Titel:
Verneinung charakterlicher Eignung aufgrund häuslicher Gewalt
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der persönlichen Eignung eines Bewerbers für den Polizeidienst zu begründen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen des hinsichtlich der charakterlichen Eignung bestehenden Beurteilungsspielraums kann der Dienstherr beurteilungsfehlerfrei zu der Erkenntnis gelangen, einen Bewerber für die Dauer einer gegen ihn durchgeführten strafrechtlichen Ermittlung und eines sich gegebenenfalls anschließenden förmlichen Strafverfahrens als charakterlich ungeeignet anzusehen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht keine mit der strafrechtlichen Unschuldsvermutung korrespondierende beamtenrechtliche Eignungsvermutung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Konkurrenz um höherwertigen Dienstposten, Kriminalbeamter, fehlende charakterliche Eignung angesichts strafrechtlichem Ermittlungsverfahren wegen häuslicher Gewalt, Polizeibeamter, Bewerbung, Konkurrenz, Bewerbungsverfahrensanspruch, Eignung, charakterliche Eignung, häusliche Gewalt, Ermittlungsverfahren, Straftat, Unschuldsvermutung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17194
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 17.008,43 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller, der als Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12) im Dienst des Antragsgegners steht, begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die Mitteilung des Antragsgegners, dass ein ausgeschriebener (Beförderungs-) Dienstposten, auf den der Antragsteller sich beworben hat, mit dem Beigeladenen besetzt werden soll.
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Der Antragsgegner schrieb im Mitteilungsblatt der Bayerischen Polizei Nr. 12 vom 3. Juli 2023 unter Ziffer 9.1 den ab 1. Januar 2024 zu besetzenden Dienstposten „Sachbearbeiterin/Sachbearbeiter 3.QE Kommunikationstechnik zgl. EDV-Koordination beim Sachgebiet Einsatztechnik des Polizeipräsidiums ... (A 12/13)“ aus. Hierauf bewarben sich u.a. der Antragsteller und der Beigeladene.
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Nachdem der ursprünglich in Betracht gezogene Bewerber seine Bewerbung zurückgezogen hatte, leitete der Antragsgegner eine erneute Auswahlentscheidung ein.
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Mit Schreiben vom 18. März 2024 teilte das Polizeipräsidium ... dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration mit, dass gegen den Antragsteller seit Februar 2024 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen häuslicher Gewalt zum Nachteil seiner Ehefrau geführt werde. Ein Disziplinarverfahren sei bisher nicht eingeleitet worden. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller zumindest bis zum Abschluss des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens charakterlich nicht für den ausgeschriebenen Dienstposten geeignet sei. Mit E-Mail vom 27. März 2024 nahm das Polizeipräsidium weiter zu den Vorwürfen gegen den Antragsteller Stellung.
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Im Auswahlvermerk des Antragsgegners vom 28. März 2024 ist festgehalten, dass der Antragsteller unter den in der aktuellen Beurteilung 2021 im Besoldungsamt A12 beurteilten Beamtinnen und Beamten mit 14 Punkten das beste Gesamturteil erreiche. Beim Antragsteller bestünden aber Zweifel an der charakterlichen Eignung, weshalb seine Bewerbung gem. Nr. 3 Satz 1 der Richtlinien über die Bestellung auf Dienstposten im Bereich der Bayerischen Polizei (RBestPol) nicht weiter berücksichtigt werde. Bei einem Vergleich der dienstlichen Beurteilungen des Beigeladenen, welcher im Besoldungsamt A 11 mit 12 Punkten beurteilt worden sei, und derjenigen eines weiteren Bewerbers, der im Besoldungsamt A12 mit 9 Punkten beurteilt worden sei, sei der Beigeladene als leistungsstärker einzuschätzen. Daher werde dieser zur Bestellung vorgeschlagen.
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Nach Zustimmung des Hauptpersonalrats am 4. April 2024 teilte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration dem Antragsteller mit Schreiben vom 8. April 2024 mit, dass der Dienstposten mit dem Beigeladenen besetzt werden solle. Der Beigeladene erfülle die in der Ausschreibung genannten Anforderungen und sei nach dem Antragsteller der leistungsstärkste Beamte. Da Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers bestünden, sei seine Bewerbung gem. Nr. 3 Satz 1 RBestPol nicht weiter berücksichtigt worden.
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2024 ließ der Antragsteller Widerspruch einlegen, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
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Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2024 – eingegangen am gleichen Tag – ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg beantragen,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den ausgeschriebenen Dienstposten „Sachbearbeiter 3. QE Kommunikationstechnik zgl. EDV-Koordinator im Sachgebiet Einsatztechnik“ (A 12/13) beim Polizeipräsidium ... mit einem anderen Bewerber zu besetzen, ihn hierin einzuweisen oder in sonstiger Art und Weise hierauf dienstlich zu verwenden oder zu befördern, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers im Rahmen eines erneut durchzuführenden Auswahlverfahrens entschieden worden ist.
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Die Auswahlentscheidung sei rechtsfehlerhaft. Die Aussichten des Antragstellers, in einem erneuten rechtmäßigen Verfahren ausgewählt zu werden, seien zumindest offen. Wie die Antragsgegnerin im Bescheid vom 8. April 2024 selbst feststelle, sei der Antragsteller im Sinne der Bestenauslese der leistungsstärkste Bewerber gewesen. Allein aus diesem Umstand seien gute Aussichten für den Antragsteller herzuleiten, bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge zu kommen.
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Der Antragsgegner beantragt unter Wiederholung und Vertiefung der sich aus den Behördenakten ergebenden Gründen für die von ihm getroffene Auswahlentscheidung,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Beigeladene äußerte sich nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes ist unbegründet. Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
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Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs durch den Antragsteller. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers auf.
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2. Art. 33 Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch). Denn diese Verfassungsbestimmung dient – neben dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung öffentlicher Ämter – auch dem subjektiven Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Die Gewährleistung des Grundsatzes der Bestenauswahl in Art. 33 Abs. 2 GG verleiht dem Bewerber in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG das Recht, eine dienstrechtliche Auswahlentscheidung dahingehend gerichtlich überprüfen zu lassen, ob der Dienstherr ermessens- und beurteilungsfehlerfrei über seine Bewerbung entschieden hat (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.2024 – 2 VR 10.23 – juris Rn. 19 m.w.N.).
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Für die Frage, ob eine beamtenrechtliche Auswahlentscheidung die Rechte des Antragstellers aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung maßgeblich. Eine erst nach diesem Zeitpunkt – etwa im Verlauf des Widerspruchsverfahrens – eingetretene tatsächliche Veränderung ist für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Vergabe eines höherwertigen Dienstpostens nach Maßgabe von Art. 33 Abs. 2 GG daher nicht von Bedeutung (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 18; B.v. 12.12.2017 – 2 VR 2.16 – BVerwGE 161, 59 – juris Rn. 44).
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3. Der Antragsgegner hat die Bewerbung des Antragsgegners für den in Rede stehenden Dienstposten bereits deshalb nicht berücksichtigt, weil er ihn angesichts eines gegen ihn im (maßgeblichen, s.o.) Zeitpunkt der Auswahlentscheidung laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen häuslicher Gewalt für charakterlich nicht geeignet gehalten hat. Dies ist nicht zu beanstanden.
22
Die charakterliche Eignung ist ein Unterfall der persönlichen Eignung, die wiederum ein Merkmal der Eignung i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 6 CS 19.481 – juris Rn. 19 f.). Die Beurteilung der persönlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der gerichtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeine gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2010 – 3 CS 10.887 – juris Rn. 27). Derartige Rechtsfehler zu Lasten des Antragstellers sind nicht erkennbar.
23
Im Polizeidienst sind hohe Anforderungen an die Gesetzestreue zu stellen, denn die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehört zu den Kernaufgaben des Polizeivollzugsdienstes. Eigene Verstöße in diesem Bereich sind grundsätzlich geeignet, Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers zu begründen (vgl. HessVGH, B.v. 9.1.2020 – 1 B 2155/19 – juris Rn. 34 m.w.N.). Zur Begründung diesbezüglicher Zweifel bedurfte es aber keiner strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers. Der Antragsgegner konnte vielmehr im Zeitpunkt seiner Auswahlentscheidung vom Fehlen der charakterlichen Eignung des Antragstellers schon wegen des Sachverhalts, der dem gegen den Antragsteller geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde lag, ausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – juris Rn. 15, Rn. 17; VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 8 ff.).
24
Die Vorwürfe gegen den Antragsteller gehen dahin, dass er im Januar 2024 zwei Mal jedenfalls seine Ehefrau geschlagen haben solle (E-Mail Behördenakte Bl. 29). Damit steht der Vorwurf der (vorsätzlichen, § 15 StGB) Körperverletzung, § 223 StGB, gegen den Kläger im Raum. Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchlich gegen den Antragsteller erhobene Vorwürfe (vgl. VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 7) sind weder vorgebracht noch ersichtlich. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass der Antragsgegner die Vorwürfe als erheblich gewertet hat. Weitere Ermittlungen des Antragsgegners, ob die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe zutreffen, waren im vorliegenden Auswahlverfahren nicht veranlasst. Im Rahmen des hinsichtlich der charakterlichen Eignung bestehenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums kann der Dienstherr beurteilungsfehlerfrei zu der Erkenntnis gelangen, einen Bewerber für die Dauer einer gegen ihn durchgeführten strafrechtlichen Ermittlung und eines sich gegebenenfalls anschließenden förmlichen Strafverfahrens als charakterlich ungeeignet anzusehen, bis der Dienstherr zu der Überzeugung gelangen kann (z.B. nach Nichterweislichkeit des vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Sachverhalts, Einstellung der Ermittlungen bzw. des Strafverfahrens, Freispruch u.a.), dass der Bewerber (uneingeschränkt) geeignet ist. Es ist auch nicht beurteilungsfehlerhaft, wenn regelmäßig dem Bewerber das daraus resultierende Risiko auferlegt wird. Denn strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder gar gerichtliche Strafverfahren beruhen in der Regel – und so auch hier – auf Umständen, die in der Person oder doch in der Sphäre des betreffenden Bewerbers liegen (vgl. zum Ganzen VGH BW, B.v. 10.3.2017 – 4 S 124/17 – juris Rn. 9 f.). Dem steht auch nicht die strafrechtliche Unschuldsvermutung entgegen, denn die Nichtberücksichtigung der Bewerbung eines Beamten wegen fehlender charakterlicher Eignung hat keinen Strafcharakter; ebenso besteht keine mit der Unschuldsvermutung korrespondierende beamtenrechtliche Eignungsvermutung (vgl. BayVGH, BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – juris Rn. 14; B.v. 30.8.2019 – 3 ZB 18.508 – juris Rn. 22).
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4. Der Antrag war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Da der Beigeladene mangels Antragstellung kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), trägt er seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Der Streitwert ist nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG festzusetzen (vgl. dazu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 3 C 23.2107 – Rn. 3). Der Streitwert beträgt danach 1/4 der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes. Da die jährliche Sonderzahlung (Art. 82 ff. BayBesG) als Nebenbezug nach Art. 2 Abs. 3 Nr. 6 BayBesG Bestandteil der Besoldung ist, muss sie als nicht ruhegehaltsfähige Zulage berücksichtigt werden (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 32 m.w.N.). Damit ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 17.008,43 Euro (Grundgehalt Besoldungsgruppe A 13 Stufe 9 in Höhe von 5.378,16 Euro x 12 = 64.537,92 EUR zzgl. jährliche Sonderzahlung in Höhe von Euro 3.495,80 [0,65 x 5.378,16 Euro] = 68.033,72 Euro / 4 = 17.008,43 Euro).