Titel:
Rückführung nach Kroatien im Dublin-Verfahren
Normenketten:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Kroatien verfügt über ein grundsätzlich funktionierendes und dem Schutzbedürfnis von Asylsuchenden Rechnung tragendes Asylsystem mit ausreichenden Aufnahmebedingungen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus den Erkenntnismitteln ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass Dublin-Rückkehrer von Pushbacks nach Bosnien-Herzegowina oder Serbien bedroht wären. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist davon auszugehen, dass anerkannt Schutzberechtigte in Kroatien eine Situation vorfinden, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und keine Verelendung befürchten lässt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückführung eines jungen und gesunden Mannes nach Kroatien im Dublin-Verfahren, Keine beachtliche Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung in Kroatien für Dublin-Rückkehrer und anerkannt Schutzberechtigte, Keine beachtliche Gefahr für Dublin-Rückkehrer, illegalen Pushbacks ausgesetzt zu sein, Rückführung nach Kroatien, Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung, junger und gesunder Mann, Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung, Gefahr illegaler Pushbacks, anerkannt Schutzberechtigte, wirtschaftliche Lage, Lebensunterhalt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17116
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Kroatien.
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Der am … 2002 in …, Türkei, geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde am 7. Mai 2024 durch die Bundespolizei aufgegriffen.
3
Eine EURODAC-Abfrage vom 7. Mai 2024 ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Kroatien. Ihm wurden dort – nach eigenen Angaben mit Gewalt – am 4. Mai 2024 Fingerabdrücke abgenommen. Eine erneute Abfrage ergab für Kroatien auch einen Treffer der Kategorie 2. Der Antragsteller stellte am 4. Mai 2024 einen Asylantrag in Kroatien. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stellte am 8. Mai 2024 ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO an Kroatien und bat um Antwort bis 22. Mai 2024. Das kroatische Innenministerium – Abteilung für Dublin-Verfahren – nahm dieses Ersuchen mit Schreiben vom 22. Mai 2024 mit Verweis auf Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO an.
4
Bei einer Befragung durch die Bundespolizei am 7. Mai 2024 gab er an, er wolle nach Deutschland, da hier die Menschenrechtslage und die Behandlung, die einem widerfahre, die beste der Welt sei.
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Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2024 zeigte sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers als dessen Vertreter gegenüber dem Bundesamt an und stellte in seinem Namen einen förmlichen Asylantrag.
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Bei der Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrags am 23. Mai 2024 gab der Antragsteller an, er sei gemeinsam mit seinem Bruder … (AN 17 K 24.50377) unterwegs gewesen. Sie hätten achtmal versucht, über die kroatische Grenze zu kommen. Dabei seien sie geschlagen worden. Beim achten Mal habe man sie gezwungen, Fingerabdrücke abzugeben. Er hätte aber eigentlich keinen Asylantrag in Kroatien stellen wollen. Er habe sich insgesamt nur zwei Tage dort aufgehalten und sei dann nach Deutschland weitergefahren. Die Türkei habe er aufgrund einer Blutrache verlassen. In Deutschland habe er Verwandte (Onkel und Tanten), in Kroatien niemanden. Schutzwürdige Belange könne er nicht vortragen. Um seine Verwandten in Deutschland müsse er sich nicht kümmern.
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Mit Bescheid vom 27. Mai 2024, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 3. Juni 2024 zugegangen, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Kroatien an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 19 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 5. Juni 2024, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 7. Juni 2024, den Antrag abzulehnen.
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Wegen weitere Einzelheiten wird auf die Behörden- und die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren (AN 17 K 24.50375) Bezug genommen.
11
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft, da die Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 i. V. m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Er wurde auch – zusammen mit der Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes – innerhalb der Wochenfrist gemäß § 74 Abs. 1 2. Halbs. i. V. m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da eine vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ein Überwiegen des Interesses der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheids gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt. Eine im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt nämlich, dass die Klage in der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes erweist sich zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG, dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gleiches gilt im Wiederaufnahmeverfahren für den Staat, der zur Rückübernahme verpflichtet ist.
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a) Kroatien ist zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet. Die Verpflichtung folgt aus Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO. Danach ist der nach dieser Verordnung (Dublin III-VO) zuständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wiederaufzunehmen. Die Zuständigkeit des kroatischen Staates folgt aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO, da aufgrund des EURODAC-Treffers der Kategorie 2 (und aufgrund der Angabe des Antragstellers in seiner Befragung beim Bundesamt am 23. Mai 2024) feststeht, dass er aus einem Drittstaat (Bosnien-Herzegowina) kommend auf dem Landweg die Grenze eines Mitgliedstaats (Kroatien) illegal überschritten hat. Der EURODAC-Treffer der Kategorie 1 bestätigt die Asylantragstellung in Kroatien. In seinem Antwortschreiben vom 22. Mai 2024 brachte das kroatische Innenministerium durch Bezugnahme auf Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO zudem zum Ausdruck, dass das Asylverfahren in Kroatien noch nicht abgeschlossen ist (vgl. EuGH, U. v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris), und akzeptierte die Rücknahme des Antragstellers.
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Eine offensichtliche Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung des Asylantrags ergibt sich auch nicht aus den Art. 8 bis 10 Dublin III-VO, da insbesondere die vom Antragsteller benannten zwei Onkel und seine Tante nicht als Familienmitglieder i. S. d. Art. 9 und 10 Dublin III-VO anzusehen sind. Gleiches gilt für seinen Bruder, zumal sich dieser selbst im Dublin-Verfahren befindet und seine Klage hiergegen in dem Verfahren AN 17 K 24.50377 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach anhängig ist.
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b) Der Zuständigkeit Kroatiens stehen nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auch keine systemischen Schwachstellen im Asylverfahren oder prekäre Aufnahmebedingungen in Kroatien entgegen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen. Solche bestehen in Kroatien für den Antragsteller nicht.
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Innerhalb des Asylsystems gilt zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) und das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris). Danach kann grundsätzlich angenommen werden, dass jeder Mitgliedstaat das Unionsrecht und insbesondere die gemeinsamen Grundrechte einhält und gewährleistet und Asylbewerber nach den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) behandelt. Es ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass auch Kroatien als Mitgliedstaat der Europäischen Union über ein im Wesentlichen richtlinienkonformes und funktionsfähiges Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches sicherstellt, dass ein rücküberstellter Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Bestehen gegenteilige Anhaltspunkte, die auf objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktuellen Angaben beruhen, muss das mit dem Rechtsbehelf gegen eine Rücküberstellung befasste Gericht diese prüfen. Zu bewerten ist dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht nur, ob nach Rückführung im Dublin-Verfahren eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Rahmen des dortigen Asylverfahrens droht, sondern auch nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter in Kroatien (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris).
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An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen des zuständigen Mitgliedsstaats genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen regelmäßig so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14; B. v. 6.6.2014 – 10 B 25.14 – juris). Ein systemischer Mangel liegt nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaats angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhergesehen oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Es ist auch denkbar, dass systemische Schwachstellen nur bestimmte, etwa besonders schutzbedürftige Personengruppen, treffen.
20
c) Gemessen an den oben genannten Anforderungen geht das Gericht auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht davon aus, dass Asylbewerber im Falle ihrer Rückführung nach Kroatien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Asylverfahren oder nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten müssen. Kroatien verfügt über ein grundsätzlich funktionierendes und dem Schutzbedürfnis von Asylsuchenden Rechnung tragendes Asylsystem mit ausreichenden Aufnahmebedingungen. Für die Einschätzung der derzeitigen Situation in Kroatien wird auf die Rechtsprechung der Kammer verwiesen (vgl. aktuell VG Ansbach, B. v. 17.6.2024 – AN 17 S 24.50379; B. v. 16.4.2024 – AN 17 S 24.50265; B. v. 27.2.2024 – AN 17 S 24.50025). Diese Annahme entspricht auch weiten Teilen der deutschen Rechtsprechung (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23; VGH BW, U. v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – Rn. 37 ff.; VG Karlsruhe, B. v. 29.6.2023 – 19 K 2160/23; VG Stuttgart, B. v. 30.9.2022 – A 13 K 4446/22; VG Leipzig, B. v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A; VG Düsseldorf, B. v. 4.2.2022 – 12 L 59/22.A; VG Ansbach, B. v. 20.12.2021 – AN 14 S 21.50254 – juris).
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Zu der vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Problematik der sogenannten Pushbacks ist Folgendes auszuführen: Menschenrechtsorganisationen berichteten in der Vergangenheit wiederholt von derartigen illegalen und teilweise gewaltsamen Zurückdrängungen von Migranten an der Landesgrenze, teilweise auch von Massenabschiebungen in Schnellverfahren, insbesondere nach Bosnien-Herzegowina und teilweise nach Serbien (vgl. Amnesty International, Kroatien 2022, S. 2; Human Rights Watch, Kroatien: Anhaltende, gewaltsame Pushback vom 3.5.2023; Schweizer Flüchtlingshilfe, Rechtsprechung zum Dublin-Land Kroatien 2022 vom 21.2.2023, S. 9). Seit geraumer Zeit, insbesondere seit dem Beitritt Kroatiens zum Schengenraum zum 1. Januar 2023 kommt es aber kaum noch zu derartigen Berichten. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass derartige unionsrechtswidrige Praktiken vorkommen – der Antragsteller berichtete in seiner Anhörung, dass er mit seinem Bruder achtmal versucht habe, die Grenze von Bosnien-Herzegowina nach Kroatien zu übertreten –, ist derartiges bei seiner Rückführung im Dublin-Verfahren nicht zu erwarten. Sogenannte Pushbacks werden – illegal – durchgeführt, weil der jeweilige Staat die betroffenen Migranten davon abhalten möchte, sein Staatsgebiet zu betreten und überhaupt erst einen Asylantrag zu stellen, sodass er sich mit diesem nicht auseinandersetzen muss (vgl. zur Europarechtswidrigkeit grundsätzlich EuGH, U. v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris). Der Antragsteller jedoch konnte in Kroatien einen Asylantrag stellen, was durch die Registrierung des Antragstellers in der EURODAC-Datenbank auch dokumentiert ist, und der kroatische Staat hat dies in seinem Zustimmungsschreiben vom 27. Mai 2024 auch anerkannt und einer Rücknahme des Antragstellers und einer weiteren Bearbeitung seines Asylantrags zugestimmt. Ein Pushback ist in seinem Fall daher nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass Dublin-Rückkehrer Kroatien gewöhnlich über den Flughafen erreichen und damit nicht in der für Pushbacks gewöhnlichen Grenznähe zu einem Drittstaat, der nicht Mitglied des europäischen Asylsystems ist. Das Gericht teilt nicht die Bewertung und die Befürchtung der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts München (vgl. U. v. 22.2.2024 – M 10 K 22.50479 und M 10 K 22.50597 – juris), dass über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien eingereiste Asylantragsteller regelhaft von einer Abschiebung nach Bosnien bedroht sind, weil Bosnien aufgrund eines bilateralen Abkommens zwischen Bosnien und Kroatien aus kroatischer Sicht als sicherer Drittstaat angesehen wird. Das vom Verwaltungsgericht München herangezogene Abkommen zwischen Bosnien und Kroatien (https://narodne-novine.nn.hr/clanci/medunarodni/2011 _08_11_96. html) wurde 2011 zwischen Bosnien und Kroatien geschlossen, also zu einer Zeit vor dem EU-Beitritt Kroatiens (Beitritt zum 1.7.2013) und damit in einer Zeit, in der Kroatien nicht am gemeinsamen europäischen Asylsystem teilgenommen hat, insbesondere nicht Teil des Dublin-Raums war. Insoweit kann also schon nicht angenommen werden, dass (gegebenenfalls) dem europäischen Asylsystem widersprechende Rückführungsregeln durch Kroatien tatsächlich (noch) angewandt werden. Aus dem Abkommen von 2011 ergibt sich auch nicht, dass Kroatien Bosnien als sicheren Drittstaat ansieht und deshalb Rückführungen nach Bosnien regelhaft vornimmt und Asylanträge grundsätzlich inhaltlich nicht selbst prüft. Dies stellt eine Überinterpretation des Abkommens dar und die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts München schließt es im Wesentlichen daraus, dass im kroatischen Asylgesetz die Möglichkeit eingeräumt ist, sichere Drittstaaten festzulegen und dorthin zurückzuführen und es nach Berichten von NGOs faktisch zu Rückschiebungen bzw. Vertreibungen von Flüchtlingen nach Bosnien gekommen ist. Selbst wenn Pushbacks tatsächlich noch in einem größeren Umfang stattfinden sollten – wovon das erkennende Gericht aber gerade nicht ausgeht – kann jedenfalls nicht angenommen werden, dass auch registrierte Flüchtlinge, d.h. auch solche die einen Asylantrag gestellt haben, hiervon betroffen sind. Asylantragsteller nimmt das kroatisch-bosnische Abkommen von 2011 gerade aus. Gegen einen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch Kroatien spricht auch, dass Kroatien auf der Haupt-Fluchtroute durch das Land, an der engsten Stelle zwischen Bosnien und Slowenien, in Dugi Dol, im Herbst 2023 ein neues Flüchtlingslager eingerichtet hat (vgl. Croatia Seeks EU Support for New Migrant Centre Near Karlovac, https://bal-kaninsight.com/ 2023/09/06/croatia-seeks-eu-support-for-new-migrant-centre-near-karlovac). Zudem spricht dagegen, dass Kroatien Aufgriffe und Antragstellungen in die EURODAC-Datei einpflegt und im Fall von Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuchen anderer Mitgliedstaaten der Übernahme – wie auch im Fall des Antragstellers – regelkonform zustimmt. Jedenfalls darauf, dass Dublin-Rückkehrer von Pushbacks nach Bosnien-Herzegowina oder Serbien bedroht sind, ergeben sich keinerlei Hinweise aus den Erkenntnismitteln. Durch die Registrierung der Asylantragsteller in der EURODAC-Datenbank ist die Verantwortung Kroatiens für die betroffene Person klar dokumentiert und sichtbar. Dass Kroatien die Gefahr der leicht(er) en Nachvollziehbarkeit eines Rechtsbruchs eingeht und so auch eine Eskalation innerhalb der Mitgliedstaaten riskiert, erscheint vielmehr höchst unwahrscheinlich.
22
d) Dem Antragsteller droht nach Überzeugung des Gerichts auch nach einer etwaigen Anerkennung internationalen Schutzes in Kroatien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die tatsächliche Gefahr (real risk) hierfür kann nicht festgestellt werden. Auch hier gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und es ist insofern eine besonders hohe Erheblichkeitsschwelle anzusetzen. Sie ist erst erreicht, wenn eine solche Funktionsstörung erstens systemischer oder allgemeiner Art ist oder aber bestimmte Personengruppen trifft, sie zweitens eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht und drittens anzunehmen ist, dass die Gefahr, dieser unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, für den Drittstaatsangehörigen beachtlich wahrscheinlich ist (vgl. EuGH, U. v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 31 m.w.N.). Die Schwelle für derartige systemische Mängel ist erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem eigenen Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, ein Mindestmaß an körperlicher Hygiene zu erfahren und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“, vgl. VGH BW, B. v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – Rn. 5), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rn. 91 f. m.w.N.; BVerwG, B. v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18). Die Erheblichkeitsschwelle wird nicht schon dann erreicht, wenn den Betroffenen eine Situation erwartet, die durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse bei stark reduziertem Umfang von existenzsichernden Leistungen gekennzeichnet ist. Auch die Tatsache, dass die betroffene Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, dabei aber nicht anders behandelt wird als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats, begründet in der Regel nicht das Erreichen dieser Erheblichkeitsschwelle. Zu einer anderen Bewertung könnte man nur bei einer schwerwiegenden Situation extremer materieller Not kommen, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rn. 93; BVerwG, B. v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18; BayVGH, U. v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – Rn. 22 f.).
23
Auch hinsichtlich der Situation anerkannt Schutzberechtigter wird auf die Rechtsprechung der Kammer verwiesen (vgl. aktuell VG Ansbach, B. v. 17.6.2024 – AN 17 S 24.50379; B. v. 16.4.2024 – AN 17 S 24.50265; B. v. 27.2.2024 – AN 17 S 24.50025). Hiernach ist davon auszugehen, dass diese Personengruppe in Kroatien eine Situation vorfindet, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und keine Verelendung befürchten lässt. Es besteht ohne größere Hindernisse Zugang zu allen notwendigen Leistungen; der Staat und Nichtregierungsorganisationen unterstützen in allen wichtigen Punkten der Lebensführung. Der ungehinderte Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht die Schaffung einer eigenen Lebensgrundlage. Nicht anders kann die Einschätzung hinsichtlich des Antragstellers ausfallen. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig und hat im Verfahren auch keine besondere Schutzbedürftigkeit vorgetragen. Von ihm kann erwartet werden, dass er im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigter in Kroatien mittelfristig in der Lage sein wird, durch Erwerbsarbeit für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.
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e) Auch die übrigen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen vor. Es steht nämlich fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Nach der Rechtsprechung ist hierfür erforderlich, die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung zu prüfen (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427; B. v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257; OVG Lüneburg, U. v. 4.7.2012 – 2 LB 163/10; OVG Berlin-Bbg., B. v. 1.2.2012 – OVG 2 S 6.12 – juris).
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Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG, der ebenfalls auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK abstellt, ergeben sich keine anderen Erwägungen als oben zum (Nicht-) Vorliegen systemischer Mängel. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist bei dem jungen und gesunden Antragsteller nicht ersichtlich. Die Abschiebung ist auch tatsächlich durchführbar; der kroatische Staat hat sich zur Wiederaufnahme bereiterklärt.
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Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
27
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
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4. Mangels hinreichender Erfolgsaussichten war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.
29
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).