Titel:
Baugenehmigung für Flüchtlingsunterkunft, Nachbaranfechtungsklage, Bestimmtheit, Bebauungsplan mit Festsetzung der maximalen Anzahl der Wohneinheiten, Anlage für soziale Zwecke, keine Wohnnutzung, Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet, Gebietsverträglichkeit, Rücksichtnahmegebot
Normenketten:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 6
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 3
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1 und S. 2
Schlagworte:
Baugenehmigung für Flüchtlingsunterkunft, Nachbaranfechtungsklage, Bestimmtheit, Bebauungsplan mit Festsetzung der maximalen Anzahl der Wohneinheiten, Anlage für soziale Zwecke, keine Wohnnutzung, Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet, Gebietsverträglichkeit, Rücksichtnahmegebot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17397
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
III. Der Streitwert wird auf Euro 3.750,-- festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft.
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Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. ..., Gemarkung P. … (i.F. Antragstellergrundstück). Dieses Grundstück liegt an der S. … Straße in … Südlich dieser Straße liegen die im Eigentum des Beigeladenen zu 1. stehenden Grundstücke Fl.-Nrn. ..., ... und ..., alle Gemarkung P. … (i.F. Vorhabengrundstücke). Sowohl das Antragstellergrundstück als auch die Vorhabengrundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 90 „…“ der Beigeladenen zu 2. (i.F. Bebauungsplan). Der Bebauungsplan stammt aus dem Jahre 1998 und wurde seither mehrfach geändert, jedoch ohne dass das Antragstellergrundstück oder die Vorhabengrundstücke hiervon betroffen waren.
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Mit Antrag vom … Januar 2023 beantragte der Beigeladene zu 1. die Erteilung einer auf drei Jahre befristeten Baugenehmigung für die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft bestehend aus 72 Containern, die insgesamt bis zu 88 Personen aufnehmen können. Die Containeranlage besteht aus vier Containerblöcken (sog. Wohnunterkünfte) mit einer Länge von jeweils 22,05 m und einer Breite von jeweils 6,05 m zuzüglich außenliegenden Treppen an beiden Schmalseiten (Breite je 1 m) und außenliegendem Gang an einer Längsseite (Breite je 1 m). Die Höhe beträgt jeweils 5,60 m. Insgesamt hat die Containeranlage eine Länge von 50,10 m und eine Breite von 18,10 m. Hinzu kommen Freiflächen.
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Mit Beschluss ihres Bauausschusses vom 16. Februar 2023 erteilte die Beigeladene zu 2. das gemeindliche Einvernehmen.
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Mit Bescheid vom … März 2023, den Antragstellern per PZU am … März 2023 zugestellt, erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen zu 1. entsprechend seinem Antrag eine auf drei Jahre befristete Baugenehmigung für das Vorhaben. Zugleich wurden Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt u.a. hinsichtlich Überschreitung der Baugrenzen, Geschossentwicklung, Überbauung der für einen öffentlichen Fußweg bestimmten Fläche, Überschreitung der maximalen Wandhöhe und Überschreitung der maximalen Anzahl von Wohneinheiten. Ebenfalls erteilt wurden Abweichungen von Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO und § 4 Abs. 1 und Abs. 4 der Satzung der Beigeladenen zu 2. über die erforderliche Zahl der Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie die Ablösebeträge für Kraftfahrzeugstellplätze vom 19. November 2020 (Kfz-Stellplatzsatzung).
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Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben unter Einhaltung der festgesetzten Nebenbestimmungen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen gewesen seien, entspreche. Es handele sich um eine Anlage für soziale Zwecke, welche in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sei (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Die Befreiungen hätten erteilt werden können, da die Genehmigung befristet auf drei Jahre erteilt werde und die Voraussetzungen des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorlägen. Die Festsetzungen, von denen befreit würde, hätten keine nachbarschützende Wirkung. Daher seien die Befreiungen unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Das Interesse der Nachbarn daran, dass das Grundstück nicht mit einer Flüchtlingsunterkunft bebaut werde, müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse und dem Interesse des Bauherrn zurücktreten. Im Übrigen wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Hiergegen ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 5. April 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (Az. M 9 K 23.1721), über die noch nicht entschieden wurde.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. Mai 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließen die Antragsteller beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom …04.2023, Az. M 9 K 23.1721, gegen den Bescheid des Landratsamts Pf.a.d. I. vom …03.2023, Az. … … … … …, anzuordnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung begründet sei, weil die Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung Erfolg haben werde. Die streitgegenständliche Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze die Antragsteller in ihren Rechten, da eine rechtswidrige Befreiung bezüglich der maximal zulässigen Wohneinheiten erteilt worden sei. Diese Befreiung von Ziffer 1.1.2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sei objektiv rechtswidrig, da sie unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar und jedenfalls ermessensfehlerhaft sei. Zu den öffentlichen Belangen, mit denen ein Vorhaben nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB vereinbar sein müsse, gehöre unter anderem die Beachtung der Grundzüge der Planung, d.h. die Wahrung der wesentlichen Gestalt des Bebauungsplans. § 246 Abs. 12 BauGB erfordere zwar im Unterschied zu § 31 Abs. 2 BauGB nicht, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt würden. Hieraus folge aber nicht, dass die allgemeinen Anforderungen an das Verhältnis zwischen Einzelfallentscheidung der Baugenehmigungsbehörde und Planentscheidung des Plangebers nicht mehr zu beachten seien. Hinter der Tatbestandsvoraussetzung der Grundzüge der Planung stehe der Grundgedanke, dass eine Befreiung mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen nicht vereinbar sei, je tiefer sie in das Interessensgeflecht einer Planung eingreife. Sie sei daher ausgeschlossen, wenn das Vorhaben nur durch Planung zu bewältigende Spannungen in seine Umgebung hineintrage oder erhöhe, sodass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte. Der Grundsatz des Planungserfordernisses i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB beschränke daher die Möglichkeit einer Befreiung. Würde die Baugenehmigungsbehörde Befreiungen erteilen können, obwohl das wesentliche Planungskonzept berührt und eine Umplanung erforderlich sei, würde sie die Planentscheidung des Plangebers unterlaufen und sich der gemeindlichen Befugnisse nach Art. 28 Abs. 2 GG bemächtigen. Gemessen daran sei die Befreiung hinsichtlich der zulässigen Anzahl von Wohneinheiten nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar, weil das Vorhaben die Grundzüge der Planung schwerwiegend verletze. Der vorliegende Bebauungsplan weise ein planerisches Grundkonzept dahingehend auf, einen gewissen Grad an Verdichtung nicht zu überschreiten. Ziel des Plangebers sei es ausweislich der Begründung gewesen, die noch unbebauten Grundstücke einer geregelten Wohnbauentwicklung zuzuführen und auf den bereits bebauten Grundstücken eine angemessene Wohndichte und -qualität zu erreichen. Hierfür sei gemäß der Begründung eine Bebauung hauptsächlich mit Einfamilien- und Doppelhäusern sowie Reihen- und Mehrfamilienhäusern vorgesehen gewesen. Dieses Planungsziel sei durch die Festsetzung der zulässigen Anzahl von Wohneinheiten herbeigeführt worden. Dem Bebauungsplan liege ausweislich seiner Begründung die Vorstellung zugrunde, dass der Charakter eines Wohngebiets durch die Anzahl der Wohnungen in den Häusern (mit-)bestimmt sein könne. Durch die konkrete Festsetzung von maximal zulässigen Wohneinheiten in einem Wohngebäude solle sichergestellt werden, dass überwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser zugelassen seien und eine stark verdichtete Bauweise großvolumiger Mehrfamilienhäuser verhindert werde. Durch die Erteilung der Befreiung für das Vorhaben bestehend aus bis zu 90 denkbaren Wohneinheiten würden die Grundzüge der Planung jedenfalls auch berührt. Ergänzend sei festzuhalten, dass sich das Vorhaben auch aufgrund der im Übrigen erteilten Befreiungen in seiner Gesamtheit nicht mehr im Rahmen der Grundzüge der Planung halte. Es entstehe ein insgesamt 50 m langer und 18 m breiter Gebäudekomplex mit einer Wandhöhe von über 3,80 m und bis zu 90 Wohneinheiten, der zudem aus Containern bestehe. Damit verstoße das Vorhaben jedenfalls in seiner Gesamtheit gegen die Grundzüge der Planung, nach denen ein lockeres, mit Ein- und Doppelhäusern bebautes Wohngebiet für ruhiges Wohnen gewährleistet werden solle. Auch die Tatsache, dass die Befreiungen eine Flüchtlingsunterkunft ermöglichen sollten, führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine Abwägung mit anderen öffentlichen Belangen in Form einer „Saldierung“ erfolge bei der Erteilung einer Befreiung nach dem Gesetzeswortlaut und der Systematik nicht. Die erteilte Befreiung unterliege zudem einem Ermessensfehler, da nachbarliche Interessen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Zu den nachbarlichen Interessen gehörten alle Interessen, die nach den planungsrechtlichen Grundsätzen des § 1 Abs. 6 und Abs. 7 BauGB in Bezug auf private Belange abwägungsbeachtlich seien. Unerheblich sei, ob die Festsetzungen, von denen abgewichen werden solle, Nachbarschutz vermittelten. Es genüge ein Vorteil für Nachbarn in tatsächlicher Hinsicht. Gemessen daran betreffe die Anzahl der zulässigen Wohneinheiten die nachbarlichen Interessen. Durch die Festsetzung werde die Wohn- und Besiedelungsdichte gesteuert, von der ganz entscheidend der Charakter des Baugebiets abhänge. Von der Anzahl der Bewohner in einem Baugebiet hänge die Belastbarkeit und Dimensionierung der öffentlichen Infrastruktureinrichtung ab. Der Plangeber habe die Anzahl der zulässigen Wohneinheiten damit bewusst von der vorhandenen Erschließungssituation abhängig gemacht. Vor diesem Hintergrund sei bei der Prüfung, ob die Befreiung mit den nachbarlichen Interessen vereinbar sei, jedenfalls zu prüfen, ob sich hierdurch die Anforderungen an die Dimensionierung von Infrastruktureinrichtungen verändert habe. Ausweislich der Begründung der Befreiungen habe sich das Landratsamt damit in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern sei vielmehr davon ausgegangen, dass nachbarliche Interessen nicht entgegenstünden, weil es an einer drittschützenden Festsetzung fehle. Es sei damit verkannt worden, dass es entscheidungserheblich nicht auf den Drittschutz einer Festsetzung ankomme. Die objektiv rechtswidrig erteilte Befreiung verletze die Antragsteller in eigenen Rechten, da die Festsetzung der Anzahl der Wohneinheiten nachbarschützend sei. Der Drittschutz der entsprechenden Festsetzung ergebe sich aus dem Willen des Plangebers, der aus dem Bebauungsplan und seiner Begründung erkennbar darauf gerichtet sei, dass die Festsetzungen in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stünden. Ziel sei es, den spezifischen Gebietscharakter des vorhandenen allgemeinen Wohngebiets zu erhalten. Entsprechende Festsetzungen würden die Planbetroffenen wegen der wechselseitigen Bindung zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbinden. Daneben ergebe sich die Rechtsverletzung aus der nicht ausreichenden Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen sowie aus der Verletzung des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs. Ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch bestehe neben dem Gebietserhaltungsanspruch. Er ergebe sich auf Grundlage der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung, auch wenn er mittlerweile in der Rechtsprechung offengelassen werde. Die Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt, da ein an sich den §§ 2 bis 14 BauNVO entsprechendes Vorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten sei, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspräche. Es liege ein (nachbar-)rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität im Hinblick auf die Anzahl der Wohneinheiten sowie der Größe des Bauvorhabens vor. Es widerspräche der Eigenschaft des Gebiets signifikant, dass die geplante Bebauung möglicherweise bis zu 90 Wohneinheiten für 90 Personen aufweise, da sie diesbezüglich deutlich aus dem Rahmen falle. Jedenfalls entstehe eine qualitativ andersartige Nutzungsart. Dabei sei es unbeachtlich, dass es sich bei der Flüchtlingsunterkunft nicht um ein Wohngebäude im bauplanungsrechtlichen Sinne handele, da es sich zumindest um eine zu wohnähnlichen Zwecken genutzte Anlage handele, sodass die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen Anwendung fänden. Jedenfalls werde der bezweckte Gebietscharakter evident verändert. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
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Der Antragsgegner beantragt
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei unbegründet, da die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Die angefochtene Baugenehmigung verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Die Befreiung von der zulässigen Zahl der Wohneinheiten sei nicht objektiv rechtswidrig. Die Befreiung sei unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Aus der Literatur ergebe sich, dass eine Befreiung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BauGB auch erteilt werden dürfe, wenn die Grundzüge der Planung berührt seien. Vor dem Hintergrund der generell geltenden Befristung auf drei Jahre sei dies gerechtfertigt. Die Befreiung müsse jedoch unter Würdigung nachbarlicher Interessen (z.B. Immissionen) mit öffentlichen Belangen vereinbar sein. Zu den nachbarlichen Interessen würde in der Begründung zum Regierungsentwurf ausdrücklich darauf hingewiesen, dass angesichts der nationalen und dringenden Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung Nachbarn auch ein Mehr an Beeinträchtigungen zuzumuten sei. Auch wenn die Grundzüge der Planung zu beachten seien, könne es sich nach dem Gesetzeswortlaut und den obigen Ausführungen lediglich um eine Berücksichtigung in sehr abgeschwächter Form handeln. Die erteilten Befreiungen seien mit öffentlichen Belangen vereinbar. Bei Erlass des Bebauungsplanes habe sich die Beigeladene zu 2. vermutlich zwar noch nicht mit der Möglichkeit einer Flüchtlingsunterkunft auseinandergesetzt, aber auch keinen Ausschluss von Anlagen für soziale Zwecke festgesetzt. Die Beigeladene zu 2. habe dem Vorhaben zugestimmt und das gemeindliche Einvernehmen erteilt. Infrastruktur und Erschließung seien vorhanden. Der Bebauungsplan bleibe auch hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung bestehen, da die Flüchtlingsunterkunft zulässig sei. Der wesentliche Gehalt des Bebauungsplans sei daher gewahrt. Der öffentliche Druck, Raum für die Unterbringung von Flüchtlingen zu schaffen, sei groß. Wohnungen für dezentrale Unterbringung seien rar und Containersiedlungen im Außenbereich im Hinblick auf die Erschließung und Versorgung der Menschen problembehaftet. Das Baugrundstück stehe im Eigentum des Landkreises, sodass es kurzfristig verfügbar sei. Es liege in einem Wohngebiet, welches zentral in P. … liege. Die Erschließung sei unproblematisch. Das öffentliche Interesse des Beigeladenen zu 1. an der Verwirklichung des Vorhabens sei daher nachvollziehbar und auch entsprechend gewichtet worden. Die nachbarlichen Interessen an der Beibehaltung der derzeitigen Situation oder an einer Bebauung mit Einzel- oder Doppelhäusern sei nachvollziehbar. Es handele sich jedoch um eine allgemein zulässige Nutzung, die zudem nur befristet zulässig sei. Nach Ende der Befristung oder gegebenenfalls einer Verlängerung werde die Unterkunft wieder beseitigt. Eine Saldierung habe bei der Befreiungsentscheidung nicht stattgefunden. Im Übrigen habe die Befreiung von der Zahl der Wohneinheiten nicht erteilt werden müssen, da es sich bei der Asylunterkunft um eine Anlage für soziale Zwecke handele und nicht um ein Wohngebäude mit Wohneinheiten. Der Begriff der Wohnungen, auf die sich Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB bezögen, sei im BauGB nicht bestimmt. Wegen des Sachzusammenhangs sei zunächst auf andere entsprechende Begriffe in Bauplanungs- und Bauordnungsrecht zurückzugreifen. Bei den Einheiten in der Asylunterkunft handele es sich nicht um Wohnungen. Es liege eine Containeransammlung vor. Die Einheiten bestünden aus jeweils vier Containern für Aufenthalt und Essen, Gemeinschaft, einem Container als Gemeinschaftsküche, elf Raumcontainern als Unterkunft für je zwei Personen sowie zwei Raumcontainern als Gemeinschaftsdusche/-WC. Die Personen, die in der Unterkunft untergebracht würden, seien üblicherweise keine sozialen Einheiten, die sich einen Raumcontainer teilten. Die Sozialräume, Küche und sanitäre Räume seien nicht direkt vom Raumcontainer aus betretbar; es müsse zuerst ins Freie getreten werden. Zudem handele es sich um Gemeinschaftsräume, die mit Personen, zu denen in der Regel keine näheren Bindungen bestünden, geteilt werden müssten. Es fehle zudem an der Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises, in gewissem Maße auch an der Freiwilligkeit des Aufenthalts. Auch die Dauer der Unterbringung sei begrenzt, da es sich lediglich um eine temporäre Anlage handele. Der Bebauungsplan enthalte keine Definition des Begriffs Wohnungen, sodass sich hieraus auch nichts Gegenteiliges ergeben könne. Die erteilte Befreiung sei daher nicht erforderlich und somit obsolet gewesen. Sie könne keine nachbarschützenden Rechte verletzen. Sie sei erteilt worden, weil sie beantragt worden sei. Selbst wenn man die Ansicht vertreten würde, dass es sich bei der Asylunterkunft um einzelne Wohnungen handele, handele es sich bei jeder der vier freistehenden Containereinheiten nur um jeweils eine Wohneinheit. Die Raumcontainer könnten für sich genommen keine Wohnung darstellen und immer nur zusammen mit den Aufenthalts- und Sanitärcontainern und dem Küchencontainer eine Einheit bilden. Jede der vier Einheiten könne als Einzelhaus betrachtet werden, welche die festgesetzte Zahl der Wohneinheiten von maximal zwei einhalte, da jede Einheit nur aus einer Wohneinheit bestehe. Die erteilten Befreiungen unterlägen keinem Ermessensfehler. Die Ermessensentscheidung sei begründet worden; die nachbarlichen Interessen seien gewürdigt worden. Das Vorhandensein nachbarlicher Interessen sei nicht aufgrund einer fehlenden nachbarschützenden Wirkung ausgeschlossen worden, da ansonsten keine Würdigung stattgefunden hätte. Die Begründung sei zwar knapp; sie sei jedoch erfolgt und könne daher im Rahmen des Klage- bzw. Eilrechtsschutzverfahrens ergänzt werden. Dies sei mit den obigen Ausführungen geschehen. Es würden keine nachbarschützenden Rechte durch die Befreiung von der Zahl der Wohneinheiten verletzt. Die Befreiung sei wie dargelegt schon nicht objektiv rechtswidrig. Nachbarliche Interessen seien gewürdigt worden; im Vorfeld der Entscheidung seien nachbarliche Belange Thema gewesen, da es auch während des Verfahrens Einwendungen hierzu gegeben habe. Weiterhin sei die typische Prägung des Baugebiets und die Gebietsart allgemeines Wohngebiet nicht angetastet. Die Unterkunft sei eine Anlage für soziale Zwecke und damit allgemein zulässig. Bereits aus diesem Grund bleibe es bei der Gebietsart. Die auf Grundlage von § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB erteilte Befreiung könne nicht als Bezugsfall für „normale“ Wohnbauvorhaben dienen, da hier andere rechtliche Grundlagen bestünden. Auch handele es sich um eine befristete Genehmigung. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt, da das Gebiet durchaus in der Lage sei, eine Anlage wie beantragt aufzunehmen. Es handele sich um eine zentrale Lage, sodass auch nicht zu befürchten sei, dass die Personen, welche in der Unterkunft untergebracht seien, nur in der Anlage blieben. Fußläufig seien Geschäfte, Arztpraxen, der Bürgerpark und vieles mehr zu erreichen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
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Der Beigeladene zu 1. äußerte sich nicht in der Sache und stellte keinen Antrag. Die Beigeladene zu 2. legte den einschlägigen Bebauungsplan vor, teilte schriftsätzlich mit, dass auf eine Stellungnahme verzichtet werde und stellte keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren (Az. M 9 K 23.1721) sowie auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen und auf den vorgelegten Bebauungsplan Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom … März 2023 hat keinen Erfolg, da er unbegründet ist. Die Klage in der Hauptsache wird voraussichtlich keinen Erfolg haben, da die streitgegenständliche Baugenehmigung nach summarischer Prüfung keine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden, zugunsten der Antragsteller drittschützenden Vorschriften verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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I. Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine bauaufsichtliche Zulassung hat gemäß § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 1 Nr. 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das (öffentliche) Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 ff.). Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.7.1973 – 1 BvR 23/73 – BVerfGE 35, 382 – juris; zur Bewertung der Interessenlage vgl. BayVGH, B.v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3166 – juris).
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II. Dies zugrunde gelegt, überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners und des Beigeladenen zu 1. gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da die Klage der Antragsteller in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Denn die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Insbesondere weist die streitgegenständliche Baugenehmigung keine nachbarrechtlich relevante Unbestimmtheit auf (1.). Zudem hätte es hinsichtlich der Zahl der Wohneinheiten keiner Befreiung bedurft und verletzt die dennoch erteilte Befreiung die Antragsteller nicht in ihren Rechten (2.). Das Vorhaben verletzt keine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden und drittschützenden Vorschriften, auch mit Blick auf die übrigen erteilten Befreiungen. Insbesondere ist das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig, stellt sich als gebietsverträglich dar und verletzt nicht das Rücksichtnahmegebot (3.). Eine Verletzung anderer Vorschriften, die (auch) dem Nachbarschutz dienen, ist weder vorgetragen, noch sonst im Rahmen der im Antragsverfahren angezeigten, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ersichtlich.
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1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung stellt sich – unabhängig davon, dass dies antragstellerseits auch nicht gerügt wurde – nicht als unbestimmt im nachbarrechtlich relevanten Sinne dar.
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Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss eine Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, was erfordert, dass die im Bescheid getroffenen Regelungen für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen sein müssen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein dürfen (BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18; B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt daher (nur) vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung eine nachbarrechtsrelevante Frage betrifft und infolgedessen im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist (vgl. Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 148. EL September 2022, Art. 68 Rn. 255 m.w.N.). Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich dabei nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen – insbesondere auch die gestempelten Eingabepläne – konkretisiert wird (vgl. Laser in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Aufl. 2022, Art. 68 Rn. 56 m.w.N.).
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Gemessen hieran erweist sich die Baugenehmigung vom … März 2023 als bestimmt im nachbarrechtlich relevanten Sinne. Zwar enthält sie keine ausführlichen Angaben insbesondere zu dem Personenkreis, der in der genehmigten Flüchtlingsunterkunft unterkommen soll, und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer, obwohl solche Eigenschaften beispielsweise für die an verschiedenen Stellen zu prüfende Frage, ob eine Wohnnutzung oder eine anderweitige Nutzung vorliegt (dazu näher unten), auch nachbarrechtlich relevant sein können. Allerdings wird aus der Gesamtschau des Genehmigungsbescheids und der Bauvorlagen hinreichend deutlich, wie das Vorhaben charakterisiert ist. Schon aus der Bezeichnung als Flüchtlingsunterkunft ergibt sich der Charakter des Vorhabens als Gemeinschaftsunterkunft für – untechnisch gesprochen – in Deutschland Schutzsuchende, v.a. auf Grundlage des Asylrechts, zum vorübergehenden Aufenthalt, v.a. während der Durchführung des Asylverfahrens. Dass in derartigen Unterkünften in der Praxis teilweise auch sog. „Fehlbeleger“ untergebracht werden, ändert an dieser grundsätzlichen Zweckbestimmung nichts. Diese Einordnung des Vorhabens wird verstärkt beispielsweise durch die Angaben in der Betriebsbeschreibung (z.B. Unterbringung von bis zu 88 Personen auf einer Fläche von insges. 957m², vgl. Behördenakte – BA – Bl. 15 Rückseite), die Berechnung der Nutzfläche (diese bezieht sich auf eine „soziale Einrichtung“ und listet die verschiedenen Containerarten und deren Anzahl auf, vgl. BA Bl. 16), den rechnerischen Stellplatznachweis (der als Nutzungsart auf die Kategorie „Obdachlosenheime, Gemeinschaftsunterkünfte für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ abstellt, vgl. BA Bl. 17), die aus den Bauvorlagen ersichtliche Art der Ausführung des Vorhabens (aufeinander und nebeneinander platzierte Container mit außen verlaufenden Treppen und Gängen, vgl. Eingabepläne) sowie nicht zuletzt durch die Befristung der Baugenehmigung auf drei Jahre, was – ggf. auch nach entsprechenden Verlängerungen – den temporären Charakter des Vorhabens insgesamt hervorhebt. In einer Gesamtschau sind das Vorhaben – in seiner Charakterisierung als temporäre Gemeinschaftsunterkunft überwiegend für Personen im Asylverfahren zum zeitlich begrenzten Aufenthalt – und damit eine potentielle Nachbarbetroffenheit daher hinreichend bestimmt erkennbar.
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2. Hinsichtlich der Zahl der nach dem einschlägigen Bebauungsplan (dort textliche Festsetzung 1.1.2) maximal zulässigen Wohneinheiten je Gebäude bzw. Gebäudeeinheit hätte es keiner Befreiung bedurft, da diese Festsetzung auf das streitgegenständliche Vorhaben mangels Wohnen und Wohneinheiten schon nicht anwendbar bzw. für den Fall, dass man eine Wohnnutzung annimmt, eingehalten ist (a). Die dennoch erteilte Befreiung verletzt jedenfalls die Antragsteller nicht in ihren Rechten; offenbleiben kann dabei, ob die entsprechende Festsetzung nachbarschützende Wirkung entfaltet (b).
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a) Der einschlägige Bebauungsplan setzt in seinen textlichen Festsetzungen, dort unter 1.1.2, für die Gebiete WA1, WA2 und WA3 die maximal zulässige Anzahl der Wohneinheiten pro Gebäude bzw. Gebäudeeinheit fest. Zulässig sind demnach zwei Wohneinheiten je Einzelhaus, eine Wohneinheit je Doppelhaushälfte und eine Wohneinheit je Reihenhausabschnitt. Einer Befreiung von dieser Festsetzung, wie sie im streitgegenständlichen Bescheid erteilt wurde, hätte es für das gegenständliche Vorhaben nicht bedurft, da die Festsetzung nicht anwendbar ist, da kein Wohnen und damit auch keine Wohneinheiten im Sinne des Bebauungsplans vorliegen (aa und bb). Zudem wäre auch bei unterstellter Anwendbarkeit der Festsetzung und bei unterstelltem Vorliegen von Wohnen und Wohneinheiten die höchstzulässige Zahl der Wohneinheiten vorliegend gewahrt (cc).
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aa) Die Festsetzung ist nur auf Wohnnutzungen anwendbar, nicht auf die hier einschlägige Anlage für soziale Zwecke (zu Letzterem näher unter bb). Dies ergibt sich aus einer satzungsautonomen Auslegung der Festsetzung, wobei auf die allgemeinen Begriffsverständnisse – insbesondere auch im übrigen Bauplanungsrecht und ggf. auch im Bauordnungsrecht – zurückgegriffen werden kann. Nach ihrem Wortlaut regelt die textliche Festsetzung 1.1.2 die Anzahl von Wohneinheiten für Einzel-, Doppel- und Reihenhausabschnitte. Schon begrifflich bezieht sie sich damit allein auf eine Wohnnutzung, nicht auf sonstige Nutzungen, da eine Wohneinheit schon dem Wortlaut nach das Wohnen voraussetzt. Auch teleologisch und systematisch kommt man zum gleichen Ergebnis. Denn der Plangeber regelt die Anzahl der Wohneinheiten für Einzel-, Doppel- und Reihenhausabschnitte und hat dabei – auch unter Beachtung der gesetzlichen Grundlage für die Festsetzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) – typische Wohnhäuser vor Augen. Die gesetzliche Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB bildet für den Plangeber den maßgeblichen Rahmen für die Festsetzung, da ihm kein sog. Festsetzungsfindungsrecht zukommt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, dass sich der Plangeber im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB halten wollte und damit die höchstzulässige Zahl der Wohneinheiten (nur) für Gebäude, die jedenfalls nicht nur ganz untergeordnet dem Wohnen (im bauplanungsrechtlichen Sinne, dazu näher unter bb) dienen (vgl. nur BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 1 N 04.1661 – juris Ls. 2 m.w.N.). Zusätzlich ergeben sich weder aus der Festsetzung selbst noch aus der Begründung des Bebauungsplans oder aus sonstigen Gesichtspunkten Anhaltspunkte dafür, dass der Plangeber über den beschriebenen Wortlaut, Telos und systematischen Zusammenhang hinaus regeln wollte, wie viele „Wohn-“Einheiten in anderen als Wohngebäuden zulässig sind.
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bb) Vorliegend ist keine Wohnnutzung und sind keine Wohneinheiten in diesem Sinne, d.h. im Sinne der textlichen Festsetzung 1.1.2 des Bebauungsplans, gegeben, sondern es liegt eine Anlage für soziale Zwecke vor. Wie dargestellt sind die Begriffe zunächst satzungsautonom auszulegen, wobei auf das übliche (bau-)rechtliche Begriffsverständnis zurückgegriffen werden kann. Schon der Satzungstext selbst zeigt in seinem Wortlaut und der Systematik der Regelung selbst, dass der Begriff des Wohnens bzw. der Wohneinheiten, die begriffsnotwendig ein Wohnen voraussetzen, von dem klassischen Bild des Wohnens und der Wohneinheiten ausgeht, wie es typischerweise in Einzel- und Doppelhäusern sowie in Reihenhausabschnitten vorzufinden ist, da er die Anzahl der Wohneinheiten in genau solchen Gebäuden regelt (und diese ausweislich der Begründung als Ausprägung eines „Gebietscharakters“ auch in ebendiesen Formen erhalten will). Dieses klassische Verständnis des Wohnens deckt sich mit dem Verständnis, das im Rahmen des Bauplanungsrechts üblicherweise im Rahmen der Art der baulichen Nutzung herangezogen wird. Dort kommt es zur Auslegung des Begriffs des Wohnens auf Faktoren wie das Vorliegen einer Heimstatt im Alltag mit entsprechender Privatsphäre und der Bildung eines Lebensmittelpunktes, eine gewisse Freiwilligkeit und Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes, die Möglichkeit zur Eigengestaltung der Haushaltsführung und dergleichen an (vgl. übersichtsartig etwa Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, August 2023, § 246, Anhang II, Gliederungsziff. 2.2). Nichts anderes gilt für die Frage, ob Wohnen bzw. Wohneinheiten im Sinne der textlichen Festsetzung 1.1.2 des hier gegenständlichen Bebauungsplans vorliegen.
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Auf dieser Grundlage weist das streitgegenständliche Vorhaben weder eine Wohnnutzung noch Wohneinheiten im Sinne der textlichen Festsetzung 1.1.2 des Bebauungsplans auf, sodass diese Festsetzung keine Anwendung findet. Zwar kann eine Unterbringung von – untechnisch – Flüchtlingen bzw. Asylbegewerbern im bauplanungsrechtlichen Sinne sowohl in Form einer Wohnnutzung als auch in Anlagen für soziale Zwecke erfolgen; es kommt auf die jeweilige Ausgestaltung im konkreten Fall an (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, August 2023, § 246, Anhang II, Gliederungsziff. 2.2). Vorliegend ist jedoch eine Anlage für soziale Zwecke gegeben, die in erster Linie der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt dient (vgl. etwa BayVGH, U.v. 13.9.2012 – 2 B 12.109 – juris Rn. 25; B.v. 29.1.2014 – 2 ZB 13.678 – juris Rn. 5), sodass keine Wohnnutzung und keine Wohneinheit im Sinne des Bebauungsplanes vorliegt. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau des Vorhabens mit seiner oben im Rahmen der Bestimmtheitsprüfung schon teilweise dargestellten Ausgestaltung. Maßgeblich gegen das Vorliegen von Wohnen spricht hier zunächst die verhältnismäßig hohe Anzahl an untergebrachten Personen (bis zu 88 Personen) im Vergleich zu der zur Verfügung stehenden Fläche (957 m²) sowie die vorgesehene Belegung der nur knapp 2,5 m mal 6 m großen Wohncontainer mit je zwei Personen, die nicht notwendigerweise in einem familiären Verhältnis stehen. Auf dieser Grundlage ist nicht zu erkennen, dass der einzelnen Person die Möglichkeit offenstehen wird, sich eine Heimstatt im Alltag mit einem gewissen Maß an Privatsphäre als – jedenfalls vorübergehender – Lebensmittelpunkt zu schaffen. Zugleich weist jede der vier Wohnunterkünfte nur einen ebenfalls nur knapp 2,5 m mal 6 m großen Küchencontainer auf. Diese Küche soll von bis zu 22 Personen genutzt werden. Auch dies macht den Charakter als (Gemeinschafts-)Unterkunft mit beengten und auch sonst eingeschränkten Verhältnissen mehr als deutlich; vor allem die Notwendigkeit, die eigene Haushaltsführung nicht nur an eine überschaubare Vielzahl, sondern eine sehr große Anzahl von (überwiegend fremden) Personen anzupassen, liegt auf der Hand. Dies stellt auch eine Abgrenzung zu klassischen Wohngemeinschaften oder Wohnheimen dar, die oft als Wohnnutzung einzuordnen sein werden. Vergleichbares gilt auch für die Sanitärcontainer. Hier stehen immerhin zwei Container pro Wohnunterkunft mit 22 Bewohnern zur Verfügung; dies genügt jedoch immer noch nicht, um eine dem Wohnen entsprechende Lebensführung mit einem gewissen Maß an Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises zu ermöglichen. Hinzu kommen die gesamte Ausgestaltung der Flüchtlingsunterkunft als Containerbau mit außenliegenden Treppen und Gängen, die zeitliche Befristung der Baugenehmigung (auch unter Berücksichtigung etwaiger Verlängerungen) sowie die regelmäßig bei den meisten Bewohnern bestehende Pflicht zum Aufenthalt in der Unterkunft (vgl. etwa § 53 Abs. 1 AsylG). Auch wenn in einzelnen oder mehreren Fällen manche der aufgezählten Elemente nicht zutreffen (etwa die nicht mehr bestehende Pflicht nach § 53 Abs. 1 AsylG bei sog. „Fehlbelegern“), zeigt eine Gesamtschau der Umstände, dass es sich bei dem Vorhaben insgesamt um eine Anlage für soziale Zwecke (zwar mit wohnähnlicher Nutzung, aber eben keiner Wohnnutzung im Rechtssinne) handelt und kein Wohnen mit Wohneinheiten im Sinne des Bebauungsplans vorliegt.
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Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Rechtsprechung Einrichtungen der Flüchtlingsunterbringung teilweise als Wohnnutzung im bauplanungsrechtlichen Sinne oder als wohnähnliche und damit etwa im Bauordnungsrecht gleichzustellende Nutzung einordnet (vgl. etwa im Kontext des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO a.F. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 30 mit Bezugnahme auf BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris Rn. 26). Denn zum einen kommt es – wie oben dargelegt – maßgeblich auf die Ausgestaltung der Unterbringung im Einzelfall an. Zum anderen ist vorliegend auf einen satzungsautonomen Begriff des Wohnens und der Wohneinheiten abzustellen, der sich zuerst an der Satzung selbst und dann – wegen Sachnähe – am übrigen Bauplanungsrecht orientiert. Dabei bleibt es bei den dargestellten Kriterien. Kommt man – wie hier – auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass eine Anlage für soziale Zwecke vorliegt, ist eine Festsetzung der maximalen Anzahl von Wohneinheiten im Bebauungsplan mangels Vorliegen von Wohnen bzw. Wohneinheiten schon nicht anwendbar (im Ergebnis ebenso, aber etwas zu pauschal für Wohnheime allgemein Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 151. EL August 2023, § 9 Rn. 73).
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Dieses Ergebnis fügt sich auch in das Plankonzept des vorliegenden Bebauungsplans insgesamt ein. Der Plangeber setzt ein allgemeines Wohngebiet fest. Zugleich setzt er fest, dass in Einzelhäusern, Doppelhaushälften und Reihenhausabschnitten jeweils maximal eine bestimmte Anzahl von Wohneinheiten zulässig ist. Bei letzterer Festsetzung steht dem Plangeber jedoch ebenso vor Augen, dass in einem allgemeinen Wohngebiet nicht nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Reihenhäuser, sondern auch andere Vorhaben (allgemein oder ausnahmsweise) zulässig sind, beispielsweise Anlagen für soziale Zwecke (vgl. § 4 BauNVO). Für diese übrigen, aber ebenso zulässigen Vorhaben setzt der Plangeber jedoch gerade keine höchstzulässige Zahl von „Wohn-“Einheiten fest. Es liegt dabei – ohne dass es darauf streitentscheidend ankäme; entscheidend ist allein der oben dargestellte und durch Auslegung ermittelte Gehalt der Regelung – gerade nicht auf der Hand, dass der Plangeber potenziell alle Formen der Unterbringung von Personen auf eine gewisse Anzahl von Einheiten je Gebäude beschränken wollte. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist es, dass der Plangeber nur das Wohnen im klassischen Sinne auf eine geringe Anzahl von Einheiten je Haus bzw. Hausabschnitt beschränken wollte, zugleich aber anerkennt, dass in anderen Vorhaben (etwa bestimmten Formen der Gemeinschaftsunterbringung wie der hier gegenständlichen) ein Bedarf an einer höheren Anzahl an Nutzungseinheiten je Gebäude besteht, und solche – typischerweise im Vergleich zum klassischen Wohnen eher singulären – Vorhaben auch in dieser Form zulassen wollte.
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Aber auch wenn man davon ausginge, dass der Plangeber im Jahr 1998 eine Flüchtlingsunterkunft noch nicht vor Augen hatte und möglicherweise eine Begrenzung der Anzahl der Wohneinheiten auch für ein solches Vorhaben vorgenommen hätte, führt dies nicht zur Anwendbarkeit der textlichen Festsetzung 1.1.2. Denn bei der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens kommt es auf die vorhandene Rechtslage an und nicht darauf, was ein Gesetz- bzw. Plangeber in voller Kenntnis zukünftiger Entwicklungen geregelt hätte bzw. regeln würde. Sobald eine Norm in Kraft tritt, verlässt sie den Innenbereich der Normgebung und gelangt in den Bereich der Normanwendung. Hier ist der Gehalt der Norm allein anhand der Auslegung durch den Normanwender – und im Streitfalle letztverbindlich durch die Rechtsprechung – zu ermitteln. Für die Zukunft steht dem Gesetz- bzw. Normgeber eine Anpassung der Regelung frei.
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cc) Selbst wenn man annehmen würde, dass die textliche Festsetzung 1.1.2 des Bebauungsplans auf das streitgegenständliche Vorhaben anwendbar ist und Wohnen und Wohneinheiten vorliegen, ist keine Befreiung von der Festsetzung erforderlich, da die Anforderungen der Festsetzung gewahrt sind. Denn vorliegend besteht das Vorhaben aus vier separaten, auch baulich getrennten und jeweils freistehenden sog. Wohnunterkünften. Jede dieser Wohnunterkünfte verfügt über mehrere Wohncontainer, mehrere Aufenthaltscontainer, mehrere Sanitärcontainer und einen Küchencontainer. Sofern man davon ausginge, dass eine Wohnnutzung stattfindet, ist konsequenterweise auch anzunehmen, dass eine Wohneinheit im Sinne des Bebauungsplans aus allen Räumen, die eine Wohnnutzung ermöglichen, besteht. Dazu gehört jedenfalls auch eine Küche, da erst diese eine dauerhafte Nutzung, eine Heimstatt im Alltag und eine in gewissem Maße eigengestaltete Haushaltsführung ermöglicht. Veranschaulicht wird dies auch durch den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB, der wie oben dargestellt auch im Rahmen der Auslegung des Bebauungsplans herangezogen werden kann, da diese Norm von der höchstzulässigen Zahl der „Wohnungen“ spricht; eine Wohnung setzt erst recht eine Küche voraus. Pro Wohnunterkunft liegt hier jedoch nur eine Küche vor, sodass insgesamt nur jeweils eine Wohneinheit im so verstandenen Plansinne vorliegt. Dem steht nicht entgegen, dass die vorliegenden Wohnunterkünfte voraussichtlich durch sehr viel mehr Personen genutzt werden, als bei einer „typischen“ Wohneinheit zu vermuten wäre. Denn die bauplanungsrechtliche Begrenzung der Anzahl der Wohneinheiten pro Gebäude, wie sie in § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB vorgesehen und hier im Bebauungsplan erfolgt ist, begrenzt gerade nicht die Zahl der Bewohner, sondern nur die Zahl der Wohneinheiten bzw. Wohnungen.
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b) Die vorliegend dennoch erteilte Befreiung von der textlichen Festsetzung 1.1.2 des Bebauungsplans verletzt die Antragsteller jedenfalls nicht in ihren Rechten. Es kann auch offenbleiben, ob die textliche Festsetzung 1.1.2 nachbarschützend ist oder nicht. Denn Letzteres wäre nur entscheidend, wenn eine potentielle Nachbarrechtsverletzung durch eine in der Sache notwendige, durch den Bauherrn beantragte und schließlich erteilte Befreiung zu prüfen wäre.
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3. Das Vorhaben verletzt keine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden und drittschützenden Vorschriften, auch mit Blick auf die übrigen erteilten Befreiungen, hinsichtlich derer es ersichtlich an einem Anknüpfungspunkt für Nachbarschutz fehlt.
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Insbesondere ist das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig, stellt sich als gebietsverträglich dar und verletzt nicht das Rücksichtnahmegebot.
35
Wie oben dargestellt liegt in dem streitgegenständlichen Vorhaben eine Anlage für soziale Zwecke vor. Eine solche ist im hier durch den Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig, § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Das Vorhaben stellt sich auch allgemein und im Einzelfall als gebietsverträglich dar (dies auch unabhängig davon, ob man einen sog. Gebietsprägungserhaltungsanpruch annehmen möchte oder nicht, vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10).
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Zwar kann ein Vorhaben auch dann, wenn es im konkreten Baugebiet regelhaft zulässig ist, also mit der Gebietsart vereinbar ist, gleichwohl (generell) gebietsunverträglich sein, wenn es aufgrund seiner Nutzungsweise störend wirkt (vgl. BVerwG, B.v. 28.2.2008 – 4 B 60.07 – juris Rn. 11). Bei der anzustellenden, typisierenden Betrachtungsweise wirkt sich eine Flüchtlingsunterkunft jedoch im allgemeinen Wohngebiet nicht aufgrund ihrer Nutzungsweise störend aus. Der Charakter einer solchen Unterkunft ist – schon wegen ihrer an der obigen Abgrenzung ablesbaren Nähe zur Wohnnutzung, jedenfalls aber wegen der Regelzulässigkeit von Anlagen für soziale Zwecke – nicht gebietsstörend. Einen „Milieuschutz“, der ausnahmsweise zur Unzulässigkeit führen könnte, gibt es nicht (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364 – juris Rn. 72; VG München, U.v. 17.5.2016 – M 1 K 16.629 – juris Rn. 31). Auch ein „Kippen“ des Gebietscharakters kommt nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass es keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass über die streitgegenständliche Flüchtlingsunterkunft hinaus in weiteren Gebäuden in der näheren Umgebung Flüchtlingsunterkünfte in erheblichem Ausmaß geschaffen werden sollen, würde die Einrichtung solcher Anlagen für soziale Zwecke den Gebietscharakter nur bestätigen, nicht jedoch „kippen“.
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Darüber hinaus schränkt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, nach dem die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen im Einzelfall unzulässig sind, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen, die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall ein (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2007 – 4 C 1.06 – BVerwGE 128, 118 ff.). Zwar kann, bezogen auf das Merkmal des „Umfangs“, im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen, so dass die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 15 CS 15.1935 – juris Rn. 20). Dies kommt z.B. in Betracht bei atypischen Folgewirkungen wie etwa erhöhtem Verkehrsaufkommen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Mai 2023, § 15 BauNVO Rn. 17). Für ein (nachbar-)rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste jedoch das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 – 8 A 10680/16 – juris Rn. 11 f.). Für derartige Folge- oder Auswirkungen gibt es bei der streitgegenständlichen Unterkunft jedoch keine Anhaltspunkte; solche sind weder substantiiert vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insbesondere genügt die bloße Dimensionierung der Unterkunft mit bis zu 88 untergebrachten Personen nicht als Begründung. Denn es ist nicht substantiiert dargelegt oder sonst ersichtlich, warum die Dimensionierung vorliegend dazu führen soll, dass das Vorhaben ausnahmsweise der Eigenart des Baugebietes widerspricht. Allein die Vorbildlosigkeit genügt nicht. Wie oben ausgeführt handelt es sich bei einer Flüchtlingsunterkunft wie der hier streitgegenständlichen nicht um ein „atypisch großes Wohnhaus“ inmitten von sonst nur Ein- oder Zweifamilienhäusern. Vielmehr liegt eine Anlage für soziale Zwecke vor, die im allgemeinen Wohngebiet ebenso zulässig ist wie eine Wohnbebauung. Darüber hinaus begründet eine Flüchtlingsunterkunft mit üblicher Belegungsdichte für sich genommen auch keine bodenrechtlich relevanten Störungen, auch wenn sich der Lebensrhythmus und die Gewohnheiten der Untergebrachten von denen der Ortsansässigen abheben mögen (vgl. BayVGH, U.v. 13.9.2012 – 2 B 12.109 – juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 14 f.). Auch hieraus ergibt sich daher kein Ansatzpunkt für den Nachbarschutz.
38
Schließlich verstößt das Vorhaben auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 2.04 – juris). Entscheidend ist letztlich, ob eine für den Rücksichtnahmebegünstigten unzumutbare Beeinträchtigung entsteht. Ob und inwieweit sich Belästigungen und Störungen auswirken können, ist dabei nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung der bestimmungsgemäßen Nutzung der Anlage und der sich daraus ergebenden Erwartung von Auswirkungen zu beurteilen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Mai 2023, § 15 BauNVO, Rn. 21 ff., 28). Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind Vorhaben rücksichtslos und damit unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
39
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Von einer baulichen Anlage ausgehende Störungen und Belästigungen sind nur insoweit auf ihre Nachbarverträglichkeit zu prüfen, als sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Andere (befürchtete) Belästigungen sind nicht Gegenstand baurechtlicher Betrachtung (und hier auch nicht schwerpunktmäßig vorgetragen). Insbesondere ist das Baurecht im Allgemeinen nicht in der Lage, soziale Konflikte zu lösen, die wegen der Unterbringung von Flüchtlingen/Asylbewerbern besorgt werden. Alleine die Belegung mit Flüchtlingen/Asylbewerbern ist für sich betrachtet keine geeignete Grundlage, um die bebauungsrechtliche Zulassungsfähigkeit des Vorhabens in Zweifel zu ziehen. Denn das allgemeine Bauplanungsrecht kann und soll keinen „Milieuschutz“ gewährleisten, vgl. bereits oben. Daher sind Immissionen, die von einer Flüchtlingsunterkunft ausgehen, in der Regel (sogar) auch in solchen Wohngebieten hinzunehmen, die durch eine anderweitige homogene Wohnbevölkerung geprägt sind (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94 – BVerwGE 101, 364; BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 15 CS 15.1935 – juris Rn. 20). Vorliegend bestehen keine Hinweise darauf, dass untypische, nicht hinzunehmende Immissionen von dem Vorhaben ausgehen werden. Unabhängig davon kann Störungen, die im Einzelfall über das nutzungstypische Maß hinausgehen, auch nicht mit baurechtlichen Instrumenten begegnet werden. Vielmehr ist Belästigungen im jeweiligen Einzelfall mit Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts zu begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2015 – 9 CE 14.2854 – juris Rn. 19; VGH BW, B.v. 23.6.2016 – 5 S 634/16 – juris Rn. 15).
40
Daher wird der Antrag abgelehnt.
41
III. Die Antragsteller tragen gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen, da sie keine Sachanträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.