Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 19.06.2024 – 204 StObWs 257/24
Titel:

Strafvollzug – anstaltsinterne Verlegung als gerichtlich überprüfbare Ermessensentscheidung

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1
StVollzG § 8 Abs. 1, Abs. 2, § 14 Abs. 2 Satz 2, § 109 Abs. 1 Satz 1
BayStVollzG Art. 10 Abs. 1, Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2
Leitsätze:
1. Eine anstaltsinterne Verlegung stellt eine gerichtlich überprüfbare Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dar, die auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen und seine aufgebauten sozialen Kontakte einwirken kann und geeignet ist, ihn in seinen Persönlichkeitsrechten zu verletzen. (Rn. 7)
2. Ein Gefangener hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung eines bestimmten Haftraums oder darauf, dass er sich bestimmte Ausstattungsmerkmale des Haftraums bzw. einen bestimmten Mitinsassen aussuchen darf; die Vollzugsbehörde kann allein nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen entscheiden. (Rn. 10)
3. Dieses Ermessen kann gegenüber dem Gefangenen dann eingeschränkt sein, wenn ihm bislang günstigere Vollzugsbedingungen zuteil geworden sind. In einem solchen Fall stellt die Herausnahme aus dem bisherigen günstigeren Bereich die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG (bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG) zurückgenommen werden darf. (Rn. 12)
Schlagworte:
Verlegung, Haftraum, Ermessen, begünstigender Verwaltungsakt, Vollzugsbedingungen, Mitinsasse, Rücknahme, Wohngruppenvollzug
Vorinstanz:
LG Augsburg, Beschluss vom 23.04.2024 – 2 LL StVK 8/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17948

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen Z. gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech vom 23. April 2024 wird auf seine Kosten einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.
2. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 500 € festgesetzt.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 15. Dezember 2024 – ergänzt durch Schreiben vom 1. Januar 2024 – begehrte der Strafgefangene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung seiner Verlegung in einen anderen Haftraum der Justizvollzugsanstalt L. sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung dieser Verlegung.
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Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech hat diesen Antrag mit Beschluss vom 23. April 2024 als unbegründet zurückgewiesen.
3
Gegen diesen ihm am 25. April 2024 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene zur Niederschrift der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech am 22. Mai 2024 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er mit der Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts die Aufhebung des Beschlusses, die Entscheidung nach seinen Anträgen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. G. beantragt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt im Schreiben vom 3. Juni 2024, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unzulässig zu verwerfen.
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Hierzu nahm der Beschwerdeführer mit Anmerkungen vom 13. Juni 2024 auf dem Zuleitungsschreiben des Senats vom 11. Juni 2024 Stellung.
II.
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1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig, da die Anordnung und Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Verlegung eines Gefangenen in einen anderen Haftraum wegen der diskriminierenden Auswirkungen einen erheblichen Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG haben kann (vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 24. April 1985 – 3 Ws 63/85 –, NStZ 1985, 480).
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2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist, wovon auch die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgegangen ist, zulässig, da die anstaltsinterne Verlegung des Antragstellers eine Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG darstellt. Die Verlegung eines Gefangenen in einen anderen Haftraum oder eine andere Abteilung innerhalb einer Anstalt ist, anders als die externe Verlegung bzw. Überstellung (vgl. hierzu Art. 10 BayStVollzG), gesetzlich nicht geregelt. Sie ist aber, da sie für den Gefangenen eine belastende Maßnahme darstellen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2015 – 2 BvR 869/15 –, NStZ-RR 2015, 355, juris Rn. 16), gerichtlich überprüfbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. August 1989 – 1 Vollz (Ws) 82/89 –, NStZ 1989, 592; so zur Doppelbelegung eines Haftraums auch KG, Beschluss vom 29. Februar 2008 – 2 Ws 529/07 Vollz –, StV 2008, 366, juris Rn. 12 f.). Denn sowohl die Verlegung von der bisherigen Abteilung in eine andere Abteilung derselben Anstalt als auch die Verlegung von dem bislang zugewiesenen Haftraum in einen anderen Haftraum können als Realakte Maßnahmen im Sinne von § 109 StVollzG darstellen, die auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen und seine aufgebauten sozialen Kontakte einwirken (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 6. April 2017 – 3 Ws 156/17 (StrVollz) –, juris Rn. 9 m.w.N.) und geeignet sind, ihn in seinen Persönlichkeitsrechten zu verletzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. August 1989 – 1 Vollz (Ws) 82/89 –, NStZ 1989, 592). Dies hat der Senat in einer nicht veröffentlichten Entscheidung vom 24. März 2020 (Az. 204 StObWs 2466/19) etwa für den Fall einer Verlegung des Antragstellers von der Wohngruppe in eine normale Abteilung der Justizvollzugsanstalt angenommen.
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3. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung aber zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.
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a) Durch die Anordnung der Verlegung in einen anderen Haftraum sind keine schutzwürdigen Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden.
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aa) Ein Gefangener hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung eines bestimmten Haftraums (vgl. nur KG, Beschluss vom 22. Oktober 2012 – 2 Ws 409/12 Vollz –, NStZ-RR 2013, 122, juris Rn. 16) oder darauf, dass er sich bestimmte Ausstattungsmerkmale des Haftraums bzw. einen bestimmten Mitinsassen aussuchen darf (vgl. KG, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 5 Ws 662/02 Vollz –, juris Rn. 8; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. September 2013 – 3 Ws 768/13 (StVollz) –, NStZ-RR 2014, 191, juris Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, 16. Ed. 1.6.2024, StVollzG Bln § 17 Rn. 8). Auch Verlegungen innerhalb der Anstalt sind regelmäßig an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung für eine Verlegung innerhalb der Anstalt lässt vielmehr erkennen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers über die Frage, in welchem Bereich der Anstalt der einzelne Gefangene unterzubringen ist, die Vollzugsbehörde allein nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen entscheiden soll (vgl. KG, Beschlüsse vom 22. Oktober 2012 – 2 Ws 409/12 Vollz –, NStZ-RR 2013, 122, juris Rn. 16; vom 14. Januar 2003 – 5 Ws 662/02 Vollz, juris Rn. 8; vom 13. Februar 1986 – 5 Ws 541/85 –, NStZ 1986, 479; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. September 2013 – 3 Ws 768/13 (StVollz) –, NStZ-RR 2014, 191, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 5 Ws 70/18 (R) –, juris Rn. 9; Verrel, in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kapitel D Rn. 21; Arloth, in Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. 2021, § 8 Rn. 1; Arloth, in: BeckOK Strafvollzug Bayern, 20. Ed. 01.04.2024, BayStVollzG Art. 10 Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, 16. Ed. 1.6.2024, StVollzG Bln § 17 Rn. 7; and. Ans. aber OLG Celle, Beschluss vom 2. Februar 2007 – 1 Ws 623/06 –, NStZ-RR 2007, 192, juris Rn. 6 zum Ausnahmefall der Verlegung in eine mehr als 200 km entfernt liegende Zweigstelle). Dieses Ermessen ist sachbezogen und frei von Willkür auszuüben (vgl. KG, Beschluss vom 22. Oktober 2012 – 2 Ws 409/12 Vollz –, NStZ-RR 2013, 122, juris Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 8. August 1989 – 1 Vollz (Ws) 82/89 –, NStZ 1989, 592) und unterliegt lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (OLG Celle, Beschluss vom 6. April 2017 – 3 Ws 156/17 (StrVollz), juris Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 5 Ws 70/18 (R) –, juris Rn. 9).
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Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, da die Verlegung innerhalb einer Haftanstalt mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein kann, unterliege sie den gleichen, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgestellten Einschränkungen wie die Verlegung von einer Haftanstalt in eine andere. In der Kommentarliteratur wird zwar vereinzelt angenommen, für interne Verlegungen sei der Rechtsgedanke des für externe Verlegungen geltenden § 8 Abs. 1 StVollzG (entspricht Art. 10 Abs. 1 BayStVollzG) heranzuziehen (vgl. Lindner, in Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl. 2020, 2. Kap. Abschn. D Rn. 4; ablehnend BeckOK Strafvollzug Bund/Anstötz, 25. Ed. 1.2.2024, StVollzG § 8 Rn. 4) oder der für Überstellungen geltende § 8 Abs. 2 StVollzG (entspricht Art. 10 Abs. 2 BayStVollzG) analog anzuwenden (vgl. Weßels/Böning, in: Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl. 2022, § 16 LandesR Rn. 16 aE). Dem folgt der Senat jedoch unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung und Kommentarliteratur nicht.
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bb) Damit handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt. Dieses Ermessen kann gegenüber dem Strafgefangenen dann eingeschränkt sein, wenn ihm bislang aufgrund eines vom Anstaltsleiter geschaffenen Vollzugsgefälles günstigere Vollzugsbedingungen zuteil geworden sind. In einem solchen Fall stellt die Herausnahme aus dem bisherigen günstigeren Bereich die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG (bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG) zurückgenommen werden darf (vgl. KG, Beschluss vom 22. Oktober 2012 – 2 Ws 409/12 Vollz –, NStZ-RR 2013, 122, juris Rn. 17). So kann etwa die Verlegung eines Gefangenen in den behandlungsorientierten Wohngruppenvollzug eine begünstigende Maßnahme mit Dauerwirkung darstellen, mit der Folge, dass dem Anstaltsleiter kein freies Belegungsermessen mehr zusteht und die allgemeinen Regeln zur Aufhebung und zum Widerruf begünstigender Verwaltungsakte bei der Ablösung aus einer Wohngruppe gelten (vgl. KG, Beschluss vom 4. Juni 2004 – 5 Ws 227/04 Vollz –, NStZ 2005, 51; Weßels/Böning, in: Feest/Lesting/ Lindemann, a.a.O., § 13 LandesR Rn. 9; § 16 LandesR Rn. 16).
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Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Dass der bisherige Haftraum eine bessere Ausstattung aufweist und aufgrund seiner Lage Sonnenlichteinfall hat, was beim neuen Haftraum nicht mehr der Fall ist, stellt keinen vergleichbaren begünstigenden Umstand dar.
14
Abgesehen von den dargestellten Fällen günstigerer Vollzugsbedingungen oder sonstigen rechtlich schutzwürdigen Interessen des Gefangenen wird durch die Zuweisung eines Gefangenen zu einem Haftraum für diesen kein Recht oder rechtlich erheblicher Vorteil begründet oder bestätigt, so dass anstaltsinterne Verlegungen, jedenfalls sofern damit kein Ortswechsel, sondern allein ein Wechsel der Station oder des Gebäudes am selben Standort verbunden ist, einen in rechtlicher Hinsicht neutralen und somit keinen begünstigenden Verwaltungsakt darstellen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. September 2013 – 3 Ws 768/13 (StVollz) –, NStZ-RR 2014, 191 juris Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, 16. Ed. 1.6.2024, StVollzG Bln § 17 Rn. 8).
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cc) Auch handelt es sich um keine willkürliche interne Verlegung. Grund hierfür war vielmehr nach dem nachvollziehbaren Vorbringen der Anstalt die für das Jahr 2024 geplante Durchführung von Renovierungsarbeiten im C-Flügel des Haupthauses der Anstalt. Senatsbekannt werden seit geraumer Zeit umfangreiche Baumaßnahmen zur Sanierung und Modernisierung der ab dem Jahr 1904 errichteten Justizvollzugsanstalt L. durchgeführt (vgl. https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche% 20Anfragen/17_0018220.pdf; https://www.augsburger-allgemeine.de/l.../l...-dieneue-mauer-fuer-die-jva-l...-laesst-auf-sich-warten-id66200926.html).
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dd) Soweit der Beschwerdeführer den Zustand des neuen Haftraums rügt, handelt es sich somit nicht um einen Umstand, der der Verlegung aus dem bisherigen Haftraum entgegensteht. Sollte er insoweit eine menschenunwürdige Unterbringung geltend machen, steht es ihm frei, einen entsprechenden Antrag an die Justizvollzugsanstalt zu stellen, Abhilfe zu schaffen oder ihm einen Haftraum zuzuweisen, der die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung erfüllt, und gegebenenfalls im Falle der Ablehnung, eine entsprechende Verpflichtungsklage zu erheben. Hierbei handelt es sich um ein anderes Rechtsschutzziel, das mit der verfahrensgegenständlichen Feststellungsklage nicht erreicht werden kann.
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b) Zutreffend geht die Strafvollstreckungskammer auch davon aus, dass die Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung des Umzugs in einen anderen Haftraum nicht zu beanstanden ist. Der unmittelbare Zwang wurde gemäß Art. 105 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG von der Justizvollzugsanstalt angedroht und war auch in der Ausführung verhältnismäßig, indem der Strafgefangene mit sanftem Nachdruck aus seinem Haftraum geführt und nachfolgend, nachdem er seinen Widerstand eingestellt hatte, in den neuen Haftraum begleitet wurde.
III.
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Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus Art. 208 BayStVollzG, § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
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Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zurückzuweisen (§ 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).