Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.06.2024 – 11 CS 24.454
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens  (Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad/Pedelec) – einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
StVZO § 63a Abs. 2
FeV § 3 Abs. 1 S. 1, Absatz 2, § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsätze:
1. Die Fahrerlaubnisbehörde muss bei der Begutachtungsstelle nicht darauf hinwirken, bei der Begutachtung nicht von einer Alkoholabstinenz des Betroffenen als Voraussetzung für die Bejahung der Fahreignung auszugehen. Nicht vergleichbar ist der Fall, in dem eine Begutachtungsstelle bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten eine positive Begutachtung entgegen den Vorgaben des Fahrerlaubnisrechts generell von einem Abstinenznachweis abhängig macht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde, die Beibringung eines medizinisch-psychologisches Gutachtens anzuordnen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat, gilt nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad (stRspr, vgl. BVerwG BeckRS 2020, 44382 Rn. 19; VGH München BeckRS 2024, 12149 Rn. 26, jeweils mwN), zu denen auch solche mit elektrischer Trethilfe iSd § 63a Abs. 2 StVZO (sog. Pedelecs) zählen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dient die Vorlage eines Gutachtens der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist ist den Eignungszweifeln im Interesse der Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer so zeitnah wie möglich nachzugehen und die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Davon ausgehend erachtet der Senat eine Frist von zwei Monaten grundsätzlich für ausreichend (vgl. VGH München BeckRS 2023, 18939 Rn. 22 mwN). Die Dauer der Frist ist nicht danach zu richten, wie lange der Betroffene zur Sicherstellung einer positiven Begutachtung benötigt (vgl. VGH München BeckRS 2021, 794 Rn. 12). (Rn. 21 und 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde, auf Bitte des Betroffenen etwaige Fehlvorstellungen der Begutachtungsstelle im Vorfeld der Begutachtung richtig zu stellen, kann nur eine Ausnahme darstellen, die allenfalls bei offensichtlichen Fehlern in Betracht kommen könnte, die den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Begutachtung betreffen. In allen anderen Fällen, insbes. bei spezifischen medizinischen oder psychologischen Fragen, obliegt es hingegen dem Betroffenen als Auftraggeber des Gutachtens, ggf. selbst gegenüber der Begutachtungsstelle eine Korrektur zu bewirken, innerhalb offener Frist ein weiteres Gutachten einzuholen oder der Behörde das beanstandete Gutachten vorzulegen und zugleich dessen Mangelhaftigkeit geltend zu machen (vgl. allgemein zur Beanstandung von Gutachten VGH München BeckRS 2023, 18939 Rn. 24). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens, Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad mit einer BAK von 2, 34 Promille, Vertauschen der Blutprobe oder fehlerhafte Bestimmung der BAK (verneint), Verpflichtung der Behörde, bei der Begutachtungsstelle darauf hinzuwirken, der Begutachtung keine Notwendigkeit der Alkoholabstinenz zu Grunde zu legen (verneint), Pflicht zur Gutachtensanordnung, Beibringungsfrist von zwei Monaten, Fristverlängerung, Hinweis der Fahrerlaubnisbehörde gegenüber der Begutachtungsstelle, Beanstandung von Gutachten
Fundstellen:
FDStrVR 2024, 016939
BeckRS 2024, 16939

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2024 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 8.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner 1969 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) sowie der 1975 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 2 (alt).
2
Nach einer Mitteilung der Polizeiinspektion G. vom 8. August 2023 kam der Antragsteller am 7. Juli 2023 gegen 14 Uhr mit seinem „E-Bike“ in I. auf dem parallel zur Bundesstraße 16 verlaufenden Geh- und Radweg zu Fall. Er habe die Straße queren wollen und sei bei dem Bremsvorgang von seinem Fahrrad gestürzt. In einem ergänzend übersandten Aktenvermerk vom 29. Dezember 2023 heißt es, bei Eintreffen der Polizei sei der Antragsteller durch den Rettungsdienst versorgt worden. Auf Befragen zum Unfallhergang habe er angegeben, bei einem Bremsvorgang die Kontrolle über sein Elektrofahrrad verloren zu haben. Eine am 7. Juli 2023 gegen 15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,34 Promille.
3
Daraufhin forderte das Landratsamt G.(Fahrerlaubnisbehörde) den Antragsteller mit Schreiben vom 18. August 2023 auf, bis zum 1. November 2023 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Zu klären sei, ob aufgrund der Fahrt mit dem Fahrrad als fahrerlaubnisfreiem Fahrzeug unter Alkoholeinfluss zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig auch ein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Für den Fall, dass der Antragsteller dauerhaft auf Alkohol verzichten müsse, wurde gefragt, ob ein ausreichend langer Abstinenzzeitraum sowie ein gefestigter Einstellungs- und Verhaltenswandel vorliege.
4
Der Antragsteller erteilte zunächst sein Einverständnis mit einer Begutachtung durch den TÜV ..., legte in der Folge jedoch kein Gutachten vor. Dazu ließ er unter dem 11. September 2023 vortragen, eine Mitarbeiterin der Begutachtungsstelle habe ihm bei einer persönlichen Vorsprache am 29. August 2023 erklärt, eine Begutachtung bis zum 11. November 2023 habe keinen Sinn, da ein längerer Abstinenzzeitraum nachzuweisen sei. Zugleich legte er ein Schreiben des TÜV ... vom 29. August 2023 vor, in dem es heißt, aufgrund des späten Auftragseingangs sei es voraussichtlich nicht möglich, den Auftrag fristgerecht zu bearbeiten. Ferner wandte der Antragsteller ein, mit Blick auf die Konsummenge am Unfalltag (drei oder vier 4 Bier) könne das Ergebnis der Blutprobe nicht zutreffen, und bat um eine Nachuntersuchung. Zudem sei er nicht vom fahrenden Fahrrad gefallen, sondern wäre „bereits abgestiegen“, als er zu Fall gekommen sei.
5
Die mit der vorgenannten Auskunft des TÜV begründete Bitte des Antragstellers um Fristverlängerung lehnte das Landratsamt mit Schreiben vom 13. September 2023 ab. Die gewährte Frist von zweieinhalb Monaten sei ausreichend. Anderenfalls müsse der Antragsteller sich mit einer neuen Begutachtungsstelle in Verbindung setzten, die einen zeitnahen Termin anbieten könne.
6
Mit Bescheid vom 4. Januar 2024 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
7
Dagegen erhob der Antragsteller am 31. Januar 2024 Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Augsburg (Au 7 K 24.227) und stellte am 5. Februar 2024 einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung führte sein Bevollmächtigter ergänzend aus, eine Mitarbeiterin des TÜV ... habe ihm am 4. September 2023 telefonisch erklärt, bei dem Schreiben vom 29. August 2023 handle es sich um ein nicht passendes Formularschreiben. Es bleibe jedoch dabei, dass die Frist bis zum 1. November 2023 zur Vorlage des Gutachtens wegen der erforderlichen Abstinenznachweise nicht einzuhalten sei.
8
Mit Beschluss vom 27. Februar 2024 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Fahreignung sei nicht zu beanstanden, da die Beibringungsanordnung rechtmäßig und das Landratsamt nicht gehalten gewesen sei, die Frist zur Vorlage des Gutachtens zu verlängern.
9
Zur Begründung der dagegen gerichteten Beschwerde führt der Antragsteller u.a. vertiefend aus, die Begutachtungsstelle hätte keinen Abstinenznachweis von ihm verlangen dürfen. Das Landratsamt hätte daher – wie es der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 14. Juni 2023 (13 S 366/23) im Fall eines generellen Abstinenzverlangens bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten angenommen habe – bei der Begutachtungsstelle „intervenieren“ und auf eine Korrektur dieser Fehlvorstellung hinwirken oder aber eine Fristverlängerung gewähren müssen. Dies habe das Landratsamt abgelehnt, so dass er die Begutachtung habe verweigern dürfen.
10
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und legt das Ergebnis einer auf Kosten des Antragstellers durchgeführten ergänzenden Untersuchung der am 7. Juli 2023 entnommenen Blutprobe durch das Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum U. vor. Danach sei in der Nachuntersuchung eine BAK von 2,14 Promille ermittelt worden und habe sich kein Hinweis für eine fehlerhafte Erstbestimmung ergeben; die geringe Differenz lasse sich mit lagerungsbedingten Veränderungen erklären (Gutachten vom 15.5.2024). Ferner stamme die untersuchte Blutprobe nach dem Ergebnis der durchgeführten DNA-Analyse vom Antragsteller (DNA-Vergleichsgutachten vom 11.6.2024).
11
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
12
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen wäre.
13
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, indem er das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennt (Anlage 4 Nr. 8.1 zur FeV).
14
Hat ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 19; U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – BVerwGE 131, 163 Rn. 10, 15 ff.; BayVGH, U.v. 24.4.2024 – 11 BV 23.1631 – juris Rn. 26). Zu letzteren zählen auch solche mit elektrischer Trethilfe im Sinne des § 63a Abs. 2 StVZO (sog. Pedelecs; vgl. dazu Borgmann, NZV 2023, 300/301), wie es hier in Rede steht (vgl. das vorgelegte ärztliche Attest). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug und somit auch mit einem Fahrrad eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Daher ist in diesen Fällen regelmäßig die Untersuchung mittels medizinisch-psychologischer Fachkunde veranlasst, ob sich das mit dem Fahrrad gezeigte Verhalten auch auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken kann (BayVGH, B.v. 7.9.2023 – 11 CS 23.1298 – juris Rn. 13).
15
Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zum Schutz der Verkehrssicherheit zwingend vorgegeben, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde insoweit ein Ermessen zukäme. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Behörde bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19) bzw. kein ausreichender Grund für die Weigerung vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93 = juris Rn. 16; OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22.21 – DAR 2021, 409 = juris Rn. 5; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 11 FeV Rn. 51).
16
2. Daran gemessen begegnet die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Der Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung erweist sich als rechtmäßig.
17
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV erfüllt waren, weil der Antragsteller am 7. Juli 2023 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,34 Promille mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen hat.
18
Sein Einwand, angesichts der am Vormittag dieses Tages eingenommenen Alkoholmenge müsse die BAK unzutreffend bestimmt oder die Blutprobe vertauscht worden sein, ist unbegründet. Dies ist mittlerweile durch das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum U. zur BAK-Bestimmung vom 15. Mai 2024 und das DNA-Vergleichsgutachten dieses Instituts vom 11. Juni 2024 bestätigt worden.
19
Es steht auch mit hinreichender Gewissheit fest (vgl. dazu BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 38; BayVGH, B.v. 7.9.2023 – 11 CS 23.1298 – juris Rn. 16), dass der Antragsteller unmittelbar vor dem Sturz mit seinem Fahrrad gefahren ist und es damit geführt hat i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV (vgl. dazu BayVGH a.a.O. Rn. 15 ff.). Die erstinstanzliche Darstellung, er wäre bei dem Unfall von seinem Rad bereits „abgestiegen“, schließt die vorherige Fahrt ein. Zudem nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht an, der Antragsteller müsse sich an seiner von der Polizei dokumentierten ersten Äußerung zum Unfallgeschehen festhalten lassen (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 11.7.2022 – 11 CS 22.939 – DAR 2022, 648 = juris Rn. 21).
20
b) Das Verwaltungsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller das demnach zu Recht angeordnete Gutachten ohne ausreichenden Grund nicht beigebracht hat.
21
aa) Die in der Gutachtensanordnung gesetzte Frist von gut zwei Monaten war nicht bereits von vornherein zu kurz. Dient die Vorlage des Gutachtens – wie hier – der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. In diesem Fall ist den Eignungszweifeln so zeitnah wie möglich durch die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26 m.w.N.; B.v. 2.3.2021 – 11 CS 20.3056 – juris Rn. 23). Davon ausgehend erachtet der Senat eine Frist von zwei Monaten grundsätzlich für ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2023 – 11 CS 23.125 – juris Rn. 22; ebenso VGH BW, B.v. 21.6.2023 – 13 S 473/23 – NJW 2024, 166 Rn. 7 m.w.N.). Dass hier eine davon abweichende Beurteilung geboten sein könnte, ist nicht ersichtlich.
22
bb) Das Landratsamt war nicht verpflichtet, die Frist zur Vorlage des Gutachtens nachträglich antragsgemäß zu verlängern. Die Verlängerung behördlicher Fristen steht im Ermessen, bei dessen Ausübung insbesondere zu berücksichtigen ist, ob es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretene Rechtsfolge bestehen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2021 – 11 CS 20.3056 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
23
Nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen muss es dem Betroffenen grundsätzlich möglich sein, der Aufforderung der Behörde fristgerecht nachzukommen (BayVGH, B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20). Das erfordert insbesondere, dass eine Gutachterstelle zur Erstellung des Gutachtens tatsächlich in der Lage ist (BayVGH, B.v. 8.3.2022 – 11 CS 22.166 – juris Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 45). Das Schreiben, das der Antragsteller am 29. August 2023, also recht kurz nach Erlass der Beibringungsordnung und mehr als zwei Monate vor Ablauf der Vorlagefrist erhalten hat, erweckt zwar den Eindruck, als sei die gewählte Begutachtungsstelle zur fristgerechten Erstellung des Gutachtens nicht im Stande gewesen. Wie der Bevollmächtigte bereits gegenüber dem Landratsamt und auch vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen hat, stand dem aus Sicht des TÜV ... jedoch nicht die Unmöglichkeit der Bearbeitung des Begutachtungsauftrags bis zum 1. November 2023 entgegen. Vielmehr zielte der Hinweis darauf ab, dass der Antragsteller eine längere Abstinenz nachzuweisen habe. Die Möglichkeit dazu musste das Landratsamt dem Antragsteller nicht einräumen. Denn es hat, wie bereits erwähnt, Zweifeln an der Fahreignung unverzüglich nachzugehen. Die Dauer der Frist ist nicht danach zu richten, wie lange der Betroffene zur Sicherstellung einer positiven Begutachtung benötigt. Eine solche Verzögerung mit der Folge einer weiteren Teilnahme des Betroffenen am Straßenverkehr wäre mit der Schutzpflicht der Fahrerlaubnisbehörde gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht vereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2021 – 11 CS 20.2536 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 8.9.2015 – 10 S 1667/15 – DAR 2016, 101 = juris Rn. 5; Dauer, a.a.O. § 11 FeV Rn. 45).
24
Abgesehen davon wäre es zunächst Aufgabe des Antragstellers gewesen, bei der von ihm ausgewählten Begutachtungsstelle auf eine fristgerechte Erstellung des Gutachtens hinzuwirken (vgl. VGH BW, B.v. 21.6.2023 – 13 S 473/23 – NJW 2024, 166 Rn. 9).
25
Schließlich spricht viel dafür, dass es dem Antragsteller, wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, zumutbar gewesen wäre, sich ggf. bei einer anderen Begutachtungsstelle um eine fristgerechte Begutachtung zu bemühen.
26
cc) Das Landratsamt war auch nicht verpflichtet, bei der benannten Gutachterstelle darauf hinzuwirken, bei der Begutachtung des Antragstellers zu Grunde zu legen, dass eine Bejahung der Fahreignung keine Alkoholabstinenz erfordere.
27
Anders als der Antragsteller meint, kann er aus der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg für seinen Fall nichts herleiten. Diese betrifft den Fall, dass die Begutachtungsstelle bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten die Erstellung eines (positiven) medizinisch-psychologischen Gutachtens generell und ohne sachlichen, sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Grund von einem Abstinenznachweis abhängig macht. Für diese Konstellation wird angenommen, die Fahrerlaubnisbehörde sei regelmäßig nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehalten, nach einem entsprechenden substantiierten Hinweis des Betroffenen bei der Begutachtungsstelle nachzufragen und bei dieser auf eine der geltenden Rechtslage entsprechende Begutachtung und Beantwortung der von ihr gestellten Fragen hinzuwirken (VGH BW, B.v. 14.6.2023 – 13 S 366/23 – NJW 2024, 163 Rn. 8; OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22/21 – DAR 2021, 409 = juris Rn. 23).
28
Nach der Konzeption des Fahrerlaubnisrechts gibt die Fahrerlaubnisbehörde medizinisch-psychologische Gutachten allerdings nicht selbst in Auftrag. Vielmehr ordnet sie die Beibringung durch den Betroffenen an (§ 11 Abs. 3 FeV), der in eigenem Namen einen zivilrechtlichen Werkvertrag mit der Untersuchungsstelle schließt (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 5 FeV; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 49). Zudem liegt die fachliche Richtigkeit, insbesondere die Vereinbarkeit mit anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen (§ 11 Abs. 5 i.V.m. Anl. 4a Nr. 1 Buchst. c FeV), in erster Linie in der Verantwortung des Trägers der Begutachtungsstelle. Die Träger der Begutachtungsstellen sowie die Begutachtungsstellen selbst müssen amtlich anerkannt sein (§ 66 FeV, näher dazu Dauer, a.a.O. § 66 FeV 12 ff.), was u.a. eine ausreichende Anzahl qualifizierte Gutachter voraussetzt (§ 66 sowie Anl. 14 FeV). Ferner müssen sich die Träger hinsichtlich der Erfüllung der für sie geltenden fachlichen Anforderungen von der Bundesanstalt für Straßenwesen begutachten lassen (§ 72 FeV, vgl. dazu Dauer, a.a.O. § 72 FeV Rn. 11). Die Fahrerlaubnisbehörde hingegen hat die fachliche Richtigkeit vorgelegter Gutachten allein im Sinn einer zurückgenommenen Kontrolle auf Plausibilität hin zu prüfen (vgl. Cramer, Blutalkohol 2024, 125/126, 129; Derpa, Blutalkohol 2023, 465/469). Ebenso wenig ist ihr eine formale Rolle bei der Qualitätssicherung der medizinisch-psychologischen Untersuchung zugewiesen. Schließlich wird regelmäßig erst das Gutachten selbst verlässlich Auskunft über das Vorgehen der Begutachtungsstelle und die fachliche Grundlage dafür bieten (vgl. dazu auch OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22/21 – DAR 2021, 409 = juris Rn. 35).
29
Aus diesen Erwägungen folgt, dass eine Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde, auf Bitte des Betroffenen etwaige Fehlvorstellungen der Begutachtungsstelle im Vorfeld der Begutachtung richtig zu stellen, jedenfalls eine Ausnahme darstellen muss. Sie könnte allenfalls bei offensichtlichen Fehlern in Betracht kommen, die den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Begutachtung betreffen. Jedenfalls in allen anderen Fällen, insbesondere bei spezifischen medizinischen oder psychologischen Fragen, obliegt es hingegen dem Betroffenen als Auftraggeber, ggf. selbst gegenüber der Begutachtungsstelle eine Korrektur zu bewirken, innerhalb offener Frist ein weiteres Gutachten einzuholen oder der Behörde das beanstandete Gutachten vorzulegen und zugleich dessen Mangelhaftigkeit geltend zu machen (in diese Richtung auch OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22/21 – DAR 2021, 409 = juris Rn.31, 35 zu einer einzelfallbezogenen Voreinschätzung der Begutachtungsstelle; vgl. allgemein zur Beanstandung von Gutachten BayVGH, B.v. 25.7.2023 – 11 CS 23.125 – juris Rn. 24 sowie – auch zu Mängelrechten – Cramer, a.a.O. S. 130; Derpa, a.a.O. S. 471 f.).
30
Hier zeigt der Antragsteller jedenfalls keinen solchen offensichtlichen, den allgemeinen Rahmen der Begutachtung betreffenden Mangel auf. Zum einen erscheint nach Aktenlage schon wenig greif- und belastbar, welche konkreten Anforderungen ihm genannt worden sind und ob es sich dabei um eine erste, ggf. berichtigungsfähige Einschätzung aus dem Assistenzbereich oder bereits um eine Vorfestlegung der Gutachter bzw. Begutachtungsstelle handelte. Zum anderen betrifft das Erfordernis eines nachzuweisenden Abstinenzzeitraums eine spezifisch medizinisch-psychologische Frage – noch dazu des konkreten Einzelfalls – und nicht den allgemeinen rechtlichen Rahmen. Wie der Antragsteller selbst zutreffend vorgetragen hat, kommt aus fachlicher Sicht bei Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn ggf. durchaus eine fahreignungsbezogene Notwendigkeit des Alkoholverzichts in Betracht. So liegt es, wenn anzunehmen ist, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lässt (Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl 2014, 110] i.d.F. v. 17.2.2021 [Vkbl S. 198] sowie Hypothese A2 der Beurteilungskriterien [Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022]; s. dazu auch BayVGH, B.v. 23.8.2023 – 11 CS 23.980 – DAR 2024, 43 = juris Rn. 17). Das unterscheidet die vorliegende Konstellation jedenfalls von der Fallgestaltung, in der die positive Begutachtung von Cannabiskonsumenten entgegen den Vorgaben des Fahrerlaubnisrechts (vgl. dazu nur BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 42) generell von einem Abstinenznachweis abhängig gemacht wird.
31
c) Soweit der Antragsteller eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen nicht hinreichend beachtet habe, verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist hingegen nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu befassen oder diesem bzw. der Rechtsansicht eines Beteiligten in der Sache zu folgen (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2020 – 5 PB 26.19 – juris Rn. 6 f.; B.v. 29.4.2014 – 10 B 15.14 – juris Rn. 8; BVerfG, B.v. 13.12.1994 – 2 BvR 894/94 – NJW 1995, 2839 = juris Rn. 7).
32
Davon ausgehend ist hier kein Gehörsverstoß durch das Verwaltungsgericht ersichtlich. Abgesehen davon konnte der Antragsteller sich im Beschwerdeverfahren zu dessen rechtlicher Bewertung äußern und ist sein rechtliches Gehör auch dadurch gewahrt.
33
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.2, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die 1975 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 2 umfasst nach Abschnitt A I Nr. 12 der Anlage 3 zur FeV die Fahrerlaubnisklassen A (versehen mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04), A1 (versehen mit der Schlüsselzahl 79.05), AM, B, BE, C1, C1E, C (versehen mit der Schlüsselzahl 172), CE, L und T. Maßgeblich davon sind zum einen die mit 5.000 Euro bewerteten Klasse B/BE und die mit 7.500 Euro bewerteten Klassen C/CE. Zum anderen ist für die mit der Schlüsselzahl 79.05 versehene Klasse A1 ein zusätzlicher Streitwert von 2.500 Euro anzusetzen, nicht hingegen für die mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04 (Begrenzung auf dreirädrige Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen) versehene Klasse A (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – Blutalkohol 60, 427 = juris Rn. 29; B.v. 15.12.2014 – 11 CS 14.2202 – juris Rn. 7). Letzteres gilt auch für die nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV von der Klasse B eingeschlossene Unterklassen AM und L, die nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV von der Fahrerlaubnisklasse C eingeschlossene Unterklasse C1 und die nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV von der Klasse CE eingeschlossenen Unterklassen C1E und T (vgl. zu Letzterem BayVGH, B.v. 20.3.2012 – 11 CS 12.89 – juris Rn. 11). Schließlich bewertet der Senat die mit der Schlüsselzahl 172 verbundene Berechtigung, mit der Fahrerlaubnis der Klasse C Kraftfahrzeuge der Klasse D ohne Fahrgäste im Straßenverkehr führen zu dürfen, im Hauptsacheverfahren mit 1.000 Euro (vgl. BayVGH, U.v. 3.8.2009 – 11 B 08.294 u.a. – juris Rn. 73; B.v. 11.8.2023 – 11 CS 23.1103 – juris Rn. 33). Die 1969 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3 hingegen geht nach Abschnitt A I Nr. 17 der Anl. 3 zur FeV nicht über die vorgenannten Klassen hinaus. Daraus ergibt sich zusammengerechnet ein Streitwert von 16.000 Euro, der im Eilverfahren zu halbieren ist. Die Befugnis zur Änderung des Streitwerts in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
34
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).