Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 11.06.2024 – Au 6 K 24.30192
Titel:

Offensichtlich unbegründete Klage eines türkischen Kurden

Normenkette:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 30 Abs. 1
Leitsatz:
In der Türkei werden die Verfahrensrechte der Betroffenen in Verfahren mit Terrorbezug teilweise massiv eingeschränkt, und es bestehen beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten erhebliche Defizite; so werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft und Rechtsanwälten bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht ermöglicht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Asylbewerber kurdischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit, abgeschlossenes Asylerstverfahren ohne Schutzzuerkennung, Asylfolgeantrag wegen behaupteter politischer Verfolgung durch Strafverfolgung wegen Beleidigung eines Abgeordneten, Asylklage, Folgeverfahren, Türkei, Kurde, offensichtlich unbegründet, Luftwegseinreise, HDP, Haftbefehl, Beleidigung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17196

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger reiste nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Asylerstverfahren (VG Augsburg, U.v. 14.12.2022 – Au 8 K 20.31196 – Rn. 1 ff.) mit seiner Familie, Ehefrau und drei minderjährigen Kindern, als türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit am 11. April 2019 auf dem Luftweg von ... nach ... aus und am gleichen Tag auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 18. November 2019 Asylanträge stellten.
2
Ihr Asylantrag wurde zunächst wegen einer Einreise mit französischen Visa durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 8. Januar 2020 abgelehnt; ihre Klage hiergegen wurde abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 10.3.2020 – Au 6 K 20.50017), aber ihre Dublin-Rückführung wurde wegen der Covid-Pandemie ausgesetzt. Nach Ablauf der Überstellungsfrist wurden ihre Asylanträge ins nationale Verfahren übernommen.
3
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe in der Türkei ein Restaurant und ein Straßenbauunternehmen geführt. Er sei kein offizielles Mitglied der Partei HDP gewesen, aber habe diese immer unterstützt. Die Polizeibeamte hätten deshalb Druck auf ihn ausgeübt und ihn diskriminiert. Sie seien immer in sein Restaurant und in sein Unternehmen gekommen und hätten ihm vorgeworfen, dass er eine terroristische Partei unterstütze. Sie hätten gefragt, weshalb es in seinem Restaurant zu Versammlungen gekommen sei und weshalb sich die Abgeordneten dort versammeln würden. Sie hätten auch versucht, Aufträge zu verhindern. Zahlungen seien erst verspätet erfolgt. Sein Bruder sei wegen seiner Aktivitäten für die HDP in Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden und mittlerweile deutscher Staatsangehöriger. Als dieser am 23. Juli 2017 in die Türkei reisen wollte, habe er eine Einreisesperre erhalten. Der Bruder sei Direktor der Firma. Sie hätten erst nach sieben Monaten nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt, weil sie gehofft hätten, dass sich die Lage wieder verbessere. Die Lage hätte sich jedoch verschärft. Sein Bruder in der Türkei habe ihm gesagt, dass die Polizei erst vor zwei Tagen nach ihm gefragt habe. Ein Festnahmebefehl gegen ihn würde nicht vorliegen. Bei der Ausreise seien sie am Flughafen in ... kontrolliert worden. Nach der Ausreise sei ihm von seinem Anwalt und von seinen Verwandten gesagt worden, dass er keinesfalls zurückkehren solle, weil sich die Lage verschlechtert habe. Er habe nicht vorgehabt, hier einen Asylantrag zu stellen. Nachdem er ausgereist sei, sei sein Konto beschlagnahmt worden.
4
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 4. August 2020 die Anträge auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzstatus ab, stellte fest, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, drohte die Abschiebung in die Türkei an und ordnete ein auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an. Gegen eine Verfolgung in der Türkei spreche bereits die Tatsache, dass es ihnen möglich gewesen sei, ohne irgendwelche Probleme die Türkei auf dem Luftweg zu verlassen. Der Sachvortrag sei unglaubhaft und konstruiert, detailarm, allgemein gehalten und beinhalte keinerlei Einzelheiten in Bezug auf angebliche Besuche der Polizei im Restaurant oder der Firma, angebliche Unterdrückung oder Diskriminierungen bzw. ähnlich gelagerte Vorfälle. Dass man erst nach einigen Monaten in Deutschland beschlossen habe, nicht mehr zurückzukehren, da die Situation angeblich immer schlimmer geworden sei, erscheine vorgeschoben. Es dränge sich der Verdacht auf, dass das Ziel der Ausreise von vornherein Deutschland gewesen sei, um mit Hilfe des hier lebenden Bruders zu arbeiten und eine bessere Zukunft für die Kinder zu haben.
5
Die hiergegen erhobene Klage begründete der Kläger u.a. damit, ihm könne vorgeworfen werden, dass er die von den türkischen Sicherheitsbehörden verfolgten ... und ... aktiv unterstützt habe, als diese als führende Persönlichkeiten der HDP bei einer Sitzung im Restaurant des Klägers gewesen und auf Fotos abgebildet seien. Auf weiteren auf dem Facebook-Account des Klägers veröffentlichten Fotos sei der Kläger u.a. neben ... zu sehen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab (VG Augsburg, U.v. 14.12.2022 – Au 8 K 20.31196 – Rn. 9 ff.), dem Kläger drohe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit/Zurechnung zur HDP, denn die angeblichen Diskriminierungen durch die Polizei hätten die erforderliche asylerhebliche Schwelle nicht überschritten. Gegen eine Verfolgung wegen der Unterstützung der HDP spreche bereits die legale Ausreise auf dem Luftweg, zumal der Kläger nach seinen eigenen Angaben auch ursprünglich geplant hätte, wieder in die Türkei zurückzureisen. Dass er sich wegen einer Verschärfung der Lage nach seiner Ausreise sich in Deutschland entschlossen zu haben, nicht mehr zurückzukehren, sei nicht glaubhaft. Gegenüber dem Bundesamt habe er auf mehrmalige Nachfrage dazu auf verspätet geleistete Zahlungen verwiesen und dass nach ihm gefragt worden sei bzw. weil sein Konto beschlagnahmt worden sei. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen erklärt, die von der Polizei vernommenen Freunde hätten berichtet, dass die Polizei sich nach dem Kläger erkundigt und auch im Raum gestanden habe, dass im Restaurant des Klägers angeblich ein Terrormitglied der PKK an Versammlungen etc. teilgenommen habe. Dies habe er in der Anhörung beim Bundesamt nicht vorgetragen und es sei als Steigerung seines bisherigen Vorbringens zu werten und insoweit unglaubhaft. Ein Haftbefehl, Ermittlungsverfahren oder ähnliches liege jedoch nicht vor. Daran änderten auch die erst im Gerichtsverfahren vorgelegten Fotos mit angeblich Abgeordneten und führende Persönlichkeiten der HDP, die sich im Restaurant des Klägers versammelt hätten, nichts. Zum einen datierten diese, wie der Facebook-Post, aus dem Jahr 2015 und zum anderen sei dies der Polizei bereits vor der Ausreise des Klägers bekannt gewesen. Nach allem sei davon auszugehen, dass der Kläger mit seiner Familie von Anfang an in Deutschland ein neues Leben beginnen wollte. Dafür sprächen die legale Ausreise ohne Rückflugticket und die Arbeitsmöglichkeit bei seinem in Deutschland lebenden Bruder sowie die späte Asylantragstellung. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 2.2.2023 – 13a ZB 23.30103).
6
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 6. April 2023 ließ der Kläger einen Asylfolgeantrag stellen, weil gegen ihn in der Türkei ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Er legte u.a. dazu vor (türkische Kopien BAMF-Akte zum Asylfolgeantrag Az., Bl. 46 ff.; deutsche Übersetzung durch Bundesamt Bl. 65 ff.):
7
- Oberstaatsanwaltschaft, Anklageschrift vom 13.März 2023, Ermittlungs-Az., Aktenzeichen-Az., Anklageschrift-Az. ... (ebenda Bl. 65): Anklage wegen öffentlicher Beleidigung eines Amtsträgers seines Amtes wegen in mündlicher, schriftlicher oder bildlicher Form nach Art. 125 und Art. 53 tStGB, Tatzeitpunkt 9. Dezember 2021, Verweis auf Festnahmebefehl vom 8. Dezember 2022. Ein anwaltlich vertretener ... habe als AKP-Abgeordneter eine Anzeige gegen den Kläger als Facebook-Nutzer erstattet, wo ein Beitrag über dessen Einsatz von Fäusten im Parlament kommentiert gewesen sei mit: „Es ist kein Ring, es ist das Parlament: Der AKP-Abgeordnete ... von ... ließ seine Fäuste sprechen.“ Der Kläger habe dies kommentiert mit „Der ...t, der nicht gegen Tollwut geimpft wurde…“ und ihn so beleidigt. Zwecks Vernehmung sei gegen den Kläger ein Festnahmebefehl vom 8. Dezember 2022 erlassen worden, der Kläger aber bis dato nicht festgenommen und vernommen worden.
8
- 6. Strafkammer des Strafgerichts, Protokoll zur Vorbereitung der Gerichtsverhandlung vom 20. März 2023, Az. ... (ebenda Bl. 67): Keine Durchführung der Mediation wegen Auslandsabwesenheit des Klägers, Aufhebung des Festnahmebefehls aus dem Ermittlungsverfahren, Neuerlass eines Festnahmebefehls, Vertagung.
9
- Strafabteilung der 2. Friedensrichters, Festnahmebefehl vom 8. Dezember 2022 zwecks Vernehmung zur Staatsanwaltschaft und anschließende Freilassung (ebenda Bl. 70).
10
- Polizeipräsidium, undatierte Mitteilung über eine „Umsetzung der geforderten Angelegenheit“ auf Anforderung der Oberstaatsanwaltschaft ... (ebenda Bl. 104, 109).
11
In seiner auf Türkisch geführten Anhörung am 15. Mai 2023 gab der Kläger im Wesentlichen an (ebenda Bl. 84 ff.), seit vier Jahren habe er Probleme, aber keinen Zugang zu e-Devlet gehabt. Sein Bruder habe ihm im März 2023 einen Zugang eingerichtet und es gehe um dieselben Gründe wie im Erstverfahren, für welche er jetzt Beweismittel habe.
12
Auf dem Kontrollbogen bestätigte der Kläger, es habe bei der in türkischer Sprache durchgeführten Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 89).
13
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 14. Februar 2024 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in die Türkei abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist werde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass zwar die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vorlägen, aber nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter, weil der Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Die eingeleiteten Ermittlungen der türkischen Strafverfolgungsorgane und die Suche nach dem Kläger sprächen für ein Ergreifungsinteresse des türkischen Staats zwecks strafprozessualer Informationsgewinnung und Beseitigung des Verfahrenshindernisses eines abwesenden und zum Tatvorwurf nicht gehörten Angeklagten unter Einhaltung der wesentlichen strafprozessualen Vorgaben hierfür, aber nicht für ein an die politische Haltung des Klägers geknüpftes Verfolgungsinteresse des Staates. Auf Grund einer Strafanzeige seien Ermittlungsschritte auf Grund des Vorwurfs der Beleidigung gegen einen Herrn ... im Anwendungsbereich eines einfachen Verfahrens eingeleitet worden. Der Kläger habe selbst in der Anhörung zugegeben, dass er die Beleidigung geschrieben habe. Eine solche Beleidigung könne auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Dass das Strafverfahren gegen grundlegende prozessuale Werte und das Gebot der Verfahrensfairness verstoßen könnte, sei insbesondere auf Grundlage der vorgelegten Dokumente nicht ersichtlich. Vielmehr sei eine Verurteilung in Abwesenheit des Antragstellers nach türkischem Recht unzulässig, es sei denn, er sei mindestens einmal von einem Gericht angehört worden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Schutzwürdige Belange gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung seien nicht vorgetragen worden; Ehefrau und Kinder seien nicht aufenthaltsberechtigt, sondern ausreisepflichtig und könnten gemeinsam ausreisen bzw. ohne Familientrennung abgeschoben werden.
14
Gegen diesen an seinen Bevollmächtigen am 19. Februar 2024 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid ließ der Kläger am 26. Februar 2024 Klage erheben mit dem Antrag,
15
1. den Bescheid vom 14. Februar 2024 aufzuheben,
16
2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
17
3. hilfsweise ihm subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
18
4. weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht.
19
Eine Klagebegründung erfolgte trotz Gewährung von Akteneinsicht und Setzung einer Frist bis 28. Februar 2024 zunächst nicht, auch nicht auf die mit der am 7. Mai 2024 zugestellten Ladung gesetzte Frist zur Klagebegründung von einer Woche. Erst am 6. Juni 2024 wurde vorgetragen, dem Kläger drohe wegen der Äußerung in sozialen Medien eine ungerechtfertigte Strafverfolgung, denn die Staatsanwaltschaft habe Anklage erhoben und das Strafgericht habe einen Haftbefehl erlassen, allerdings die Hauptverhandlung vertagt.
20
Die Beklagte beantragt,
21
die Klage abzuweisen.
22
Die Regierung von ... als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
23
Mit Beschluss vom 16. April 2024 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

25
Die zulässige Klage, über die trotz Ausbleibens Beteiligter verhandelt und entschieden werden konnte, da sie zuvor darauf hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist offensichtlich nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2024 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
26
1. Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn ein Katalogtatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 9 AsylG vorliegt; auf unbegleitete Minderjährige findet die Regelung nach § 30 Abs. 2 AsylG keine Anwendung (Art. 2 Nr. 6 und Nr. 16 sowie Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung v. 21.2.2024, BGBl. I Nr. 54 – Rückführungsverbesserungsgesetz). Die Neuregelungen sind auch für das Verwaltungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG anzuwenden, da sie die Rechtslage im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung umgestaltet haben.
27
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (vgl. § 78 Abs. 1 AsylG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – juris).
28
a) Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Dies ist hier der Fall (dazu sogleich).
29
b) Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn der Ausländer einen Asylfolgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren erfolglos durchgeführt wurde. Auch das ist hier der Fall.
30
2. Der Kläger hat offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
31
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
32
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
33
a) Der Kläger konnte mit seinem individuellen Vortrag nicht glaubhaft machen, dass ihm in der Türkei eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
34
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten und den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen im Asylerstverfahren zu folgen, wonach der Kläger keine an ihn individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert hat, sondern auf dem Luftweg unbehelligt und damit unverfolgt aus der Türkei ausgereist ist. Die Beklagte hat zu Recht die vorgelegten Unterlagen zwar als neue Beweismittel gewertet, allerdings belegen sie keine Vorverfolgung, weil das Strafverfahren auf eine im Jahr 2021 und damit lange nach seiner letzten Ausreise aus der Türkei hin erfolgte Veröffentlichung in Facebook aufgenommen wurde. Eine Beweiserleichterung wegen einer etwaigen Vorverfolgung greift für ihn deswegen nicht.
35
b) Verfolgungsmaßnahmen drohen ihm aber auch im Fall seiner Rückführung in die Türkei auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Die Beklagte hat zu Recht die vorgelegten Unterlagen als neue Beweismittel bzw. neue Elemente gewertet, allerdings belegen sie keine flüchtlingsrelevante Verfolgung, sondern lediglich eine im Rahmen normaler strafrechtlicher Ermittlungstätigkeit liegende Strafverfolgung.
36
Zwar werden in der Türkei die Verfahrensrechte der Betroffenen in Verfahren mit Terrorbezug teilweise massiv eingeschränkt und bestehen beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten erhebliche Defizite; so werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft und Rechtsanwälten bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht ermöglicht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 28.7.2022, S. 12).
37
Davon unterscheidet sich jedoch der Fall des Klägers, der nur wegen Beleidigung und nicht wegen eines Terrorpropagandadelikts angezeigt worden ist und der selbst über e-Devlet Akteneinsicht erhalten hat, sogar in die Ermittlungsakten und Unterlagen der Staatsanwaltschaft einschließlich des Haftbefehls zum Verhör. Diese konkreten Anhaltspunkte sprechen vielmehr umgekehrt für die Einhaltung der Standards eines fairen Verfahrens gegenüber dem Kläger, der sich anwaltlich vertreten lassen könnte und sogar volle Akteneinsicht nehmen lassen kann.
38
Für Haftbefehle gibt es mehrere Rechtsgrundlagen und Erlassmöglichkeiten (zum Ganzen Auswärtiges Amt, Auskunft vom 28.9.2020 an das VG Augsburg, zu Frage 4): Erstens stellt der Haftrichter (Sulh Ceza Hakimligi – sog. Friedensrichter, dazu BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 6.12.2021, S. 45) nach Art. 98 Abs. 1 tStPO auf Antrag des Staatsanwalts einen Haftbefehl aus, wenn ein geladener Verdächtiger nicht erscheint oder nicht zur Vorführung geladen werden konnte. Zweitens stellen der Staatsanwalt oder die Polizei nach Art. 98 Abs. 2 tStPO auf Antrag des Staatsanwalts einen Haftbefehl aus, wenn ein bereits festgenommener Verdächtiger oder Angeklagter flüchtet oder ein Untersuchungs-/Strafhäftling aus der Haftanstalt flüchtet. Drittens stellt ein Richter nach Art. 98 Abs. 3 tStPO auf Antrag des Staatsanwalts einen Haftbefehl aus, wenn ein Angeklagter flüchtig ist; das Gericht kann jederzeit seine Vorführung nach Art. 199 tStPO anordnen. Viertens kann nach Art. 247 Abs. 1 tStPO ein Haftbefehl gegen einen Flüchtigen erlassen werden, wenn der Staatsanwalt oder das Gericht diese Person nicht erreichen kann, weil sie sich im Inland versteckt oder ins Ausland abgesetzt hat. Daher dient der hier erlassene Haftbefehl lediglich der Vernehmung des Klägers als Angeklagtem und damit der Beseitigung des Verfahrenshindernisses des nicht gehörten Angeklagten, weshalb das Strafgericht hier das Verfahren auch vertagt hat, wie der Klägerbevollmächtigte – ungeachtet der zeitlichen Präklusion seiner verspäteten Klagebegründung nach § 74 AsylG – selbst vorgetragen hat.
39
Hinzu kommt, dass der Haftbefehl nur wegen Beleidigung und nicht wegen Terrorpropaganda ergangen ist und auch seine Festnahme zwecks seiner Anhörung und seine Freilassung nach der Anhörung angeordnet hat. Auch das spricht dafür, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers seiner im türkischen Strafprozess vorgesehenen Vernehmung zwecks Beseitigung des Verfahrenshindernisses eines nicht gehörten Angeklagten und nicht einer zeitlich unbegrenzten Inhaftierung dienen soll. Schließlich ist im derzeitigen frühen Stadium des Strafverfahrens auch nicht erkennbar, dass dem Kläger wegen der ihm zur Last gelegten und in der Sache nach auch von ihm als begangen eingeräumten Delikte der Beleidigung eine unverhältnismäßig harte Bestrafung drohte. Er hat auch nicht den türkischen Staatspräsidenten, sondern einen Abgeordneten beleidigt, so dass auch nicht auf die Strafverfolgungspraxis der Türkei wegen „Präsidentenbeleidigung“ abzustellen ist. Dies alles zusammen genommen, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Flüchtlingsschutz durch die Beklagte.
40
3. Ebenso offensichtlich kommt aus diesen Gründen eine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG nicht in Betracht. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
41
4. Schließlich sind zu Recht auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festgestellt worden. Gegenteiliges hat der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht.
42
5. Da sich auch die weiteren Nebenentscheidungen im angefochtenen Bescheid als rechtmäßig herausstellen, ist die Klage insgesamt als offensichtlich unbegründet abzuweisen: Keine Bedenken bestehen gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung, dem keine Belange nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n.F. hinsichtlich Kindeswohl, familiärer Bindungen oder Gesundheitszustand entgegenstehen, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich geprüft und verneint ist. Insbesondere sind die gemeinsam ausreisepflichtigen Angehörigen der Kernfamilie des Klägers mit ihm in der Lage, im Fall ihrer Rückführung in die Türkei dort auch ihr Familienleben gemeinsam fortzusetzen.
43
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).