Titel:
unzulässiger Asylfolgeantrag (Irak)
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 28 Abs. 3, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Wurde der Kläger über seine Verpflichtung aus § 10 Abs. 1 AsylG ordnungsgemäß belehrt und ist sein Aufenthaltsort unbekannt, entfällt sein Rechtsschutzinteresse für das Klageverfahren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Derzeit muss ein irakischer Christ in der Autonomen Republik Kurdistan nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung durch den IS als quasi-staatliche Macht oder durch andere Akteure befürchten. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, Asylfolgeantrag, fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, unbekannter Aufenthalt, vorgetragene Konversion zum Christentum (unglaubwürdig), subjektiver Nachfluchtgrund, Konversion, Christentum, Rechtsschutzbedürfnis, innerstaatliche Fluchtalternative
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1755
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland bzw. hilfsweise das Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten.
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Der am ... in ...(Irak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und bisherigem muslimischen Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 6. August 2021 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 31. August 2021 Asylerstantrag stellte.
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Nach erfolgloser Durchführung eines Dublin-Verfahrens (Abschiebungsanordnung nach Österreich) wurde der vorbezeichnete Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts ... (im Folgenden: Bundesamts) vom 27. April 2022 (...) als unzulässig abgelehnt, weiter festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu Gunsten des Klägers nicht vorliegen und diesem die Abschiebung in den Irak angedroht. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
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Die hiergegen zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg gerichtete Klage (Az. Au 1 K 22.30554) wurde mit Urteil vom 3. November 2022 nach teilweiser Rücknahme der Klage abgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen. Der zur Weiterverfolgung des Begehrens des Klägers zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Gerichtsbeschluss vom 11. September 2023 (Az. ...), auf den verwiesen wird, abgelehnt.
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Unter dem 25. Oktober 2023 stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung trug er vor, dass er nicht in den Irak zurückkehren könne, weil sein Leben dort in Gefahr sei. Er habe weder Verwandte noch Familie im Irak. Von seinen drei Geschwistern lebe eine Person in Deutschland, ein Bruder und eine Schwester seien unbekannten Aufenthalts. Er habe bereits im Jahr 2021 Asylantrag gestellt. Seit er sich in Deutschland befinde, habe er ein Interesse an der christlichen Religion, der Religion des Friedens und der Liebe. An diese Liebe habe er geglaubt und daher angefangen, in die Kirche zu gehen. Zuvor sei er Moslem gewesen. Weil er Moslem gewesen sei und jetzt zum Christentum konvertiert sei, werde er im Irak als „M.“ (Abtrünniger) betrachtet. Daher werde man ihn bei einer Rückkehr in den Irak umbringen, da er als Verräter betrachtet werde.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 30. Oktober 2023 (Gz. ...) wurde der Asylfolgeantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1. des Bescheids). In Nr. 2. des Bescheids wird der weitergehende Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 27. April 2022 bezüglich der Feststellung zu nationalem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ebenfalls abgelehnt. Nr. 3. des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristet es auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Antrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 Asylgesetz (AsylG) ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien, folglich zu Gunsten des Klägers Wiederaufgreifensgründe vorlägen. Solche Gründe seien hier nicht ersichtlich. Auch besitze der Kläger keinen Anspruch auf abweichende Feststellung zum Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Diese Befristung sei vorliegend angemessen. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 30. Oktober 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 8. November 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2023, Gz., wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG zuzuerkennen.
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3. Die Beklagte wird hilfsweise verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Eine Begründung der Klage ist nicht erfolgt.
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Das Bundesamt ist für die Beklagte der Klage mit Schriftsatz vom 14. November 2023 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
18
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. November 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Ein vom Kläger gestellter Antrag vorläufigen Rechtsschutzes (Az. Au 9 S 23.31045) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. November 2023 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
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Das Bundesamt teilte dem Gericht mit Schriftsatz vom 19. Januar 2024 mit, dass der Kläger seit dem 1. Januar 2024 unbekannten Aufenthalts sei.
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Am 5. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2024 in der Sache entscheiden, da die Beteiligten gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bei der auch im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen wurden, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
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1. Die Klage ist bereits wegen fehlenden Rechtschutzbedürfnisses unzulässig. Der Kläger ist derzeit aufgrund der Mitteilung des Bundesamts an das Gericht vom 19. Januar 2024 erneut unbekannten Aufenthalts. Er hat weder dem Bundesamt noch dem Verwaltungsgericht seinen derzeitigen Aufenthaltsort mitgeteilt. Auch von Seiten der Bevollmächtigten des Klägers erfolgte keine Mitteilung der derzeitigen Anschrift des Klägers. Auch die Anfrage des Gerichts zur Fortführung der Klage vom 19. Januar 2024 blieb von Seiten der Bevollmächtigten des Klägers unbeantwortet. Dadurch hat der Kläger seine durch § 10 Abs. 1 AsylG begründete Obliegenheit, über die er in seiner Muttersprache gegen Unterschrift belehrt wurde, verletzt. Durch das „Untertauchen“ des Klägers ist sein Rechtsschutzinteresse für das Klageverfahren entfallen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2010 – 20 B 10.3183 – juris; VG Augsburg, U.v. 19.12.2011 – Au 5 K 10.30158 – juris; VG Augsburg, U.v. 25.3.2013 – Au 5 K 13.30024 – juris). Da das Rechtsschutzinteresse eine Zulässigkeitsvoraussetzung für jede Klage darstellt, führt dessen Wegfall zum Prozessverlust.
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Nach allem war die Klage daher bereits als unzulässig abzuweisen.
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2. Lediglich zur Ergänzung weist das erkennende Gericht darauf hin, dass die Klage jedoch auch in der Sache ohne Erfolg geblieben wäre. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 71 AsylG) zu, noch besitzt der Kläger einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts vom 30. Oktober 2023 (Gz. ...) ist rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Das Vorbringen des Klägers im Asylfolgeverfahren, dass er sich zwischenzeitlich dem Christentum zugewendet hat, ist nicht geeignet, zu einer von der bestandskräftigen Entscheidung im Asylerstverfahren des Klägers abweichenden Entscheidung zu seinen Gunsten zu gelangen. Die Beklagte hat die Durchführung eines Folgeverfahrens und die Änderung der Entscheidung über nationale Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG zu Recht abgelehnt.
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Zur Begründung der Ablehnung der Durchführung eines Folgeverfahrens wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen auf die zutreffenden Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids vom 30. Oktober 2023 (Gz. ...), denen das Gericht folgt.
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Ergänzend gilt zum Vortrag des Klägers im Asylfolgeverfahren Folgendes. Die vorgetragene zwischenzeitliche Zuwendung zum Christentum vermag keine abweichende Entscheidung zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3, 4 AsylG zu Gunsten des Klägers zu begründen. Selbst wenn man von einer ernsthaften inneren Zuwendung des Klägers zum Christentum ausgehen wollte, ist dieser Vortrag nicht geeignet, dem Kläger internationalen Schutz im Sinne der §§ 3, 4 AsylG zu gewähren. Eine irgendwie geartete individualisierte Verfolgungsfurcht bei einer Rückkehr in den Irak lässt sich hieraus nicht begründen.
30
Die Gefahr einer Gruppenverfolgung von Christen durch den IS ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht beachtlich wahrscheinlich. Dies gilt jedenfalls für die Region K. Irak (RKI), die für den Kläger eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG darstellt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sprechen stichhaltige Gründe i.S.v. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU dagegen, dass der Kläger bei Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der RKI von Verfolgung oder einem Schaden durch den IS als quasi-staatliche Macht i.S.v. § 3c Nr. 2 AsylG bedroht sein würde. Denn die Aktivitäten des IS seit dem vollständigen Verlust seines territorialen Herrschaftsgebietes rechtfertigen nicht die Annahme einer Gruppenverfolgung von Minderheiten, hier den Christen. Anhaltspunkte dafür, dass der IS in der Region K.-Irak derart erstarkt sein könnte, dass Verfolgungshandlungen gegen die christliche Bevölkerung in einer die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigenden Verfolgungsdichte zu befürchten sind, liegen dem Gericht nicht vor.
31
Dem Kläger droht in der RKI, auch nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung durch andere Akteure.
32
Es ist nach der Auskunftslage nicht mehr erkennbar, dass von anderen Akteuren Verfolgungshandlungen ausgehen, die die (hohen) Anforderungen für eine Gruppenverfolgung erfüllen, weil sie auf alle sich dort aufhaltenden Christen zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Christen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. VG Köln, U.v. 11.7.2018 – 12 K 4094/17.A – juris m.w.N.).
33
Während die Lage der Christen in den 2010er Jahren noch als „gravierend verschlechtert“ für den Gesamtirak zu beurteilen war, und Christen in diesem Zeitraum zwar schon im Gebiet K.-Irak Schutz suchten, aber nicht immer fanden (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 11.4.2010 und vom 28.11.2010, vgl. ferner eingehend: VG Ansbach, U.v. 23.2 2010 – AN 9 K 09.30134 – juris Rn. 23, a. A. VG Düsseldorf, U.v. 6.7. 2010 – 16 K 4325/09.A – juris Rn. 24, eine Gruppenverfolgung im Zentralirak, nicht aber in der RKI nahm das VG des Saarlandes an, vgl. U.v. 3.8.2010 – 2 K 716/09 – juris) hat sich ihre Situation in der RKI erheblich verbessert.
34
Die meisten Christen im Irak leben heutzutage in den k. Provinzen. Während es weiterhin Berichte über gesellschaftliche Gewalt, hauptsächlich durch bewaffnete religiöse Gruppen in vielen Teilen des Landes gab, erfolgten keine Berichte über religiös motivierte Gewalt in der autonomen K.region (vgl. BFA, Situation von Christinnen in der KRI, 17.09.2020). Es sind weder staatliche noch gesellschaftliche Diskriminierungen von Christen in der Region K.-Irak bekannt. Die Region K.-Irak gilt vielmehr traditionell sogar als „sicherer Hafen“ für religiöse Minderheiten. So gibt es in E. große christliche Viertel, in denen Christen in Frieden leben können. Die Region K.-Irak verzeichnet eine ansteigende Anzahl neueröffneter Kirchen, von denen die letzte im Juni 2017 eröffnete. Viele Christen haben Aufnahme in der bereits starken ch. Gemeinschaft in K.-Irak gefunden (vgl. VG Köln, U.v. 11.7.2018 – 12 K 4094/17.A – juris Rn. 31, 55-73).
35
Da für den Kläger selbst bei unterstellter Zuwendung zum Christentum jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in der RKI zur Verfügung steht, liegen auch die Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG zu Gunsten des Klägers nicht vor (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3e AsylG entsprechend).
36
Überdies bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Hinwendung zum Christentum, nachdem der Kläger, der sich bereits seit August 2021 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, in den bisherigen Verfahren zu keinem Zeitpunkt auf diesen Umstand verwiesen hat. Insoweit liegt für den Einzelrichter die Annahme asyltaktischen Vorgehens nahe, zumal auch nicht ersichtlich ist, dass der Kläger einen förmlichen Übertritt zum Christentum in Erwägung gezogen hat. Im Übrigen verweist das Gericht insoweit auf die Vorschrift des § 28 Abs. 3 AsylG, wonach in Fällen, in denen der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, in einem Folgeverfahren (§ 71 AsylG) in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden kann.
37
Gleiches gilt bezüglich des Vorliegens von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als erwachsener und arbeitsfähiger Mann Anfang 30 sein Existenzminimum, wenn auch eventuell mit Gelegenheitsarbeiten, in der RKI sicherstellen können wird. Als alleinstehender Mann ist er auch nicht zwingend auf ein familiäres Netzwerk angewiesen, das er eigenen Angaben zufolge im Irak nicht mehr habe. Auch wenn dieses gerade bei anfänglichen Schwierigkeiten unterstützend wirken könnte, verhindert sein Fehlen dennoch nicht das Erwirtschaften eines Existenzminimums. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass dieser sich dem Christentum dauerhaft zugewendet hat, tritt der Kläger nicht singulär aus der sich im Nordirak aufhaltenden Gruppe der Christen hervor, so dass nicht von seiner Verfolgung allein aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit auszugehen ist. Es ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak unter Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage droht. Schlechte sozioökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die gegen eine Abschiebung sprechende humanitären Gründe zwingend sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall beim Kläger zu verneinen.
38
Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.6.2019 - 15 A 748/19 – juris Rn. 53), die im Fall des Klägers zu einer anderen Bewertung führen könnten. Bei dieser Prognose kann allein aus der Religionszugehörigkeit zum Christentum nicht zwangsläufig daraus geschlossen werden, dass ihm bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Zwar sehen viele Christen für sich keine Zukunft im Irak, sodass viele von ihnen ins Ausland geflohen sind. Schätzungen gehen von heute noch etwa 200.000 – 400.000 Christen im Irak aus (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak v. 28.10.2022, S. 16). Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Existenzsicherung für Rückkehrer generell unmöglich ist und Abschiebungen deshalb ausnahmslos unzulässig sind. Im Übrigen hat der Kläger keine gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ist als junger Mann in arbeitsfähigem Alter und hat als alleinstehender Mann keine familiären Verpflichtungen. Auch wenn der Kläger bislang im Irak noch nie auf sich allein gestellt gelebt haben sollte, führt dies noch nicht dazu, dass die im Falle des § 60 Abs. 5 AufenthG hohe Schwelle zur Existenzbedrohung überschritten wäre.
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Schließlich besitzt der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
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Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht schon die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher vorliegend kein Raum mehr (VG München, U.v. 17.1.2023 – M 19 K 20.31133 – juris Rn. 60).
42
3. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.