Inhalt

OLG München, Endurteil v. 31.01.2024 – 7 U 7576/21
Titel:

Zum Unterlassungsanspruch eines Wohneigentümers gegen die Nutzung einer Gewerbereinheit als Eisverkaufsstelle

Normenketten:
BGB § 1004
WEG § 9a Abs. 2, § 14
Leitsätze:
1. Für Ansprüche aus § 1004 BGB wegen Beeinträchtigung seines Sondereigentums ist der Sondereigentümer auch nach der WEG-Reform unter Geltung des § 9a Abs. 2 WEG prozessführungsbefugt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Sondereigentümer einer Einheit im Rahmen einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat gegen die Mieter einer anderen Einheit einen Anspruch aus § 1004 BGB auf Unterlassung einer Nutzung, die gegen die wohnungseigentumsrechtliche Zweckbestimmung der gemieteten Einheit aus Teilungserklärung oder wirksamer Vereinbarung der Eigentümer verstößt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Übernimmt der alte Mieter einer Teileigentumseinheit die gesamtschuldnerische Haftung für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus dem Mietverhältnis verliert er seine Störereigenschaft nicht, weil er nicht vollumfängliche aus dem Mietvertrag entlassen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. In der Änderung der Zweckbestimmung einer Gewerbeeinheit von „Laden“ zu „Eisverkaufsstelle“ liegt keine Veränderung des Zwecks des Anwesens als „Wohnhaus“, wenn seit der Begründung der Gemeinschaft in dem Anwesen eine gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss und eine Wohnnutzung in den Obergeschossen vorgesehen war. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Zweckbestimmung, Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Wohnungseigentum, Gewerbenutzung, Teilungserklärung, Nichtigkeit, Beschluss, Wiederholungsgefahr
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 17.09.2021 – 34 O 21245/14
Fundstellen:
LSK 2024, 1704
ZWE 2024, 318
NZM 2025, 140
BeckRS 2024, 1704

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17.9.2021 (Az.: 34 O 21245/14) abgeändert gemäß den folgenden Ziffern.
2. Die Beklagten werden verurteilt, bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – bei der Beklagten zu 2) zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern –, zu unterlassen, in den Räumen des Ladens Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes …, …M., zur Nachtzeit Geräte zu betreiben, die in der Wohnung des Klägers tieffrequente Geräuschimmissionen verursachen, welche die Anhaltswerte der DIN 45680 überschreiten.
3. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen und die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 90% und die Beklagten 10% zu tragen. Von den Kosten der ersten Instanz haben die Beklagten die Kosten beider Gutachten des Sachverständigen … sowie die Kosten für die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 4.5.2020 zu tragen. Von den übrigen Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 92,5% und die Beklagten 7,5% zu tragen.
5. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Beseitigung bzw. Unterlassung von Störungen seines Wohnungseigentums geltend.
2
Der Kläger ist Eigentümer der im ersten Stock des Anwesens gelegenen Wohnung Nr. 6 der Wohnungseigentümergemeinschaft … in … Die Wohnungseigentümergemeinschaft wurde (vor Inkrafttreten des WEG) durch Teilhabervertrag vom 14.11.1950 (Anlage K 2) begründet und durch notariellen Nachtrag vom 14.11.1953 (Anlage K 3) in eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach WEG übergeleitet. Hinsichtlich des Inhalts der genannten Schriftstücke wird auf die Anlagen K 2 und K 3 Bezug genommen.
3
Unmittelbar unter der Wohnung des Klägers im Erdgeschoss liegt eine Gewerbeeinheit, die im Eigentum des mittlerweile verstorbenen Zeugen … stand. Die Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss sind im Teilhabervertrag (Anlage K 2) als „Geschäftsräume“ und im Nachtrag (Anlage K 3) nebst beiliegendem Aufteilungsplan als „Läden“ bezeichnet.
4
Kraft Mietvertrags mit dem Zeugen … betrieb der Erstbeklagte seit der Saison 2006 in der Einheit des Zeugen eine Eisverkaufsstelle, bei der keine Bewirtung im Lokal stattfindet, sondern das Eis (von dem streitig ist, ob und in welchem Umfang es in den Räumen auch produziert wird) über die Straße verkauft wird. Vor dem Lokal sind Klappbänke, Klappstühle, eine Topfpflanze und zwei Abfallbehälter aufgestellt.
5
In der Eigentümerversammlung vom 21.3.2006 waren der Zeuge … und der Erstbeklagte anwesend. Der Erstbeklagte führte dabei aus, dass er in dem Lokal selbst hergestelltes Eis an sieben Tagen in der Woche zum Teil bis nach 22.30 Uhr verkaufen wolle. Zu einer Beschlussfassung zu diesem Punkt kam es in dieser Versammlung nicht. Auf den Inhalt der Niederschrift der Eigentümerversammlung (Anlage nach Bl. 82 der Akten) wird Bezug genommen.
6
In der nachfolgenden Eigentümerversammlung vom 11.7.2006 wurde mehrheitlich beschlossen, den Betrieb der Eisverkaufsstelle in der Ladeneinheit des Zeugen … zu genehmigen (Beschluss 164/06). Mehrheitlich abgelehnt wurde die Nutzung und Umgestaltung der Außenfläche durch den Mieter … (also den Erstbeklagten; Beschluss 166/06). Ferner wurde mehrheitlich beschlossen, dass „auch in Zukunft kein gastronomisches oder gastronomie-ähnliches Gewerbe (wie z.B. Café, Eisdiele, Back-Shop, Imbissstube o.ä.) in der Ladeneinheit betrieben werden darf“ (Beschluss 170/06). Auf die Niederschrift der Eigentümerversammlung (Anlage B 1) wird Bezug genommen.
7
In der Eigentümerversammlung vom 3.5.2007 wurde ohne Gegenstimme bei mehreren Enthaltungen beschlossen, dem Erstbeklagten gegen eine Sondernutzungsgebühr zu gestatten, zwei Klappbänke, zwei Hocker, eine Topfpflanze und zwei Abfallbehälter auf dem Gemeinschaftseigentum vor dem Lokal aufzustellen (Beschluss 175/07). Auf die Niederschrift der Eigentümerversammlung (Anlage nach Bl. 82 der Akten) wird Bezug genommen.
8
Mit dreiseitigem Vertrag zwischen den beiden Beklagten und dem Zeugen … vom 1.9.2015 (Anlage B 4) trat die zweitbeklagte GmbH in den Mietvertrag ein und übernahm der Erstbeklagte die gesamtschuldnerische Haftung für die „Erfüllung sämtlicher (vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger) Verpflichtungen aus dem Mietvertrag“. Hinsichtlich des genauen Wortlauts des Vertrages wird auf die Anlage B 4 Bezug genommen. Seinerzeit war der Erstbeklagte Geschäftsführer der Zweitbeklagten; zwischenzeitlich wurde er als Geschäftsführer abberufen.
9
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen …, … und … Hinsichtlich des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf die Sitzungsniederschriften vom 22.3.2016 und 4.5.2020 (Bl. 72 ff. bzw. 191 ff. der Akten) Bezug genommen. Das Landgericht hat ferner Beweis erhoben durch Einholung von zwei schriftlichen Sachverständigengutachten, die der Sachverständige Dip-Ing. … unter dem 2.4.2019 (nicht einpaginiert) bzw. 29.12.2020 (Bl. 233 ff. der Akten) erstattet hat. Hinsichtlich der Ausführungen des Sachverständigen wird auf die schriftlichen Gutachten Bezug genommen.
10
Der Kläger hat beantragt,
1. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – bei der Beklagten zu 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern – verurteilt,
a) den Betrieb der Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoß des Gebäudes … zu unterlassen;
b) die Tätigkeiten „Herstellung von Speiseeis“ und „Abgabe von Speisen und/oder alkoholfreien Getränken (erlaubnisfrei nach dem Gaststättengesetz)“ in den Räumen T. straße 46/48 beim Kreisverwaltungsreferat der Stadt M. gewerberechtlich abzumelden.
Hilfsweise:
1. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – bei der Beklagten zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern –, verurteilt, den Betrieb der Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoß des Gebäudes …, außerhalb der gesetzlichen Ladenschlusszeiten zu unterlassen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, geeignete Schallschutzmaßnahmen zu ergreifen, die dazu führen, dass technisch bedingte Betriebsgeräusche, die im Zusammenhang mit der Eisabgabestelle des Beklagten auftreten, in der Wohnung des Klägers nicht mehr störend zu vernehmen sind.
3. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – bei der Beklagten zu 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern –, verurteilt, Betriebsgeräusche der Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes …, ab 30 Minuten nach Ladenschluss und bis frühestens 2 Stunden vor Beginn der Ladenöffnungszeit, jedoch nicht früher als 6.00 Uhr am Morgen, zu unterlassen.
4. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder zu Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – bei der Beklagten zu 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern –, verurteilt zu unterlassen, in den Räumen des Ladens Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes … zur Nachtzeit Geräte zu betreiben, die in der Wohnung des Klägers tieffrequente Geräuschimmissionen verursachen, welche die Anhaltswerte der DIN 45680 überschreiten.
5. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1 dem Kläger für alle Kosten und sonstige Schäden einzustehen hat, die dem Kläger durch den Betrieb einer Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes … in der Zeit seit Klageerhebung bis 27.7.2020 (Zustellung des Schriftsatzes vom 20.7.2020), hilfsweise 31.8.2015, entstanden sind.
6. Höchst hilfsweise erklären wir den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs im Verhältnis zu dem Beklagten Ziff. 1 in der Hauptsache für erledigt und beantragen, die ausscheidbaren Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten Ziff. 1 aufzuerlegen.
11
Die Beklagten haben
Klagabweisung beantragt.
12
Das Landgericht hat die Klage in den Hauptanträgen und den Hilfsanträgen 1 – 5 abgewiesen; über Hilfsantrag 6 hat es nicht entschieden. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren (mit Ausnahme des auf Schadensersatz gerichteten Hilfsantrags 5) weiter.
13
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts M. I vom 17. September 2021 – 34 O 21245/14 – abzuändern und die Berufungsbeklagten nach Maßgabe folgender Schlussanträge des Klägers in 1. Instanz wie folgt zu verurteilen:
1. Die Beklagten werden bei Meidung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – bei der Bekl. 2 zu vollstrecken in ihren Geschäftsführern – verurteilt,
a) den Betrieb des Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoß des Gebäudes … zu unterlassen;
b) die Tätigkeiten „Herstellung von Speiseeis“ und „Abgabe von Speisen und/oder alkoholfreien Getränken (erlaubnisfrei nach dem Gaststättengesetz)“ in den Räumen … beim Kreisverwaltungsreferat der Stadt M. gewerberechtlich abzumelden.
Hilfsweise:
1. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – bei der Bekl. 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern –, verurteilt, den Betrieb der Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes … außerhalb der gesetzlichen Ladenschlusszeiten zu unterlassen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, geeignete Schallschutzmaßnahmen zu ergreifen, die dazu führen, dass technisch bedingte Betriebsgeräusche, die im Zusammenhang mit der Eisabgabestelle der Beklagten auftreten, in der Wohnung des Klägers nicht mehr störend zu vernehmen sind.
3. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder zu Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – bei der Bekl. 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern – verurteilt, Betriebsgeräusche der Eisabgabestelle im Laden Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes …, ab 30 Minuten nach Ladenschluss und bis frühestens 2 Stunden vor Beginn der Ladenöffnungszeit, jedoch nicht früher als 6.00 Uhr am Morgen, zu unterlassen.
4. Die Beklagten werden bei Meidung der Festsetzung eines angemessenen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – bei der Bekl. 2 zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern – verurteilt zu unterlassen, in den Räumen des Ladens Nr. 8 im Erdgeschoss des Gebäudes …, zur Nachtzeit Geräte zu betreiben, die in der Wohnung tieffrequente Geräuschimmissionen verursachen, welche die Anhaltswerte der DIN 45680 überschreiten.
5. wird nicht weiterverfolgt.
6. Höchst hilfsweise erklären wir den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs in dem Verhältnis zu dem Beklagten Ziff. 1 in der Hauptsache für erledigt und beantragen, die ausscheidbaren Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten Ziff. 1 aufzuerlegen.
14
Die Beklagten beantragen
die Zurückweisung der Berufung.
B.
15
Die Berufung hat nur hinsichtlich des Hilfsantrags 4 Erfolg, im Übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen.
16
I. Die Hauptanträge des Klägers sind zulässig, aber unbegründet.
17
1. An der Zulässigkeit der Anträge bestehen keine Bedenken; insbesondere ist der Kläger insoweit prozessführungsbefugt. Materiell macht der Kläger Ansprüche aus § 1004 BGB wegen Beeinträchtigung seines (Sonder-)Eigentums geltend. Diese kann er auch nach der WEG-Reform unter Geltung des § 9a Abs. 2 WEG n.F., wonach die Wohnungseigentümergemeinschaft die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte ausübt, selbst geltend machen. Ansprüche aus dem Sondereigentum können auch dann selbst geltend gemacht werden, wenn zugleich das Gemeinschaftseigentum betroffen ist (BGH, Urteil vom 11.6.2021 – V ZR 41/19, Rz. 13). Dies muss erst recht gelten, wenn es – wie vorliegend – ausschließlich oder zumindest in erster Linie um die Abwehr von (behaupteten) Störungen des Sondereigentums geht.
18
2. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Unterlassung des Betriebes der Eisverkaufsstelle in der Wohnungseigentumseinheit des verstorbenen Zeugen …
19
a) Im Ausgangspunkt ist solcher Anspruch des Klägers gegen die Beklagten denkbar. Der Sondereigentümer einer Einheit im Rahmen einer WEG hat gegen die Mieter einer anderen Einheit einen Anspruch aus § 1004 BGB auf Unterlassung einer Nutzung, die gegen die wohnungseigentumsrechtliche Zweckbestimmung der gemieteten Einheit aus Teilungserklärung oder wirksamer Vereinbarung der Eigentümer verstößt (BGH, Beschluss vom 25.10.2019 – V ZR 271/18, Rz. 14 ff.; Urteil vom 11.6.2021 – V ZR 41/19, Rz. 6).
20
Der Anspruch aus § 1004 BGB richtet sich gegen den Störer, also gegen den Mieter der fraglichen Einheit. Dies war ursprünglich der Beklagte zu 1) und ist durch ihren Eintritt in den Mietvertrag gemäß Anlage B 4 nunmehr die Beklagte zu 2) geworden. Der Beklagte zu 1) hat durch diesen dreiseitigen Vertrag der beiden Beklagten mit dem mittlerweile verstorbenen Zeugen … seine Störereigenschaft aber nicht verloren. Denn der Beklagte zu 1) hat in diesem Vertrag die gesamtschuldnerische Haftung für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus dem Mietverhältnis übernommen. Dies gilt zwar zunächst nur im Innenverhältnis zum Zeugen … (bzw. dessen Erben), führt aber doch zu dem Befund, dass der Erstbeklagte faktisch nicht vollumfänglich aus dem Mietverhältnis entlassen ist. Dies rechtfertigt es, den Erstbeklagten im Außenverhältnis zum Kläger als faktischen (Mit-)Mieter und damit als Störer zu behandeln. – Da der Erstbeklagte somit nach wie vor selbst Störer ist, hat seine Abberufung als Geschäftsführer der Zweitbeklagten an seiner Passivlegitimation für die geltend gemachten Ansprüche nichts geändert.
21
b) Eine der wohnungseigentumsrechtlichen Zweckbestimmung widersprechende Nutzung der gemieteten Einheit durch die Beklagten liegt jedoch nicht vor. Zwar würde die gegenwärtige Nutzung als Eisverkaufsstelle gegen die ursprüngliche Zweckbestimmung der Einheit des Zeugen … verstoßen (unten aa)); diese Zweckbestimmung wurde jedoch wirksam geändert (unten bb)).
22
aa) Die Beklagten nutzen die fragliche Einheit als Eisverkaufsstelle, in welcher zumindest die Endproduktion des Eises erfolgt und bei der die Möglichkeit besteht, das erworbene Eis (zwar nicht im Lokal, aber) davor im Freien zu verzehren; insbesondere haben die Beklagten einige Sitzgelegenheiten (Klappstühle, Klappbänke) vor der gemieteten Einheit aufgestellt.
23
Die wohnungseigentumsrechtliche Zweckbestimmung der Einheit war ursprünglich (Teilhabervertrag von 1950, Anlage K 2) die Nutzung als Geschäftsraum. In der Notarurkunde von 1953 (Anlage K 3), mit welchem die ursprüngliche „Bruchteilsgemeinschaft“ in eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem WEG übergeleitet wurde, ergibt sich die Zweckbestimmung der Einheit als Laden.
24
Auf der Basis dieser Zweckbestimmung würde die Nutzung als Eisverkaufsstelle, so wie sie konkret von den Beklagten gestaltet wird (Möglichkeit, das Eis im Freien zu verzehren), der Zweckbestimmung widersprechen und wäre damit unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2019 – V ZR 271/18, insbes. Rz. 18, 22, 25). Damit würde der Unterlassungsanspruch des Klägers bestehen.
25
bb) Die Zweckbestimmung der von den Beklagten genutzten Einheit wurde jedoch durch die Beschlüsse Nrn. 164/06 und 175/07 der Wohnungseigentümerversammlungen vom 11.7.2006 bzw. 3.5.2007 dahin geändert, dass die konkret von den Beklagten vorgenommene Nutzung nicht als zweckwidrig anzusehen ist (dazu unten (1)). Diese Beschlüsse sind wirksam (dazu unten (2)). Damit verstößt die aktuelle Nutzung der Einheit nicht gegen ihre wohnungseigentumsrechtliche Zweckbestimmung, so dass ein diesbezüglicher Unterlassungsanspruch des Klägers nicht besteht.
26
(1) Der Beschluss 164/06 der Eigentümerversammlung vom 11.7.2006 kann nur dahin verstanden werden, dass damit die Zweckbestimmung der Einheit des Zeugen … dahin geändert werden sollte, dass die Nutzung der Einheit als Eisverkaufsstelle, so wie sie in der Eigentümerversammlung vom 21.3.2006 vorgestellt worden war, von der (neuen) Zweckbestimmung der Einheit gedeckt war. Dabei war den Beschließenden klar, dass sie über eine Nutzungsänderung, also eine Änderung des Nutzungszwecks entschieden, weil genau diese Frage in der vorangegangenen Eigentümerversammlung vom 21.3.2006 angesprochen worden war und es hierwegen vorläufig zu keiner Beschlussfassung gekommen war (vgl. Protokoll a.a.O. S. 2 vorletzter Absatz).
27
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass am 11.7.2006 auch beschlossen wurde, dass weiterhin kein gastronomisches oder gastronomieähnliches Gewerbe in der Einheit des Zeugen … zulässig sein sollte (Beschluss 170/06). Da die Eigentümerversammlung den konkret vorgestellten Betrieb der Eisverkaufsstelle genehmigt hat, sollte er (so wie vorgestellt) zulässig sein; wenn die Eigentümer gleichzeitig beschließen, dass sie kein gastronomieähnliches Gewerbe wollen, folgt daraus denklogisch, dass sie den Betrieb der Beklagten (so wie er vorgestellt wurde und tatsächlich betrieben wird) nicht als gastronomieähnlich im Sinne ihres Beschlusses 170/06 einstuften. Die Versuche des Klägers, die Gastronomieähnlichkeit des Betriebes darzulegen, gehen daher an der Beschlusslage vorbei.
28
Bekräftigt wird die vorstehende Auslegung durch den Beschluss 175/07 der Eigentümerversammlung vom 3.5.2007. Die Genehmigung von Bänken und Klappstühlen auf Gemeinschaftseigentum vor dem Laden kann nur dahin verstanden werden, dass damit der Verzehr von Eis vor dem Laden mehrheitlich gebilligt wurde; es wäre lebensfremd anzunehmen, dass der Versammlung dieser Zweck der Bänke und Stühle verborgen geblieben wäre. Damit kann aus der Möglichkeit des Verzehrs von Eis vor dem Laden schon nach dem Grundsatz der Spezialität nicht hergeleitet werden, dass dies den Betrieb der Beklagten zu einem nach Beschlusslage unzulässigen gastronomieähnlichen Betrieb macht. Vielmehr hat die Mehrheit der Eigentümer den Betrieb der Beklagten, so wie er sich tatsächlich darstellt, als nunmehr mit der wohnungseigentumsrechtlichen Zweckbestimmung der Einheit vereinbar angesehen und damit die ursprüngliche Zweckbestimmung als Laden geändert und präzisiert.
29
(2) Die genannten Beschlüsse sind wirksam und haben damit die Zweckbestimmung der Einheit des verstorbenen Zeugen … entsprechend geändert. Da sie unstreitig nicht angefochten wurden, wären sie nur dann unwirksam, wenn sie nichtig wären (vgl. § 23 Abs. 4 S. 2 WEG a.F.). Eine Nichtigkeit der Beschlüsse ist jedoch nicht gegeben.
30
(a) Auszugehen ist von der grundsätzlichen Möglichkeit, dass ein Sondereigentümer (hier: der Zeuge …) die Änderung der Zweckbestimmung seiner Einheit durch Gesellschafterbeschluss herbeiführt (vgl. BGH, Urteil vom 12.4.2019 – V ZR 112/18, Rz. 21 a.E.), sofern dieser Beschluss in formeller und materieller Hinsicht wirksam ist.
31
(b) Die Nichtigkeit von Beschlüssen der Wohnungseigentümerversammlung kann sich in formeller Hinsicht ergeben bei fehlender Beschlusskompetenz der Gesellschafterversammlung oder beim Nichterreichen der vorgesehenen Mehrheit (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 20.9.2000 – V ZB 58/99, Rz. 5, 15). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht anzunehmen. Gemäß § 33 des Teilhabervertrags (Anlage K 2), dessen Fortgeltung in der Notarurkunde vom 14.11.1953 (Anlage K 3; dort Ziff. II.) angeordnet wurde, konnte eine Änderung der Zweckbestimmung der Einheit des Zeugen … mit einfacher Mehrheit beschlossen werden.
32
Die Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung kann sich aus Gesetz oder Teilungserklärung / Vereinbarung ergeben (BGH, Beschluss vom 20.9.2000 a.a.O. Rz. 13; Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 5). Vorliegend ergab sich eine Beschlusskompetenz zwar nicht aus Gesetz, da der Sache nach von der der Teilungserklärung entsprechenden Teilhabervereinbarung abgewichen werden sollte, was nach dem Gesetz grundsätzlich wiederum eine Vereinbarung erfordert (vgl. § 15 Abs. 1 WEG a.F.). Für die Beschlusskompetenz der Gesellschafterversammlung genügt jedoch eine Öffnungsklausel in der Teilungserklärung, auch eine allgemeine (BGH, Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 5, 21). Eine solche allgemeine Öffnungsklausel enthält hier § 33 der – der Teilungserklärung entsprechenden – Teilhabervereinbarung.
33
S. 1 der Klausel erfordert einen einstimmigen Beschluss aller Eigentümer für die in lit. a) – f) aufgeführten Angelegenheiten. Alle übrigen Angelegenheiten werden nach S. 2 der Klausel durch einfachen Mehrheitsbeschluss geregelt.
34
Daraus folgt, dass eine Beschlusskompetenz der Gesellschafterversammlung grundsätzlich für alle Angelegenheiten besteht, dass aber für die in S. 1 lit. a) – f) aufgeführten Angelegenheiten die einfache Mehrheit nicht genügt, sondern alle Eigentümer zustimmen müssen.
35
Der Kläger argumentiert, dass sich vorliegend das Einstimmigkeitserfordernis aus § 33 S. 1 lit. c ergebe. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach der Bestimmung ist die Zustimmung erforderlich für „wesentliche Veränderungen des gemeinschaftlichen Bauwerks selbst bzw. ihrer [sic; Anmerkung des Senats] Einrichtungen oder Veränderungen seines Zwecks als Wohnhaus“. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt in der Änderung der Zweckbestimmung der Einheit des Zeugen … von „Laden“ zu „Eisverkaufsstelle“ keine Veränderung des Zwecks des Anwesens als „Wohnhaus“. Denn seit der Begründung der Gemeinschaft in den Jahren 1950/1953 war in dem Anwesen eine gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss und eine Wohnnutzung in den Obergeschossen vorgesehen. Diese Aufteilung, insbesondere die Tatsache, dass von Anfang an keine reine Wohnnutzung vorgesehen war, prägt den Gesamtcharakter des Anwesens. Daraus folgt, dass durch eine Änderung der gewerblichen Nutzung einer schon bisher gewerblich genutzten Einheit, mag sie auch für die Wohnnutzung störender sein als die bisherige, der Gesamtcharakter des Anwesens und damit sein Zweck als Wohnhaus, so wie er von den Teilhabern im Teilhabervertrag verstanden wurde, nicht verändert wird.
36
Diese Auslegung drängt sich auf, so dass der Senat an der Bestimmtheit und damit Wirksamkeit der Klausel des § 33 lit. c) der Teilhabervereinbarung keine Zweifel hat. Damit war zum einen eine Zweckänderung der Einheit des Zeugen … der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung zugänglich und konnte zum anderen dieser Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden.
37
(c) Die Zuweisung einer Beschlusskompetenz rechtfertigt Gesellschafterbeschlüsse nur formell, nicht aber materiell; ihre Nichtigkeit kann sich auch aus materiellen Gründen ergeben (BGH, Beschluss vom 20.9.2000 – V ZB 58/99, Rz. 12; Urteil vom 10.10.2014 – V ZR 15/13, Rz. 14; Urteil vom 12.4.2019 – V ZR 112/18, Rz. 7). Aber vorliegend kann auch eine materielle Nichtigkeit der gegenständlichen Beschlüsse nicht angenommen werden.
38
Materielle Nichtigkeit wäre jedenfalls anzunehmen bei gesetzwidrigen, sittenwidrigen oder treuwidrigen Beschlüssen sowie bei Eingriffen in unentziehbare und unverzichtbare Rechte eines Eigentümers; was nicht einmal wirksam vereinbart werden könnte, kann auch nicht wirksam beschlossen werden (BGH, Urteil vom 10.10.2014 a.a.O. Rz. 15; Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 7). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben.
39
Zweifellos könnte die Zweckbestimmung einer Einheit in der Teilungsvereinbarung (hier: Teilhabervertrag) durch neue Vereinbarung geändert werden.
40
Nichtigkeit bzw. schwebende Unwirksamkeit von Beschlüssen wird aber auch angenommen bei einem Eingriff in unentziehbare, aber verzichtbare Rechte eines Eigentümers, wenn er nachteilig betroffen wird und nicht zustimmt (BGH, Beschluss vom 22.1.2004 – V ZB 51/03, Rz. 35 f.; Urteil vom 10.10.2014 a.a.O. Rz. 15; Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 8). Gemeint ist der Fall, dass durch den Beschluss in den Kernbereich des Wohnungseigentums des nachteilig betroffenen Eigentümers eingegriffen wird (BGH, Beschluss vom 22.10.2004 a.a.O. Rz. 16).
41
Dies ist angenommen worden, wenn einem Eigentümer neue, in der Teilungsanordnung nicht vorgesehene Pflichten auferlegt werden sollen (BGH, Urteil vom 10.10.2014 a.a.O. Rz. 16); ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Ferner soll ein Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums vorliegen, wenn ohne Zustimmung eines Eigentümers die Zweckbestimmung seiner Einheit geändert werden soll (BGH, Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 15); auch dieser Fall ist vorliegend nicht gegeben, da nicht die Zweckbestimmung der Einheit des Klägers, sondern diejenige der Einheit des Zeugen … geändert wurde.
42
Die Frage ist also allgemein dahin zu stellen, ob vorliegend eine vergleichbar schwere Beeinträchtigung des Wohnungseigentums des Klägers vorliegt, ob also durch die gegenständlichen Beschlüsse in den Kernbereich des Wohnungseigentums des Klägers eingegriffen wird. Die Frage ist zu verneinen.
43
Ein Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums eines Sondereigentümers liegt schon abstrakt gesehen schwerlich vor, wenn die ihn störende Nutzung einer anderen Einheit genehmigt wird; eine entsprechende Annahme müsste, wenn sie überhaupt in Betracht kommt, auf Extremfälle beschränkt werden. Denn das Wohnungseigentum wird anders als sonstiges Eigentum durch die Zweckbestimmung näher ausgestaltet, wobei aus dem Gemeinschaftsverhältnis eine Wechselbeziehung zwischen den Zweckbestimmungen der einzelnen Einheiten besteht (ähnlich BGH, Beschluss vom 25.10.2019 – V ZR 271/18, Rz. 18). Änderungen in dieser Wechselbeziehung durch Änderung der Zweckbestimmung einer anderen Einheit sind daher dem Wohnungseigentum immanent und berühren es nicht in seinem Kernbereich.
44
Jedenfalls aber liegt nach Auffassung des Senats kein Extremfall vor, der ausnahmsweise eine andere Sichtweise gebieten könnte. Die streitgegenständliche Eigentümergemeinschaft liegt nicht in einem ruhigen Wohngebiet, sondern an einer belebten Kreuzung in M. Sch. / M.. Im Umgriff werden senats- und allgemeinkundig die Erdgeschosse nahezu durchgängig gewerblich genutzt. Damit ist grundsätzlich (unabhängig vom Betrieb der Beklagten) eine durchgängige und erhebliche Lärmbelastung (durch Kraftfahrzeug-, aber auch durch Publikumsverkehr) zu jeder Tages- und Nachtzeit verbunden, wie auch die beiden Gutachten … und die vorangegangene Korrespondenz zwischen dem Sachverständigen und dem Landgericht über die technischen Anforderungen an eine Lärmschutzmessung eindrucksvoll belegen. Von daher ist das Wohnungseigentum des Klägers unabhängig vom Betrieb der Beklagten aufgrund seiner Lage durch eine erhebliche Geräuschlast gekennzeichnet. Soweit sich diese durch den Betrieb der Beklagten noch erhöht, ändert sich die Situation in der Wohnung des Klägers nur graduell, so dass ein Eingriff in den Kernbereich seines Wohnungseigentums zu verneinen ist.
45
Soweit der Kläger einwendet, dass ihn diese Situation wegen der Lage seiner Wohnung unmittelbar über der Einheit des Zeugen … stärker als die anderen Sondereigentümer belaste, wäre er nicht schutzlos gestellt gewesen. Er wäre nicht gehindert gewesen, die gegenständlichen Beschlüsse anzufechten. Im Anfechtungsprozess wäre zu prüfen gewesen, ob die Beschlüsse willkürlich oder ermessensfehlerhaft sind (BGH, Urteil vom 12.4.2019 a.a.O. Rz. 14). In die dabei vorzunehmende Abwägung wären die Interessen des Klägers, dessen Wohnung unmittelbar über dem Lokal liegt, an prominenter Stelle einzubeziehen gewesen. Nachdem eine Anfechtung nicht erfolgt ist, muss es bei der Bestandskraft der Beschlüsse der Eigentümerversammlung verbleiben.
46
3. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Abmeldung ihres Gewerbes beim Kreisverwaltungsreferat der Stadt M..
47
Zwar folgt der Senat dem Landgericht nicht in der Annahme, dass keine Anspruchsgrundlage für das diesbezügliche Begehren des Klägers ersichtlich sei. Soweit die Beklagten die Ladeneinheit zweckwidrig nutzen würden, würde der Anspruch auf Beseitigung der Störung (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) auch die Beseitigung von deren öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen umfassen.
48
Nicht umfasst von dem Antrag und damit schon deshalb nicht zuzuerkennen (§ 308 ZPO) ist nach seinem eindeutigen Wortlaut die Abmeldung des Gewerbes „Einzelhandel mit Speiseeis“, welches die Beklagten über die im Antrag genannten Gewerbe hinaus ebenfalls angemeldet haben.
49
Das Gewerbe „Herstellung von Speiseeis“ verstößt nicht gegen die wohnungseigentumsrechtliche Zweckbestimmung der Einheit, wie sie sich nach den oben erörterten Beschlüssen darstellt. Genehmigt wurde wie ausgeführt der Betrieb der Beklagten, so wie er in der Eigentümerversammlung vom 21.3.2006 vorgestellt wurde. Dort hatte der Erstbeklagte auf „selbst hergestelltes“ Speiseeis verwiesen. Der Senat versteht daher den Beschluss 164/06 aus der Versammlung vom 11.7.2006 dahin, dass damit auch die Herstellung von Speiseeis in den Räumlichkeiten genehmigt wurde, so dass diese Art der Nutzung nicht gegen die Zweckbestimmung der Einheit verstößt und weder beseitigt noch unterlassen werden muss. Auf die von den Parteien ausführlich ventilierte Frage, welche Produktionsschritte in den Räumlichkeiten und welche außerhalb stattfinden, kommt es somit nicht an.
50
Demgegenüber wird das Gewerbe „Abgabe von Speisen und/oder alkoholfreien Getränken“ (möglicherweise) nicht durch die Beschlusslage gedeckt; dem Wortlaut der Beschlüsse ist hierzu nichts zu entnehmen; ebenso wenig lässt sich dem Protokoll vom 21.3.2006 entnehmen, dass der Erstbeklagte auch diese Tätigkeit vorgestellt hätte. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Nutzungsart bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die nach der Beschlusslage zulässige (vgl. oben I.2.) Nutzung für den Einzelhandel mit Speiseeis (vgl. zu diesem Kriterium BGH, Beschluss vom 25.10.2019 a.a.O. Rz. 24), so dass Beseitigung und Unterlassung insoweit nicht verlangt werden können.
51
II. Damit war über die klägerischen Hilfsanträge 1 – 4 zu entscheiden. Erfolg hat insoweit nur der Hilfsantrag 4.
52
1. Hilfsantrag 1 ist unbegründet. Ein Anspruch auf Einhaltung der Ladenschlusszeiten kann nicht auf die Bezeichnung der von den Beklagten genutzten Einheit als „Laden“ gestützt werden. Zwar kann der Sondereigentümer sowohl vom Eigentümer als auch vom Mieter einer anderen Einheit nach § 1004 BGB die Einhaltung der Ladenschlusszeiten verlangen, wenn für die andere Einheit wohnungseigentumsrechtlich die Zweckbestimmung als „Laden“ festgelegt ist (vgl. OLG M., Urteil vom 10.2.2009 – 19 U 5448/08). Wie dargestellt wurde vorliegend jedoch die Zweckbestimmung der Einheit des verstorbenen Zeugen … dahin geändert, dass die Eisverkaufsstelle der Beklagten, so wie sie vorgestellt wurde, zulässig war. Vorgestellt worden war ausweislich des Protokolls der Eigentümerversammlung vom 21.3.2006 ein Betrieb der Eisverkaufsstelle an sieben Tagen die Woche zum Teil bis nach 22.30 Uhr. Damit verstößt ein Betrieb des Geschäfts der Beklagten außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten nicht gegen die Zweckbestimmung der fraglichen Einheit.
53
2. Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht auch Hilfsantrag 2 abgewiesen.
54
Bei wörtlicher Auslegung des Antrags bestünden massive Zweifel an seiner Bestimmtheit im Sinne von § 253 ZPO. Denn die Formulierung „nicht störend zu vernehmen“ ist an sich zu unbestimmt, um einer Vollstreckung zugänglich zu sein. Das Landgericht hat den Antrag aber dahin ausgelegt, dass Schallschutzmaßnahmen verlangt werden, die die Einhaltung der einschlägigen DIN-Normen gewährleisten. Mit dieser Maßgabe ist der Antrag hinreichend bestimmt und damit zulässig.
55
Der Antrag wäre aus § 1004 BGB als Beseitigungsanspruch begründet, soweit die technischen Geräte tatsächlich die Anhaltswerte nach der einschlägigen DIN überschreiten; eine solche Störung muss der Kläger nach § 1004 Abs. 2 BGB auch bei der vorliegenden Zulässigkeit des Geschäftsbetriebs der Beklagten nicht dulden. Die Beweisaufnahme hat durch die Gutachten des Sachverständigen … ergeben, dass eine solche Überschreitung in der Wohnung des Klägers nur hinsichtlich der Kühlzelle der Beklagten festzustellen war. Der Hilfsantrag war daher während der Existenz der Kühlzelle in der Einheit der Beklagten begründet.
56
Die Beklagten haben jedoch unter Vorlage von Lichtbildern substantiiert vorgetragen, dass sie zwischenzeitlich die Kühlzelle abgebaut und durch handelsübliche Kühlschränke ersetzt haben. Dies hat die Klagepartei nicht substantiiert bestritten. Damit ist die einzige relevante, vom Sachverständigen festgestellte Störungsquelle beseitigt; andere die Anhaltswerte der einschlägigen DIN überschreitende Geräuschquellen vermochte er nicht festzustellen.
57
Damit ist allerdings der Anspruch gemäß Hilfsantrag 2 erfüllt. Der Antrag richtet sich (bei einer Auslegung, die zu seiner Zulässigkeit führt) auf die Beseitigung technisch bedingter Betriebsgeräusche, die in der Wohnung des Klägers die Anhaltswerte der DIN übersteigen. Wenn solche nur durch die beseitigte Kühlzelle verursacht worden waren, sind sie damit beseitigt. Unerheblich ist insoweit, ob die nunmehr vorhandenen Kühlschränke die Anhaltswerte übersteigen. Denn einerseits muss der Kläger handelsübliche Kühlschränke, die zweifellos auch in jeder Wohnung zulässig wären, als ortsüblich dulden. Und andererseits wurde nicht konkret behauptet, dass die Kühlschränke die Anhaltswerte der DIN überschreiten, so dass ein – von der Klagepartei ohnehin nicht gewünschtes – Sachverständigengutachten hierzu nicht zu erholen war.
58
Der ursprünglich zulässige und begründete Hilfsantrag ist damit durch die Entfernung der Kühlzelle unbegründet geworden. Insofern ist dem Landgericht zuzustimmen, dass der Kläger, um insoweit eine Klagabweisung zu vermeiden, den Hilfsantrag für erledigt hätte erklären müssen.
59
Eine diesbezügliche Erledigungserklärung ist nicht erfolgt. Insbesondere bezog sich Hilfsantrag 6 nicht hierauf, sondern war für den Fall gestellt, dass das Gericht den Wegfall der Passivlegitimation des Beklagten zu 1 annehmen würde (vgl. insbesondere Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 8.7.2021, Bl. 283 ff. der Akten, dort S. 2). Das Landgericht hat den Hilfsantrag daher zu Recht abgewiesen.
60
3. Als unbegründet erweist sich auch Hilfsantrag 3.
61
Der Senat legt – ausgehend von üblichen Ladenöffnungszeiten von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr – den Antrag dahin aus, dass die nächtliche Unterlassung von Betriebsgeräuschen zwischen 20.30 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens verlangt wird.
62
Zu abendlichen Betriebsgeräuschen ist auszuführen, dass nach Auffassung des Senats der Betrieb der Eisverkaufsstelle an sieben Tagen die Woche bis mindestens 22.30 Uhr genehmigt ist und damit der Zweckbestimmung der fraglichen Einheit entspricht, weil die Eigentümerversammlung dies in Kenntnis der beabsichtigten konkreten Nutzung in diesem Umfang so beschlossen hat (vgl. oben). In diesem Umfang haben die Beklagten den Betrieb zu dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB). Damit besteht kein Anspruch auf Unterlassung von Betriebsgeräuschen ab 20.30 Uhr. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Betrieb bis „mindestens“ 22.30 Uhr (also im Einzelfall auch etwas länger) vorgestellt worden war und dass in gewissem Umfang nach Betriebsschluss „nachlaufende“ Geräusche durch Aufräumarbeiten zu erwarten waren, erschiene ein Unterlassungsanspruch ab 23.00 Uhr oder 23.30 Uhr diskutabel. Insoweit fehlt es aber an einem Erstverstoß. Ein Betrieb des Geschäfts der Beklagten nach 23.00 Uhr / 23.30 Uhr ist nicht substantiiert dargelegt.
63
Diskutabel erschiene im Grundsatz auch ein morgendlicher Unterlassungsanspruch für die Zeit vor 6.00 Uhr. Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung besagen dazu nichts. Aber auch insoweit fehlt es an einem hinreichenden Erstverstoß. Vorgetragen sind insoweit vor allem störende Geräusche durch die Anlieferung von Eis. Lieferverkehr in den Morgenstunden muss der Kläger jedoch angesichts der Lage des Objekts an einer belebten Kreuzung im innerstädtischen Bereich (Schwabing / Maxvorstadt) mit zahlreichen geschäftlich genutzten Objekten im Umgriff als ortsüblich hinnehmen.
64
4. Begründet ist hingegen Hilfsantrag 4. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 1004 BGB auf Unterlassung des Betriebs von Geräten, die „zur Nachtzeit“ die DIN-Anhaltswerte übersteigende tieffrequente Geräuschimmissionen verursachen.
65
Der Senat legt den Antrag mit Blick auf den vorstehend erörterten Hilfsantrag so aus, dass mit „Nachtzeit“ die Zeit zwischen 20.30 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens gemeint ist. Mit dieser Maßgabe ist der Antrag hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 ZPO und damit zulässig.
66
Zur Begründetheit des Antrags hat das Landgericht, welches den Antrag parallel zu Hilfsantrag 2 behandelt, nicht hinreichend in den Blick genommen, dass anders als bei Hilfsantrag 2 kein Beseitigungs-, sondern ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird.
67
Ein solcher setzt nach § 1004 Abs. 1 S. 1, 2 BGB einen Erstverstoß und Wiederholungsgefahr voraus, wobei der Erstverstoß eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr begründet (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30.10.1998 – V ZR 64/98, Rz. 19 w.w.Nachw.). Damit genügt für die Erledigung des Unterlassungsanspruchs (anders als beim isolierten Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB) nicht die Beseitigung der Störungsquelle, sondern es muss auch die tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr widerlegt sein.
68
Vorliegend ist ein Erstverstoß gegeben. Der Kläger musste wie ausgeführt (oben II.2.) nicht hinnehmen, dass die Kühlzelle der Beklagten tieffrequente Geräusche emittierte, die in der Wohnung des Klägers die Anhaltswerte der einschlägigen DIN überschritten. Damit wird grundsätzlich die Wiederholungsgefahr des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.
69
Nach Auffassung des Senats ist diese Wiederholungsgefahr nach den Umständen des Falles nicht widerlegt. Die Widerlegung der Wiederholungsgefahr ist eine tatsächliche Frage, die vom Gericht der Tatsacheninstanz anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen ist, wobei strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH v. 30.10.1998 a.a.O. Rz. 20). Die Umstände, die von den Beklagten gegen eine Wiederholungsgefahr vorgebracht wurden, nämlich der Ersetzung der Kühlzelle durch handelsübliche Kühlschränke und die als eine der Anlagen B 4 (Anlagennummer von Beklagtenseite doppelt belegt) vorgelegte Unterlassungserklärung genügen je für sich und auch in der Gesamtschau nicht für eine Ausräumung der indizierten Wiederholungsgefahr.
70
Der Abbau der Kühlzelle hat zwar die Störungsquelle beseitigt; handelsübliche Kühlschränke muss der Kläger dulden (vgl. oben). Diese Veränderung der den Erstverstoß und damit die Wiederholungsgefahr begründenden Umstände ist naturgemäß in die vorzunehmende Gesamtwürdigung der Umstände einzustellen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass auf Beklagtenseite die unternehmerische Entscheidung getroffen werden wird, erneut Geräte anzuschaffen werden, die sich dann als lauter als zulässig erweisen, zumal eine eingeschränkte Tauglichkeit haushaltsüblicher Geräte für gewerbliche Zwecke nicht fern liegt. Die schlichte Beseitigung der Störungsquelle genügt dem Senat daher nicht für eine Widerlegung der Wiederholungsgefahr.
71
Nichts anderes gilt für die vom Erstbeklagten namens der Zweitbeklagten abgegebene Unterlassungserklärung gemäß einer Anlage B 4 vom 10.3.2021. Zum einen gilt diese ausweislich ihres nicht auslegungsfähigen Wortlauts nur für die Beklagte zu 2 und nicht für den (nach wie vor passivlegitimierten) Beklagten zu 1). Und zum anderen gibt diese Erklärung dem Kläger mangels Bewehrung nicht mehr, als ihm von Gesetzes wegen zusteht, nämlich einen Unterlassungsanspruch, der im Streitfall wiederum erst klageweise durchgesetzt werden müsste.
72
Insgesamt sieht der Senat die Wiederholungsgefahr daher als nicht widerlegt an. Insoweit ist der ursprünglich begründete Antrag begründet geblieben und damit entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Erledigung eingetreten. Dem Antrag war damit stattzugeben.
III.
73
Nicht zu entscheiden war hingegen über Hilfsantrag 6. Die Erledigungserklärung in Richtung gegen den Beklagten zu 1) wurde ausdrücklich für den Fall abgegeben, dass das Gericht den Beklagten zu 1) nicht mehr für passivlegitimiert ansehen würde (vgl. insbesondere Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 8.7.2021, Bl. 283 ff. der Akten, dort S. 2). Diese Bedingung ist nicht eingetreten (vgl. oben I.2.a)).
C.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 96, 97 Abs. 1 ZPO.
75
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
76
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.