Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 04.07.2024 – 204 StRR 209/24
Titel:

Erstreckung einer Urteilsaufhebung wegen fehlerhafter Beweiswürdigung auf nicht revidierende Mitangeklagte

Normenketten:
StPO § 261, § 267, § 337 Abs. 1, § 357 S. 1
JGG § 55 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zum Begründungsumfang bei Geständnissen. (Rn. 8)
2. Zur Frage der Erstreckung der Revisionsentscheidung auf nicht revidierende Mitangeklagte.  (Rn. 15 – 21)
1. In Fällen, in denen der Angeklagte ein Geständnis ablegt, ist der Tatrichter verpflichtet, dieses einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Angeklagten iSd § 357 S. 1 StPO, die nicht Revision eingelegt haben, gehören nach dem Sinne des Gesetzes auch Mitangeklagte, die ihre Revision zurückgenommen haben. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beweiswürdigung, Geständnis, Revisionsverfahren, Urteilsaufhebung, Erstreckung, nichtrevidierende Angeklagte, Rücknahme, Widerspruch
Vorinstanz:
AG Ansbach, Urteil vom 06.11.2023 – 1 Ls 3101 Js 335/23
Fundstellen:
FDStrafR 2024, 017951
BeckRS 2024, 17951
StV 2024, 822
LSK 2024, 17951

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Ansbach vom 6. November 2023 mit den dazugehörigen Feststellungen insoweit aufgehoben, als er und die Mitangeklagten K. und O. wegen der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tatmehrheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall 3 des Urteils) schuldig gesprochen worden sind. Mit aufgehoben werden die hinsichtlich aller Angeklagten verhängten Rechtsfolgen.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision hinsichtlich des Angeklagten H., an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ansbach zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Ansbach hat mit Urteil vom 06.11.2023 den revidierenden Angeklagten H. sowie die nicht revidierenden Mitangeklagten K. und O. wegen der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tatmehrheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung, und den Mitangeklagten O. hierzu in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, sachlich zusammentreffend mit Bedrohung, schuldig gesprochen. Hinsichtlich des revidierenden Angeklagten H. hat es die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt sowie einen Warnschussarrest von einer Woche verhängt.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte H. mit bei Gericht am 13.11.2023 eingegangenen Schreiben seines Verteidigers Rechtsmittel eingelegt und dieses nach Zustellung des Urteils am 29.12.2023 mit Schreiben seines Verteidigers vom 03.01.2024, eingegangen am selben Tag, als Revision bezeichnet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 22.04.2024, auf die Revision das angefochtene Urteil aufzuheben.
II.
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Die Revision des Angeklagten H. hat mit der erhobenen Sachrüge (zumindest vorläufig) Erfolg. Das Urteil leidet an einem Darstellungsmangel.
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1. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt auf die Geständnisse der drei Angeklagten gestützt. Zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatsachverhalts ist in den Urteilsgründen ausgeführt:
„Alle Angeklagten präsentierten sich umfänglich geständig. Schuldeinsicht und Reue waren besonders von dem Angeklagten O. erkennbar, der auch im Fall 3 die Verantwortung für das gesamte Geschehen übernahm. Der Angeklagte H. hat sein Verhalten bereits im Kontakt mit der Polizei aufrichtig bedauert, seine Mittäter benannt und die Tragweite seines Verhaltens erkannt. In der Hauptverhandlung vermittelte er einen zurückhaltenden jedoch gut reflektierten Eindruck.
Der Angeklagte K. trug insoweit zur Aufklärung des Sachverhalts bei, als er mitteilte, dass auch nach dem Zusammentreffen mit L. eine Fortsetzung der Aktion geplant war, die letztlich durch den Kontakt mit einem Freund nicht weiter umgesetzt wurde. Inwieweit er sein Verhalten oder nur die Tatsache, sich dafür vor Gericht verantworten zu müssen, bedauert, war schwer feststellbar.“
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2. Diese Beweiserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn sie sind lückenhaft.
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a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich aufgrund des umfassenden Eindrucks der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter dabei ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Die Überzeugung des Tatrichters muss darüber hinaus in den Feststellungen und der den Feststellungen zugrunde liegenden Beweiswürdigung eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Beschluss vom 22.08.2013 – 1 StR 378/13 –, NStZ-RR 2013, 387, juris Rn. 7). Die schriftlichen Urteilsgründe müssen deshalb nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen, ihre rechtliche Würdigung sowie die für die Entscheidung der Straffrage maßgeblichen Erwägungen wiedergeben (vgl. § 267 StPO); der Tatrichter ist außerdem verpflichtet, seine Beweiserwägungen so geschlossen und aus sich heraus verständlich in den schriftlichen Urteilsgründen niederzulegen, dass die Beweiswürdigung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle anhand des genannten Maßstabes einer sachlich-rechtlichen Überprüfung zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 29.12.2015 – 2 StR 322/15 –, NStZ-RR 2016, 147, juris Rn. 5 m.w.N.).
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Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst auch die Verpflichtung, die Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Angeklagte ein Geständnis ablegt, denn ein Geständnis enthebt den Tatrichter nicht von seiner Pflicht, dieses einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Legt der Tatrichter das Geständnis des Angeklagten seinen Feststellungen in vollem Umfange zugrunde, weil er es für glaubhaft erachtet, so ist er zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, es in den Urteilsgründen in allen seinen Einzelheiten zu dokumentieren, um dem Revisionsgericht eine Kontrolle seiner Entscheidung zu ermöglichen. Es kann vielmehr – je nach den Umständen des Einzelfalls – genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen. Erforderlich ist außerdem, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, aus welchen Gründen er das Geständnis des Angeklagten für glaubhaft erachtet. Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist (BGH, Beschluss vom 29.12.2015 – 2 StR 322/15 –, NStZ-RR 2016, 147, juris Rn. 6).
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b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Amtsgericht teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten H. nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhängen. Es bleibt unklar, ob er in eigenen Worten ein detailliertes Geständnis abgelegt und Nachfragen beantwortet oder etwa pauschal – gegebenenfalls über eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als zutreffend bezeichnet hat. Eine auch nur gedrängte Wiedergabe des Inhalts des Geständnisses ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die zusammenfassende Wertung, „alle Angeklagten präsentierten sich umfassend geständig“, genügt hierfür nicht. Denn sie lässt den inhaltlichen Gehalt der Einlassung selbst nicht erkennen. Dies gilt in Bezug auf den Angeklagten H. auch hinsichtlich der Feststellung, er habe sein Fehlverhalten bereits im Kontakt mit der Polizei aufrichtig bedauert, seine Mittäter benannt und die Tragweite seines Verhaltens erkannt. Insoweit ist weder erkennbar, worauf diese Feststellung beruht (auf den eigenen Angaben des Angeklagten, auf einer Erklärung des Verteidigers oder auf der Aussage des den Angeklagten vernehmenden Polizeibeamten), noch auf welches konkrete Fehlverhalten sich sein Bedauern bezogen hat.
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Auch eine (nachvollziehbare) Bewertung des Geständnisses für sich genommen enthalten die Urteilsgründe nicht. An die weitere Überprüfung des Geständnisses sind zwar geringere Anforderungen zu stellen, wenn es mit Angaben der Geschädigten übereinstimmt und das Tatgericht diese Angaben nachvollziehbar für glaubhaft erachtet. Hieran fehlt es aber. Die Urteilsgründe teilen den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen der Geschädigten zum vorgeworfenen Sachverhalt, soweit diese überhaupt erfolgt sind, nicht – auch nicht gedrängt – mit. Mitgeteilt werden insoweit lediglich die von den Geschädigten geschilderten Tatfolgen. Eine Bewertung der Zeugenaussagen fehlt ebenso.
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c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Darlegungsmängeln beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
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3. Da die genannten Darstellungsmängel Verletzungen des materiellen Rechts darstellen, war die Aufhebung des Urteils gemäß § 357 Satz 1 StPO insoweit auf die Mitangeklagten K. und O. zu erstrecken, als diese wegen derselben prozessualen Tat (das ist vorliegend der vom Jugendschöffengericht abgeurteilte Fall II.3. – Tatzeit 17.05.2023 –) verurteilt worden sind.
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a) Bei den genannten Fehlern der Beweiswürdigung handelt es sich um einen Verstoß des Tatgerichts gegen das materielle Recht im Sinne des § 357 Satz 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 357 Rn. 5 m.w.N.; BeckOK StPO/Wiedner, 51. Ed. 01.01.2024, § 357 Rn. 8 und § 337 Rn. 20 m.w.N.).
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b) Nur beim Fall II.3. des angegriffenen Urteils als selbstständigem, von den Fällen II.1 und II.2 des Urteils abgrenzbarem tatsächlichem Ereignis (vgl. hierzu KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 8 f.), waren alle Mitangeklagten beteiligt.
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c) Zu den Angeklagten im Sinne des § 357 Satz 1 StPO, die nicht Revision eingelegt haben, gehören nach dem Sinne des Gesetzes auch Mitangeklagte, die ihre Revision zurückgenommen haben (KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 12 m.w.N.; BeckOK StPO/Wiedner, a.a.O., § 357 Rn. 4). So verhält es sich hier.
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Der Mitangeklagte K. hat mit Schreiben seines Verteidigers vom 13.11.2023 am selben Tag „Rechtsmittel“ eingelegt und dieses mit Schreiben seines Verteidigers vom 03.01.2024 zurückgenommen. Der Mitangeklagte O. hat mit Schreiben seiner Verteidigerin vom 13.11.2023 am selben Tag „Rechtsmittel“ eingelegt und dieses mit Schreiben seiner Verteidigerin vom 20.12.2023 zurückgenommen. Die Rücknahmen erfolgten jeweils vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, so dass die Rechtsmittel nicht als Einlegung der Berufung gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.1951 – 3 StR 691/51 –, BGHSt 2, 63, juris Rn. 22). Es liegt auch kein Fall vor, in dem die Revisionseinlegung gesetzlich ausgeschlossen ist. Der Erstreckung auf die beiden Mitangeklagten steht insbesondere § 55 Abs. 2 JGG nicht entgegen, da deren Rechtsmittel nicht als Berufung gelten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 09.05.2006 – 1 StR 57/06 –, BGHSt 51, 34, Tenor und juris Rn. 20 ff.).
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d) Die Mitangeklagten K. und O. sind von derselben Rechtsverletzung betroffen. Hierfür genügt es, dass das angefochtene Urteil teilweise aus Gründen aufgehoben wird, die auch zugunsten eines nicht beschwerdeführenden Mitangeklagten in entsprechendem Umfang zur Aufhebung hätten führen müssen. Diese Voraussetzung ist auch gegeben, wenn es sich nur um eine – auf dasselbe Tatgeschehen bezogene – gleichartige Verletzung des sachlichen Rechts handelt. Es reicht also aus, wenn sachlichrechtliche Erwägungen, die zur Aufhebung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Urteils geführt haben, in gleicher Weise auch zugunsten der Nichtrevidenten hätten angestellt werden müssen, so etwa bei allgemeinen, dem Urteil insgesamt anhaftenden Feststellungsmängeln (KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 13 f. m.w.N.; Temming in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 357 Rn. 13). Dies ist hier der Fall.
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e) Die nicht revidierenden Angeklagten sind vom Senat mit Verfügung vom 15.05.2024 zur Frage der Erstreckung der Urteilsaufhebung über ihre Verteidiger, deren Mandatspflicht insoweit fortwirkt (BGH, Urteil vom 28.10.2004 – 5 StR 276/04 –, NJW 2005, 374, juris Rn. 34), angehört worden (vgl. zur Erforderlichkeit der Anhörung auch Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 357 Rn. 24 f.). Dies entspricht der vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs begründeten und nunmehr auch vom 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs geteilten Rechtsprechung, wodurch diesen ermöglicht werden soll, eine Erstreckungsentscheidung gegebenenfalls durch Widerspruch zu verhindern (vgl. – für Fälle, in denen eine den Nichtrevidenten nicht unmittelbar begünstigende, ihn nach Zurückversetzung der Sache möglicherweise belastende Entscheidung nach § 357 StPO in Betracht kommt – Urteil vom 28.10.2004 – 5 StR 276/04 –, NJW 2005, 374, juris Rn. 34; so im Ergebnis auch – ohne eine solche einschränkende Begründung – Urteil vom 07.02.2008 – 5 StR 242/07 –, NJW 2008, 1460, juris Rn. 30; Beschlüsse vom 25.11.2013 – 5 StR 475/13 –, juris Rn. 3; vom 18.02.2014 – 5 StR 41/14 –, NStZ 2015, 156, juris Rn. 6; vom 05.05.2021 – 6 StR 133/21 –, juris Rn. 8 f. m.w.N.; weitergehend SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl. 2018, § 357 Rn. 11 und Wohlers/Gaede, NStZ 2004, 9, 17: Anhörung und Zustimmung des Nichtrevidierenden erforderlich). Die anderen Strafsenate des Bundesgerichtshofs verhalten sich – soweit ersichtlich – in neueren Entscheidungen, in denen sie die Erstreckung der Urteilsaufhebung auf nicht revidierende Mitangeklagte aussprechen, zum Erfordernis der vorherigen Anhörung und dem Bestehen eines Widerspruchsrechts nicht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 19.08.2020 – 1 StR 474/19 –, NJW 2021, 326, juris Rn. 30; vom 06.03.2024 – 1 StR 308/23 –, juris Rn. 9, 26 f. [zum Nebenbeteiligten]; Beschlüsse vom 02.07.2015 – 2 StR 146/15 –, NJW 2015, 3525, juris Rn. 9; vom 23.09.2009 – 2 StR 305/09 –, NStZ 2010, 32, juris Rn. 5; vom 15.02.2024 – 2 StR 329/22 –, juris Rn. 13; vom 03.04.2012 – 3 StR 73/12 –, juris Rn. 3; vom 24.01.2024 – 3 StR 354/23 –, juris Rn. 18; vom 28.01.2020 – 4 StR 599/19 –, NStZ-RR 2020, 122, juris).
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Entsprechend verhält es sich bei Entscheidungen des 5. und des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu aufgehobenen Einziehungsentscheidungen (Beschlüsse vom 02.08.2022 – 5 StR 106/22 –, juris Rn. 3; vom 28.11.2023 – 6 StR 497/23 –, juris Rn. 6) sowie zum Sonderfall der Verfahrenseinstellung wegen eines Verfahrenshindernisses (Beschluss vom 30.04.2024 – 6 StR 66/24 –, juris Rn. 3) und – mit einer Ausnahme (s. sogleich) – bei der der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2004 zeitlich nachfolgenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.03.2011 – 2 Ss 90/11 –, juris Rn. 10; OLG Hamm, Beschluss vom 17.11.2009 – 3 Ss 447/09 –, juris Rn. 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 28.01.2008 – 1 Ss 331/07 –, juris Rn. 7; so auch schon BayObLG, Beschluss vom 24.06.2002 – 5St RR 150/02 –, juris Rn. 15 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2003 – 1 Ss 654/03 –, StraFo 2004, 213, juris Rn. 15; OLG München, Beschluss vom 12.05.2005 – 5St RR 037/05 –, juris Rn. 6; s.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2009 – III-2 Ss 215/09 – 148/09 I –, juris Rn. 9 zur Verfahrenseinstellung wegen eines Verfahrenshindernisses). Das Oberlandesgericht Hamm geht ausdrücklich davon aus, dass es einer vorherigen Anhörung der nicht revidierenden Angeklagten grundsätzlich nicht bedürfe. Ein Fall, in dem eine den Nichtrevidenten nicht unmittelbar begünstigende, ihn nach Zurückverweisung der Sache möglicherweise belastende Entscheidung nach § 357 StPO in Betracht kommt, liege nicht vor (Beschluss vom 24.07.2018 – III-4 RVs 84/18 –, juris Rn. 12).
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Anknüpfend an die frühere Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, wonach die Erstreckung der Urteilsaufhebung auf den nichtbeschwerdeführenden Angeklagten „über seinen Kopf “ hinweg erfolgt (BGH, Urteil vom 27.10.1964 – 1 StR 358/64 –, BGHSt 20, 77, juris Rn. 6) und damit zwingend ist (BGH, Beschluss vom 16.09.1971 – 1 StR 284/71 –, BGHSt 24, 208, juris Rn. 15), geht die Kommentarliteratur überwiegend davon aus, dass die Erstreckung für die Nichtrevidenten nicht verzichtbar ist (HK-GS/Peter Rackow, 5. Aufl. 2022, StPO § 357 Rn. 9), demgemäß eine Anhörung der Nichtrevidenten mangels deren Beteiligung am Revisionsverfahren nicht erforderlich ist und ein Widerspruch gegen die von Amts wegen zwingend auszusprechende Erstreckung unzulässig ist (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 357 Rn. 16; BeckOK StPO/Wiedner, a.a.O., § 357 Rn. 6, 19 und 19.1; Temming in: Gercke/ Temming/Zöller, StPO, a.a.O., § 357 Rn. 16; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, § 357 Rn. 33; Dahs, Revision im Strafprozess, 9. Aufl. 2017, Teil 7 Rn. 629; kritisch auch BGH, Beschluss vom 09.05.2006 – 1 StR 57/06 –, BGHSt 51, 34, juris Rn. 29; differenzierend KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 17).
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In der neueren Kommentierung zu § 357 StPO wird zwar überwiegend erkannt, dass die Erstreckung der Urteilsaufhebung „über den Kopf des Mittäters“ hinweg mit der heutigen Auffassung der Stellung des Angeklagten als Subjekt und nicht als Objekt des Verfahrens unvereinbar erscheint (so Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 357 Rn. 1 und 1a; Franke in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 357 Rn. 1; wohl auch BeckOK StPO/Wiedner, a.a.O., § 357 Rn. 2 und 19) und zahlreiche unerwünschte Folgen – etwa in der zeitaufwendigen Durchführung einer neuen Hauptverhandlung, der wieder auflebenden Untersuchungsstatt der fortdauernden Strafhaft (§ 357 Satz 2 i.V.m. § 47 Abs. 2 StPO), der Auferlegung weiterer Verfahrenskosten – nach sich ziehen kann (vgl. KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 17; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, a.a.O., § 357 Rn. 25; BeckOK StPO/Wiedner, a.a.O., § 357 Rn. 6). Dennoch wird hieraus aber lediglich teilweise der Schluss gezogen, dass § 357 StPO entsprechend seiner Stellung als eng auszulegende Ausnahmevorschrift (s. hierzu BGH, Beschluss vom 27.10.1955 – 3 StR 316/55 –, NJW 1955, 1934, 1935) durch eine enge Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale einschränkend auszulegen sei (so bereits Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 357 Rn. 1; Franke in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 357 Rn. 3 und 11; Temming in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, a.a.O., § 357 Rn. 2 und Rn. 8 zur Beschränkung der Aufhebungsgründe auf den Bereich des formellen Rechts; s.a. MüKoStPO/Knauer/Kudlich, a.a.O., § 357 Rn. 4 f.; Dahs, Revision im Strafprozess, a.a.O., Teil 7 Rn. 629; s. hierzu die zahlreichen Nachweise bei SK-StPO/Wohlers, a.a.O., § 357 Rn. 4 Fn. 16; kritisch hierzu ders., Rn. 7). Mit wenigen Ausnahmen (s. SK-StPO/Wohlers, a.a.O., § 357 Rn. 11) werden nach geltender Rechtslage (de lege lata) in der Kommentarliteratur eine Anhörung oder gar die Zulassung eines Widerspruchs gegen die Erstreckung nach wie vor abgelehnt (so BeckOK StPO/Wiedner, a.a.O., § 357 Rn. 6 und 19.1; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, a.a.O., § 357 Rn. 33; Temming in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, a.a.O., § 357 Rn. 16; differenzierend Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, a.a.O., § 357 Rn. 25: zwar vorherige Anhörung, aber kein Widerspruchsrecht).
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Der Senat, der entsprechend der Rechtsprechung des 5. und des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs die nicht revidierenden Angeklagten angehört hat, braucht diesen Streit nicht abschließend zu entscheiden. Auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung zur Möglichkeit eines Widerspruchs steht einer Erstreckung der Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten nichts entgegen. Denn der Verteidiger des Mitangeklagten K. hat mit Schreiben vom 10.06.2024 ausdrücklich erklärt, dass der Erstreckung nicht widersprochen wird. Die Verteidigerin des Mitangeklagten O. hat mit Schreiben vom 26.06.2024 ebenfalls ausdrücklich erklärt, dass der Erstreckung nicht widersprochen wird.
III.
23
Auf die Revision des Angeklagten H. hin ist daher das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 und 2 StPO) aufzuheben.
24
Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, die insoweit nur den revidierenden Angeklagten H., nicht aber die nicht revidierenden Mitangeklagten betreffen und diesen auch nicht auferlegt werden dürfen (vgl. KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 357 Rn. 19; Franke in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 357 Rn. 24) – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ansbach zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).