Titel:
Anwendungsbereich des § 50 ZVG
Normenketten:
BGB § 1173, § 1192, § 1196
ZVG § 50
Leitsatz:
§ 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG erfasst den Fall eines Wegfalls des Rechts nach Wirksamwerden des Zuschlags. (Rn. 24 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wegfall des Rechts, Zuschlagserteilung, Gesamthypothek, Grundschuld, Ablösung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17404
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird bis zum 24.06.2024 auf 10.225,84 € festgesetzt, ab dem 24.06.2024 auf 11.186,32 €.
Tatbestand
1
Die Beklagten streiten nach Klageänderung noch über die Rückzahlung eines vom Kläger an die Beklagten aufgrund einer Grundschuld gezahlten Betrages in Höhe von 11.186,32 € nebst Zinsen.
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Die Beklagten sind die Erbengemeinschaft nach dem am 14.02.2019 verstorbenen …. Zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft ordnete das Amtsgericht Neu-Ulm am 29.11.2021 die Teilungsversteigerung von 11 Nachlassgrundstücken der Erbengemeinschaft in Oberroth an. Betroffen waren die Flurstücke 21, 22, 173, 438, 641/1, 650, 802, 917, 2278, 3028 und 21/2.
3
Auf den Grundstücken mit den Flurnummern 3028, 21, 22, 173, 438, 641/1, 650, 802, 917, 2278 lastete eine mit 12 % p.a. zu verzinsende Gesamtgrundschuld zu 10.225,84 €, welche mit Zinsen an die Sparkasse Neu-Ulm/Illertissen abgetreten war. Die Sparkasse Neu-Ulm/Illertissen verzichtete auf die Grundschuld. Der Verzicht wurde am 15.05.2023 ins Grundbuch eingetragen.
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Am 12.07.2023 erhielt der Kläger den Zuschlag betreffend das Grundstück Flurnummer 173. Die Eigentümer-Gesamtgrundschuld zugunsten der Beklagten blieb bestehen (Anlage K4). Der Kläger bezahlte den im Zuschlagsbeschluss genannten bar zu bezahlende Betrag von 105.000,00 €.
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Mit Schreiben vom 31.07.2023 forderte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und zu 2) für die Erbengemeinschaft den Kläger zur Zahlung eines Betrages von 10.225,84 € nebst Zinsen auf.
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Mit Zahlungsanweisung vom 18.08.2023 zahlte die Gemeinde Oberroth, welche den Zuschlag für das Grundstück mit der Flurnummer 438 erhalten hatte, 10.225,84 € nebst Zinsen an die Beklagten.
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Die Beklagten mahnten den Kläger mit Schreiben vom 24.08.2023. Daraufhin beauftragte der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten mit der Abwehr der Forderung. Dieser forderte die Beklagten dazu auf, die Löschung der auf dem vom Kläger erstandenen Grundstück lastenden Eigentümergrundschuld zu bewilligen. Dies erfolgte zunächst nicht.
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Im April 2024 zahlte der Kläger unter dem Vorbehalt der Rückforderung einen Betrag von 10.225,84 € nebst Zinsen, insgesamt 11.186,32 €, an die Beklagten. Diese gaben daraufhin Löschungsbewilligungen ab.
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Der Kläger ist der Auffassung, die Gesamtgrundschuld sei durch die Zahlung der Gemeinde Oberroth gem. §§ 1173, 1196, 1192 BGB erloschen. Deshalb müsse der Kläger keine Zahlung auf die Gesamtgrundschuld leisten. § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG sei vorliegend nicht anwendbar, weil die Grundschuld nach Zuschlag erloschen sei. § 50 Abs. 1 ZVG setze nämlich ein Erlöschen vor Zuschlag voraus; § 50 Abs. 2 ZVG laufe in zeitlicher Hinsicht gleich.
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Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat, die Beklagten zu verurteilen, die Löschung der streitgegenständlichen Grundschuld zu bewilligen, beantragt er nunmehr:
- 1.
-
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 11.186,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus jährlich seit Zustellung der Klageänderung zu zahlen.
- 2.
-
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.529,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus jährlich seit Zustellung der Klage zu bezahlen.
11
Die Beklagten beantragen,
12
Die Beklagten sind der Auffassung, ihnen stehe ein Zuzahlungsbetrag in Höhe des Nennbetrags der Grundschuld zuzüglich Zinsen zu. Denn das Gesamtgrundpfandrecht sei im geringsten Gebot bei allen Grundstücken in voller Höhe berücksichtigt worden. Dadurch hätten sich die abgegebenen Bargebote jeweils um den Nennbetrag der Grundschuld reduziert. Die bestehenden bleibenden Rechte seien somit Teil des Erwerbspreises.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitig gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klageänderung ist zulässig, § 267 ZPO. Die Beklagten haben der Änderung nicht widersprochen.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung von 11.186,32 €.
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Einzig denkbare Anspruchsgrundlage ist ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Der Kläger hat den Betrag von 11.186,32 € an die Beklagten geleistet. Es liegt indes ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen vor.
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Es bestand nämlich eine entsprechende Zuzahlungspflicht des Klägers gegenüber den Beklagten aus § 50 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 ZVG.
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Es handelt sich insoweit um eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage (Beck OK ZVG/U. Goldbach, 13. Aufl. 2024, § 50 ZVG, Rn. 31).
§ 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG statuiert, dass der Ersteher außer dem Bargebot auch den Betrag der bei Feststellung des geringsten Gebots berücksichtigten Grundschuld zu zahlen hat, wenn das Recht noch an einem anderen Grundstück besteht und an dem versteigerten Grundstück nach den besonderen Vorschriften über die Gesamthypothek erlischt.
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Dies war hier der Fall.
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Die Gesamtgrundschuld bestand an insgesamt 10 Grundstücken. Durch die Aufnahme der Gesamtgrundschuld in den Zuschlagsbeschluss ist nach dem Zuschlag das dingliche Recht der Beklagten zunächst erhalten geblieben. Der Kläger hat aufgrund Zuschlags das Grundstück zu Alleineigentum erworben, wodurch sich an der Inhaberschaft der Grundschuld nichts geändert hat, welche sich von einer Eigentümer- zu einer Fremdgrundschuld gewandelt hat.
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Ob und gegebenenfalls inwieweit die gemäß § 52 ZVG bestehen bleibenden Grundpfandrechte im Zeitpunkt des Zuschlags valutiert waren oder nicht, ist ohne Bedeutung. Denn die aus diesen Grundpfandrechten resultierende rechtliche und wirtschaftliche Belastung besteht für den Ersteher zunächst unabhängig vom Stand der Valutierung. Der in ihnen verkörperte Wert steht nämlich den im Grundbuch ausgewiesenen Grundschuldgläubigern zu: Es kommt zu einer Trennung zwisehen dinglicher und persönlicher Schuld (vgl. BGH, Urteil vom 21.05.2003 – IV ZR 452/02; OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.1996 – 7 U 12/95).
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Durch die Zahlung der Gemeinde Oberroth am 18.08.2023 ist die Grundschuld an dem vom Kläger ersteigerten Grundstück gemäß § 1192 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1173 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz BGB erloschen. Ein Fall des § 1173 Abs. 2 BGB ist nicht ersichtlich.
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Unschädlich ist, dass das Erlöschen nach Zuschlagserteilung eingetreten ist. Denn § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG hat genau den Fall eines Wegfalls nach Wirksamwerden des Zuschlags vor Augen (siehe Beck OK ZVG/U. Goldbach, 13. Aufl. 2024, § 50 ZVG, Rn. 16; Stumpe/Simon, in: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., 2021, § 50 ZVG, Rn. 14; Gojowczyk, in: Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 23. Aufl., 2022, § 50 ZVG, Rn. 11).
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Dies ergibt sich in systematischer Hinsicht schon bereits aus der Existenz des § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG. Denn wenn das Recht bereits vor Zuschlagserteilung nach den Vorschriften über die Gesamthypothek erloschen ist, so fällt dies unter § 50 Abs. 1 S. 1 ZVG (Gojowczyk, in: Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, a.a.O.; Beck OK ZVG/Goldbach, a.a.O.). Setzt man also voraus – wie der Kläger es möchte –, dass auch im Falle des § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG die Gesamtgrundschuld vor Zuschlagserteilung erloschen sein muss, so hat die Vorschrift keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Ein eigener Anwendungsbereich verbleibt § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG gegenüber dem Abs. 1 vielmehr nur, wenn man diese Vorschrift in zeitlicher Hinsicht dahingehend versteht, dass auch das Erlöschen von Rechten nach Zuschlagserteilung erfasst sein soll.
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Dass der historische Gesetzgeber bei Schaffung der seit 1.1.1900 ungeänderten Vorschrift eine Norm ohne eigenen Anwendungsbereich in die Welt setzen wollte, ist fernliegend. Man könnte allenfalls an eine rein deklaratorische Klarstellung denken, für die jedoch angesichts der stark ausgeprägten systematischen Denkweise und des auf Knappheit bedachten Gesetzgebungsstils zur Jahrhundertwende keinerlei Anhaltspunkte bestehen.
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Auf eine von Abs. 1 abweichende zeitliche Reichweite deutet auch der Wortlaut des Abs. 2 Nummer 2 hin, welcher gerade darauf abstellt, dass das Recht noch an einem anderen Grundstück besteht, wohingegen in § 50 Abs. 1 S. 1 ZVG davon die Rede ist, dass das Recht nicht besteht. (Gojowczyk, in: Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 23. Aufl., 2022, a.a.O.).
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Letztlich sprechen dafür auch Sinn und Zweck der Gesamtbelastungsvorschriften. Denn in diesem Fall ist der Ersteher um den Kapitalbetrag des Rechts, soweit dieses erlischt, bereichert. Der Gläubiger kann die Befriedigung nämlich nur einmal fordern und der Ersteher hat dieses Recht in voller Höhe in sein Gebot einbezogen. Er hatte mithin den Vorteil, dass er sich den Nennbetrag des Rechts auf das Bargebot hat anrechnen lassen dürfen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21.05.2003 – IV ZR 452/02), ohne hierauf eine Zahlung geleistet zu haben. Diese Ungerechtigkeit wird durch das Eintreten der Zuzahlungspflicht ausgeglichen (Beck OK ZVG/U. Goldbach, a.a.O.; Stumpe/Simon, in: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, a.a.O.; BGH, Urteil vom 09.12.1966 – V ZR 12/64).
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Die klägerseits zitierten Urteile des BGH vom 23.03.1993, XI ZR 167/92 und des Kammergerichts vom 24.10.2019, 2 U 125/15, führen nicht zu einer anderen Beurteilung.
30
Beide Urteil betreffen die Frage, inwiefern § 50 ZVG direkt oder analog auf nicht valutierte Fremdgrundschulden dritter Sicherungsnehmer anzuwenden ist, deren Inhaber vor und nach Zuschlag der dritte Sicherungsnehmer ist und die nach Zuschlag gelöscht werden (BGH, Urteil vom 23.03.1993) bzw. die nach Zuschlag gelöscht werden sollen (KG, Urteil vom 24.10.2019), d.h. ob diese Vorschrift eine Zahlungsverpflichtung begründet, wenn der schuldrechtliche Rückgewähranspruch des Sicherungsgebers vereitelt wird.
31
Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch gerade nicht. Vielmehr hat die Sparkasse Neu-Ulm/Illertissen den Rückgewähranspruch der Beklagten als Sicherungsgeber gerade erfüllt und diesen die Gesamtgrundschuld vor Zuschlag zurückübertragen. Damit waren die Beklagten – und gerade nicht ein dritter Sicherungsnehmer – im Zeitpunkt des Zuschlags Inhaber der Gesamtgrundschuld und ihnen gebührte der in der Grundschuld verkörperte Wert; sie konnten sich hieraus von dem Kläger als Grundstückseigentümer befriedigen, §§ 1192 Abs. 1, 1132 Abs. 1 BGB (so ausdrücklich KG, Urteil vom 24.10.2019, Rz. 60; vgl. auch BGH, Urteil vom 20.10.2010 – XII ZR 11/08 und Urteil vom 09.02.1989 – IX ZR 145/87).
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Es geht vorliegend auch gerade nicht um die Frage einer analogen Anwendung des § 50 Abs. 1 ZVG, sondern um die direkte Anwendung des § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG.
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Gemäß § 50 Abs. 1 S. 2 ZVG i.V.m. § 50 Abs. 2 Nr. 2 ZVG waren auch die Zinsen für die durch Zuschlagserteilung zu einer Fremdgrundschuld umgewandelte Grundschuld geschuldet.
34
Da die Forderung der Beklagten, mit deren Abwehr der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten beauftragte, tatsächlich bestand, stehen dem Kläger auch keine Ansprüche auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu.
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Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagten sich vor Beauftragung des klägerischen Prozessbevollmächtigten in Verzug mit der Löschung der Grundschuld befunden hätten, sodass ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten auch nicht auf §§ 280 I, II, 286 BGB gestützt werden kann.
36
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 Abs. 1, S. 2 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß §§ 39 ff. GKG festgesetzt.
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Verkündet am 16.07.2024