Inhalt

LG Deggendorf, Beschluss v. 09.07.2024 – 12 T 88/24
Titel:

Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe für die Prüfung der Versagung der Restschuldbefreiung  

Normenkette:
InsO § 4c Nr. 1, § 290 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Bei Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist sowohl im Kostenstundungsaufhebungsverfahren nach § 4c Nr. 1 InsO als auch im Versagungsverfahren nach § 290 InsO die Höhe der Gesamtstrafe maßgeblich. (Rn. 8 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wurde die Gesamtstrafe aus Verurteilungen wegen Taten iSd § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO und sonstiger Straftaten gebildet, ist eine "fiktive" Gesamtstrafe aus den Verurteilungen wegen der Taten iSd § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu bilden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzschuldner, Versagung der Restschuldbefreiung, Straftat, rechtskräftige Verurteilung, 90 Tagessätze, tatmehrheitlicher Bankrott, fiktive Gesamtstrafe, Stundung, Aufhebung, grobe Fahrlässigkeit
Vorinstanz:
AG Deggendorf, Beschluss vom 02.05.2024 – 1 IK 163/23
Fundstellen:
ZInsO 2024, 1952
ZVI 2024, 363
NZI 2024, 731
LSK 2024, 18000
BeckRS 2024, 18000

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 02.05.2024, Az. 1 IK 163/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Durch Beschluss vom 02.05.2024 hat das Amtsgericht Deggendorf, Abteilung für Insolvenzsachen, die vormals durch Beschluss vom 12.12.2023 bewilligte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Das Amtsgericht hat die Entscheidung auf § 4c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO gestützt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben zu Umständen gemacht hat, die für die Eröffnung des Verfahrens oder die Stundung maßgebend sind.
2
Gegen den Beschluss vom 02.05.2024 hat der Insolvenzschuldner durch Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17.05.2024, eingegangen bei dem Amtsgericht Deggendorf am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt. Es liege lediglich eine Verurteilung vor, welche die Erheblichkeitsschwelle des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht überschreite. Keine der im Strafbefehl vom 06.04.2023 enthaltenen Einzeltaten überschreite die Grenze von 90 Tagessätzen. Die Erwägungen zur Gesamtstrafenbildung hinsichtlich der Bankrott-Straftaten seinen dem Strafbefehl nicht zu entnehmen, da eine Gesamtstrafe hinsichtlich aller im Strafbefehl enthaltenen Straftaten gebildet wurde. Eine rein mathematische Berechnung der Gesamtstrafe würde sich verbieten. Zudem komme aufgrund des Wortlauts von § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Berücksichtigung einer Gesamtstrafe ohnehin nicht in Betracht, es komme auf die Strafe für eine einzelne Tat an.
3
Durch Beschluss vom 04.07.2024 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen, nachdem das Amtsgericht zuvor eine Stellungnahme des Bezirksrevisors eingeholt hatte, und die Sache dem Landgericht Deggendorf zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.
4
Zur Vervollständigung wird im Übrigen Bezug genommen auf die genannten Beschlüsse, die Beschwerdeschreiben, die Stellungnahme des Bezirksrevisors sowie den gesamten weiteren Akteninhalt.
II.
5
Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist zulässig, aber in der Sache erfolglos. Denn die Aufhebung der Stundung durch den angegriffenen Beschluss ist nicht zu beanstanden.
6
1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft, §§ 6 Abs. 1, 4d Abs. 1 InsO. Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt, § 6 Abs. 2 InsO, § 4 InsO, § 569 ZPO.
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2. Die sofortige Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.
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a) Dabei geht das Beschwerdegericht wie auch das Amtsgericht Deggendorf davon aus, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung gemäß § 4c Nr. 1, 1. Halbsatz InsO gegeben sind. Insoweit wird umfänglich auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 21.06.2024 Bezug genommen. Gemäß § 4c Nr. 1 InsO kann die Stundung aufgehoben werden, wenn der Schuldner vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben über Umstände gemacht hat, die für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Stundung maßgebend sind.
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Hier hat der Schuldner eine Verurteilung wegen Bankrotts verschwiegen, wobei es sich um vier tatmehrheitliche Straftaten des Bankrotts handelte, welche jeweils mit 70 Tagessätzen geahndet wurden. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung durch das Strafgericht wurde keine separate Gesamtstrafe für die hier ausschließlich einschlägigen Bankrott-Straftaten gebildet, sondern – wie üblich – eine Gesamtstrafe, die sämtliche im Strafbefehl enthaltenen Straftaten umfasst.
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b) Auch das Landgericht schließt sich den Ausführungen des Bezirksrevisors umfänglich an.
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aa) Zunächst kommt es bei einer Verurteilung wegen mehrerer Straftaten i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO und Bildung einer Gesamtstrafe auf die gebildete Gesamtstrafe an (Uhlenbruck/Sternal, 15. Aufl. 2019, InsO § 290 Rn. 38). Ein Abstellen auf die Einzelstrafe hinsichtlich der Insolvenzstraftat kommt es nur an, wenn eine Gesamtstrafe mit einer nicht für § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO relevanten Straftat gebildet wurde. Hier erfolgte eine Verurteilung wegen vier tatmehrheitlichen Fällen des Bankrotts, sodass es auf die hieraus zu bildende Gesamtstrafe ankommt.
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bb) Nachdem der Strafbefehl keine Gesamtstrafe hinsichtlich der vier Fälle des Bankrotts enthält, ist eine fiktive Gesamtstrafe zu bilden (Uhlenbruck/Sternal, 15. Aufl. 2019, InsO § 290 Rn. 38; OLG Celle, NZI 2001, 314 [316]; BGH, Beschluss vom 18.02.2010 – IX ZB 180/09 (LG Gera), NZI 2010, 349; Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 75. Zulassung zur Treuhandperiode Rn. 55). Auch das Landgericht geht davon aus, dass diese bei vier tatmehrheitlichen Fällen des Bankrotts mit Sicherheit über 90 Tagessätzen liegt (vgl. hierzu AG Stuttgart, Beschluss vom 08.02.2005 – 5 IN 1261/04, in welchem zwei Fälle des Bankrotts mit 60 und 70 Tagessätzen zugrunde lagen).
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cc) Im Hinblick auf die Höhe der im Strafbefehl verhängten Strafen und der zeitlichen Nähe zum Insolvenzantrag geht auch das Landgericht von einer zumindest groben Fahrlässigkeit des Schuldners aus.
14
c) Die Aufhebung der Stundung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beschwerde war deshalb zurückzuweisen.
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.