Titel:
Anforderungen an die Gefahrenprognose im Hinblick auf den Straßenverkehr bei Versammlungsbeschränkungen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 8 Abs. 2
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsatz:
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Gefahrenprognose, Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, Versammlungsfreiheit, Versammlungsbeschränkungen, Sicherheit und Ordnung, Straßenverkehr, Anforderungen, konkrete Gefährdung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17381
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ziffern I. 1. und I. 2.a) des Bescheids des Antragsgegners vom 3. Mai 2024 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes gegen beschränkende Auflagen im Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2024.
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Seit dem 22. Januar 2024 finden montags zwischen 18:00 Uhr und 20:00 Uhr sich fortbewegende Versammlungen zum Thema „Friede, Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung“ statt. Als Versammlungsleiter fungierte zunächst Herr R.K.. Später war das Versammlungsthema mit „… steht zusammen – Hand in Hand; Für Frieden, Freiheit und Demokratie“ und zuletzt mit „Demonstration für Frieden, Meinungsfreiheit und Einhaltung der Grundgesetze“ angegeben. Als Kundgebungsmittel wurden Kraftfahrzeuge, Transparente, Lichter, Ansprachen, Schilder, Tröten, Hupen, Glocken, Trommeln, Posaunen, Pfeifen anmeldet. Als Teilnehmer wurden ca. 100 Personen sowie 20 – 30 Kraftfahrzeuge benannt (PKW, LKW, Traktoren, ein ehemaliges Militärfahrzeug). Ab dem 18. März 2024 fungierte Frau A.S. als Versammlungsleiterin. Alle Versammlungen fanden ohne weitere Probleme statt.
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Mit Bescheid vom 9. April 2024 für die Versammlung vom 15. April 2024 wurde erstmals die Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel untersagt. Die Versammlung wurde daraufhin abgesagt. Stattdessen fand ein „regulärer Montagsspaziergang“ statt.
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Mit Schreiben vom 11. April 2024 nahm die Polizeiinspektion … zur Versammlung vom 8. April 2024 Stellung. Es hätten ca. 90 Personen und fünf Fahrzeuge (vier PKW und ein LKW) teilgenommen. Alle Fahrzeuge seien als Versammlungsteilnehmer gekennzeichnet gewesen. Lediglich am LKW habe sich ein Brett mit einem Zitat befunden. Der Zug sei von sieben Personen mit Trommeln angeführt worden. Die Versammlung habe sich mit Schrittgeschwindigkeit bewegt, was zu Stauungen im Berufsverkehr geführt habe. Teilweise seien an Kreuzungen Sperrungen durch die Polizei erfolgt. Diese Verkehrseinschränkungen seien an den Kreuzungen und Einmündungen jedoch nach wenigen Minuten nicht mehr spürbar gewesen. Einzelne Fahrer seien an den Sperren umgedreht, was eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs darstelle. Konkrete Gefahrenlagen seien nicht gegeben gewesen.
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Mit E-Mail vom 15. April 2024 meldete Frau A.S. für die kommenden vier Montage (22.04.2024, 29.04.2024, 6.05.2024, 13.05.2024) weitere sich fortbewegende Versammlungen unter Teilnahme von 20 bis 30 Fahrzeugen, darunter zwei bis drei Traktoren und ein ehemaliges Militärfahrzeug, sowie Hunden an. Mit Bescheid vom 18. April 2024 für die Versammlung am 22. April 2024 wurde erneut die Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel untersagt. Auch das Mitführen von Tieren wurde als unzulässig untersagt. Bei dieser Versammlung hatte während des Zugs sich ein der Versammlungsleiterin nicht bekannter Motorradfahrer diesem genähert mit einem Zettel mit der Aufschrift „Direkte Demokratie“. Dieser Motorradfahrer sei aber vorbeigefahren und habe sein Motorrad geparkt. Er sei dann später zu Fuß zum offenen Mikrofon gekommen.
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Mit Bescheid vom 23. April 2024 für die Versammlungen am 29. April 2024, am 6. Mai 2024 sowie am 13. Mai 2024 wurde erneut die Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel untersagt. Mit E-Mail vom 29. April 2024 sagte die Versammlungsleiterin die Versammlungen für den 6. Mai 2024 und 13. Mai 2024 ab, da die Strecke auf engen Gehwegen aus ihrer Sicht zu gefährlich zum Laufen sei.
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Der Bevollmächtigte des nunmehrigen Antragstellers zeigte mit E-Mail vom 2. Mai 2024 eine sich fortbewegende Versammlung für den 6. Mai 2024 mit dem Versammlungsthema „Landsberg steht zusammen – Bürger, Unternehmer und Landwirte Hand in Hand für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit“ mit einer Teilnehmerzahl von 200 bis 300 Personen sowie 10 bis 20 Fahrzeugen verschiedener Größen und Klassen an. Es solle sich um mehrere Traktoren, drei bis fünf Fahrzeuge von lokalen Handwerkern sowie drei bis fünf Kraftfahrzeuge für gehbehinderte und alte Menschen handeln. Dazu komme ein Lautsprecherfahrzeug für sicherheitsrelevante Durchsagen und Reden (bis zu 3,5 t Pritschenwagen oder normales Kraftfahrzeug). Weiterhin wurden große Banner mit 3 – 4 m Breite und Fahnen mit Fahnenträgern als Kundgebungsmittel angezeigt. Die Versammlung müsse aufgrund der Kundgebungsmittel und des Versammlungszwecks zwingend auf der Straße stattfinden. Auf Gehwegen könne der Versammlungszweck nicht erreicht werden. Die Versammlung werde sich mit den Fahrzeugen ab 17:30 Uhr aufstellen und ab 18:00 Uhr starten. Gegen 20:00 Uhr werde die Versammlung beendet.
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Am 3. Mai 2024 fand mit dem Antragsteller ein telefonisches Kooperationsgespräch statt. Dabei wurde diesem u.a. mitgeteilt, dass bereits eine andere Versammlung für denselben Tag angezeigt ist (Montagsspaziergang „Friede, Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung“, Anmelder Herr R.K.) und dass, wie in früheren Fällen, mit einer Gegendemonstration „Faktenkette statt Lichterkette (* … hat keinen Platz für Verschwörungstheorien)“ zu rechnen sei. Zur Gefahrenprognose wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass es durch den Einsatz von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel zu Stauungen des Berufsverkehrs auf den Haupt-Durchgangsstraßen komme. Die Lebenserfahrung habe gezeigt, dass Verkehrsteilnehmer, die hinter dem Versammlungszug warten müssten, die Geduld verlieren und an den Sperren oder Einmündungspunkten spontan die Fahrtrichtung ändern würden, wodurch es zu einer unmittelbaren Gefährdung des Straßenverkehrs komme. Auch an Fußgängerampeln sei es durch den Versammlungszug in der Vergangenheit immer wieder zu gefährlichen Situationen gekommen. Es gehe augenscheinlich (und überwiegend bis ausschließlich) darum mit Hilfe der Kraftfahrzeuge auf den zentralen Verkehrsachsen maßgebliche Einschränkungen für den sonstigen Kraftfahrzeugverkehr zu erreichen.
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Mit Bescheid vom 3. Mai 2024 erließ der Antragsgegner unter Ziffer I. 1. sowie Ziffer I. 2.a) unter anderem folgende beschränkenden Auflagen:
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„1. Die Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel wird untersagt.“
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„2. Die Versammlungsleitung hat dafür zu sorgen, dass der Aufzug die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs nicht mehr als unumgänglich beeinträchtigt. Dazu gehören insbesondere:
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a) Der Streckenverlauf der sich fortbewegenden Versammlung ist ausschließlich auf den Gehwegen entlang der angezeigten Wegstrecke durchzuführen.“
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass beschränkenden Verfügungen erforderlich seien, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sicherzustellen. Die Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, sei durch die Versammlung unmittelbar gefährdet und das Interesse der Versammlungsteilnehmer mit Hilfe von Kraftfahrzeugen ihre Meinung zu vertreten und kundzutun überwiege das Interesse der Allgemeinheit nicht. Ähnliche Versammlungen fänden seit dem 22. Januar 2024 statt. An den Montagen Mitte bis Ende März und am 8. April 2024 seien nur noch fünf Kraftfahrzeuge und 100 Personen beteiligt gewesen. Die Fahrzeuge seien kaum noch als Kundgebungsmittel erkennbar gewesen, denn sie seien nur „spärlich“ mit Plakaten und/oder Fahren versehen. Eine weitere Versammlung sei am 15. April 2024 abgesagt worden. Dafür seien weitere reine Spaziergänge angezeigt worden. Daraus sei erkennbar, dass der Einsatz von Kraftfahrzeugen nicht dazu diene, das Anliegen der Versammlung der Öffentlichkeit nahezubringen und damit zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Vielmehr ginge es augenscheinlich (und überwiegend bis ausschließlich) darum mit Hilfe der Kraftfahrzeuge auf zentralen Verkehrsachsen maßgebliche Einschränkungen für den sonstigen Kraftfahrzeugverkehr zu erreichen. Durch den Einsatz von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel komme es zu Stauungen des Berufsverkehrs auf den Haupt-Durchgangsstraßen. Die Lebenserfahrung zeige, dass Verkehrsteilnehmer die hinter dem Versammlungszug warten müssten, die Geduld verlören und an den Sperren oder Einmündungspunkten spontan die Fahrtrichtung ändern würden, wodurch es zu einer unmittelbaren Gefährdung des Straßenverkehrs komme. Auch an Fußgängerampeln sei es durch den Versammlungszug in der Vergangenheit immer wieder zu gefährlichen Situationen gekommen. Gleiches gelte für das Dulden der Benutzung des Fußgängerwegs durch einen Teilnehmer der Versammlung unter Verwendung eines Kraftfahrzeugs. Die im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens vorzugnehmende Güter- und Interessensabwägung komme daher zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Allgemeinheit an der Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, das Interesse der Versammlungsteilnehmer, mit Hilfe von Kraftfahrzeugen ihre Meinung zu vertreten und kundzutun, überwögen. Die Zulassung von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel sei in Anbetracht ihrer relativ hohen Gefährdung für den Berufsverkehr auf den Hauptverkehrsachsen der Stadt L. und ihrer geringen Bedeutung für den Ausdruck der „Botschaft“ des Versammlungsthemas nicht mehr zu vertreten. Es bestehe weiterhin auch kein Zusammenhang zwischen dem Versammlungsthema und alten und/oder gehbehinderten Menschen. Wenn eine Versammlung Kraftfahrzeuge einsetzen wolle, die nicht erkennbar dazu betrügen, die öffentliche Meinungsbildung zum Versammlungsthema zu beeinflussen und somit nicht zum Zweck der öffentlichen Meinungsbildung eingesetzt würden, sondern offensichtlich nur den Zweck verfolgten, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden sowie die Freiheitsrechte Dritter zu stören bzw. einzuschränken, sei die Versammlung insoweit zu beschränken, als ihr der Einsatz von Fahrzeugen untersagt werde. Zudem sei die Belastungsgrenze der Bewohner der Altstadt sowie der dort Berufstätigen und Gewerbetreibenden zu dem Versammlungsthema bereits überaus strapaziert. Die Kraftfahrzeuge überschritten die Sozialadäquanz klar. Es habe bereits mehrstündige Gespräche und Beschwerden von Bürgern gegeben. Die Verweisung auf den Gehweg sei angemessen und verhältnismäßig. Hier könnten die Versammlungsmittel (mit Ausnahme des Banners, dessen Aussage durchaus auch auf Plakaten zum Ausdruck gebracht werden könnten) ebenso mitgeführt und zum Einsatz gebracht werden. Auch bisher hätten Versammlungen mit bis zu 1.000 Teilnehmern auf den städtischen Fußwegen problemlos stattgefunden.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 3. Mai 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht München per beA am selben Tag, hat der Antragsteller Anfechtungsklage auf Aufhebung der Ziffern I. 1. und I. 2a) erhoben. Er hat zudem einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und beantragt,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegeben den Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2024 anzuordnen.
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Zur Begründung führt der Antragsteller aus, angebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gingen nicht von der angemeldeten Versammlung, sondern allenfalls von potentiellen Gegendemonstrationen und andern Teilnehmern des Straßenverkehrs aus. Es sei Aufgabe der Polizei, auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken. Das Verbot, einen (teilweise motorisierten) Aufzug auf der Straße (nicht den Gehwegen) durchzuführen, beeinträchtige den Antragsteller in erheblichem Maß in seinem Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Es gehöre zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit / Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo und wie er eine Versammlung abhalten wolle, mit welchen Kundgebungsmitteln und unter welchem Motto. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Einschränkungen sei nicht erkennbar und von der Behörde nicht vorgetragen. Die Demonstration setze sich auch für Unternehmer und Landwirte ein und solle auch mit entsprechenden Fahrzeugen aus diesem Bereich bestückt werden. Nur so könne dem Versammlungszweck gerecht werden. Eine Begründung dafür, dass auch das Lautsprecherfahrzeug ausgeschlossen werde, liefere der Bescheid nicht. Die Versammlung werde überregional beworben, so dass mit deutlich mehr Andrang zu rechnen sei. Dies werde vom Antragsgegner ignoriert. Es sei durchaus geplant, die Fahrzeuge mit einschlägigen Transparenten zu versehen. Durch den Verweis auf Gehwege würden faktisch Banner als Kundgebungsmittel verboten, was den Versammlungszweck erheblich einschränke. Die Versammlungsanzeige habe auf die Teilnahme von älteren und gehbehinderten Menschen ausdrücklich hingewiesen, die ohne Kraftfahrzeug ausgeschlossen wären. Verkehrsbehinderungen gehörten zur Natur einer Demonstration und seien hinzunehmen. Der Antragsgegner trage nichts zu einer konkreten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Es seien auch keine Alternativrouten vorgeschlagen worden, um eventuell weniger gravierende Beeinträchtigungen für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs zu erreichen. Der angebliche Verstoß gegen das Verbot von Kraftfahrzeugen am 22. April 2024 liege nicht vor. Es habe sich um einen der Versammlungsleiterin nicht bekannten Motorradfahrer gehandelt, der nicht Teil der Versammlung gewesen sei. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 3. Mai 2024 sowie dessen Replik zur Schutzschrift des Antragsgegners jeweils vom selben Tag Bezug genommen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird auf die eingereichte Schutzschrift vom 3. Mai 2024 sowie die Stellungnahme zum Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Aktenbestandteile verwiesen.
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Der zulässige Antrag ist erfolgreich.
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1. Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Sofern die Klage jedoch nach summarischer Prüfung erfolgreich sein wird, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zurück.
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Im vorliegenden Fall überwiegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse am gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Sofortvollzug. Die Klage gegen die beschränkenden Auflagen in den Ziffern I .1. und I. 2.a) des Bescheids vom 3. Mai 2024 hat voraussichtlich Erfolg. Bei kursorischer Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom 3. Mai 2024 insoweit rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnahme in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinn des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbststimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris; BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris; B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris).
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Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffenen Rechten Dritter, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris; BayVGH, B.v. 7.9.2021 – 10 CS 21.2282 – juris; B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 10 CS 23.847 – juris).
27
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Gemessen an diesen Grundsätzen erweisen sich die beschränkenden Auflagen Ziffern I. 1. (Untersagung der Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel) und I. 2.a) (Beschränkung der Durchführung des Streckenverlaufs der sich fortbewegenden Versammlung ausschließlich auf die Gehwege entlang der angezeigten Wegstrecke) im Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2024 bei summarischer Prüfung im Ergebnis voraussichtlich als rechtswidrig.
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Die vom Antragsgegner vorgenommene Gefahrenprognose hinsichtlich der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs hält den oben genannten Grundsätzen nicht stand. Die Kammer kann nach der nur möglichen summarischen Prüfung nicht erkennen, dass die Nutzung und Teilnahme von Kraftfahrzeugen als Kundgebungsmittel zu Verkehrsgefahren führen wird, welche die allgemeinen Verkehrsgefahren wesentlich erhöhen und den Versammlungsteilnehmern unmittelbar zugerechnet werden können. Weder die vom Antragsgegner genannte Möglichkeit verkehrsrechtswidriger Wendemanöver an Sperren oder Einmündungspunkten noch die nicht weiter ausgeführten gefährlichen Situationen an Fußgängerampeln zeichnen sich so hinreichend konkret ab, dass sie als unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angesehen werden können. Selbst die Stellungnahme der zuständigen Polizeiinspektion vom 11. April 2024 zur Versammlung am 8. April 2024 geht lediglich von einer abstrakten Gefährdung aus und bestätigt gerade, dass keine konkreten Gefahrenlagen gegeben waren. Warum dies bei der nunmehr angezeigten Versammlung anders sein soll, erschließt sich der Kammer nicht. Eine aktuelle, auf die hier verfahrensgegenständliche Versammlung bezogene Gefahrenprognose der Polizei ist in den Akten nicht enthalten. Hinsichtlich der gefährlichen Situationen an Fußgängerampeln fehlt ein hinreichend substantiierter Vortrag, um was es sich dabei handeln soll. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller rechtswidriges Verhalten Dritter, also insbesondere anderer Verkehrsteilnehmer, nicht ohne Weiteres zurechnen lassen muss.
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraums durch die Versammlungsteilnehmer gerade bei den Haupt-Durchgangsstraßen in der Zeit des Berufsverkehrs Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs verursachen wird, z.B. durch Stauungen. Solange die Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums durch diese Art der Versammlung jedoch in Dauer und Frequenz überschaubar, d.h. insbesondere auf einen relativ kurzen Zeitraum begrenzt bleibt, sind die damit einhergehenden Beeinträchtigungen im Hinblick auf den hohen Wert der Versammlungsfreiheit einerseits und die Bedeutung des Versammlungsthemas für die öffentliche Meinungsbildung andererseits in einer demokratischen Gesellschaft jedoch hinzunehmen. Bei den bisherigen, nicht vom Antragsteller geleiteten Versammlungen sind keine längeren Behinderungen bekannt geworden. Die Versammlungen liefen bislang immer ohne wesentliche Probleme ab. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass dies bei der hier verfahrensgegenständlichen Versammlung anders sein soll. Auch sind bei der sich fortbewegenden Versammlung keine längeren Blockaden von Verkehrswegen erkennbar oder vorgetragen.
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Zwar müssen auch unvermeidbare Beeinträchtigungen von Rechtsgütern Dritter in die Güterabwägung einbezogen werden. So mag sicherlich durch die regelmäßig stattfindenden Demonstrationen die Belastungsgrenze der Bewohner der Altstadt und auch der dortigen Berufstätigen und Gewerbetreibenden stark strapaziert werden. Allerdings liegt es auch in der Natur einer Versammlung ihr Anliegen in einem möglichst gut wahrnehmbaren Umfeld zum Ausdruck zu bringen. Insoweit ist eine Altstadtlage insoweit per se „vorbelastet“ als idealer Raum, um eine Versammlung abzuhalten. Die Kammer vermag aber im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, dass hier eine übermäßige, über den Bereich der Sozialadäquanz hinausgehende Belastung besteht. Zum einen gibt es hierzu bereits keine greifbaren Erkenntnisse abgesehen von Beschwerden von Bürgern und einer Unterschriftensammlung. Zum andern ergab eine Umfrage bei Gewerbetreibenden, die bereits wegen der geringen Zahl statistisch nicht aussagekräftig sein dürfte, allenfalls bei Restaurantbetrieben am Hauptplatz eine Minderung der Einnahmen. Im Hinblick darauf, dass die Versammlung erst um 18:00 Uhr beginnt und sich zunächst als fortbewegende Versammlung verhält und lediglich zum Abschluss von 19:30 Uhr bis 20:00 Uhr am Hauptplatz eine Schlusskundgebung geplant ist, ist nicht erkennbar, dass in dieser – wenn überhaupt – Rand-Geschäftszeit massive Umsatzeinbrüche oder Belästigungen vorliegen sollten. Die sicher gegebenen Beeinträchtigungen dürften die Schwelle einer bloßen Belästigung kaum überschreiten.
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Die Antragsgegnerin berücksichtigt zudem nicht das nunmehr geänderte Thema der Versammlung, welches Gewerbetreibende und Landwirte einschließt, die sich auch in der Vergangenheit im Wesentlichen über ihre Fahrzeuge dargestellt haben. Insoweit ist bei der nunmehr angezeigten Versammlung ein Bezug der Kundgebungsmittel Kraftfahrzeuge zum Versammlungsthema nicht ausgeschlossen. Zudem wird in der Versammlungsanzeige ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Teilnahme von Fahrzeugen für den Versammlungszweck elementar ist. Weiterhin werden indirekt auch die Kundgebungsmittel Banner und Lautsprecherfahrzeug durch die beschränkenden Auflagen mehr oder minder ausgeschlossen. Hierzu lässt sich die Begründung des Bescheids nicht aus. Der bloße Verweis darauf, dass die Aussage eines Banners auch auf Plakaten zum Ausdruck gebracht werden könne, stellt eine Einschränkung der Wahl des Kundgebungsmittels dar, die nicht mit Art. 8 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen ist. Der Hinweis auf weitere Versammlungen oder Gegenversammlungen ist ebenfalls nicht geeignet, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Antragstellers einzuschränken. Es ist grundsätzlich Pflicht und Aufgabe der Versammlungsbehörde, mehrere am selben Tag stattfindende Versammlungen zu koordinieren und ggfs. Aufgabe der Polizei eventuelle Konflikte bei einem Aufeinandertreffen von Gruppen zu verhindern. Hier fehlt es aber bereits an einem Vortrag, dass die Versammlungen nicht nebeneinander stattfinden können.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.