Titel:
Grenzen der Schadensminderung bei Mietwagenangebot des Haftpflichtversicherers
Normenkette:
BGB § 254 Abs. 2
Leitsatz:
Geschädigte können verpflichtet sein, nach einem Verkehrsunfall für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs auf ein Angebot der gegnerischen Versicherung einzugehen, wenn dieses günstiger ist als eigene Optionen. Das gilt nach Meinung des Landgerichts Schweinfurt allerdings nicht, wenn das vorgelegte Angebot nicht klar erkennen lässt, bei wem welches Fahrzeugmodell zu welchem Preis gemietet werden kann. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mietwagen, Versicherer, Formblatt
Vorinstanz:
AG Schweinfurt, Endurteil vom 26.04.2023 – 1 C 152/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 18007
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt vom 26.04.2023, Az. 1 C 152/23, abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 236,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2023 sowie weitere 86,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.02.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 236,14 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
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Gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO wird kein Tatbestand dargestellt.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat vollumfänglich Erfolg.
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Der Kläger hat aus dem Verkehrsunfall vom 05.11.2022 Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 236,14 € sowie auf Erstattung weiterer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,63 €.
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1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Geschädigte gem. § 249 BGB vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann (BGH NJW 2010, 1445).
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2. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist gem. § 287 ZPO zu schätzen. Dabei ist anerkannt, dass als Schätzgrundlage für den Normaltarif der Schwacke-Mietpreisspiegel herangezogen werden kann. Bedenken gegen die Verlässlichkeit der Schätzgrundlage bestehen grundsätzlich nicht. Auch der Umstand, dass z.B. die Frauenhofer-Liste teilweise zu erheblich abweichenden Ergebnissen führt, begründet als solches keine Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Liste (BGH Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11 = MDR 2013, 334).
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Es ergibt sich daher folgende Berechnung der Mietwagenkosten:
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Es ergibt sich damit die folgende Berechnung der Mietwagenkosten:
Normalpreis nach Schwacke-Liste 2020, Mietwagenklasse 6, Mietdauer 4 Tage, Postleitzahlengebiet 974xx. (Wochenpauschale 702 € : 7 Tage) × 4 Tage
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401,14 €
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abzüglich Eigenersparnis in Höhe von 3 %
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-12,03 €
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zuzüglich Kosten für Winterreifen (10,00 €/Tag × 4 Tage)
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40,00 €
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zuzüglich Kosten für Haftungsbefreiung (23 €/Tag × 4 Tage)
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92,00 €
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(Zwischensumme
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521,11 €)
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abzüglich erbrachter Zahlung
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-244,00 €
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Gesamt:
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277,11€.
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Da die Mietwagenrechnung des Klägers sich auf lediglich 480,14 € beläuft, stehen dem Kläger nach Abzug der bereits erbrachten Zahlung in Höhe von 244,00 € noch weitere 236,14 € zu.
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Auf den somit noch zur Zahlung ausstehenden Betrag schuldet die Beklagte Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2023 gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB, da diese mit Schreiben vom 09.01.2023 die weitergehende Regulierung ablehnte.
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5. Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht liegt nicht vor.
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Die Frage, ob der vom Geschädigten gewählte Tarif erforderlich war im Sinne des § 249 II 1 BGB, kann ausnahmsweise offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation „ohne weiteres“ zugänglich gewesen wäre, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gem. § 254 II 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (BGH NZV 2016, 419). In diesem Zusammenhang kann auch das Angebot des Haftpflichtversicherers an den Geschädigten, ihm eine günstige Anmietmöglichkeit zu vermitteln, beachtlich sein (BGH a.a.O.). Ein Unfallgeschädigter kann aufgrund der ihn gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB treffenden Schadensminderungspflicht auch dann gehalten sein, ein ihm vom Kfz-Haftpflichtversicherer vermitteltes günstigeres Mietwagenangebot in Anspruch zu nehmen, wenn dem günstigeren Angebot ein Sondertarif zugrunde liegt, der ihm ohne Mithilfe des Versicherers außerhalb eines Unfallersatzgeschäfts nicht zur Verfügung stünde (BGH r+s 2019, 226).
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a. Das von der Beklagten an den Kläger mit Schreiben vom 07.11.2022 übersandte Informationsblatt stellt kein günstigeres Angebot eines Mietwagens dar, welches dem Kläger ohne weiteres zugänglich gewesen wäre.
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Im Gegensatz zu den Sachverhalten, welche der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde lagen, hat das Informationsblatt keinen konkreten Bezug zu dem Fahrzeug des Geschädigten und nennt keinen definitiven Preis, sondern listet im Sinne eines Formblatts in einer Tabelle 11 verschiedene Fahrzeuggruppen auf, welche durch Fahrzeugbeispiele und kW-Angaben (zumal mit dem Zusatz „ca.“) näher definiert werden und welchen jeweils maximale Tagesbruttopreise zugeordnet sind mit dem Zusatz, dass diese je nach Anbieter noch günstiger sein können. Der Geschädigte erhält daher nicht ein auf ihn zugeschnittenes Angebot, sondern lediglich eine unverbindliche Information zu anderen Angeboten (vgl. LG Bonn, MRW 2020, 29; ebenso LG Koblenz, MRW 2020, 48). Eine besondere Ausstattung oder ein besonderer Fahrzeugtyp werden in der Einteilung ebenfalls nicht berücksichtigt. Für den Geschädigten ist daher nicht erkennbar, welchen konkreten Erstattungsanspruch er aus Sicht des Versicherers hätte, um dies zum Anlass zu nehmen, andere Mietwagenangebote damit zu vergleichen (LG Koblenz, a.a.O.). Dem Geschädigten werden die Telefonnummern drei verschiedener Fahrzeugvermietungen sowie die Telefonnummer des Schaden-Teams der Beklagten genannt. D.h. der Geschädigte müsste zunächst dort anrufen, um zu erfahren, in welche Fahrzeugklasse sein Fahrzeug fällt und welches Fahrzeug zu welchem konkreten Preis erhältlich ist, wobei er ggf. auch aufgrund der Preisschwankungen bei allen drei Anbietern nachfragen müsste, um einen abschließenden Vergleich hinsichtlich des günstigsten Angebots anstellen zu können. Ein unterschriftsreifes Angebot, wie die Beklagte meint, stellt das Informationsschreiben daher nicht dar.
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b. Aufgrund der Unbestimmtheit und mangelnden Konkretisierung des Informationsblatts auf den einzelnen Schadensfall kann diesem auch kein Schuldanerkenntnis der Beklagten entnommen werden. Zudem liegt es nicht im Einflussbereich der Beklagten als Vermittlerin, ob die im Schreiben genannten Firmen tatsächlich einen Mietwagen zu den Konditionen zur Verfügung haben. Demzufolge kann dem Schreiben auch keine Einstandspflicht für etwaige höhere Kosten entnommen werden.
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6. Dem Kläger steht zudem der Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren zu. Abzüglich bereits geleisteter Zahlung durch die Beklagte steht dem Kläger daher noch ein Betrag in Höhe von 86,63 € zu.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB analog.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2 GKG, 3 ZPO festgesetzt.