Inhalt

VG München, Beschluss v. 28.01.2024 – M 10 S 24.401
Titel:

Praktische Konkordanz bei einer Kollision der Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs

Normenketten:
GG Art. 8, Art. 12, Art. 14
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffenen Rechten Dritter, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG BeckRS 2018, 6483). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wichtige Abwägungselemente zur Herstellung praktischer Konkordanz sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (vgl. VGH München BeckRS 2023, 12047 mwN). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gefahrenprognose ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG  BeckRS 2010, 49725; VGH München BeckRS 2023, 6174; BeckRS 2015, 47041; BeckRS 2018, 21830; BVerwG BeckRS 2020, 23108). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Ergänzende Ausführungen zur Gefahrenprognose im gerichtlichen Verfahren;, Gefahrenprognose (Ergebnisrichtigkeit bejaht);, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb;, Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, Gefahrenprognose im gerichtlichen Verfahren, praktische Konkordanz, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, versammlungsrechtliche Beschränkungen, Versammlungsverbot, Rückstauungen, Versammlungsfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1692

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine beschränkende Auflage im Bescheid des Antragsgegners vom 27. Januar 2024.
2
Unter dem 26. Januar 2024 zeigte die Antragstellerin eine stationäre Versammlung mit dem Thema „Landwirtschaftliche Demonstration mit Vor- und Nachgelagertem Bereich“ für den 28. Januar 2024 von 22:00 Uhr bis 29. Januar 2024 22:00 Uhr in … im Gewerbegebiet … mit 20 bis 200 erwarteten Teilnehmern an. Bei der Versammlung sollen Feuertonnen, Heizstrahler, Traktoren, Wägen, LKW und Demoschilder eingesetzt werden.
3
Im Rahmen eines Kooperationsgesprächs am 26. Januar 2024 wurde der Ablauf der Veranstaltung durchgesprochen. Dabei wurden einvernehmlich die Straßen, welche für die Versammlung vorgesehen sind, besprochen. Sowohl die zuständige Polizeiinspektion als auch der Beklagte wiesen darauf hin, dass das Blockieren des Verkehrs – gleich welcher Gestalt (z.B. unüblich und unbegründete langsame Fahrt, „Zuparken“) nicht vom Versammlungsrecht gedeckt sei. Im Nachgang des Gesprächs gab die zuständige Polizeiinspektion per E-Mail eine weitere Stellungnahme ab. Eine Blockade der Zufahrten zu den Zentrallagern (...) sei bereits aus rechtlichen Gründen nicht zulässig. Bei einer Blockierung der Zufahrten würde es bei laufendem Lieferverkehr zu Rückstauungen auf die Bundesstraße … kommen. Die daraus resultierende Unfallgefahr sei unverantwortlich. Dem Vorschlag der Antragstellerin, die Versammlungsteilnehmer mit einer sehr geringen Geschwindigkeit im Kreis fahren zu lassen, käme faktisch einer Blockierung gleich und sei daher ebenfalls abzulehnen. Es sei aus Sicht der Polizeiinspektion vertretbar, die Traktoren im Bereich …straße, …straße und …straße aufzustellen. Dabei sei darauf zu achten, dass weiterhin ein Lieferverkehr stattfinden könne. Überzählige Traktoren müssten in angrenzenden Feldwegen ohne Durchgangsverkehr abgestellt werden. Daher sei das Abstellen durchgängig nur auf einer Fahrbahnseite und keinesfalls auf beiden Fahrbahnseiten möglich.
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Im Gewerbegebiet … befinden sich u.a. Logistikzentren der Lebensmittelkette …, der … sowie des Discounters … Die Zufahrt zu dem an der Bundesstraße ... gelegenen Gewerbegebiet erfolgt ausschließlich über die Bundesstraße. Diese ist sowohl im Bereich der Anfahrten von Osten als auch Westen einspurig angelegt und verfügt jeweils über einen ca. 120 bis 140 m langen Abbiegestreifen. Alle Straßen im Gewerbegebiet verfügen jeweils über eine Fahrbahn je Richtung. Lediglich im Bereich der …straße ist südlich vor der Zufahrt zum Logistikzentrum der Fa. … ein Parkstreifen erkennbar (G. M. sowie B. A.). Nördlich ist hier eine Rechtsabbiegerspur zur Einfahrt des Logistikzentrums erkennbar. Die Grundstücksbreiten der Straßen …straße, …straße und …straße liegen zwischen ca. 9 m und 17 m. Dies beinhaltet jedoch auch Grünstreifen, Abbiegespur oder Parkstreifen. Die reine Fahrbahnbreite ist deutlich geringer und lässt sich im B. A. etwa mit 7 bis 8 m abgreifen.
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Mit Bescheid vom 27. Januar 2024 erließ der Antragsgegner unter Ziffer 1.1 unter anderem folgende beschränkende Auflage:
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„Als Versammlungsorte sind die Straßen …straße, …straße und …straße jeweils nur einseitig, in Fahrtrichtung rechts, festgelegt.“
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Beschränkung verhältnismäßig sei, da sie geeignet sei, die den genannten Rechtsgütern drohenden Gefahren abzuwehren und gegenüber anderen denkbaren Maßnahmen, etwa einem vollständigen Versammlungsverbot, das mildere Mittel darstelle. Durch die Einigung, die genannten Straßen zu benutzen, könne das Anliegen der Versammlung, d.h. der Protest gegen das Verhalten des Lebensmitteleinzelhandels, kundgetan werden. Beeinträchtigungen Dritter sollten durch die Begrenzung auf das Gewerbegebiet und für Ausweichstrecken anliegende Feldwege, insbesondere im Westen und Norden, begrenzt werden. Auch in der Abwägung gegenüber den durch die Beschränkung betroffenen Interessen komme der Antragsgegner zu keinem anderen Ergebnis. Der Veranstalter könne tatsächlich kein schützenswertes Interesse an vermeidbaren Behinderungen Dritter habe. Kein Grundrecht gebe dem Einzelnen die Befugnis, Dritte zu schädigen, sofern dies nicht die notwendige Folge eines Freiheitsrechts sei. Allerdings verböte selbst hier das Gebot praktischer Konkordanz Behinderungen oder gar Schädigungen über das sozial adäquate Maß hinaus. Das Versammlungsrecht gebe dem Einzelnen somit kein Recht auf Übergriff in den geschützten Rechtskreis Dritter.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27. Januar 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht München per beA am selben Tag, hat die Antragstellerin einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und beantragt zuletzt (sinngemäß),
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 1.1 erster Absatz des Bescheids des Antragsgegners vom 27. Januar 2024 anzuordnen, wonach der Versammlungsort in den Straßen …straße, …straße und …straße jeweils nur einseitig, in Fahrtrichtung rechts, festgelegt wird.
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Hinsichtlich der Begründung wird auf die Schriftsätze der Antragstellerin Bezug genommen.
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Der Antragsgegner hat per E-Mail die Versammlungsanzeige sowie die E-Mail der zuständigen Polizeiinspektion vom 26. Januar 2024 vorgelegt. Mit E-Mail vom 28. Januar 2024 nahm der Antragsgegner Stellung. Auf die Stellungnahme wird Bezug genommen.
12
Der Antragsgegner hat am 28. Januar 2024 ein Schreiben der … Logistik VZ 5 GmbH Co.KG vorgelegt, die durch die mit der Versammlung einhergehenden Blockade ihres Logistikzentrums einen unverhältnismäßigen Eingriff ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 12, Art. 14 GG) geltend macht. Es sei schon fraglich, ob angesichts der angestrebten Dauer der Blockade ihres Logistikzentrums noch der Versammlungscharakter dominiere. Es lägen vielmehr Anhaltspunkte für eine strafbare Nötigung gemäß § 240 StGB vor.
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Mit E-Mail vom 28. Januar 2024 von 11:27 Uhr teilte der Antragsgegner mit, dass nach den Angaben der … Logistik VZ 5 GmbH Co.KG das Logistikzentrum pro Tag von etwa 550 LKW (40 Tonner) angesteuert werde. Insofern sei auch das einseitige Abstellen von Fahrzeugen kritisch zu betrachten.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Aktenbestandteile verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Sofern die Klage jedoch nach summarischer Prüfung erfolgreich sein wird, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zurück.
17
Im vorliegenden Fall überwiegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse am gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Sofortvollzug das private Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Die noch zu erhebende Klage gegen das Versammlungsverbot hat voraussichtlich keinen Erfolg. Bei kursorischer Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom 27. Januar 2024 rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffenen Rechten Dritter, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 10 CS 23.847 – juris Rn. 11 m.w.N.).
20
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.).
21
Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Beschränkung des Antragsgegners bei summarischer Prüfung jedenfalls im Ergebnis voraussichtlich als rechtmäßig.
22
Die vom Antragsgegner vorgenommene Gefahrenprognose hinsichtlich der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, die im gerichtlichen Verfahren nach den obigen Darstellungen ergänzt wurde, ist jedenfalls im Ergebnis voraussichtlich nicht zu beanstanden. Nach den konkreten örtlichen Verhältnissen, hinsichtlich derer sich das Gericht anhand Luftbildaufnahmen in B. A. und G. M. vergewissert hat, ist die Prognose des Antragsgegners, dass es ohne die verfahrensgegenständliche Auflage zu Rückstauungen mit LKW zur Bundestraße ...  gibt, schlüssig und nachvollziehbar. Das betroffene Gewerbegebiet ist ausweislich der dem Gericht vorliegenden Luftbildaufnahmen bzw. der dem Bescheid beiliegenden Anlage, auf die in Nummer 1.1 Bezug genommen wird, nur über die Bundesstraße ... zu erreichen. Die Entfernung bis zum … Logistikzentrum / Einfahrt …straße beträgt über beide Zufahrten von der Bundesstraße ... von Osten und Westen jeweils zwischen etwa 400 und 500 Metern, ab dem Kreisverkehr bis zur Einmündung in die von Westen nach Osten verlaufende …straße/ …straße sind es nochmals ca. 150 m Meter (* …straße). Alle Straßen im Gewerbegebiet verfügen jeweils über eine Fahrbahn je Richtung. Lediglich im Bereich der …straße ist südlich vor der Zufahrt zum Logistikzentrum der Fa. … ein Parkstreifen erkennbar (G. M. sowie B. A.). Nördlich ist hier eine Rechtsabbiegerspur zur Einfahrt des Logistikzentrums erkennbar. Die Grundstücksbreiten der Straßen …straße, …straße und …straße liegen zwischen ca. 9 m und 17 m. Dies beinhaltet jedoch auch Grünstreifen, Abbiegespur oder Parkstreifen. Die reine Fahrbahnbreite ist deutlich geringer und lässt sich im B. A. etwa mit 7 bis 8 m abgreifen.
23
Auf einer Satellitenbildaufnahme in G. M. ist zu erkennen, dass im gesamten Gewerbegebiet eine große Anzahl an LKW auf den Firmengrundstücken geparkt ist. Angesichts der Tatsache, dass die Zulieferung des Warenverkehrs zu den im Gewerbegebiet befindlichen Logistikzentren nur über diese Zufahrt erfolgen kann, liegt es auf der Hand, dass bereits ab einer Anzahl von 25 hintereinanderstehenden LKW, die nicht weiterfahren können, Rückstauungen bis zur Bundesstraße ... reichen werden. Angesichts der Tatsache, dass die angemeldete Versammlung für einen Zeitraum von 24 Stunden andauern soll, geht das Gericht auch davon aus, dass es zu einer entsprechend großen Aneinanderreihung von auf den Zufahrtsstraßen blockierten LKW käme. Unter Zugrundelegung der von der … Logistik angegebenen Anzahl von 550 LKW pro Tag kann insofern davon ausgegangen werden, dass es bereits nach etwas mehr als einer Stunde zu Rückstauungen zur Bundesstraße ... kommen und dort die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in erheblicher Weise tangiert sein würde. Das Gericht hält die über die … Logistik vorgetragene Größenordnung von 550 LKWs pro Tag im Hinblick auf die vorliegenden Satellitenbildaufnahmen bzw. dem damit einhergehenden Verkehrs- und Parkaufkommen für schlüssig und belastbar. Schlussendlich ist dabei zu berücksichtigen, dass zusätzlich zu dieser genannten Größenordnung noch das Verkehrsaufkommen der weiteren im Gewerbegebiet ansässigen Unternehmen dazukommt, darunter insbesondere der ebenfalls großen Logistikzentren der … und von …
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Das Gericht erkennt dabei, dass betroffene LKW beim Kreisverkehr nach Westen zunächst in die …straße ausweichen könnten und von dort schließlich nach Norden in die …straße. Jedoch ist zu erwarten, dass es dann auch in diesem Bereich in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu einem Rückstau in Richtung des Kreisverkehrs und von dort in Richtung der Bundesstraße ... käme, da ein Einfahren in die …straße aus Richtung der …straße ebenso nicht möglich sein wird, da dort (in der …straße) die Versammlung in der von der Antragstellerin beabsichtigten Durchführungsform stattfinden soll. Insofern ist der vorliegende Fall, anders als dies die Antragstellerin argumentiert, auch nicht mit der Blockade von Autobahnzufahrten vergleichbar, wie dies dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Januar 2024 zugrunde lag (B.v. 6.1.2024 – OVG 1 S 3/24 – BeckRS 2024, 19), da hier Ausweichmöglichkeiten durch andere Autobahnzufahrten gegeben waren. Hier werden jedoch die einzigen Zufahrtsmöglichkeiten zu den betroffenen Betrieben und dem gesamten Gewerbegebiet blockiert.
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Unabhängig davon geht das Gericht nach der (im gerichtlichen Verfahren ergänzten) Gefahrenprognose davon aus, dass durch die zu erwartenden Rückstauungen auch in Nebenstraßen wie der …- und …straße die dort ansässigen Unternehmen in ihren Zugangsmöglichkeiten faktisch blockiert würden und in unverhältnismäßiger Weise in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) beeinträchtigt werden. Es ist somit zu erwarten, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte konkrete Form der Durchführung ihrer Versammlung weitere im Gewerbebetrieb ansässige Unternehmen treffen und beeinträchtigen würde. Das Gericht erkennt stellt dabei nicht in Abrede, dass die Antragstellerin mit ihrer Versammlung bzw. mit dem dahinterliegenden Anliegen auf eine Thematik zielt, die für sie und die Allgemeinheit von zentraler Bedeutung ist (Dominieren des Lebensmittelmarktes durch vier Großkonzerne, Preisbestimmung durch diese mitsamt Folgeauswirkungen auf betroffene Bauern). Das ändert für sich genommen aber nichts daran, dass das Gericht im Rahmen der wechselseitig betroffenen Grundrechtspositionen die jeweilige Eingriffsintensität zu berücksichtigen hat. Vorliegend kann insoweit nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die beabsichtigte „Blockade“ mit über 24 Stunden über einen ganz erheblichen Zeitraum erstreckt und insoweit mit einem tiefgreifenden Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der betroffenen ansässigen Unternehmen einhergeht. Auch insoweit lässt sich der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (vgl. B.v. 6.1.2024 – OVG 1 S 3/24 – BeckRS 2024, 19) entschiedenen Fall vergleichen, wo lediglich eine siebenstündige Blockade der Autobahnauffahrten beabsichtigt war.
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Auf der anderen Seite erachtet das Gericht die Eingriffsintensität der verfahrensgegenständlichen Auflage als weniger tiefgreifend. Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin wird ihr dadurch das wesentliche kommunikative Anliegen ihrer Versammlung nicht unmöglich gemacht bzw. wesentlich erschwert. Die Wahrnehmbarkeit des kommunikativen Anliegens der Antragstellerin wird zudem nicht nur ausschließlich durch die Art der Aufstellung der beteiligten Fahrzeuge (einspurig oder zweispurig) bestimmt sondern auch wesentlich durch deren Anzahl und die weiteren verwendeten Kundgebungsmittel. Die verfahrensgegenständliche Auflage trägt gerade auch der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs Rechnung. Wenn jeweils die linke Fahrspur freigehalten wird, erscheint für das Gericht unter Berücksichtigung der räumlichen Verhältnisse vor Ort noch ausreichend sichergestellt, dass Zu- und Abfahrten aus dem Gewerbebetrieb weiter möglich sind und es nicht zu Rückstauungen zur Bundestraße ... kommt. Das Gericht räumt zwar ein, dass der Verkehr bei Nutzung der linken Fahrbahnseite insgesamt zähfließender sein dürfte, jedoch stellt sich das im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs als das mildere, gleich geeignete Mittel zu einer noch weitreichenderen Verlegung des Versammlungsgeschehens dar. Zudem kann angesichts von lediglich zweispurigen Straßen mit einer Fahrbahnbreite von 7 bis 8 m auch eine Freihaltung von Rettungswegen nur gewährleistet werden, wenn eine Fahrspur freigehalten wird. Anderweitige Ausweichmöglichkeiten für Rettungsfahrzeuge sind auf den zugänglichen Luftbildern nicht erkennbar.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 und Nummer 1.5, Satz 2 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.