingehend vor, dass die Rolle des Rechtsanwalts G*** der Wahrheit zuwider dem Gericht gegenüber in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt wurde, teilt der Senat diese Ansicht nicht.
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(1) § 43a Abs. 3 S. 2 sieht ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot "insbesondere" als gegeben, wenn entweder Unwahrheiten bewusst verbreitet werden oder herabsetzende Äußerungen ohne Anlass gemacht werden (BeckOK BRAO/Praß, 23. Ed. 1.8.2022, BRAO § 43a Rn. 159). Es ist umstritten, ob sich aus § 43a Abs. 3 über das strafrechtlich Sanktionierbare (insbesondere §§ 185 ff. StGB) hinaus ein anwaltliches Verbot der Lüge ergibt (BeckOK BRAO/Praß, 23. Ed. 1.8.2022, BRAO § 43a Rn. 161) und wie weit ein derartiges Verbot gegebenenfalls reicht.
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(2) Die Frage bedarf indes vorliegend keine Entscheidung. Laut Anschuldigungsschrift der Generalstaatsanwaltschaft wurde der gesondert verfolgte Rechtsanwalt G***im Protokoll der mündlichen Verhandlung, dessen Inhalt und Führung gemäß § 160 ZPO allein dem Vorsitzenden obliegt, als "interner Bevollmächtigter" bezeichnet. Eine Unrichtigkeit des Protokolls lässt sich daraus jedoch nicht ableiten, denn es war der Betroffene, der nach seinem unstreitig gebliebenen Vorbringen als Prozessbevollmächtigte im Protokoll aufgeführt wurde. Dass der gesondert verfolgte Rechtsanwalt G*** seinerseits mit dem Mandanten einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) geschlossen hatte und für das streitige Verfahren mandatiert war, ist weder behauptet noch erwiesen. Dies wäre aber Voraussetzung für eine Unrichtigkeit des Protokolls im Sinne des § 160 ZPO. Ist das Protokoll nicht unrichtig, kann der Protokollierung in der vorliegenden Konstellation keine Lüge des Betroffenen zugrunde liegen.
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Nach all dem erweist sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend, sodass die des Hauptverfahrens zu Recht abgelehnt wurde.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 195 BRAO, 311a, 473 Abs. 1 StPO.