Titel:
Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Boardinghouses
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
BauNVO § 4
Leitsätze:
1. Ein Boardinghouse stellt eine Übergangsform zwischen einer Wohnnutzung und einem Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt (vgl. VGH München BeckRS 2016, 110061 Rn. 14). Die Abgrenzung von Wohnen und Beherbergungsbetrieb erfolgt danach, ob die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises oder hoteltypische Serviceleistungen im Vordergrund stehen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. In eine Gemengelage mit überwiegendem Wohnanteil kann sich ein Boardinghouse einfügen, wenn es dem vorhandenen Nutzungsspektrum entspricht und keine Nutzungskonflikte mit der Wohnnutzung und auch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ersichtlich sind. (Rn. 33 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Art der baulichen Nutzung, Boardinghouse, Abgrenzung Beherbergungsbetrieb und Wohnen, Gemengelage, Wohnnutzung, Beherbergungsbetrieb
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 05.08.2025 – 2 ZB 24.795
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17393
Tenor
I. Soweit die Hauptsache für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Antworten zu Frage 2 und 3a) des Vorbescheids vom 18.1.23 (PlanNr. …) werden aufgehoben.Die Beklagte wird verpflichtet, die Fragen 2 und 3a) des Vorbescheidsantrags vom 22.8.22 (PlanNr. …) positiv zu beantworten.
III. Die Klägerin hat ¾, die Beklagte ¼ der Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung eines positiven Vorbescheids, welcher die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Boardinghouses zum Gegenstand hat.
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Das Vorhabengrundstück G. …straße 9, Fl.Nr. …8, Gem. Sektion … ist gegenwärtig mit einem zweigeschossigen Abbruchhaus bebaut. Es liegt in einem hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht überplanten innerstädtischen Geviert, welches im Norden von der R. … Straße/dem R. … Platz, im Osten durch die F. …straße, im Süden durch die R. …straße und im Westen durch die G. …straße/S. …straße begrenzt wird. Die G. …straße verläuft als Stichstraße Richtung Nordosten in das Geviert hinein und setzt sich etwa mittig im Quartier als verkehrsberuhigte Zone Richtung Osten bis zur F. …straße fort.
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Am 22. August 2022 (Eingangsdatum) beantragte die Klägerin einen Vorbescheid für eine Neubebauung auf dem Vorhabengrundstück. Vorgesehen ist ein „bananenförmiger“ Baukörper entlang der G. …straße und der Ostgrenze des Vorhabengrundstücks mit einer Geschossigkeit von E+V+DG+GAL zuzüglich Untergeschosse (UG1 – UG 4; Tiefgarage) mit 71 Wohn- bzw. Nutzungseinheiten und 83 Stellplätzen. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist eine „gewerbliche Wohnnutzung“ bzw. ein Boardinghouse geplant. Nach der Betriebsbeschreibung (Eingang: 18. Oktober 2022) sollen die Einheiten unter anderem mit einer Küchenzeile ausgestattet werden. Gemeinschaftsräume sind nicht vorgesehen. Reinigungsarbeiten während der laufenden Nutzung werden nicht angeboten, lediglich Reinigungs- bzw. Sanierungsarbeiten nach Rückgabe der Einheit. Auch Verpflegungsleistungen sind, bis auf einen wöchentlichen externen Lieferdienst für Getränke nicht geplant. Die Mindestaufenthaltsdauer beträgt einen Tag, im Übrigen gibt es keine zeitliche Begrenzung.
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Mit Vorbescheid vom 18. Januar 2023 (PlanNr. …), der Klägerin zugestellt am 23. Januar 2023, beantwortete die Beklagte u.a. die Fragen 2 und 3a) wie folgt:
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"Frage 2: Ist nach der Art der Nutzung eine gewerbliche Wohnnutzung (z. B. Boardinghouse) bauplanungsrechtliche zulässig?
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Die Frage wurde negativ verbeschieden. Das Vorhaben mit einer gewerblichen Nutzung im Sinne einer hotelartigen Nutzung füge sich in die nähere Umgebung, welche überwiegend Wohnnutzung enthalte, nicht ein.“
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Frage 3: Ist nach der Art der Nutzung im EG und dem 1.OG eine gewerbliche Wohnnutzung (Boardingnutzung) und in den oberen Etagen jeweils Wohnnutzung (klassische Wohnnutzung oder studentisches Wohnen) bauplanungsrechtliche zulässig?
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In der Antwort wurde die Frage 3 in Frage 3a) – „gewerbliche Wohnnutzung“/Boardinghouse – und Frage 3b) – „klassisches Wohnen“ – aufgegliedert. In Bezug auf die Frage 3a) wurde auf die ablehnenden Ausführungen zu Frage 2 verwiesen, während die Frage 3b) positiv gesehen wurde.
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Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte der Klägerin für diese Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München, zunächst mit dem Ziel, den Vorbescheid vom 18. Januar 2023 hinsichtlich der Antworten zu Frage 2, 3 in Bezug auf die abgefragte Nutzung im EG und 1.OG, 5, 6, 8, 9 und 10 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Vorbescheidsantrag auch insoweit zu genehmigen. Er beantragt zuletzt,
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Der Vorbescheid der Landeshauptstadt München, Lokalbaukommission, vom 18.01.2023, Aktenzeichen …, wird hinsichtlich der Antworten zu Frage 2 und 3 in Bezug auf die abgefragte Nutzung im EG und 1.OG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Vorbescheidsantrag auch insoweit zu genehmigen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es zunächst einer Auslegung der Vorbescheidsfrage 2 bedürfe, da eine „gewerbliche Wohnnutzung“ keiner typisierten Nutzungsart im Sinne der Baunutzungsverordnung entspreche. Da es für die Einordnung auf das konkrete Nutzungskonzept ankomme, sei zur Auslegung in erster Linie die Betriebsbeschreibung heranzuziehen. Vom „normalen“ Wohnen unterscheide sich die beantragte Nutzungsform nur hinsichtlich der Aufenthaltsdauer. Sie sei jedoch nach ihrem Nutzungsschwerpunkt als Wohnnutzung im Sinne des Bauplanungsrechtes zu verstehen. Die planungsrechtliche Zulässigkeit könne daher nicht ernsthaft infrage gestellt werden. Gleiches gelte für die Frage 3.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Fragen 2 und 3a) bezögen sich auf die Zulässigkeit einer teilweise gewerblichen Nutzung. Diese finde im Geviert hinsichtlich einer hotelähnlichen und so auch abgefragten gewerblichen (Wohn-)Nutzung keine Bezugsfälle. Die prägende Umgebung östlich der S. …straße von der R. … Straße bis zur G. …straße einschließlich des streitgegenständlichen Grundstücks sei weit überwiegend durch Wohnnutzung geprägt. Eine gewerbliche Nutzung widerspreche dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets.
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Das Gericht hat am 18. März 2024 Beweis durch Augenschein erhoben und eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Vorbescheidsfragen 5, 6, 8, 9 und 10 übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Auf die Protokolle des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich der Fragen 5, 6, 8, 9 und 10 des Vorbescheidsantrags vom 22. August 2022 (PlanNr. …) übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Da sich die Hauptsache nur teilweise erledigt hat, war kein gesonderter Beschluss zu erlassen, sondern die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung und die Kostentragung zusammen mit der Sachentscheidung über den nicht erledigten Teil im Urteil zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 – juris Rn. 2; Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 92 Rn. 24f., § 161 Rn. 14).
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Im Übrigen hat die zulässige Klage auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf positive Beantwortung der Vorbescheidsfragen 2 und 3a) – das Gericht übernimmt zur Vereinfachung und Klarstellung die Benennung der streitgegenständlichen Teilfrage 3 als „Frage 3a)“ – des Antrags vom 22. August 2022 nach PlanNr. …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dem abgefragten Vorhaben stehen in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind, Art. 71 Satz 1 und 4 BayBO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO i.V.m. §§ 29 bis 38 BauGB. Der Vorbescheid vom 18. Januar 2023 war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den begehrten Vorbescheid auch in diesen Fragen positiv zu beantworten.
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1. Nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 BayBO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist der begehrte Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind.
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1.1. Der Vorbescheid regelt als vorweggenommener Teil der Baugenehmigung einzelne, das Baugenehmigungsverfahren betreffende Fragen grundsätzlich verbindlich und abschließend (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2010 – 15 ZB 8.1428 – DVBl. 2011, 170). Der Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheids richtet sich dabei nach den gestellten Fragen und den zugrundeliegenden Plänen (BayVGH München, B.v. 29.4.2019 – 9 ZB 15.2606 – juris Rn. 6 m.w.N.) sowie der Planungsdichte (VG München, U.v. 30.1.2023 – M 8 K 20.2603 – juris Rn 43). Der Antrag muss hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) und ein konkreter Vorhabensbezug bestehen (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 51; U.v. 14.2.2008 – 15 B 06.3463 – ZfBR 2008, 391; B.v. 26.2.2008 – 14 ZB 07.149 – BeckRS 2008, 27603). Dies bedeutet, dass die im Genehmigungsbescheid getroffene Regelung und damit auch der Inhalt, die Reichweite und der Umfang der genehmigten Nutzung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19) – eindeutig zu erkennen sein müssen (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30).
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1.2. Dieses berücksichtigend sind die streitgegenständlichen Fragen 2 und 3a) vorliegend hinsichtlich der abgefragten Art der Nutzung hinreichend bestimmt bzw. hinreichend auslegungsfähig.
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Zwar sind die Fragestellungen aus sich heraus nicht konkret genug, um ausreichend Aufschluss über die abgefragte Art der Nutzung zu geben, zumal eine „gewerbliche Wohnnutzung“ keine typisierte Nutzungsart, welche in der BauNVO geregelt ist, darstellt und die Nutzung „Boardinghouse“ nur beispielhaft und damit ohne konkreten Vorhabensbezug verwendet wurde. Allerdings genügen die Vorbescheidsfragen unter Zugrundelegung der zur Genehmigung gestellten Pläne sowie der im Nachgang vorgelegten Betriebsbeschreibung (Eingangsdatum 18. Oktober 2022), den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit und den konkreten Vorhabensbezug (vgl. zur Auslegung von Vorbescheidsfragen: BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 2 ZB 12.668 – BeckRS 2013, 48106 Rn. 3).
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Bei verständiger Auslegung der Fragen 2 und 3a) ist eine Boardinghouse-Nutzung abgefragt, bei der bis zu 71 möblierte Nutzungseinheiten (mit Küchenzeilen) mit zugehörigen Stellplätzen über ein Schlüsselausgabesystem an einen ständig wechselnden Personenkreis überlassen werden sollen, wobei die Mindestaufenthaltsdauer zwar nur einen Tag beträgt, die Aufenthaltsdauer jedoch keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt. Hoteltypische Dienstleistungen sind nicht vorgesehen. Eine darüber hinausgehende, unbeschränkte „hotelartige Nutzung“ – wie sie die Beklagte befürchtet – ist bei Zugrundelegung der Betriebsbeschreibung damit gerade nicht Gegenstand des Vorbescheids, denn Umfang und Bindungswirkung des Vorbescheids sind auf das abgefragte Vorhaben im konkreten Planungsstadium beschränkt (s.o.).
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2. Das abgefragte Boardinghouse, bei dem es sich um einen Betrieb des Beherbergungsgewerbes handelt, vermag sich in die Eigenart der maßgeblichen Umgebung, einer Gemengelage mit überwiegendem Wohnanteil, einzufügen. Zwar findet sich insoweit kein Vorbild, aufgrund des geringen Störgrads des Vorhabens sind städtebauliche Spannungen jedoch nicht zu befürchten.
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2.1. Ein Boardinghouse stellt eine Übergangsform zwischen einer Wohnnutzung und einem Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt (BayVGH, B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris Rn. 14). Die Abgrenzung von Wohnen und Beherbergungsbetrieb erfolgt nach der Rechtsprechung danach, ob die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises oder hoteltypische Serviceleistungen im Vordergrund stehen (vgl. hierzu: Stock in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung 5. Auflage 2022, Rn. 24a).
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Nach ständiger Rechtsprechung setzt Wohnnutzung im Sinne des Bauplanungsrechts eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit voraus, die durch die Möglichkeit eigenständiger Haushaltsführung und unabhängiger Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises sowie der Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ist. Maßgeblich für die Erfüllung des Wohnbegriffs sind das Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung (BVerwG, B.v. 18.12.2023 – 11 VR 2/23 – juris Rn. 13). Beherbergungsbetriebe sind dagegen solche Betriebe, die einem ständig wechselnden Kreis von Gästen zu gewerblichen Zwecken gegen Entgelt vorübergehende Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, ohne dass die Gäste in den Räumen unabhängig eine eigene Häuslichkeit begründen können (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: August 2023, § 4 BauNVO, Rn. 110 m.w.N.).
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Zwar weist das Vorhaben wesentliche Voraussetzungen auf, die ein selbstbestimmtes Wohnen und eine eigenständige Haushaltsführung ermöglichen, insbesondere verfügen die abgeschlossenen Nutzungseinheiten über eigene Küchenzeilen (vgl. zur Erforderlichkeit einer Kochgelegenheit: VGH BW, B.v. 17.1.2017 – 8 S 1641/16 – juris Rn. 17). Jedoch genügt eine Mindestaufenthaltsdauer von nur einem Tag – trotz der Möglichkeit der eigenständigen Haushaltsführung – nicht dem bauplanungsrechtlichen Wohnbegriff. In diesem beschränkten Zeitraum ist das Begründen einer „Heimstatt im Alltag“ ausgeschlossen, vielmehr liegt ein nur vorübergehendes bzw. provisorischen Unterkommen vor.
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Obwohl das Vorhaben nicht dem „Wohnen“ im bauplanungsrechtlichen Sinn entspricht, so ist die Nutzung aufgrund ihrer Ausgestaltung jedoch dem Wohnen sehr ähnlich.
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2.2. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, da es im nicht überplanten Innenbereich verwirklicht werden soll. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach diesem Kriterium in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art nach § 34 Abs. 2 BauGB allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden.
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2.2.1. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist ausnahmsweise zulässig, wenn es keine „städtebaulichen Spannungen“ hervorruft. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369/386 f.; U. v. 3.4.1981 – 4 C 61.78 – BVerwGE 62, 151). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21). Die maßgebliche nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 – juris Rn. 5; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13). Ob ein faktisches Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO) vorliegt, ist anhand der Eigenart der maßstabsbildenden näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB ist die nähere Umgebung dabei der Umgriff, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblich ist (BVerwG, B.v. 14.10.2019 – 4 B 27.19 – juris Rn. 7).
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2.2.2. Zwar gilt in der Regel bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 16 f.). Aufgrund der Größe des streitgegenständlichen Straßengevierts ist der maßgebliche Umgriff vorliegend jedoch enger zu ziehen:
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Der für die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit – Art der baulichen Nutzung – des Vorhabens relevante Bereich wechselseitiger Prägung wird unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Grundsätze gebildet durch die Straßenrandbebauung (mit den zugehörigen Rückgebäuden) beidseitig der G. …straße (östlich der S. …straße) bzw. der sich dieser in östlicher Richtung anschließenden verkehrsberuhigten Zone, sowie die Bebauung östlich der S. …straße (von der G. …straße bis einschließlich der S. …straße 3) und deren Rückgebäude. Der G. …straße kommt als Stichstraße aufgrund ihrer geringen Breite und wegen ihrer nur untergeordneten Verkehrsbedeutung keine trennende Wirkung zu, der verkehrsberuhigte Bereich wirkt zudem platzartig und verbindet so die um ihn herum angeordnete Bebauung. Die maßgebliche Umgebung wird Richtung Norden begrenzt von den fünf- bis sechsgeschossigen Rückgebäuden S. …straße 3 und 5 sowie R. … Straße 46a, welche mit den Gebäuden R. … Straße 46 (ebenfalls sechsgeschossig) sowie den zugehörigen Rückgebäuden einen städtebaulich einheitlichen „Innenhof“ ausbilden und hinsichtlich des Vorhabengrundstücks eine Zäsur zur weiter nördlich gelegenen Straßenrandbebauung Ecke S.c. …straße / R. … Straße bewirken. Richtung Süden wird die maßgebliche Umgebung aufgrund der abriegelnden Wirkung des massiven Gebäudetrakts „G. …straße 10,10a und 10b/F. …straße 6 und 8“ von diesem begrenzt. Insbesondere zu den Gebäuden auf der Nordseite der R. …straße besteht keine Sicht- und städtebauliche Beziehung mehr.
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2.2.3. Die so bestimmte maßgebliche Umgebung wird – nach den Ergebnissen des Augenscheins und unter Auswertung der dem Gericht vorliegenden Lagepläne und Bauzeichnungen sowie unter Zuhilfenahme von öffentlich zugänglichen Luftbildern – von Bebauung mit unterschiedlicher Nutzungsstruktur geprägt. Sie lässt sich keinem typisierten Baugebiet, welches in der Baunutzungsverordnung bezeichnet wird, zuordnen, vielmehr liegt eine Gemengelage mit überwiegendem Wohnanteil vor.
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Die Bandbreite der vorgefundenen Nutzungen ist zwar nicht groß – neben Wohnnutzung findet sich noch ein Café (EG G. …straße 7), ein Kino („… …“ – Vorder- und Rückgebäude R. …straße 46), eine gewerbliche Nutzung (wohl Büro; EG Rückgebäude R. … Straße 46a) sowie Anlagen der Verwaltung („… …“ – Gebäudekomplex G. …straße 10,10a und 10b/F. …straße 6 und 8) – aber zu inhomogen, um ein in der BauNVO definiertes Baugebiet abzubilden.
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Die Einordnung als (reines, § 3 BauNVO und) allgemeines Wohngebiet, § 4 BauNVO, ist trotz des weit überwiegenden Wohnanteils schon aufgrund des „… …“ nicht möglich. Diese Nutzung widerspricht insbesondere wegen ihres Umfangs und ihres Einzugsbereichs der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets. Allgemeine Wohngebiete dienen dem Wohnen sowie dem Unterbringen von Einrichtungen der öffentlichen und privaten Nahversorgung der Bevölkerung (vgl. Stock in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 4 Rn. 1).
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Anlagen für Verwaltungen sind nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet nur ausnahmsweise zulässig und können darüber hinaus im Einzelfall im Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets stehen, § 15 Abs. 1 BauNVO. Das „… …“ nimmt aufgrund seines Umfangs einen nicht unwesentlichen Teil der maßgeblichen Umgebung ein und prägt diese entscheidend mit. Ein Aussondern als „Ausreißer“ kommt trotz der Größe nicht in Betracht, da die Nutzung nicht als Fremdkörper erscheint (vgl. hierzu: BVerwG U.v. 7.12.2006 – 4 C 11.05 – NVwZ 2007, 585). Im Gegenteil hebt sie sich hinsichtlich ihres Störgrads und ihrer Störanfälligkeit nicht dergestalt von der übrigen Umgebung, insbesondere der Wohnnutzung ab, als dass sie „etwas völlig Anderes“ darstellen würde und mithin außer Acht gelassen werden müsste. Im allgemeinen Wohngebiet dürfen Anlagen für Verwaltungen nur insoweit untergebracht werden, als sie keine zentralen Funktionen wahrnehmen; der Unterbringung zentraler Verwaltungsanlagen dienen vornehmlich die Kerngebiete (vgl. Stock in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 4 Rn. 80). Zweifelsohne kommt dem „… …“ im Stadtgebiet der Beklagten eine solche zentrale Funktion zu. Im allgemeinen Wohngebiet wäre diese Anlage der Verwaltung jedoch als Ausnahme unzulässig.
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Daher kann offenbleiben, ob das Kino, welches der Kammer aus anderen Rechtsstreitigkeiten bereits bekannt ist, und bauplanungsrechtlich als Anlage für kulturelle Zwecke, § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO, anzusehen ist (vgl. insbesondere VG München, U.v. 11.10.2021 – M 8 K 18.6197 – juris Rn. 33), ebenfalls aufgrund seiner Größe und Auswirkungen im allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträglich wäre (vgl. zur Gebietsverträglichkeit nur von „Stadtteilkinos“: Stock in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 4 Rn. 50). Gleiches gilt für die nicht näher einordenbare gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss des Rückgebäudes R. … Straße 46a.
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2.2.4. In eine „Gemengelage“ vermag sich ein Vorhaben grundsätzlich dann einzufügen, wenn ein Vorbild vorhanden ist, es also den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt. Bei der Charakterisierung und Bewertung der vorhandenen Nutzungen ist – auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB – dabei auf die in der BauNVO typisierten Nutzungsarten abzustellen (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93 – NVwZ 1995, 698, (Ls 1)).
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Für das beantragte Vorhaben fehlt zwar ein solches Vorbild, denn ein Beherbergungsbetrieb ist bisher in der maßgeblichen Umgebung nicht vorhanden. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist jedoch dann ausnahmsweise zulässig, wenn es keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (s.o.). So liegt es hier. Das Vorhaben entspricht dem vorhandenen Nutzungsspektrum. Insbesondere sind keine Nutzungskonflikte mit der Wohnnutzung und auch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ersichtlich, soweit dies aufgrund des Planungsstadiums beurteilt werden kann.
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In Bezug auf die vorgesehene Tiefgaragennutzung kann das Gebot der Rücksichtnahme nicht abschließend geprüft werden. In der Tiefgarage sollen die zum Vorhaben gehörenden Stellplätze untergebracht werden, jedoch fehlt in den Bauvorlagen die Darstellung der konkreten Ein- und Ausfahrtssituation. Zweifelsohne ist jedoch die Errichtung einer Tiefgarage auf dem Vorhabengrundstück grundsätzlich zulässig. Ein Bauvorbescheid kann auch über die grundsätzliche Zulässigkeit der Bebauung eines Grundstücks mit einem Vorhaben (hier der Tiefgarage) ergehen, das nur in groben Umrissen nach Art und Umfang bestimmt ist und dessen Ausführung im einzelnen der Prüfung in einem nachfolgenden Genehmigungsverfahren vorbehalten bleibt (BVerwG, U.v. 03.04.1987 – 4 C 41/84 – juris Ls 1 u. Rn. 13; BayVGH, U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 51; B.v. 2.12.2010 – 15 ZB 08.1428 – BayVBl 2011, 271 = juris Rn. 13; OVG NRW, U.v. 14.10.2013 – 2 A 204/12 – juris Ls. 1 u. Rn. 45 ff.). Der Vorbescheid ist in diesem Fall zu erteilen, wenn – wie hier – das Vorhaben durch die Art der baulichen Gestaltung und durch technische Vorkehrungen im Einklang mit den Vorgaben des Rücksichtnahmegebots ausgeführt werden kann (BVerwG, U. v. 3.4.1987 – 4 C 41.84 – NVwZ 1987, 884 = juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1624 – juris Rn. 15).
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Das Vorhaben weist, zumal keine nennenswerten beherbergungstypischen Dienstleistungen vorgesehen sind (im Wesentlichen sind nur Reinigung/Sanierung nach Rückgabe der Nutzungseinheit sowie ein wöchentlicher Getränkeservice geplant), darüber hinaus kein größeres Störpotenzial oder eine größere Störempfindlichkeit auf, als die im Gebiet vorrangig vorhandene Wohnnutzung. Die von der abgefragten Nutzung ausgehenden Störungen lassen – auch bei Berücksichtigung des zu erwartenden Verkehrsaufkommens – insbesondere keine Beeinträchtigungen erwarten, die mit einem gewöhnlichen Mehrfamilienhaus derselben Größe nicht einhergehen würden.
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4. Die Kostenentscheidung folgt, soweit das Verfahren streitig entschieden wurde, aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes über die Kosten, § 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des für erledigt erklärten Teils der Klägerin aufzuerlegen, da sie insoweit voraussichtlich im Rechtsstreit unterlegen wäre.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.