Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 03.04.2024 – 17 U 4445/23 e
Titel:

Gefälligkeitsverhältnis, Bergtour, Bergwachtkosten, Rettungseinsatz, Bergführer, Kostenersatz

Normenketten:
BGB 241 Abs. 2
BGB 280
BGB 823 Abs. 1
Schlagworte:
Gefälligkeitsverhältnis, Bergtour, Bergwachtkosten, Rettungseinsatz, Bergführer, Kostenersatz, Pflichtverletzung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 24.10.2023 – 27 O 3674/23
Weiterführende Hinweise:
Die Berufung wurde auf den Hinweisbeschluss hin zurückgenommen.
Fundstellen:
NJW-RR 2024, 1150
LSK 2024, 17361
SpuRt 2024, 402
BeckRS 2024, 17361

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24.10.2023, Az. 27 O 3674/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 8.430,45 € festgesetzt.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um die Erstattungspflicht für Kosten einer Bergrettung.
2
Im Rahmen einer gemeinsamen privaten Bergwandertour am 07.11.2021 wurden beide Parteien im Gebiet der Rappenklammspitze (österreichisches Karwendelgebirge) nach Absetzen eines Notrufs mittels Helikopter vom Berg ins Tal geflogen. Anlass für die Rettung war, dass die Parteien auf einer vorher nicht geplanten Rundtour in die Abenddämmerung kamen und, angelangt an einer Felswand, die die Klägerin nicht hinabsteigen wollte, entschieden, mit dem Handy die Rettung zu alarmieren. Für den von der […] gGmbH in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten Betrag in Höhe von 8.430,45 € (Anlage […]) sowie für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € nimmt die Klägerin den Beklagten auf Erstattung, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch. Der Beklagte hafte wegen sorgfaltswidriger Bergführung aus einem Gefälligkeitsvertrag gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB bzw. deliktisch gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
3
Das Landgericht München I hat die Klage mit Endurteil vom 24.10.2023 (Bl. […]) abgewiesen. Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB (Gefälligkeitsvertrag) bestehe mangels Rechtsbindungswillens des Beklagten nicht. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB stehe der Klägerin nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rettung alarmiert wurde, bereits eine Rechtsgutsverletzung in Form einer Unterkühlung erlitten habe, ob diese erst im Zuge des Wartens auf den Hubschrauber eingetreten sei oder ob die Klägerin möglicherweise überhaupt nicht unterkühlt gewesen sei. Denn auch bei unterstellter Rechtsgutsverletzung fehlt es jedenfalls an einer zurechenbaren Verletzungshandlung des Beklagten.
II.
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Die mit Schriftsatz vom […] eingelegte und mit Schriftsatz vom […] begründete Berufung hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg.
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Das ausführlich und sorgfältig begründete Urteil des Landgerichts erweist sich als richtig. Es beruht weder auf einem Rechtsfehler (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zu berücksichtigen Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
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1. Das Landgericht hat zutreffend deutsches Sachrecht angewendet. Für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche („Gefälligkeitsvertrag“) ist gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) deutsches Recht anwendbar, da der Beklagte als die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung – nach klägerischer Behauptung die Bergtourenführung am 07.11.2021 – zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Auch hinsichtlich der Frage, ob der Beklagte deliktisch haftet, ist gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) deutsches Recht anzuwenden, da die Parteien zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat (Deutschland) hatten; beide sind in München wohnhaft und haben lediglich einen Tagesausflug nach Österreich unternommen.
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2. Das Landgericht hat einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB zu Recht verneint. Es hat unter Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Abgrenzung von rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen mit vertraglichen Leistungs- und Schutzpflichten zu reinen Gefälligkeiten sämtliche Umstände des Einzelfalls gewürdigt und im – auch den Senat überzeugenden – Ergebnis eine vertragliche Haftung des Beklagten abgelehnt.
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a) Das Abgrenzungskriterium, ob jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinn des § 662 BGB besorgt oder jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, ist, wie das Landgericht auf S. […] des Urteils (Bl. […]) zutreffend ausführt und wovon auch die Berufungsführerin ausgeht (vgl. […]), der Rechtsbindungswille. Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven Beobachter nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte das Handeln des Leistenden darstellt (BGH, Urteil vom 22.6.1956 – I ZR 198/54, NJW 1956, 1313; Urteil vom 23.7.2015 – III ZR 346/14, NJW 2015, 2880 Rn. 8 m.w.N.). Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswillen zu Grunde gelegt werden. Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel beim so genannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein (vgl. BGH NJW 2015, 2880 Rn. 8 m.w.N.). Abreden, die ausschließlich auf einem außerrechtlichen Geltungsgrund wie Freundschaft, Kollegialität oder Nachbarschaft beruhen, begründen dagegen keinen schuldrechtlichen Leistungsanspruch (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, Einl. v. § 241 Rn. 7).
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b) Das Landgericht hat in seinem Urteil alle relevanten objektiven Umstände umfassend gewürdigt; hiervon geht sogar die Berufungsführerin aus ([…]: „Das Gericht erster Instanz hat […] jeden Umstand einzeln gewürdigt und jeden Umstand einzeln zur Annahme eines Rechtbindungswillen für nicht ausreichend erachtet“). Das Landgericht hat die – nicht an bestimmte alpine Qualifikationen oder sonstige Voraussetzungen geknüpfte – Mitgliedschaft des Beklagten im Deutschen Alpenverein, seine tatsächliche und im Verhältnis zur Klägerin (rein tatsächlich) überlegene Bergerfahrung, die (bei Tourenbeginn nicht absehbaren) finanziellen Interessen (Kosten einer Flugrettung) sowie die vor und nach der Tour geführte Chat-Kommunikation der Parteien ([…]) eingehend gewürdigt und ist auch zur Überzeugung des Senats zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass ein Rechtsbindungswille des Klägers, ein vertragliches Schuldverhältnis mit der Klägerin zur Durchführung der privaten gemeinsamen Bergwanderung einzugehen, aus diesen Umständen nicht erkennbar ist. Dass das Landgericht es übersehen habe, „zumindest zusätzlich eine Gesamtabwägung aller Umstände“ vorzunehmen ([…]), ist unzutreffend. Das Landgericht hat ausgeführt, dass bei gemeinsamen Bergtouren der soziale Kontakt im Vordergrund stehe und daher für die Annahme eines vertraglichen Schuldverhältnisses nach Maßgabe der oben genannten Rechtsprechung „weitere besondere Umstände hinzutreten“ müssten, an denen es vorliegend jedoch fehle; sodann hat es die genannten Umstände daraufhin geprüft.
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c) Selbst wenn das Landgericht eine Gesamtabwägung unterlassen hätte, ergäbe diese kein abweichendes Ergebnis. Zwar wird in der Berufungsbegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass allein der Umstand, dass eine Unternehmung im privaten Bereich nicht per se gegen das Vorliegen eines Gefälligkeitsvertrags spreche. Es ist aber objektiv nicht erkennbar, dass für die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt eines etwaigen konkludenten Vertragsschlusses wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel standen und sie sich auf eine etwaige Leistungszusage verlassen hatte oder der Beklagte ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hatte.
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aa) Die Durchführung der Bergtour hatte für die Klägerin aus der maßgeblichen ex-ante Perspektive gerade keine „erhebliche wirtschaftliche Bedeutung“ ([…]). Die Parteien waren keine Fremden, die sich aus sportlichen Gründen zur Durchführung einer Bergtour entschlossen, sondern es bestand eine rein private persönliche Nähebeziehung bzw. Freundschaft (vgl. auch […] der Klageerwiderung […]: „enge Nähebeziehung im klassischen Sinne“). Die Parteien hatten sich nach den Feststellungen des Landgerichts auf einer Online-Plattform kennengelernt, sich zunächst einige Male getroffen und sich sodann zu einer ersten gemeinsamen Bergwandertour verabredet. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist die vor der Tour geführte Chat-Kommunikation (vgl. […]) ersichtlich im Ton eines „Flirts“ gehalten. Dass die Tour im November stattfand und in dieser Jahreszeit mit „schlechten Witterungsverhältnissen und einer kürzeren Tageslichtphase zu rechnen gewesen“ sei ([…]), musste auch einer bergunerfahrenen Person wie der Klägerin von Beginn an klar sein, zumal von dieser als ausgebildeter Ärztin ein Bewusstsein für mögliche Gesundheitsgefährdungen bei winterlichen Unternehmungen in der freien Natur (Unterkühlung) erwartet werden kann.
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bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht (so […] der Berufungsbegründung) aus dem sog. Piz Buin-Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 30.1.1998 zum „Tourenführer aus Gefälligkeit“ bzw. „faktischen Tourenführer“ (OGH Wien, Urteil vom 30.10.1998 – 1 Ob 293/98i, LSK 2000, 350690 = SpuRt 2000, 110, abrufbar im Volltext auch im Internet unter www.ris.bka.gv.at). Wie oben unter 1. ausgeführt, findet nicht österreichisches, sondern deutsches Sachrecht Anwendung. Die Sachverhalte unterscheiden sich zudem grundlegend. Nach den dortigen Feststellungen hatte der Beklagte von Anfang an klargestellt, dass er als Initiator der Hochgebirgstour auf den Piz Buin für deren gesamten Ablauf zur umfassenden Anleitung und Betreuung, mithin also zur „Führung“ des Klägers, bereit war. Gegenüber dem Kläger machte er während der Tour zudem wahrheitswidrig vor, der Abstieg über ein Schneefeld, bei dessen Überquerung der dortige Kläger abrutschte und sich erheblich verletzte, sei nahezu ungefährlich, und verschwieg diesem nicht nur die für ihn erkennbare Gefahr und die Schwierigkeit des Abstiegs, sondern überredete ihn sogar dadurch, dass er dessen Ungefährlichkeit beteuerte, zum schwierigen Abstieg. An einer vergleichbaren Sachlage fehlt es auf Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen im vorliegenden Fall (vgl. S. […] des Ersturteils). Auch in rechtsvergleichender Hinsicht hilft das Urteil des OGH Wien der Klägerin daher nicht, zumal dieser (zum österreichischen Recht) ausführt, dass bei Bedachtnahme auf die beim Bergsteigen notwendige Eigenverantwortlichkeit bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden könne, weil er die Führung übernommen, das Unternehmen geplant oder die Route ausfindig gemacht habe. Auf solche Behauptungen stützt die Klägerin jedoch ihre Ansprüche.
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d) Zwischen den Parteien wurde mangels Rechtsbindungswillens des Beklagten auch kein Gesellschaftsvertrag (§§ 705 ff. BGB in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung) geschlossen. Die auf kameradschaftlicher Grundlage beruhende Teilnahme an einer Sportveranstaltung – hier die Unternehmung einer gemeinsamen Bergwandertour – kann nicht als Eingehung eines Gesellschaftsvertrages aufgefasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 5.3.1963 – VI ZR 123/62, NJW 1963, 1099).
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e) Ergänzend nimmt der Senat auf die Ausführungen des Landgerichts im Ersturteil ([…]) Bezug. Für den der Klägerin entstandenen Schaden kommen damit keine vertraglichen, sondern nur deliktische Ansprüche in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26.4.2016 – VI ZR 467/15, NJW-RR 2017, 272 Rn. 8 m.w.N. zur Rspr.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, Einl. v. § 241 Rn. 8).
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3. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend auch eine Haftung des Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB für den von der Klägerin geltend gemachten Vermögens(folge) schaden verneint.
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a) § 823 Abs. 1 BGB schützt nicht das Vermögen als solches. Reine Vermögensschäden sind nicht über § 823 Abs. 1 BGB ersetzbar (Grüneberg/Sprau, BGB, § 823 Rn. 2, 11 m.w.N.). Die finanzielle Belastung der Klägerin mit den Rettungskosten wäre daher nur dann ersetzbar, wenn es sich bei den Rettungskosten um Folgekosten aus einer Unterkühlung als Gesundheitsbeeinträchtigung gemäß § 823 Abs. 1 BGB handeln würde, die auf einer dem Beklagten zurechenbaren Verletzungshandlung beruhte. Nur dann wären die Rettungskosten als Folgeschaden dem Grunde nach ersatzfähig.
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b) Im Ausgangspunkt zutreffend wird in der Berufungsbegründung davon ausgegangen, dass auch ohne Vorliegen eines vertraglichen Schuldverhältnisses eine deliktische Haftung bei privaten Bergwandertouren gemäß § 823 Abs. 1 BGB nicht ausgeschlossen ist. Grundsätzlich löst auch im (Berg-)Sport ein schuldhafter Verstoß gegen eine dem Schutz eines anderen dienende Sorgfaltspflicht Schadensersatzansprüche des Verletzten aus (vgl. BGH, Urteil vom 5.3.1963 – VI ZR 123/62, NJW 1963, 1099; OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.12.1977 – 4 U 146/76, NJW 1978, 705 m.w.N.).
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c) Eine Einschränkung bzw. einen Ausschluss der Haftung hat die Rechtsprechung in besonderen Fallgruppen angenommen. In Kampfspielen, wie z.B. Fußball, bei denen es ihrer Natur nach zu körperlichen Berührungen unter Einsatz von Kraft und Geschicklichkeit kommt, die manchmal zu unvermeidbaren Verletzungen führen, nimmt der Spieler jedenfalls solche Schäden in Kauf, die ohne Verstoß gegen eine Spielregel verursacht werden. Maßgebend für die Haftungsfreistellung des Schädigers ist dabei besonders der Gedanke, dass beim Kampf um den Ball regelmäßig jeder Spieler zugleich in der Gefahr ist, Verletzer oder Verletzter zu werden, dem Geschädigten also ohne weiteres dasselbe hätte unterlaufen können wie dem Schädiger (BGH NJW 1975, 109). Bei ausgesprochen gefährlichen Sportarten (vgl. BGH NJW 1963, 1099, 1100; NJW 1975, 109, 110: gefährliche Autorennen, waghalsige Felsklettereien oder Box- und Ringkämpfe) kann schon in der Beteiligung eine Einwilligung in später erlittene Verletzungen oder ein Handeln auf eigenes Risiko gesehen werden, das eine Inanspruchnahme des Schadensverursachers als nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässig verbietet.
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Beide Fallgruppen treffen hier ersichtlich nicht zu; eine – wie hier – dem Breitensport zuzuordnende Bergwandertour ist ihrer Art nach kein Kampfspiel und ihrer Gefährlichkeit nicht mit einer „waghalsigen Felskletterei“ vergleichbar.
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d) Es kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang auch bei Bergwanderungen der Grundsatz, dass im (Berg-)Sport ein schuldhafter Verstoß gegen eine dem Schutz eines anderen dienende Sorgfaltspflicht Schadensersatzansprüche des Verletzten auslöst, einer allgemeinen Einschränkung bedarf, die sich aus der Natur der bei einer solchen Tour auftretenden Gefahren ergibt.
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aa) Nach der auch vom Landgericht zitierten Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urt. v. 1.12.1977 – 4 U 146/76, NJW 1978, 705) nimmt zwar jeder Teilnehmer die sich aus dem Weg unmittelbar ergebenden, d.h. die mit der Route untrennbar verbundenen, aus dem Charakter dieser Wanderung folgenden Gefahren (z.B. Weglänge, Höhenunterschied, Steilheit, Absturzgefahr usw.) bewusst in Kauf und kann keinen Kameraden in Anspruch nehmen, wenn sich diese Gefahr ohne unmittelbare Einwirkung eines Dritten gerade bei ihm realisiert. Dasselbe müsse für von allen Teilnehmern bewusst auf sich genommene zusätzliche Gefahren gelten, die sich etwa aus der Wetterlage, einer Nachtbesteigung oder der Wahl eines anderen als des zunächst vorgesehenen Weges ergeben, und zwar auch dann, wenn gemeinsame Verstöße gegen Sorgfaltspflichten vorliegen, das Verhalten aller also als fahrlässig zu beurteilen ist. In einem solchen Fall müsse sich jeder Bergsteiger und -wanderer an der objektiven Typizität seines Handelns festhalten lassen, so dass er sich insoweit mit einem später dennoch erhobenen Schadensersatzanspruch in rechtlich unzulässigen Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen würde (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.2004 – 7 U 207/02, BeckRS 2004, 10327 = NJOZ 2004, 4593, 4597 zum Hallenklettern; OLG München, Urt. v. 16.10.1995 – 26 U 3360/95, BeckRS 1996, 1904 = NJWE-VHR 1996, 114 zur Felskletterei).
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bb) Es fehlt vorliegend jedoch bereits, wie auch das Landgericht im Ersturteil zutreffend ausführt, an einer zurechenbaren Verletzungshandlung des Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
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(1) Nach der Berufungsbegründung sei Anknüpfungspunkt der deliktischen Haftung des Beklagten „zumindest sein pflichtwidriges Unterlassen während der Gipfelumr[u]ndung“. Aufgrund selbst vorgetragener und immanenter Warnsignale habe der Beklagte den Rückweg ins Tal antreten müssen, um so den eingetretenen Schaden von der Klägerin abzuwenden. Der Beklagte habe jedoch die Rundtour fortgesetzt. Diese Verletzungshandlung sei dem Beklagten zuzurechnen ([…]). Das Verhalten vor, während und nach Tour verdeutliche, dass der Beklagte Schutz- und Sorgfaltspflichten für die Klägerin willentlich übernommen habe. Dies begründe eine Garantenstellung jedenfalls aus tatsächlicher Übernahme bzw. aus Ingerenz. Die Gefahrenlage habe sich durch die Fortführung der Gipfelumrandung trotz fortgeschrittener Tageszeit, den vorgefundenen Schneeverhältnissen und eintretender Dämmerung weiter perpetuiert. Den Beklagten habe aufgrund seines gefahrerhöhenden Verhaltens eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Klägerin getroffen, welche sich mit Fortschreitung der Gipfelumrundung weiter verdichtet habe. Dies sei der wesentliche Pflichtverstoß des Beklagten (S. […] der Berufungsbegründung).
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(2) Das überzeugt nicht. Auch nach der Entscheidung, statt des Gipfels der Rappenklammspitze einen Rundweg über den Wechselkopf zu wählen, handelte es sich auch zur Überzeugung des Senats um eine gemeinschaftliche Fortführung der Tour, ohne dass die Klägerin dabei ihre Eigenverantwortung aufgegeben hätte und der Beklagte willentlich Schutz- und Sorgfaltspflichten für die Klägerin übernommen habe. Nach den von der Berufung nicht angegriffenen und auch nicht zu beanstandenden Feststellungen im Ersturteil, die der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde legt, entschied die Klägerin, das ursprünglich geplante Gipfelziel nicht zu besteigen. Dem Vorschlag des Beklagten, statt des Abbruchs und direkten Rückwegs ins Tal über die Aufstiegsroute eine Rundtour über den Wechselkopf zu unternehmen und auf diesem Weg ins Tal zurückzugehen, stimmte die Klägerin in einem Zeitpunkt, in dem ersichtlich keine Notsituation oder gar Gefahrenlage vorlag, und damit eigenverantwortlich zu. Es handelte sich, auch wenn der Vorschlag vom Beklagten kam und er auf seinem Mobiltelefon vor Ort den Rundweg heraussuchte und fortan navigierte, um eine gemeinsame Entscheidung. Die Klägerin wusste, dass beide ab diesem Zeitpunkt einen vorab nicht geplanten Rundweg unternehmen würden (S. […] des Ersturteils). Dies wird auch daran erkennbar, dass nach den Angaben der Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung am 31.07.2023 die Entscheidung, statt des abgebrochenen Gipfelanstiegs eine Rundtour zu gehen, während einer „Brotzeit“ gefallen ist (S. […] des Protokolls). Auch als die Wegfindung zunehmend schwieriger wurde und die Klägerin Bedenken bekam, setzte sie die Tour mit dem Beklagten weiter fort, ohne auf eine Umkehr zu drängen (S. […] des Ersturteils).
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(3) Auch der Anlass für die telefonische Rettungseinleitung war eine gemeinsame Entscheidung der Parteien zu einem Zeitpunkt, als sich die Klägerin entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung noch nicht in einer „vom Beklagten geschaffenen und fortdauernden hilflosen Lage“ (S. […]) befand.
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(a) Nach den Feststellungen im Ersturteil entschieden sich die Parteien, als sie auf dem Rundweg einen Punkt an einer Felswand erreichten, die die Klägerin nicht hinabsteigen wollte, gemeinsam, die Rettung zu alarmieren (S. […] des Ersturteils). Anlass für die Herbeirufung der Bergrettung war (noch) zu diesem Zeitpunkt mithin keine Unfall- oder akute Notsituation, sondern eine gemeinsame und letztlich – richtigerweise getroffene – vorsorgliche Entscheidung, um den möglichen Eintritt einer akuten Notsituation zu verhindern (vgl. auch Berufungsbegründung S. […]: „Schlimmeres verhindert“).
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(b) Ausweislich der erstinstanzlichen Feststellungen begann die Klägerin während des Wartens auf den Hubschrauber, d. h. nach Absetzen des Notrufs, „zu zittern und zu frieren“ (S. […] des Ersturteils). Dies dürfte vor allem darauf kausal zurückzuführen sein, dass die Klägerin, obwohl die Bergwanderung im November stattfand (S. […] des Ersturteils), nur mit einer Leggins bekleidet war und keine warme Jacke dabei hatte (S. […] des Ersturteils).
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(c) Die Parteien begannen sodann zu diskutieren, ob sie den Rückweg ins Tal auf der Aufstiegsroute beschreiten könnten, d. h. ob eine Umkehr möglich wäre. Sie warteten jedoch weiter auf den Hubschrauber, der schließlich eintraf (S. […] des Ersturteils). Auch dies war somit eine gemeinsam getroffene Entscheidung. In ihrer informatorischen Anhörung gab die Klägerin zudem an, dass sie nach dem Absetzen des Notrufs „vorgeschlagen [habe], dass wir ein kleines Stückchen zurückgehen an eine Stelle, wo wir auch noch gesehen werden, aber einfach damit wir uns bewegen und nicht zu sehr frieren“. Bis zum Eintreffen seien sie dann „noch ein paar Mal um den Berg rumgelaufen“ (S. […] des Protokolls). Sie hätten „sehr lange auf den Hubschrauber gewartet“, (erst) im Tal sei dann bei ihr von einem Arzt eine Unterkühlung diagnostiziert worden (S. […] des Protokolls).
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(4) Dass den Beklagten aufgrund eines (nur) ihm zurechenbaren gefahrerhöhenden Verhaltens eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Klägerin getroffen habe, welche sich mit Fortschreitung der Gipfelumrundung weiter verdichtet habe, erschließt sich dem Senat daher nicht. Die Sache erfordert entgegen der klägerischen Auffassung damit auch keine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil zur Fortbildung des Rechts gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO.
30
4. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).