Inhalt

VG München, Beschluss v. 10.07.2024 – M 24 S 24.2755
Titel:

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, Abschiebungsandrohung, Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift, Vollziehbar ausreisepflichtiger türkischer Staatsangehöriger, Bestandskräftige Ausweisung, Reichweite der Titelerteilungssperre infolge einer Ausweisung, Aufschiebende Wirkung einer asylrechtlichen Klage gegen den Widerruf eines Abschiebungsverbots, Keine offensichtliche Unzulässigkeit der asylrechtlichen Klage gegen den Widerruf.

Normenketten:
VwGO § 80
VwGO § 82
VwGO § 59
AufenthG § 50
AufenthG § 51
AufenthG § 11
AsylG § 75
AsylG § 74
Schlagworte:
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, Abschiebungsandrohung, Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift, Vollziehbar ausreisepflichtiger türkischer Staatsangehöriger, Bestandskräftige Ausweisung, Reichweite der Titelerteilungssperre infolge einer Ausweisung, Aufschiebende Wirkung einer asylrechtlichen Klage gegen den Widerruf eines Abschiebungsverbots, Keine offensichtliche Unzulässigkeit der asylrechtlichen Klage gegen den Widerruf.
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17384

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 24. Mai 2024 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. April 2024 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Eilrechtsschutz gegen die ihm gegenüber – unter Bestimmung einer Ausreisefrist – erlassene Abschiebungsandrohung.
2
1. Der Antragsteller ist ein türkischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Ihm wurde am 20. April 2013 eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Am 11. Juni 2015 verließ er die Bundesrepublik und verbrachte mehrere Monate im Ausland – insbesondere im Irak und der Türkei. Am 16. Juli 2017 reiste der Antragsteller wieder in das Bundesgebiet ein und stellte am 21. September 2017 zunächst einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und am 1. Dezember 2017 einen Asylantrag.
3
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 3. April 2018 wurde der Asylantrag des Antragstellers unter Androhung der Abschiebung als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Auf eine hiergegen erhobene Klage des Antragstellers wurde die Bundesrepublik Deutschland – unter Aufhebung unter anderem der Abschiebungsandrohung – mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2018 verpflichtet, für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Dieses solle entfallen, sobald die Bundesrepublik dem Antragsteller eine weiteren Maßgaben entsprechende Zusicherung der Türkischen Republik vorgelegt hat, dass gegen ihn weder die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt noch er im Falle einer Inhaftierung gefoltert, erniedrigend oder unmenschlich behandelt wird. Ein hiergegen gerichteter Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. April 2020 abgelehnt. Mit Bescheid vom 19. Mai 2020 stellte das Bundesamt für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest.
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Mit Bescheid der Regierung von Schwaben vom 20. April 2018 wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik ausgewiesen, sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt und das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sieben Jahre ab Ausreise befristet. Weiter wurde der Antragsteller im Bescheid unter anderem verpflichtet, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen Polizeiinspektion zu melden. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass hinsichtlich des Antragstellers Erkenntnisse vorliegen würden, die die Schlussfolgerung rechtfertigen würden, dass dieser eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, unterstützt habe und eine erkennbare und glaubhafte Abstandnahme von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln nicht ersichtlich sei. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2018 abgewiesen. Der diesbezüglich gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. August 2019 abgelehnt.
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Der Antragsteller hielt sich nach Abschluss des Asylverfahrens geduldet im Bundesgebiet auf. Nach Aktenlage wurde die Aussetzung der Abschiebung zuletzt mit Duldungsbescheinigung vom 15. März 2024 – gültig bis 28. März 2024 – verlängert. Auch wenn er sich mehrfach in den Unterkünften anmeldete, denen er zugewiesen wurde, hielt er sich zu keinem Zeitpunkt dort auf. Er bzw. sein Vater teilten jedoch mehrfach (am 5.11.2020, am 19.4.2021, am 13.6.2022, am 1.12.2023) mit, dass sich der Antragsteller bei seinen Eltern unter der Adresse …str. 16, … … aufhalte bzw. dort wohnhaft sei. Außerdem stellte er im Herbst 2022 einen Antrag auf dortige private Wohnsitznahme. Zur Verlängerung der Duldungsbescheinigung erschien der Antragsteller bislang zwar nur unregelmäßig beim Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen; unter anderem jedoch am 1. Dezember 2023 und am 15. Dezember 2023. Der Meldepflicht bei der Polizeiinspektion kam der Antragsteller zeitweise zuverlässig, zeitweise aber auch unzuverlässig nach. Unter anderem meldete er sich bei der Polizeiinspektion N. … am 1. Dezember 2023. Um dem Antragsteller Schreiben zu übermitteln, nutze das Landesamt für Asyl und Rückführungen (im Folgenden: Landesamt) mehrfach die Möglichkeit, diese über die Polizeiinspektion zustellen zu lassen; so unter anderem am 28. April 2023. Ansonsten stand das Landesamt auch mit dem Antragstellerbevollmächtigten zu 1) in Kontakt, der dessen Vertretung mit E-Mail vom 10. August 2022 gegenüber dem Landesamt angezeigt hatte. So fand unter anderem am 20. Dezember 2023 ein telefonisches Gespräch in der Sache statt.
6
Gegen den Antragsteller wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 3. September 2021 – rechtskräftig seit 24. September 2021 – eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen wegen Verstoßes gegen eine Wohnsitznahmeverpflichtung verhängt. Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 16. August 2022 – rechtskräftig seit 5. September 2022 – wurde gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen eine Meldeverpflichtung eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verhängt. Bezüglich eines weiteren Strafbefehls, mit dem das Amtsgericht Neuburg gegen den Antragsteller am 6. März 2023 eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen wegen unerlaubten Aufenthalts verhängte, wurde der zunächst angebrachte Rechtskraftvermerk amtlich gestrichen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2024 wurde das für den Antragsteller festgestellte Abschiebungsverbot widerrufen. Zur Begründung wurde auf § 73 Abs. 6 Asylgesetz (AsylG) abgestellt und im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller durch seinen dauerhaften Fortzug und seine daraus folgende Nichterreichbarkeit für die Behörden objektiv deutlich mache, dass er das festgestellte Abschiebungsverbot für seine Person als nicht mehr erforderlich ansehe. Aus dem Verhalten des Antragstellers ergebe sich gleichzeitig, dass er offensichtlich nicht von einem Zustand der Schutzlosigkeit betroffen sei. Nach Mitteilung des Bundesamts vom 17. Januar 2024 sei der Bescheid in die öffentliche Zustellung weitergeleitet worden. Die entsprechende Benachrichtigung sei am 31. Januar 2024 im Schaukasten des Bundesamts ausgehängt und am 15. Februar 2024 abgehängt worden. Der Bescheid gelte als am 15. Februar 2024 zugestellt. Das Landesamt übermittelte den Widerrufsbescheid auf Anfrage am 2. Mai 2024 – ohne Rechtsbehelfsbelehrung- an den Antragstellerbevollmächtigten zu 1). Hierauf ließ der Antragsteller am 8. Mai 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 10. Januar 2024 erheben (geführt unter dem Aktenzeichen M 28 K 24.31512) und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen.
8
Mit streitgegenständlichem Bescheid des Landesamts vom 24. April 2024 – zugestellt am selben Tag – wurde der Antragsteller aufgefordert, das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie der anderen Schengen-Staaten innerhalb von 14 Tagen ab Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Ziff. 1). Ansonsten wurde die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat angedroht (Ziff. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller mangels Aufenthaltstitel bzw. Aufenthaltsrecht ausreisepflichtig sei. Die Ausreisefrist sei angemessen, weil sie dem Antragsteller insbesondere ermögliche die Ausreise zu organisieren und abzuwickeln. Es laufe kein Asylverfahren und das festgestellte Abschiebungsverbot sei mit bestandskräftigem Bescheid vom 10. Januar 2024 widerrufen. Die Ausreisepflicht sei vollziehbar.
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2. Hiergegen ließ der Antragsteller am 24. Mai 2024 durch den Bevollmächtigten zu 1) Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und die Aufhebung des Bescheids vom 24. April 2024 beantragen. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen M 24 K 24.2754 geführt. Darüber hinaus ließ der Antragsteller im vorliegenden Verfahren einen Antrag im Eilrechtsschutz stellen. Er beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 24. April 2024 anzuordnen.
11
Die Klage und der Antrag wurden im Wesentlichen damit begründet, dass für den Antragsteller eine Duldung auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe. Der hinsichtlich des Abschiebungsverbots ergangene Widerrufsbescheid sei rechtswidrig und hiergegen sei Klage erhoben worden. Der Widerrufsbescheid sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden und jedenfalls sei ein Widereinsetzungsantrag gestellt worden. Da der Widerruf nicht rechtskräftig sei, sei der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig.
12
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
14
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag bereits unzulässig sei, weil der Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift angegeben habe. Die angegebene Adresse sei die Adresse der Eltern des Antragstellers und eine Erreichbarkeit sei nicht sichergestellt. Eine Wohnsitznahme sei dem Antragsteller unter der angegebenen Adresse nicht erlaubt. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, weil der angegriffene Bescheid rechtmäßig sei. Insbesondere sei der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Duldungsanspruch bestehe nicht. Jedenfalls sei das vom Bundesamt festgestellte Abschiebungsverbot mit Bescheid vom 10. Januar 2024 widerrufen worden. Der Widerruf sei bestandskräftig, sodass von einem Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten auszugehen sei. Der gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ändere hieran nichts, weil die eingetretene Bestandskraft erst durch eine erfolgte Wiedereinsetzung aufgehoben werde. Über den Antrag sei bis dato nicht entschieden worden. Die inhaltlichen Ausführungen zur öffentlichen Zustellung des Widerrufsbescheids seien im vorliegenden Verfahren unbeachtlich.
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Mit Schreiben vom 5. Juli 2024 teilte der Antragstellerbevollmächtigte zu 2) mit, dass der Antragsteller unter der mitgeteilten Anschrift der Eltern wohne und erreichbar sei. Die Rechtmäßigkeit der Anschrift spiele keine Rolle.
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Für die weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Klageverfahrens (M 24 K 24.2754) und des vorliegenden Eilverfahrens und auf die hierzu vorgelegte Behördenakte verwiesen. Weiter wird auf die beigezogene Gerichtsakte im Verfahren M 28 K 24.31512 verwiesen.
II.
17
Der Antrag ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage ist zulässig.
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1.1. Der Antrag ist statthaft. Bei der Abschiebungsandrohung (Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids) und der hiermit verbundenen Ausreisefrist (Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids) handelt es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung, so dass die insoweit erhobene Anfechtungsklage nach Art. 21a Satz 1 Verwaltungszustellungs- und -vollstreckungsgesetz (VwZVG) keine aufschiebende Wirkung hat (VG München, B.v. 28.9.2022 – M 24 S 21.6691 – juris Rn. 26).
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1.2. Der Antragsteller hat – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – eine aktuelle ladungsfähige Anschrift mitgeteilt. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage unter anderem den Kläger bezeichnen. Diese Vorschrift ist im einstweiligen Rechtsschutz entsprechend anzuwenden (BayVGH, B.v. 24.7.2023 – 10 C 23.250 – juris Rn. 7 m.w.N.). Zur Bezeichnung eines Klägers bzw. Antragstellers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes (BayVGH, B.v. 24.7.2023 – 10 C 23.250 – juris Rn. 8). Für das Vorliegen einer ladungsfähigen Anschrift ist entscheidend, dass ein Kläger bzw. Antragsteller unter der dem Gericht mitgeteilten Anschrift tatsächlich erreichbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2023 – 10 C 23.250 – juris Rn. 8; Riese in Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 82 Rn. 9; Peters in BeckOK VwGO, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 82 Rn. 3). Nicht entscheidend ist dagegen, ob er zulässigerweise unter der genannten Anschrift wohnt. Hier ist davon auszugehen, dass der Antragsteller unter der genannten Anschrift – dem Haus seiner Eltern – tatsächlich erreichbar ist. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit bereits mehrfach angegeben, bei seinen Eltern unter der genannten Anschrift zu wohnen. Dem stehen insbesondere keine fehlgeschlagenen Versuche der Kontaktaufnahme durch die Ausländerbehörden unter der genannten Adresse entgegen.
21
Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist auch nicht wegen Untertauchens entfallen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 6.3.2014 – 10 ZB 13.1862 – juris Rn. 4 m.w.N.). Aus dem Aufenthalt unter der vom Antragsteller angegebenen Anschrift kann nicht der Schluss gezogen werden, dass er an der Weiterverfolgung des gerichtlichen Verfahrens kein Interesse mehr hat.
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2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen und im Fall des Erlasses einer Sofortvollzuganordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich oder behördlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, kommt im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht. Erweist sich dagegen der angegriffene Bescheid bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Hier überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Die in der Hauptsache erhobene Klage hat bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg, weil der Erlass der Abschiebungsandrohung voraussichtlich materiell rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist. Dem sich hieraus ergebenden Aussetzungsinteresse stehen keine überwiegenden Vollzugsinteressen entgegen.
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2.1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die gesetzlichen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist der Antragsteller insbesondere ausreisepflichtig (hierzu 2.2.), aber dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes Abschiebungsverbot entgegen (hierzu 2.3.).
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2.2. Der Antragsteller ist ausreisepflichtig. Dies folgt daraus, dass er – insbesondere auf Grund bzw. infolge der Ausweisung vom 20. Februar 2024 – einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt und kein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80) besteht (§ 50 Abs. 1 AufenthG).
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Der Antragsteller ist nicht mehr Inhaber der ihm am 20. April 2013 erteilten Niederlassungserlaubnis. Diese ist infolge seiner Ausreise aus Deutschland am 11. Juni 2015 und der hierauf folgenden Abwesenheit von über sechs Monaten gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Darüber hinaus wäre sie auch gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch die Ausweisungsverfügung vom 20. Februar 2018 erloschen.
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Ob der Antragsteller vor dem 20. Februar 2018 ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 hatte, kann hier offen bleiben. Ein solches wäre jedenfalls durch die Ausweisung vom 20. Februar 2018 erloschen. Die Ausweisung ist rechtskräftig. Die Ausweisung erfolgte unter Beachtung der Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 (vgl. Kurzidem in BeckOK AuslR, 41. Ed. 1.4.2024, EWG-Türkei Art. 6 Rn. 33 sowie Art. 7 Rn. 32). Sowohl der Ausweisungsbescheid vom 20. Februar 2018 (auf S. 15ff.) als auch das die Klage gegen den Ausweisungsbescheid betreffende Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2018 (in Rn. 67ff.) setzen sich vertieft mit etwaigen Rechtspositionen des Antragstellers aus dem ARB 1/80 auseinander.
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Zeitlich nach der Ausweisungsverfügung hat der Antragsteller weder einen Aufenthaltstitel noch ein Aufenthaltsrecht erworben. Dem steht bereits entgegen, dass zulasten des Antragstellers eine Titelerteilungssperre aufgrund des im Rahmen des bestandskräftigen Ausweisungsbescheids vom 20. Februar 2018 verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots gilt. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG darf dem Antragsteller – selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz – kein Aufenthaltstitel erteilt werden und er darf sich auch nicht im Bundesgebiet aufhalten. Hieraus folgt auch der Ausschluss der Möglichkeit des Erwerbs assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte. Art. 11 Abs. 1 AufenthG findet nach Maßgabe des Assoziationsrechts auf türkische Staatsangehörige volle Anwendung (Maor in BeckOK AuslR, 41. Ed. 1.4.2024, AufenthG § 11 Rn. 102). Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit ist es im Fall einer Ausweisung gerechtfertigt, auch die Entstehung assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte für die befristete Zeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots auszuschließen. Die Titelerteilungssperre verfolgt den präventiven Zweck, eine Aufenthaltsverfestigung ausgewiesener Gefährder zu verhindern. Dieser kann nur dann erreicht werden, wenn – neben der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach dem Aufenthaltsgesetz – auch der Erwerb von Aufenthaltsrechten nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 ausgeschlossen ist.
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Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vollziehbar. Die vom Antragsteller am 21. September 2017 begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde mit Bescheid vom 20. Februar 2018 versagt. Die Versagung ist vollziehbar, da gerichtliche Rechtsbehelfe hiergegen ohne Erfolg blieben (Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2018 und Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. August 2019).
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2.3. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes Abschiebungsverbot entgegen.
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2.3.1. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beim Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Antragsteller beachtlich.
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Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, die zur Unbeachtlichkeit eines Abschiebungsverbots führen würde, sind im Fall des Antragstellers nicht erfüllt. Insbesondere ist der Antragsteller nicht auf Grund oder infolge einer strafrechtlichen Verurteilung ausreisepflichtig. Die gegenüber dem Antragsteller ergangenen rechtskräftigen Strafbefehle vom 3. September 2021 und vom 16. August 2022 sind nicht maßgeblich für seine Ausreisepflicht. Die Ausreisepflicht des Antragstellers folgt – wie oben dargestellt – im Wesentlichen darauf, dass der Antragsteller keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besteht (§ 50 Abs. 1 AufenthG).
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Soweit die Ausreisepflicht auch Konsequenz der Ausweisung vom 20. Februar 2018 ist, folgt hieraus nicht die Unbeachtlichkeit des Abschiebungsverbots gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Die Ausweisung erfolgte nicht auf Grund oder infolge einer strafrechtlichen Verurteilung. Nach den – gerichtlich bestätigten – Ausführungen im bestandskräftigen Ausweisungsbescheid vom 20. Februar 2018 hätten Erkenntnisse vorgelegen, die die Schlussfolgerung gerechtfertigt hätten, dass der Antragsteller eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, unterstützt habe und eine erkennbare und glaubhafte Abstandnahme von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln nicht ersichtlich gewesen sei. Auf eine strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wurde dagegen nicht Bezug genommen. Dies war auch nicht möglich, weil eine solche zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht gegeben war.
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2.3.2. Für den Antragsteller gilt derzeit das zu seinen Gunsten mit Bescheid des Bundesamts vom 19. Mai 2020 festgestellte Abschiebungsverbot. Der Widerruf des Abschiebungsverbots mit Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2024 steht dem nicht entgegen, weil gegen diesen Widerrufsbescheid am 8. Mai 2024 eine Klage mit aufschiebender Wirkung beim Verwaltungsgericht München erhoben wurde, über die derzeit noch nicht entschieden ist (Az. M 28 K 24.31512).
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2.3.2.1. Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG aufschiebende Wirkung. Ein Fall des § 75 Abs. 2 AsylG, in dem die Klage ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung hätte, liegt nicht vor, denn der Widerruf erfolgte insbesondere nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 8 AufenthG.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 10. Januar 2024 entfällt außerdem nicht wegen einer – nach Ansicht des Antragsgegners – eingetretenen Bestandskraft des Widerrufsbescheids infolge das Ablaufs der Klagefrist vor Klageerhebung. Allein einem offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelf kommt keine aufschiebende Wirkung zu (BayVGH, B.v. 18.11.2019 – 4 CS 19.1839 – juris Rn. 6; Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 20 jeweils m.w.N.).
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Die Klage gegen den Widerrufsbescheid ist nicht offensichtlich unzulässig. Insbesondere kann für das vorliegende Verfahren nicht von einer offensichtlichen Bestandskraft des Widerrufsbescheids ausgegangen werden. Dies ergibt sich aus den nachfolgend genannten Rechtsfragen, die im Rahmen des asylrechtlichen Klageverfahrens zu prüfen sind. Mithin ist derzeit offen, ob die asylrechtliche Klage unzulässig ist bzw. der im Rahmen des asylrechtlichen Verfahrens gestellt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Erfolg hat. Die Entscheidung hierüber und über den im asylrechtlichen Klageverfahren gestellten Antrag auf Widereinsetzung in den vorigen Stand bleibt allein der zur Entscheidung über das asylrechtliche Klageverfahren berufenen Kammer vorbehalten.
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Hinsichtlich der asylrechtlichen Klage ist insbesondere zweifelhaft, ob die Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) infolge der öffentlichen Zustellung zu laufen begann. Es bestehen Zweifel an der Zulässigkeit der durch das Bundesamt vorgenommenen öffentlichen Zustellung. Insbesondere ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) zweifelhaft. Hiernach kann eine öffentliche Zustellung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Da die Zustellungsvorschriften auch im Verwaltungsverfahren der Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz – GG) dienen sollen und bei der öffentlichen Zustellung dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück regelmäßig aber weder übergeben noch inhaltlich bekannt wird, ist diese verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung nicht oder nur schwer durchführbar ist. Die öffentliche Zustellung ist daher als letztes Mittel der Bekanntgabe nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Vor diesem Hintergrund ist der Aufenthaltsort im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1 VwZG nicht schon dann unbekannt, wenn er der Behörde nicht bekannt ist. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn der Behörde der Aufenthaltsort trotz der insoweit erforderlichen gründlichen und sachdienlichen Bemühungen um Aufklärung unbekannt geblieben ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43/95 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 20.1.2016 – 10 C 15.723 – juris Rn. 9; L. Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, 63. Ed. 1.10.2019, VwZG § 10 Rn. 8; Claudia Danker in HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, VwZG § 10 Rn. 2).
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Es ist zweifelhaft, ob das Bundesamt die erforderlichen gründlichen und sachdienlichen Bemühungen angestellt und alle Möglichkeiten erschöpft hat, den Widerrufsbescheid dem Antragsteller in anderer Weise zu übermitteln. Hiergegen spricht insbesondere, dass eine Kontaktaufnahme des Bundesamts mit der Ausländerbehörde nicht ersichtlich ist und dieser eine Anschrift bekannt war, unter der der Antragsteller erreichbar war und ist. So wurde der Ausländerbehörde in den vergangenen Jahren mehrfach – zuletzt am 1. Dezember 2023 – mitgeteilt, dass sich der Antragsteller bei seinen Eltern unter der auch im vorliegenden Gerichtsverfahren genannten Anschrift aufhalte. Darüber hinaus war der Antragsteller für die Ausländerbehörde auch anderweitig erreichbar. Diese stellte mehrfach Schreiben über die Polizeiinspektion zu; unter anderem am 28. April 2023. Außerdem meldete sich der Antragsteller am 1. Dezember 2023 und damit ebenfalls in zeitlicher Nähe vor Erlass des Widerrufsbescheids bei der Polizeiinspektion N. … Auch beim Landratsamt Weilheim-Schongau war der Antragsteller mehrfach – auch in zeitlicher Nähe vor Erlass des Widerrufsbescheids – persönlich vorstellig, um seine Duldung zu verlängern. Dies geschah unter anderem am 1. und am 15. Dezember 2023. Weiter war gegenüber der Ausländerbehörde auch ein Rechtsanwalt als Vertreter des Antragstellers bestellt. Mit diesem war die Ausländerbehörde unter anderem am 20. Dezember 2023 in Kontakt.
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Inwiefern sich ein offener Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf die Zulässigkeit einer verfristeten Klage auswirkt (vgl. zu dem Problem Schoch in Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 80 Rn. 84 m.w.N. zu Literatur und Rechtsprechung), kann hier offen bleiben. Es bestehen bereits Zweifel hinsichtlich des Ablaufs der Klagefrist, sodass es auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht ankommt.
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Eine anderweitige Bekanntgabe des Widerrufsbescheids vom 10. Januar 2024 durch das Bundesamt ist nicht ersichtlich, sodass auch nicht davon auszugehen ist, dass die Klagefrist zu einem anderen Zeitpunkt vor Klageerhebung zu laufen begann. Hinsichtlich der Übermittlung des Widerrufsbescheids durch das Landesamt am 2. Mai 2024 ist bereits ein Bekanntgabewille zweifelhaft, da es sich um einen Bescheid einer anderen Behörde handelt. Außerdem war dem Bescheid bei dieser Übermittlung keine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt. Jedenfalls wäre selbst die zweiwöchige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) eingehalten, da die Klage gegen den Widerrufsbescheid am 8. Mai 2024 erhoben wurde.
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2.3.2.2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 10. Januar 2024 verbietet den Erlass der Abschiebungsandrohung. Die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen Verwaltungsakt verbietet es der Behörde, ausgehend von dem Verwaltungsakt Maßnahmen zu treffen, die rechtlich als seine Vollziehung zu qualifizieren sind (BVerwG, U.v. 27.10.1982 – 3 C 6/82 – Rn. 23; BayVGH, B.v. 9.8.2018 – 15 CS 18.1285 – juris Rn. 32; Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 10). Dabei ist der Begriff der Vollziehung – insbesondere auch, um der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gerecht zu werden – weit zu verstehen. Bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten führt die Vollzugshemmung dazu, dass die gestaltende Wirkung nicht eintreten kann, bei feststellenden Verwaltungsakten kommt es zunächst nicht zur Verbindlichkeit der feststellenden Wirkung. Über die reine Vollstreckung hinaus erfasst die Vollziehung auch Maßnahmen, die auf den angefochtenen Bescheid aufbauen und seiner Durchsetzung in einem weiten Sinne dienen (Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 12 m.w.N.).
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Der Erlass der Abschiebungsandrohung mit Bescheid vom 24. April 2024 ist als Vollziehung des Widerrufs des Abschiebungsverbots in diesem Sinne zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung baut auf dem Widerruf des Abschiebungsverbots auf, das die Abschiebung und den Erlass einer Abschiebungsandrohung bis dahin verhindert hatte (§ 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Damit dient die Abschiebungsandrohung auch der Durchsetzung des Widerrufs im weiteren Sinne.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
46
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.