Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 28.06.2024 – Au 6 K 24.30308
Titel:

offensichtlich unbegründete Asylklage (Türkei)

Normenketten:
GG Art. 16a
AufenthG§ 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 1 Nr. 1,§ 32, § 34 Abs. 1 Nr. 4
Leitsatz:
Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der türkische Staat sei gegenüber Drohungen und Nachstellungen durch Familienangehörige nicht schutzfähig und nicht schutzwillig. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage gegen einen als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylerstantrag einer Familie türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit (Mutter mit drei Kindern), Geltendmachung von Angst vor derzeit noch wegen Gewaltdelikten inhaftierten Schwiegervater in der Türkei, Asylverfahren des Ehemanns und Vaters eingestellt, Einreise auf dem Landweg, Bedrohung durch Familienangehörige, Abschiebung, familiäre Lebensgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17198

Tenor

 I.    Die Klagen werden als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.    Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren Asyl, die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Rahmen ihres von der Beklagten unter Aufhebung des im Dublin-Verfahren erlassenen Bescheids vom 8. Juli 2022 – nach Übernahme in das nationale Asylverfahren wegen Ablaufs der Überstellungsfrist – als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylerstantrags. Ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage blieb erfolglos.
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Die Kläger zu 1 bis 4 sind nach eigenen Angaben türkische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, eine Mutter mit drei minderjährigen Kindern, reisten – ebenfalls nach eigenen Angaben – per Lkw auf dem Landweg am 30. Dezember 2021 nach Deutschland ein (BAMF-Akte Bl. 502) und stellten am 28. Januar 2022 mit ihrem Ehemann/Vater einen Asylerstantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).
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Ihren Asylerstantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2022 unter Anordnung ihrer Abschiebung nach Kroatien ab. Nach Ablauf der Rücküberstellungsfrist nach Kroatien übernahm die Beklagte die Asylverfahren in die nationale Zuständigkeit. Der Asylantrag des Ehemanns/Vaters wurde nach Angaben der Beklagten wegen fehlender Mitwirkung eingestellt und eine Abschiebungsandrohung in die Türkei erlassen.
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Für die Kläger erläuterte die Klägerin zu 1 als Fluchtgründe familiäre Probleme (BAMF-Akte Bl. 500 ff.). Im Wesentlichen gab sie an, Angst vor ihrem – wegen einer Gewalttat gegen seine Ehefrau zu vier Jahren Strafhaft verurteilten und derzeit inhaftierten Schwiegervater zu haben, da sie befürchte, dass er unterstelle, dass der Kläger zu 2 nicht das Kind ihres Ehemannes sei, sondern eines Mannes, der sie jahrelang vergewaltigt habe (BAMF-Akte Bl. 503 f.); ihr Bruder habe sie deswegen oft geschlagen. Dann wisse es auch ihr Ehemann, der zwar zu ihr stehe, aber Kurde sei und unter Kurden sei vorehelicher Geschlechtsverkehr nicht üblich.
Sie stamme aus ... und sei seit ihrem 16. Lebensjahr – sie datierte den Beziehungsbeginn auch auf Nachfrage und Vorhalt ihrer damaligen Volljährigkeit in das Jahr 2010 – mit einem 45-jährigen Mann zusammen gewesen, der sie vergewaltigt, zu einer Abtreibung gezwungen, nach sechs Jahren wegen einer jüngeren Frau wieder verlassen und vorher noch zur operativen Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit gezwungen habe. Ihre Schwiegereltern hätten wohl Zweifel daran, dass ihr im Jahr 2018 geborener Sohn von ihrem Ehemann stamme; vor ihrer Hochzeit hätten sie von ihr einen Jungfräulichkeitstest verlangt und nach der Kindesgeburt einen DNA-Test. Sie fürchte, wäre sie in der Türkei verblieben, hätte er einen gynäkologischen Test von ihr verlangt und es wäre herausgekommen, dass sie vor der Ehe Geschlechtsverkehr gehabt hätte. Wegen seiner Drohungen sei auch die Polizei von ihnen verständigt worden und ein paar Mal auch zu Hause gewesen (ebenda Bl. 504). Sie seien von ... nach ... weggegangen und sie habe ihren Schönheitssalon in ... aus der Ferne und durch Besuche geleitet; später seien sie nach ... gegangen, aber auch dort von der Schwiegerfamilie bedroht worden. Ihr Schwiegervater sei damals und auch bei ihrer Ausreise schon in Haft gewesen, denn er habe versucht, auf Grund seiner Vorstellung von Ehre einen Sohn zur Erschießung seiner Frau (der Schwiegermutter der Klägerin zu 1) anzustiften und sie schließlich selbst angeschossen (ebenda Bl. 504 f., 750).
Die Klägerin zu 1 legte noch einen Arztbericht des BKH ... über einen stationären Aufenthalt vom 13. bis 16. Oktober 2023 wegen eines Suizidversuchs vor.
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Mit Bescheid vom 14. März 2024 hob das Bundesamt seinen Bescheid vom 8. Juli 2022 auf (Ziffer 1) und lehnte die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2 bis 4), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 5), forderte zur Ausreise innerhalb einer Woche auf und drohte die Abschiebung in die Türkei an, wobei die Ausreisefrist bis zum Ablauf der Klagefrist bzw. bis zu einer ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Falle eines Eilantrags ausgesetzt werde (Ziffer 6). Es ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 30 Monate (Ziffer 7).
Der im Dublin-Verfahren erlassene Bescheid vom 8. Juli 2022 werde wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufgehoben. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG seien unbegründete Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Die Kläger hätten die Türkei nicht aus einer begründeten Furcht vor einer Verfolgung oder einem ersthaften Schaden verlassen. Die Klägerin zu 1 habe auf Bedrohungen durch und Angst vor privaten Dritten verwiesen, aber ihr Schwiegervater und dessen Familie seien keine flüchtlingsrelevanten Verfolger. Zudem stehe staatlicher Schutz hiergegen zur Verfügung, denn der Schwiegervater sei schon strafgerichtlich belangt und inhaftiert worden. Andererseits sei die Beziehung zu dem vorehelichen Vergewaltiger nach sechs Jahren beendet worden, also im Jahr 2016 oder früher. Dass nach drei Geburten noch der voreheliche Jungfräulichkeitsstatus durch Untersuchungen herausgefunden werden könne, sei nicht anzunehmen. Sie könnten erneut in die Millionenstadt Istanbul ausweichen und ggf. staatlichen Schutz in Anspruch nehmen. Dort hätten beide Eheleute gearbeitet und die Lebensgrundlage für die Familie erwirtschaften können. Auch die Voraussetzungen für nationales Asyl oder subsidiären Schutz lägen aus diesen Gründen nicht vor, weil ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei keine Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe und ihnen ggf. eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Die Asylanträge der Kläger seien daher als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor; medizinische Hilfe sei in der Türkei bei psychischen Erkrankungen landeweit verfügbar. Sie könnten evtl. Rückkehr- und Reintegrationshilfe in Anspruch nehmen. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung stünden weder Kindeswohlbelange, noch familiäre Bindungen in Deutschland oder gesundheitliche Gründe entgegen.
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Gegen diesen am 21. März 2024 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid ließen die Kläger am 27. März 2024 Klage erheben und beantragen,
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1. Der Bescheid des Bundesamts vom 14. März 2024 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen.
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3. Die Beklagte wird hilfsweise verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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4. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, den Klägern subsidiären Schutz zu gewähren,
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5. Weiter hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Der Bescheid sei rechtswidrig.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Regierung von ... als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
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Der Eilantrag wurde abgelehnt (VG Augsburg, B.v. 15.4.2024 – Au 6 S 24.30309). Mit Beschluss vom 12. April 2024 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die trotz Ausbleibens Beteiligter verhandelt und entschieden werden konnte, da sie zuvor darauf hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) offensichtlich keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 14. März 2024 ist daher – einschließlich der Aufhebung des im Dublin-Verfahren erlassenen Bescheids vom 8. Juli 2022 – rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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1. Die Anfechtungsklage gegen die Aufhebung des im Dublin-Verfahren erlassenen Bescheids vom 8. Juli 2022 ist – nur hier eine Klagebefugnis und damit eine Zulässigkeit der Klage unterstellt – jedenfalls unbegründet, denn die Aufhebung des nach Ablauf der Überstellungsfrist und Übergangs der Zuständigkeit auf Deutschland rechtswidrig gewordenen Bescheids ist nach § 48 VwVfG rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2. Für die Kläger besteht in der Sache offensichtlich gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AsylG kein Anspruch auf einen Schutz nach Art. 16a GG, § 3 oder § 4 AsylG.
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Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn ein Katalogtatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 9 AsylG vorliegt; auf unbegleitete Minderjährige findet die Regelung nach § 30 Abs. 2 AsylG keine Anwendung (zur Novelle Art. 2 Nr. 6 und Nr. 16 sowie Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung v. 21.2.2024, BGBl. I Nr. 54 – Rückführungsverbesserungsgesetz). Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n.F. offensichtlich unbegründet, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Diese Regelung gilt nach § 87 Abs. 2 Nr. 6 AsylG für alle Asylanträge, die – wie hier – nach dem 27. Februar 2024 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – juris). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten.
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Gemessen an diesen Anforderungen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Aufhebung des im Dublin-Verfahren erlassenen Bescheids vom 8. Juli 2022 und der Ablehnung der Asylanerkennung, der Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG) und der Versagung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylG) jeweils als offensichtlich unbegründet sowie an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Beklagte hat den Asylantrag zu Recht nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n.F. abgelehnt.
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a) Einer Asylanerkennung und einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht neben der Einreise auf dem Landweg auch die fehlende Vorverfolgung entgegen.
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Wie die Beklagte zutreffend in ihrem Bescheid ausgeführt hat, ist schon ausreisemotivierend nicht eine staatliche Verfolgung gewesen, sondern die Angst vor dem Schwiegervater als Privatperson, vor einer Aufdeckung vorehelichen Geschlechtsverkehrs und einer etwaigen nichtehelichen Abstammung des Klägers zu 2. Abgesehen davon, dass schon die Zeitangaben der Klägerin zu 1 ihre behaupteten Ängste nicht stützen – hätte die voreheliche Beziehung ab ihrem 16. Lebensjahr sechs Jahre gedauert, wäre sie im Jahr 2014 beendet gewesen; hätte die voreheliche Beziehung ab dem Jahr 2010 sechs Jahre gedauert, wäre sie im Jahr 2016 beendet gewesen und damit mindestens im Jahr vor der rechnerischen Empfängnis für den Kläger zu 2 im Herbst 2017 –, so dass ihr Sohn ehelich sein dürfte, ist auch nicht anzunehmen, dass ihre Jungfräulichkeit im Jahr 2018 heute noch rückwirkend feststellbar wäre, wie die Beklagte unter Verweis auf die zwischenzeitlichen drei Geburten betont. Abgesehen davon hat die Klägerin zu 2 nach ihren Angaben ihren Ehemann im Jahr 2017 geheiratet und ihr Sohn wurde im Jahr 2018 geboren (BAMF-Akte Bl. 752), so dass mangels noch andauernder vorehelicher Beziehung von einer ehelichen Empfängnis auszugehen ist.
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Dessen ungeachtet steht den Klägern gegen den Schwiegervater staatlicher Schutz durch Polizei und Justiz zur Verfügung, den sie auch in Anspruch genommen haben (BAMF-Akte Bl. 504), erst recht auch im von dessen Wohnort ... ferneren, wo sie bereits zwei Mal gelebt hatten (ebenda Bl. 753, 754).
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Die Versagung von internationalem Schutz steht mit der unionsrechtlichen Rechtslage in Einklang, die für eine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz bei häuslicher Gewalt eine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal fordert, das hier nicht vorliegt. Die Klägerin zu 1 ist nicht vor häuslicher Gewalt ihres Ehemanns, sondern letztlich (wieder) mit diesem zusammen aus Angst vor dem Schwiegervater geflohen – schon eine eigene soziale Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2024 – C-621/21 – Rn. 40) lässt sich für sie daraus nicht ableiten. Insbesondere fühlt sich die Klägerin zu 1 nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts vom Schwiegervater bedroht, sondern wegen einer angeblichen außerehelichen Empfängnis ihres ersten Kindes, was aufgrund der spezifischen Familienkonstellation nicht verallgemeinerbar und äußerlich auch nicht erkennbar ist und ebenso wenig für die Annahme einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausreicht (EuGH, a.a.O., Rn. 48 f., 53 f.).
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Abgesehen davon ist der Schwiegervater als Einzelperson kein territorial relevanter Verfolger, so dass von ihm als Person schon keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung ausgehen kann. Zudem ist der türkische Staat schutzfähig und schutzwillig; der Schwiegervater wurde wegen einer Straftat gegen die Schwiegermutter angeklagt, verurteilt und inhaftiert. Ein an ein Verfolgungsmerkmal anknüpfendes spezifisch auf die Klägerin gerichtetes Unterlassen des türkischen Staats (EuGH, a.a.O., Rn. 64) und damit eine staatliche Verfolgungshandlung ist damit widerlegt.
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Daher geht weder vom Schwiegervater eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung aus, noch fehlt hinreichender Schutz des hier schutzfähigen und schutzwilligen türkischen Staats (als Maßstab bei EuGH, a.a.O., Rn. 67, 70).
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b) Es bestehen nach summarischer Prüfung aus diesen Gründen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
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c) Die Beklagte hat den Asylantrag auch nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n.F. für alle Kläger zu Recht abgelehnt. Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Hier sind die angegebenen Umstände – Angst vor Privatpersonen und persönlicher Bedrohung, innerfamiliäre Spannungen und Konflikte – aus den o.g. Gründen für die Prüfung offensichtlich nicht von Belang.
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Auf unbegleitete Minderjährige findet die Regelung nach § 30 Abs. 2 AsylG zwar keine Anwendung (zur Novelle Art. 2 Nr. 6 und Nr. 16 sowie Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung v. 21.2.2024, BGBl. I Nr. 54 – Rückführungsverbesserungsgesetz). Doch die Kläger zu 2 bis 4 sind zwar minderjährig, aber in Begleitung ihrer Eltern, so dass der Ausschlussgrund nicht greift.
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d) Daher bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festgestellt wurde.
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Die vor ihrer Ausreise nach eigenen Angaben erwerbstätige und erwerbsfähige Kläger-Familie würde bei einer Rückkehr in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementaren Bedürfnisse im Sinne eines Existenzminimums nicht gesichert wären. Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert. Auf die ausführliche und aktuelle Darstellung im angefochtenen Bescheid wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Hiervon Abweichendes ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen sind weder vorgetragen noch unter Vorlage aussagekräftiger Atteste glaubhaft gemacht; in der Türkei steht eine psychiatrische Behandlung für die Klägerin zu 1 im Falle einer akuten Suizidgefahr zur Verfügung.
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e) Ebenfalls keine Bedenken bestehen nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n.F. gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung hinsichtlich Kindeswohl, familiärer Bindungen oder Gesundheitszustand, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich geprüft und verneint ist. Die Kläger werden als Familie gemeinsam abgeschoben werden und können ihre familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat fortführen.
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f) Nachdem sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG mangels berücksichtigungsbedürftiger Belange für eine kürzere Befristung als rechtmäßig erweist, war die Klage abzuweisen.
37
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).