Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 01.07.2024 – W 7 E 24.751
Titel:

Aussetzung der Abschiebung wegen Prüfung von Familienschutz

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 3 S. 1, § 11 Abs. S. 1, § 25 Abs. 5 S. 1, § 29 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 36a, § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 4, § 81 Abs. 3 S. 1, Abs. 4
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Eine Abschiebung ist aus rechtlichen Gründen unmöglich und daher auszusetzen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Prognose der Trennungszeiten der Familie bei freiwilliger Ausreise des Antragstellers zur Nachholung des Visumverfahrens nicht erstellt werden kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sobald eine derartige Unsicherheit geklärt ist, sind bei summarischer Prüfung aber keine Umstände mehr ersichtlich, die die Abschiebung rechtlich unmöglich machen und zum Anspruch auf Erteilung einer Duldung führen könnten. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur ausnahmsweise kann zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verwaltungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung der Abschiebung, Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, Nachholung des Visumverfahrens, Tadschikistan, Familiennachzug, Visumsverfahren, subsidiär Schutzberechtigte, Aufenthaltserlaubnis, effektiver Rechtschutz, Schutz von Ehe und Familie
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17406

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig nicht abzuschieben, bis eine Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Schutzstatus seiner Familienmitglieder – der Ehefrau, der beiden gemeinsamen Kinder und der am … … 2012 geborenen Tochter der Ehefrau – vorliegt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden hälftig geteilt.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein am … … 1989 in C* …Tadschikistan geborener tadschikischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im September 2019 mit einem Visum zum Kurzaufenthalt in Luxemburg ins Bundesgebiet ein. Gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab er später an, er wisse nichts von einem geplanten Aufenthalt in Luxemburg, um das Visum habe sich ein Schlepper gekümmert.
2
In Deutschland traf der Antragsteller seine am … … 1987 geborene Ehefrau und deren am … … 2012 geborene Tochter aus einer früheren Ehe. Beide waren ebenfalls mit Visa zum Kurzaufenthalt in Luxemburg eingereist.
3
Später wurden im Bundesgebiet zwei gemeinsame Kinder des Ehepaars geboren, am … … 2020 und am … … 2022. Während der Zeiten des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet lebte die Familie überwiegend in einer gemeinsamen Wohnung, die familiäre Lebensgemeinschaft besteht bis heute.
4
Zum Bestand seiner Ehe gab der Antragsteller zunächst gegenüber dem Bundesamt an, mit seiner Ehefrau nur religiös verheiratet zu sein. Am 23. Juli 2020 ließ er die Übersetzung einer Heiratsurkunde aus der Republik Tadschikistan vom 11. September 2019 vorlegen, wonach er seine Partnerin bereits am 20. August 2017 geheiratet habe. Dieses legte er nur in Kopie vor. Aus einem Gutachten zur physikalisch-technischen Urkundenuntersuchung des Bundesamts vom 7. September 2021 bzgl. einer zwischenzeitlich vorgelegten Scheidungsurkunde ergab sich, dass die Daten auf dieser Urkunde verfälscht worden waren. Ein Gutachten zur urkundentechnischen Untersuchung einer Heiratsurkunde durch das Bayerische Landeskriminalamt vom 3. November 2020 kommt zu dem Schluss, es handele sich um eine Nachahmung. Mit E-Mail vom 6. Mai 2024 teilte das Standesamt W* … allerdings mit, die Ehe werde dort nicht in Zweifel gezogen. Dies wurde mit ausführlicher E-Mail vom 15. Mai 2024 auf Nachfrage weiter erläutert. Demnach seien dem Standesamt zwischenzeitlich weitere Urkunden vorgelegt worden, aus denen sich die Scheidung der Partnerin des Antragstellers und die Eheschließung ergeben. Diese seien einer Überprüfung durch die Polizei unterzogen worden und als echt einzustufen. Die Prüfberichte vom 30. April 2021 und vom 10. November 2021 wurden übersandt.
5
Im Bundesgebiet stellte der Antragsteller einen Asylantrag. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, er sei vom Exmann seiner Partnerin in Tadschikistan bedroht und in dessen Auftrag überfallen und zusammengeschlagen worden. Dieser sei in Tadschikistan sehr einflussreich.
6
Mit Bescheid des Bundesamts vom 27. November 2019 (Az. 7980184 – 470) wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2) und die Abschiebung nach Luxemburg angeordnet (Ziffer 3). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf eine Dauer von zwölf Monaten befristet (Ziffer 4).
7
Ein dagegen gerichteter Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Oktober 2022 (AN 14 S 19.51169) abgelehnt. Im Beschluss wurde insbesondere der Verdacht thematisiert, die vorgelegte Heiratsurkunde des Ehepaars sei gefälscht, weshalb bei summarischer Prüfung nicht von einer tatsächlichen Eheschließung und der Vaterschaft des Antragstellers bzgl. des am … … 2020 geborenen Kindes auszugehen sei. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Dezember 2022 (AN 14 S 22.50488) wurde ein Antrag auf Abänderung des vorangegangenen Beschlusses abgelehnt. Zwar sei die Vaterschaft für das am … … 2020 geborene Kind nun nachgewiesen. Allerdings besitze das Kind keinen internationalen Schutzstatus, werde von der Mutter versorgt und es sei nicht erkennbar, dass der Antragsteller die elterliche Sorge ausübe.
8
Am 15. Dezember 2022 wurde der Antragsteller im Wege des Dublin-Verfahrens nach Luxemburg überstellt. Am 19. Mai 2023 wurde er zur Wahrung der Familieneinheit nach erklärtem Selbsteintritt des Bundesamts wieder zurück nach Deutschland überstellt, nachdem in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Ansbach (AN 14 K 19.51170) ergänzende Unterlagen vorgelegt worden waren. Das Asylverfahren wurde im nationalen Verfahren fortgesetzt und der Bescheid vom 27. November 2019 aufgehoben.
9
Mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2024 (Az. 7980184 – 470) wurde der Antrag auf Asyl bzw. internationalen Schutz insgesamt abgelehnt (Ziffern 1- 3), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 4) und bei fehlender Ausreise binnen 30 Tagen die Abschiebung nach Tadschikistan angedroht (Ziffer 5). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate befristet (Ziffer 6).
10
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, bei der vorgelegten Eheurkunde handele es sich um eine Fälschung. Daher sei der subsidiäre Schutz der Lebensgefährtin zurückgenommen worden. Der Asylantrag der am 27. September 2020 geborenen Tochter des Antragstellers sei wegen nicht fristgerechter Vorlage von Nachweisen der Elternschaft für ungültig erachtet worden. Der Familienverband könne daher bei einer Rückkehr fortbestehen. Auf das am 15. November 2022 geborene Kind geht der Bescheid nicht ein. Es fehlen auch Informationen zu der 2012 geborenen Tochter der Ehefrau des Antragstellers.
11
Der Ehefrau des Antragstellers und ihrer am … … 2012 geborenen Tochter war durch Bescheid des Bundesamts vom 9. Juli 2020 (Az. 7980185 – 470) wegen häuslicher Gewalt durch den Exmann und Vater subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Aus dem Bescheid vom 13. Februar 2024 ergibt sich, dass der subsidiäre Schutz der Ehefrau des Antragstellers mit Bescheid vom 31. August 2023 aufgrund falscher Darstellung wesentlicher Familienverhältnisse zurückgenommen worden sei. Auf die am … … 2012 geborene Tochter geht dieser Bescheid nicht ein. Ein Rücknahmebescheid (Az. 8188416 -470) bzgl. der Ehefrau des Antragstellers befindet sich in einer Entwurfsversion zwar in deren Bundesamtsakte, eine Zustellung des Bescheids ist dort jedoch nicht aktenkundig. Bei den Akten befindet sich außerdem eine Aufenthaltskarte, die bis zum 8. Juli 2025 gültig ist und auf der ein bestehender subsidiärer Schutz vermerkt ist. Die beiden gemeinsamen Kinder des Antragstellers und seiner Partnerin haben Aufenthaltserlaubnisse nach § 33 AufenthG, die Karten sind bis 17. März 2025 gültig.
12
Am 30. August 2023 ließ der Antragsteller beim Antragsgegner eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung beantragen. Mit Schreiben vom 19. März 2024 mahnte sein Bevollmächtigter die Erledigung dieses Antrags an. Daraufhin hörte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 8. April 2024 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an. Die Ablehnungsabsicht gründe sich auf die nicht vorhandene Anerkennung der Eheschließung durch das zuständige Standesamt und die anzunehmende Fälschung der Unterlagen über die Heirat.
13
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2024 wurde der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus diesen Gründen abgelehnt (Az. 575945-AT_2).
14
Mit Bescheid vom 13. Juni 2024 (Az. 575945-AT_1) wurde der Bescheid vom 3. Mai 2024 zurückgenommen. Mit Bescheid vom selben Tag (Az. 575945-AT_2) wurde erneut die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verfügt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, die Echtheit der Scheidungs- bzw. Eheurkunde sei nun erwiesen. Es sei außerdem erwiesen, dass der Antragsteller Vater der am … … 2020 und am … … 2022 geborenen Kinder sei. Weiterhin stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Zudem sei der Lebensunterhalt nicht gesichert und es fehle an der Durchführung des Visumverfahrens. Die Nachholung des Visumverfahrens sei angesichts der überschaubaren Zeitdauer zumutbar. Man sei bereit, den Antragsteller bis zum Botschaftstermin zu dulden und die Nachholung des Visumverfahrens auf diese Weise familienverträglich auszugestalten.
15
Am 15. Mai 2024 ließ der Antragsteller Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Verfahren W 7 K 24.750 erheben und zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sinngemäß beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht abzuschieben und seinen Aufenthalt zu dulden.
16
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Antragsteller lebe mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern im Bundesgebiet zusammen. Die Ehefrau besitze eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Eine Nachholung des Visumverfahrens in Tadschikistan sei dem Antragsteller unmöglich. Denn zum einen wäre der Zeitpunkt einer Rückkehr ungewiss, zum anderen drohten dem Antragsteller in seiner Heimat Gefahren für Leib und Leben, sodass die Rückkehr insgesamt fraglich sei. Er sei bereit, einen Antrag auf Erteilung eines Visums zu stellen, wenn er dafür nicht ausreisen müsse. Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2024 wurde ergänzt, dass sich die Unzumutbarkeit auch daraus ergebe, dass der Antragsteller bereits infolge der Überstellung nach Luxemburg ein halbes Jahr von seiner Familie getrennt gewesen sei. Er und seine Familie seien in Deutschland zunehmend integriert, er habe in der Vergangenheit bereits eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und sei dazu weiterhin bereit. Außerdem habe er die deutsche Sprache in einem Umfang erlernt, der ihm die Verständigung ermögliche.
17
Der Antragsgegner beantragte,
den Eilantrag abzulehnen.
18
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, es sei dem Antragsteller zuzumuten, das Visumverfahren zum Familiennachzug nachzuholen. Nach einer Auskunft der Deutschen Botschaft in D* …Tadschikistan vom 2. April 2024 würden Termine zum Familiennachzug priorisiert vergeben. Die Wartezeit betrage 1 bis 3 Monate ab Registrierung. Die Bearbeitungszeit betrage bei Vorabzustimmung ca. 5 Werktage, ohne Vorabzustimmung 3 bis 6 Monate. Die Auskunft wurde zur Akte gereicht. Für den Fall einer Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens sei der Antragsgegner bereit, den Antragsteller zu dulden und ihm bis zum Vorsprachetermin bei der Botschaft in Tadschikistan eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, wenn er seine Mitwirkung am Verfahren kontinuierlich nachweise.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 7 K 24.750, sowie die beigezogenen Behördenakten, insbesondere die Bundesamtsakten, auch diejenige der Ehefrau des Antragstellers, verwiesen.
II.
20
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass aufgrund der vom Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen das Vorliegen des aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruchs, dessen Sicherung die begehrte Anordnung dient, hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller aufgrund der drohenden Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
21
1. Im Hinblick auf die jederzeit drohende Abschiebung des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers, sollte er die Mitwirkung an der Nachholung des Visumverfahrens wie schriftsätzlich angekündigt verweigern, ist ein Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht anzusehen.
22
2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
23
Es besteht zunächst ein Rechtsschutzbedürfnis bzgl. eines Anordnungsanspruchs auf eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 AufenthG, obwohl dem Antragsteller eine Duldung zur familienfreundlichen Nachholung des Visumverfahrens bereits in Aussicht gestellt wurde (a). Die Trennungszeit des Antragstellers von seiner Familie bei Ausreise nach Tadschikistan zur Nachholung des Visumverfahrens kann derzeit wegen Unsicherheiten bzgl. des Schutzstatus seiner Ehefrau aber nicht belastbar prognostiziert werden, sodass die Abschiebung bis zur Klärung dieser Fragen durch eine schriftliche Stellungnahme des Bundesamts zum Schutzstatus der Familie rechtlich unmöglich ist (b). Nach Eingang einer solchen Stellungnahme wären nach summarischer Prüfung keine Umstände mehr ersichtlich, die einer Abschiebung des Antragstellers entgegenstehen (c). Auch ein darüber hinausgehender Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung insbesondere zur Sicherung visumunabhängiger Aufenthaltstitel liegt nicht vor (d).
24
a) Der Antragsteller hat angesichts der schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau, den beiden gemeinsamen Kindern und der Tochter seiner Ehefrau, nach summarischer Prüfung zumindest einen Anspruch auf eine Duldung zur familienfreundlichen Ausgestaltung des Visumverfahrens. Er lebt mit seiner Ehefrau, den beiden gemeinsamen Kindern und der Tochter der Ehefrau zusammen. Das Bestehen der Ehe ergibt sich aus der Stellungnahme des Standesamts W* … vom 15. Mai 2024. Angesichts des seit Jahren geteilten Wohnsitzes der Familie bestehen hieran keine Zweifel. Insbesondere wurden zwischenzeitlich auch Unterlagen zur Ehe vorgelegt, die ausweislich ihrer kriminaltechnischen Untersuchung echt sind.
25
Bezüglich dieser Duldung zur familienfreundlichen Ausgestaltung des Visumverfahrens fehlt es dem Antrag aber an einem Rechtsschutzbedürfnis. Denn eine solche Duldung bis zur Wahrnehmung eines Botschaftstermins in Tadschikistan hat der Antragsgegner dem Antragsteller im Schriftsatz vom 23. Mai 2024 in Aussicht gestellt, sodass es insofern einer gerichtlichen Anordnung nicht bedarf. In diesem Schriftsatz hat der Antragsgegner mitgeteilt, man sei bereit, den Antragsteller bis zum Botschaftstermin in Tadschikistan zu dulden und die Nachholung des Visumverfahrens auf diese Weise familienverträglich auszugestalten.
26
Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht allerdings insoweit, als der Antragsteller auf das angebotene Vorgehen zur Nachholung des Visumverfahrens nicht eingehen will. Denn derzeit besitzt er keine Bescheinigung über eine Duldung (zur familienfreundlichen Ausgestaltung des Visumverfahrens). Vielmehr hat er mit Schriftsatz vom 5. Juni 2024 mitteilen lassen, er sei nicht zur Ausreise nach Tadschikistan bereit. Er hat daher ein auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anerkennenswertes rechtlich geschütztes Interesse an der Klärung der Frage, ob ihm über die angebotene zeitlich beschränkte Duldung hinaus derzeit ein Anspruch auf eine Duldung zusteht.
27
b) Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Der Antragsteller ist nach §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil er sich weder erlaubnisfrei im Bundesgebiet aufhalten darf noch über den gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt. Der Aufenthalt ist nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens auch nicht mehr gestattet. Die Abschiebung ist derzeit aber unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich, nachdem die verfassungsrechtlich gebotene Prognose der Trennungszeiten der Familie bei freiwilliger Ausreise des Antragstellers zur Nachholung des Visumverfahrens nicht erstellt werden kann.
28
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es zwar grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Hier kommt eine Visumerteilung nach § 36a AufenthG zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten in Betracht. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient und daher die Nachholung nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen ist. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens – wie vorliegend der Antragsteller – einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit eines solchen Visumverfahrens ist aber eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind und auf der anderen Seite die sonstigen Umstände des Einzelfalls (Vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 87).
29
Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und ihm wegen der Beziehungen zum anderen, aufenthaltsberechtigten Elternteil das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. insgesamt BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – BeckRS 2023, 33162). Die familiäre Lebensgemeinschaft des Antragstellers, seiner Ehefrau, der beiden gemeinsamen Kinder und der Tochter seiner Ehefrau kann nur im Bundesgebiet verwirklicht werden, solange die Ehefrau und deren 2012 geborene Tochter in Deutschland subsidiären Schutz genießen (vgl. BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – BeckRS 2023, 33162 Rn. 31). Eine Ausreise des Antragstellers zur Nachholung des Visumverfahrens würde bei lebensnaher Betrachtung die Trennung auch von den beiden sehr kleinen gemeinsamen Kindern bedeuten, die derzeit ein Jahr und drei Jahre alt sind.
30
In einem solchen Fall ist eine Prognose darüber anzustellen, welchen Trennungszeitraum der Betroffene bis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis realistischerweise zu erwarten hat, um in einem nächsten Schritt prüfen zu können, ob eine ggf. ermittelte vorübergehende Trennung aus Sicht des betroffenen Kindes zumutbar ist (BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – BeckRS 2023, 33162 Rn. 23).
31
Eine solche Prognose kann derzeit nicht angestellt werden.
32
Zwar steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zur subsidiär schutzberechtigten Ehefrau des Antragstellers gemäß § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG lediglich die Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Auf diese Weise könnte der Antragsteller einen Aufenthaltstitel erlangen, obwohl das Bundesamt ihm mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. Februar 2024 kein Familienasyl nach § 26 AsylG gewährt und hierbei die unzutreffende Annahme zugrunde gelegt hat, der subsidiäre Schutz seiner Ehefrau sei zurückgenommen worden. Es liegen humanitäre Gründe i.S.d. § 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor. Die zwei sehr kleinen Kinder des Antragstellers sind von der Entscheidung betroffen. Auch die 2012 geborene Tochter der Ehefrau des Antragstellers ist zu berücksichtigen, nachdem sie zwar nicht dessen leibliches Kind, allerdings Teil der familiären Lebensgemeinschaft ist.
33
Entgegen den Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2024 ist der Schutzstatus der Ehefrau des Antragstellers nicht zurückgenommen worden. Eine Einsichtnahme in die Akten des Bundesamts hat ergeben, dass ein als Entwurf vorbereiteter Rücknahmebescheid nie bekanntgegeben worden ist. Dort ist außerdem nur die Ehefrau des Antragstellers selbst adressiert, nicht aber ihre 2012 geborene Tochter, der ebenfalls mit Bescheid des Bundesamts vom 9. Juli 2020 subsidiärer Schutz zuerkannt wurde.
34
Diese beim Bundesamt bestehenden Unsicherheiten bzgl. des Schutzstatus der Familienmitglieder des Antragstellers führen dazu, dass eine Trennungszeit derzeit nicht prognostiziert werden kann. Anders als der Antragsgegner zuletzt im Bescheid vom 13. Juni 2024 annimmt, ist es derzeit keinesfalls absehbar, ob dem Antragsteller in Tadschikistan ein Visum erteilt werden wird.
35
Zwar ist nach der zur Akte gereichten Auskunft der Deutschen Botschaft in Duschanbe/Tadschikistan vom 2. April 2024 davon auszugehen, dass Termine zum Familiennachzug priorisiert vergeben werden. Die Wartezeit beträgt 1 bis 3 Monate ab Registrierung. Die Bearbeitungszeit beträgt bei Vorabzustimmung ca. 5 Werktage, ohne Vorabzustimmung 3 bis 6 Monate. Der Antragsgegner hat sich bereiterklärt, den Antragsteller bis zur Terminvergabe zu dulden und ihm die Erwerbstätigkeit zu gestatten. Unter Mitwirkung des Antragstellers wäre daher bei Durchlaufen dieses Verfahrens eine Trennung des Antragstellers und seiner Familie von ca. einer Woche zu prognostizieren. Eine derart kurze Trennung erscheint auch in Anbetracht des sehr jungen Alters insbesondere der am 27. September 2020 und am 15. November 2022 geborenen Kinder zumutbar.
36
Allerdings werden im Rahmen der Beantragung eines Visums zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland, die auch zur Kontrolle des monatlichen Kontingents von 1.000 nationalen Visa im Monat gemäß § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG über ein Online-Formular des Auswärtigen Amts erfolgt (https://service2.diplo.de/rktermin/extern/appointment_showForm.do?locationCode=subs& realmId=851& categoryId=1594), Daten zum Anerkennungsbescheid des Bundesamts abgefragt. Es liegt nahe, dass in diesem Rahmen die Rücknahme der Bescheide unter Einbindung des Bundesamts erneut geprüft würde, nachdem im negativen Bundesamtsbescheid des Antragstellers selbst – unzutreffend – von einer solchen Rücknahme ausgegangen wird.
37
Diese Prüfung wird entweder zu dem Ergebnis führen, dass der subsidiäre Schutz zurückgenommen wird (was zur Zumutbarkeit des gemeinsamen Lebens der Gesamtfamilie in Tadschikistan führen würde) oder dass dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Wie viel Zeit eine solche Prüfung unter Einbindung des Bundesamts in Anspruch nehmen würde, ist unabsehbar. Es ist daher ein naheliegendes Szenario, dass der Antragsteller mit einem Botschaftstermin nach Tadschikistan ausreisen würde, dort eine Überprüfung des Schutzstatus seiner Ehefrau stattfinden und er nach derzeit nicht absehbarer Zeit erfahren würde, dass die Gesamtfamilie keinen internationalen Schutz in Deutschland (mehr) genießt. Diese in zeitlicher Hinsicht unabsehbar lange Prüfung, die ebenso unter Anwesenheit aller Familienmitglieder im Bundesgebiet stattfinden könnte, erst nach einer Ausreise des Antragstellers nach Tadschikistan stattfinden zu lassen, erscheint mit dem Schutz von Ehe und Familie unvereinbar. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Entscheidungen des Bundesamts gegenüber den Familienmitgliedern derzeit widersprüchlich sind. Entweder hätte dem Antragsteller nach § 26 AsylG Familienasyl gewährt werden oder der subsidiäre Schutz seiner Ehefrau und deren Tochter zurückgenommen werden müssen, sodass die gemeinsame Ausreise nach Tadschikistan erfolgen könnte. Stattdessen wurde der Asylantrag des Antragstellers mit Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2024 insgesamt abgelehnt und dort von einer solchen Rücknahme ausgegangen, diese aber tatsächlich nach Aktenlage nie vollzogen.
38
Bis zur Klärung dieser Frage nach dem Schutzstatus der Ehefrau des Antragstellers, der beiden gemeinsamen Kinder und der 2012 geborenen Tochter der Ehefrau durch eine schriftliche Stellungnahme des Bundesamts, die trotz entsprechender Anfrage vom 13. Juni 2024 im gerichtlichen Verfahren bislang nicht erfolgt ist, darf der Antragsteller daher nicht abgeschoben werden.
39
c) Nach Klärung dieser Unsicherheit wären nach summarischer Prüfung aber keine Umstände mehr ersichtlich, die die Abschiebung rechtlich unmöglich machen und zum Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 AufenthG führen könnten.
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Bei Rücknahme des Schutzstatus sämtlicher Familienmitglieder könnte die familiäre Gemeinschaft in zumutbarer Weise auch in Tadschikistan gelebt werden.
41
Anderenfalls könnte der Antragsteller nach seiner Ausreise in zumutbarer Weise ein Visum zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten erlangen. Im Fall der Mitwirkung des Antragstellers am Verfahren wäre dann eine voraussichtliche Trennung von seiner Familie von ca. einer Woche zu prognostizieren (s.o.)
42
Die Einschränkung durch die Begrenzung auf monatlich 1.000 Visa, die gemäß § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG erteilt werden können, stünde einer Absehbarkeit des Trennungszeitraums nicht entgegen. Denn auch in diesem Rahmen wird nach § 36a Abs. 2 Satz 3 AufenthG das Kindeswohl gebührend zu berücksichtigen sein, das eine priorisierte Behandlung gebietet.
43
Das Gericht geht davon aus, dass die Kontingentierung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten auf monatlich 1.000 Personen nicht zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens führt. Denn dieses Kontingent von jährlich 12.000 Personen wurde Presseberichten zufolge in der Vergangenheit meist nicht ausgeschöpft. Lediglich für die erste Jahreshälfte 2023 wurde von einer leichten Überschreitung der rechnerisch möglichen 6.000 Plätze berichtet (https://www.migazin.de/2023/07/18/kontingent-fuer-familiennachzug-zu-gefluechteten-erstmals-ausgeschoepft/, https://www.evangelisch.de/inhalte/211856/01-02-2023/kontingent-fuer-familiennachzug-wird-weiter-nicht-ausgeschoepft; jeweils abgerufen am 1.07.2024). Somit ist davon auszugehen, dass begründete Anträge positiv beschieden werden, wenn sie nicht erst in den letzten Wochen des Jahres gestellt werden.
44
Auch dass ein gebundener Anspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht besteht, beseitigt die Zumutbarkeit dieses Verwaltungsverfahrens nicht. Insbesondere schließt diese Vorschrift das Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht aus (Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, Stand: 15.1.2024, § 36a AufenthG Rn. 5 f.). Die Sperrwirkung des unanfechtbar abgelehnten Asylantrags nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG würde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Ausreise des Antragstellers nicht mehr entgegenstehen. Vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts würde nach §§ 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 36a Abs. 5 AufenthG abzusehen sein.
45
Im Fall der Abschiebung des Antragstellers nach Tadschikistan bei fehlender Mitwirkung am Visumverfahren wäre im ungünstigsten Fall eine Trennung von ca. 3 Jahren und 3 Monaten zu erwarten. Diese Prognose beruht auf den folgenden Wartezeiten: 3 Monate auf einen Termin bei der Deutschen Botschaft, anschließende 6 Monate Bearbeitungszeit ohne Vorabzustimmung, 30 Monate bis zum Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots aus dem Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2024. Auch dieses muss in die Prognoseentscheidung eingestellt werden (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2BvR 1333/21 – juris Rn. 56).
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Eine Abschiebung des Antragstellers nach Tadschikistan bei fehlender Mitwirkung wäre vor dem Hintergrund der durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot bedingten Prognose einer Trennungszeit von im ungünstigsten Fall ca. 3 Jahren und 3 Monaten nur dann mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vereinbar, wenn der Antragsgegner in diesem Fall das Einreise- und Aufenthaltsverbot aus dem Bescheid des Bundesamts vom 13. Februar 2024 nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG von Amts wegen auf maximal einen Monat verkürzt, um so Hindernisse für die Visumerteilung zu beseitigen, die über die Wartezeit auf einen Termin bei der deutschen Botschaft hinausgehen. Eine solche Verkürzungsentscheidung würde die Trennung des Antragstellers von seiner Familie auf angesichts der fehlenden Mitwirkung trotz des jungen Alters der Kinder noch zumutbare 9 Monate beschränken (3 Monate Wartezeit bis zum Termin bei der Deutschen Botschaft, anschließende 6 Monate Bearbeitungszeit ohne Vorabzustimmung). Nur unter dieser Bedingung einer entsprechenden Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von Amts wegen wäre eine Abschiebung des Antragstellers nach Tadschikistan bei fehlender Mitwirkung am Visumverfahren rechtlich möglich.
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Diese Zeiträume einer zumutbaren Trennung verkürzen sich auch – anders als vom Antragsteller vorgebracht – nicht dadurch weiter, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit im Rahmen der Überstellung nach Luxemburg von seiner Familie getrennt worden ist. Dies muss schon deshalb gelten, weil der Antragsteller die Trennung von seiner Familie bei Mitwirkung am Visumverfahren auf ca. eine Woche verkürzen könnte und Trennungszeiten im Rahmen einer Auslegung der humanitären Gründe nach § 36a Abs. 2 Nr. 1 AufenthG Rechnung zu tragen ist.
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d) Ein Anordnungsanspruch liegt schließlich nicht in Form einer sogenannten Verfahrensduldung (bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) vor.
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Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Der Antragsteller hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung. Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verwaltungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 31). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30).
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Ein im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung besteht für den Antragsteller jedoch nach summarischer Prüfung aktuell nicht. Denn es ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, die dem Antragsteller ohne Durchlaufen des Visumverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis zusprechen würde. Insbesondere besteht ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG derzeit deshalb nicht, weil das Ausreisehindernis lediglich vorübergehend ist, bis der Schutzstatus der Familie des Antragstellers unter Einbindung des Bundesamts geklärt wurde. Von einer außergewöhnlichen Härte nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist schon deshalb nicht auszugehen, weil entweder die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36a AufenthG besteht oder (bei Rücknahme der Schutzstatus) die Ausreise der Gesamtfamilie nach Tadschikistan erfolgen kann. Auch hier ist außerdem die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu beachten.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die hälftige Teilung erscheint interessengerecht, weil einerseits der Antragsteller mit seinem Begehren auf Aussetzung der Abschiebung bis zur Entscheidung einer Hauptsacheklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht durchdringt, andererseits aber größere Unsicherheiten bzgl. des Schutzstatus der Familie des Antragstellers die Abschiebung derzeit rechtlich unmöglich machen. Es handelt sich also um einen Fall des teilweisen Obsiegens bzw. Unterliegens.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 63 Abs. 2 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei an den Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.