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OLG München, Hinweisbeschluss v. 18.06.2024 – 25 U 5146/23 e
Titel:

Unwirksame Abtretung bei Forderungskauf

Normenketten:
BGB § 138, § 307 Abs. 1 S. 1
VVG § 203
Leitsätze:
1. Eine im Rahmen eines Forderungskaufs formularmäßig vereinbarte Forderungsabtretung (hier: auf Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen) ist wegen unangemessener Benachteiligung des Zedenten unwirksam, wenn auch sämtliche zukünftigen Ansprüche umfasst sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abtretung beim Forderungskauf ist wegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig, wenn lediglich 25% des objektiven Wertes der abgetretenen Forderung bezahlt werden. (Rn. 9 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die gemeinsame Geltendmachung einer Vielzahl von Ansprüchen befreit nicht von der prozessualen Verpflichtung, für jeden einzelnen Fall umfassend schriftsätzlich vorzutragen. Erforderlicher Sachvortrag kann nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden (Anschluss an BGH BeckRS 2018, 33393). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Forderungskauf, Abtretung, Krankenversicherungsbeitrag, Sittenwidrigkeit, unangemessene Benachteiligung, unsubstantiierter Vortrag
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 28.11.2023 – 23 O 18803/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17029

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.11.2023, Az. 23 O 18803/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

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1. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht Ansprüche auf Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen geltend mit der Behauptung, Anpassungen seien materiell rechtlich und formal unwirksam, Rückzahlungsansprüche seien ihr von 120 Versicherungsnehmern wirksam abgetreten worden.
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1.1. Das Urteil des Landgerichts ist (im Ergebnis) schon deshalb richtig, weil der Klagevortrag unsubstantiiert ist. Die gemeinsame Geltendmachung einer Vielzahl von Ansprüchen befreit nicht von der prozessualen Verpflichtung, für jeden einzelnen Fall umfassend schriftsätzlich vorzutragen. Es fehlt an einem ausreichenden schriftsätzlichen Vortrag, in dem bezogen auf jeden einzelnen Versicherungsnehmer jede einzelne (für rechtswidrig erachtete) Anpassung in jedem einzelnen Tarif dargestellt wird, die Höhe des Anspruchs nachvollziehbar berechnet wird und dargelegt wird, aus welchen Gründen die jeweilige Anpassung formal unwirksam sein soll; der Verweis auf (teilweise kaum leserliche, teilweise nicht ordnungsgemäß nummerierte und unübersichtliche) Anlagen genügt für einen ordnungsgemäßen Klagevortrag nicht. Erforderlicher Sachvortrag kann nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden (BGH, Beschluss vom 02. Oktober 2018 – VI ZR 213/17 –, Rn. 8, juris). Weiter muss die Klägerin bezogen auf jede einzelne Abtretung zum Forderungskaufvertrag vortragen (vgl. dazu unten 1.3.).
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Ergänzend und allgemein ist auf folgendes hinzuweisen: Nach den Erfahrungen des Senats ist es nicht so, dass alle Anpassungsschreiben zu bestimmten Anpassungsterminen stets identisch begründet sind; maßgebend für den Begründungstext ist teilweise auch der konkret erhöhte Tarif. Auch hat der Senat nicht alle ihm vorliegenden Anpassungsschreiben der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin bis 2018 für nicht ausreichend begründet angesehen. Zu als nicht ausreichend begründet angesehenen Schreiben wird auf die Ausführungen unter 1.3. Bezug genommen.
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1.2. Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Forderungszession ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 305 c Abs. 1 BGB nicht wirksam einbezogen bzw. im Falle einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB oder bei mangelnder Transparenz nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam (BeckOGK/Lieder, 1.1.2024, BGB § 398 Rn. 50).
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Ausweislich der AGB der Klägerin (veröffentlicht unter der in den Abtretungsvereinbarungen genannten Internetadresse), auf welche in den Abtretungsvereinbarungen ausdrücklich verwiesen wird, wird der Forderungskaufvertrag und zugleich der Abtretungsvertrag durch das Anklicken eines Links abgeschlossen. Über die so erfolgte Annahme des Angebots der Klägerin auf Abschluss des Forderungskaufvertrags und des Abtretungsvertrags wird eine elektronische Dokumentation in Form des elektronisch gezeichneten Abtretungsvertrags erstellt. Diese wird zur schriftlichen Unterzeichnung an den Zedenten übersandt und ist von diesem binnen 6 Monaten unterschrieben zurückzuschicken. Andernfalls verliert der Zedent den Anspruch auf den vereinbarten Auszahlungswert. Bei der erfolgten Abtretung verbleibt es jedoch.
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Nach derzeitiger Aktenlage geht der Senat jedenfalls von einer unangemessenen Benachteiligung aus. Ausweislich der insoweit bindenden Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils umfasst die Abtretung sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen stehen, darunter auch sämtliche zukünftigen Ansprüche. Die Kunden der Klägerin verlieren durch die Abtretung mithin nicht nur Ansprüche, die durch Zahlungen auf nicht ausreichend begründete oder materiell rechtlich unwirksame Anpassungen nach § 203 Abs. 2 VVG in der Vergangenheit erfolgten, sondern auch (zukünftige) Ansprüche jeglicher Art, die auf Überzahlungen von Beiträgen beruhen.
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Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts dazu, dass die Klausel überraschend und intransparent ist, Bezug genommen. Es ist nicht ausreichend klar, welche Schadensersatzansprüche gemeint sein sollen. Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit zu viel gezahlten Beiträgen entstanden sind, sollen abgetreten sein. Zahlungen erfolgten jeweils durch die Zedenten. Durch Zahlungen selbst kann kein Schaden entstanden sein.
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1.3. Nach Aktenlage ist vorläufig (mangels substantiierten Vortrags der Klägerin) auch von einer Sittenwidrigkeit auszugehen.
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Die Klägerin behauptet – ohne konkret zu den einzelnen Zahlungen vorzutragen (insoweit hat sie eine sekundäre Darlegungslast) – der von ihr bezahlte Kaufpreis habe niemals weniger als 25% und im Schnitt rund 30% des Anspruchs betragen, den sie nunmehr geltend mache.
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Maßgebend für den zur Beurteilung der Äquivalenz anzustellenden Vergleich zwischen Leistung und Gegenleistung ist der Wert der jeweils abgetretenen Forderungen – dieser ergibt sich aus dem Umfang der Abtretung – und dem im Einzelfall bezahlten Kaufpreis. Zu beiden Punkten fehlt konkreter Sachvortrag der (sekundär) darlegungspflichtigen Klägerin. Sie hat weder konkret zum Kaufpreis noch zum Wert bzw. der Bewertung der tatsächlich abgetretenen Forderungen konkrete Anhaltspunkte vorgetragen.
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Hätte sie lediglich 25% des (objektiven) Werts der geltend gemachten Forderungen bezahlt, so läge ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor.
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Zu verweisen ist zunächst auf die umfassende Abtretung und die weiteren den Kunden der Klägerin entstehenden Nachteile:
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Diese können betroffen sein von künftigen (rechtmäßigen) Beitragsteigerungen (formal unwirksame aber materiell gerechtfertigte Anpassungen müssen im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden, wobei die dann vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte vgl. BGH, Urt. v. 19. 12. 2018 – IV ZR 255/17, r+s 2019, 155 Rn. 49, beck-online), von Steuerrückforderungen und von Rückzahlungen von Arbeitgeberanteilen.
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Besonders zu erwähnen sind die Anpassungen zum 01.01.2012, 01.01.2017, 01.01.2018. Der Senat hat bereits entschieden, dass Anpassungen zu diesen Terminen nicht ausreichend begründet sind. Soweit es sich vorliegend um wortgleiche Begründungen handelt, steht einer Rückforderung nichts entgegen. Solche Forderungen sind wertmäßig wesentlich höher anzusetzen als andere Forderungen.
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2. Zu den in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen ist auf folgendes hinzuweisen:
2.1. Der Inhalt der vereinbarten Abtretung ist – wie das Landgericht im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt hat – unstreitig und rechtlich zu bewerten. Eine Zeugeneinvernahme zu Rechtsfragen sieht die ZPO nicht vor.
2.2. Da die Wirksamkeit der Abtretungen Kernproblem des Rechtstreits war, musste das Landgericht dazu keine Hinweise erteilen. Im Übrigen wurde die Frage der Wirksamkeit der Abtretungen ausweislich des Protokolls vom 17.10.2023 erörtert (Bl. 235 d.A. LG).
2.3. Dass die Klägerin die Forderungen von den Zedenten bedingungslos und endgültig gekauft und jedem Zedenten einen Kaufpreis gezahlt hat, unterstellt das Landgericht bei seiner Entscheidung. Hinweise waren dazu nicht erforderlich. Zutreffend bewertet das Landgericht die Abtretungen als unwirksam.
2.4. Zur Sittenwidrigkeit wird zunächst auf obige Ausführungen Bezug genommen. Die Sittenwidrigkeit des Kausalgeschäfts berührt zwar in der Regel das abstrakte Verfügungsgeschäft nicht. Anders liegt es jedoch, wenn sich die Sittenwidrigkeit – wie hier – gerade aus dem Umfang der Abtretung ergibt.
2.5. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren ergänzende Angaben von Versicherungsnehmern zur Akte reicht (zu Bl. 13/20 OLG) ändert das an der Beurteilung nichts.
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Es handelt sich um für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Bestätigungen, in denen ein dem Wortlaut der Vereinbarung widersprechendes Verständnis behauptet wird. Von einer Partei vorgelegte schriftliche Erklärungen eines Zeugen oder einer Partei sind kein nach der Zivilprozessordnung zulässiges Beweismittel. Im Übrigen ist der Vortrag verspätet. Er hätte schon in erster Instanz erfolgen können. Unabhängig davon sind die Erklärungen zum angeblichen Verständnis der Versicherungsnehmer auch nicht geeignet, die Wirksamkeitsbedenken zu beseitigen.
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3. Der Senat beabsichtigt den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 261.330,17 € festzusetzen.
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4. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).