Titel:
Keine Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung bei Auflösung einer eingetragenen Lebensgemeinschaft aufgrund äußerer Umstände
Normenkette:
BGB § 2077 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Wird eine eingetragene Lebenspartnerschaft nur deswegen aufgehoben, weil äußere Umstände dies bedingen, bleibt eine testamentarische Erbeinsetzung des (ehemaligen) Lebenspartners bestehen, wenn eine persönliche Entfremdung der Lebenspartner nicht anzunehmen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wurde eine Lebenspartnerschaft aufgrund äußerer Umstände und nicht aufgrund Entfremdung und bewusster Trennung aufgelöst, kann eine Aufrechterhaltung einer letztwilligen Verfügung dem Willen des Erblassers entsprechen. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
eingetragene Lebensgemeinschaft, Auflösung, letztwillige Verfügung, Unwirksamkeit, hypothetischer Wille
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 14.05.2018 – 609 VI 5603/17
Fundstellen:
MDR 2024, 1320
ErbR 2024, 798
FamRZ 2024, 1829
ZEV 2024, 760
RFamU 2024, 366
LSK 2024, 16691
BeckRS 2024, 16691
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.05.2018 aufgehoben.
2. Das Amtsgericht wird angewiesen, der Beschwerdeführerin den am 18.10.2017 beantragten Erbschein zu erteilen.
3. Den Beteiligten im Beschwerdeverfahren angefallene notwendige Aufwendungen sind nicht zu erstatten.
Gründe
1
Der Erblasser und der Beteiligte zu 1 lebten seit 2005 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Mit testamentarischer Verfügung vom 20.09.2010 setzte der Erblasser den Beteiligten zu 1 als seinen Alleinerben ein. Die Lebenspartnerschaft wurde in 2015 aufgelöst, nachdem der Beteiligte zu 1 aufgrund schwerer Krankheit zur Pflege zu seiner Tochter, der Beteiligten zu 2, gezogen war.
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Die Beteiligte zu 2 beantragte einen Erbschein, welcher den Beteiligten zu 1, ihren Vater, als Alleinerben nach dem Erblasser aufgrund des Testaments vom 20.09.2010 ausweist. Die Beteiligten zu 3 (Nachlasspflegerin) und zu 4 (Verfahrenspfleger) treten dem Erbscheinsantrag entgegen. Nach ihrer Auffassung wurde das Testament durch Auflösung der Lebenspartnerschaft unwirksam (§ 2077 Abs. 1 BGB).
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Das Amtsgericht München wies den Erbscheinsantrag mit Beschluss vom 14.05.2018 zurück. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zum weiteren Sachverhalt vollumfänglich auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 14.05.2018 Bezug genommen.
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Der Beschluss des Amtsgerichts war aufzuheben, da der befindende Senat nach eingehender Prüfung zu einer anderen Einschätzung der Sach- und Rechtslage als das Nachlassgericht gekommen ist.
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Zunächst wird hinsichtlich der Gründe vollumfänglich Bezug genommen auf die Hinweisbeschlüsse vom 02.02.2022 und 22.01.2024. An den Hinweisen im Beschluss vom 07.12.2022 wird, wie zuletzt mit Beschluss vom 22.01.2024 mitgeteilt, nicht festgehalten.
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1. Ausgangspunkt für die Entscheidung bleibt die Frage, ob mit Auflösung der eingetragenen Partnerschaft zwischen dem Erblasser und dem (inzwischen Vorverstorbenen) Beteiligten zu 1 das Testament vom 20.09.2010, in dem der Beteiligte zu 1 als Alleinerbe bedacht wurde, gemäß § 2077 Abs. 1 BGB unwirksam wurde. Eine solche Unwirksamkeit träte entsprechend § 2077 Abs. 3 BGB nicht ein, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser seine testamentarische Verfügung auch für den Fall der Auflösung der Lebenspartnerschaft – unter den vorliegenden Umständen – getroffen hätte.
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2. Nach Abwägung aller vorliegenden Umstände geht der Senat davon aus, dass das Testament vom 20.09.2010 wirksam blieb und der Beteiligte zu 1 damit Alleinerbe des Erblassers wurde. Der Senat hält insoweit vollumfänglich an der Einschätzung im Hinweisbeschluss vom 02.02.2022 fest. Anders als von den Beteiligten zu 3 und 4 in den Schriftsätzen vom 07.02.2024 und 22.05.2024 angenommen, hält der Senat vorliegend einen hypothetischen Willen des Erblassers für feststellbar, nach dem eine Aufrechterhaltung der testamentarischen Verfügung vom 20.09.2010 für den konkreten Fall der Auflösung der Lebenspartnerschaft anzunehmen ist.
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a) Der Senat konnte sich insbesondere anhand der bemerkenswerten Darstellung des Zeugen R1. (Eidesstattliche Versicherung zu notarieller Urkunde vom 25.09.2017, Bl. 30ff d.A.) eine Überzeugung dahingehend bilden, dass eine Aufrechterhaltung der Wirksamkeit des Testaments dem Willen des Erblassers entspricht.
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Die eidesstattliche Versicherung des Zeugen R1., schildert eindrücklich, welch freundschaftliches Verhältnis auch dann noch bestand, als er der Beziehung des Erblassers und des Beteiligten zu 1 hinzutrat.
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Es wird deutlich, dass dem Erblasser insbesondere an Freundschaft und Gemeinschaft mit dem Beteiligten zu 1 gelegen war, und nicht primär der Beziehungsstatus der eingetragenen Lebenspartnerschaft motivleitend für seine testamentarische Verfügung war.
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b) Insbesondere wird durch den Zeugen R1. auch wiederholt klargestellt, dass der Erblasser durchgehend bekundet habe, sein Nachlass solle der Familie des Beteiligten zu 1 zugute kommen. Dies wurde auch nach Aufhebung der Lebenspartnerschaft durch den Erblasser dem Zeugen gegenüber betont.
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c) Hinzu tritt die Auffindesituation des Testaments. Der Erblasser hatte das Testament unmittelbar vor seinem Klinikaufenthalt am 17.03.2017 (Todestag: 20.03.2017) in einer Dokumentenmappe so deponiert, dass es durch den Zeugen R1. in der gemeinsamen Wohnung aufgefunden werden musste.
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d) Die Aufhebung der Lebenspartnerschaft war gerade keine bewusste Entscheidung aufgrund Zerrüttung der Partnerschaft. Vielmehr ist sie nach der glaubwürdigen und uneigennützigen Zeugenaussage des Zeugen R1. ausschließlich aufgrund einer Rechtsberatung anlässlich einer Testamentserrichtung durch seine Person erfolgt. Dem Erblasser war insoweit deutlich gemacht worden, dass er bei bestehender Lebenspartnerschaft für die notwendige Pflege des schwer kranken Beteiligten zu 1 in Haftung genommen werden könne. Der Zeuge R1. betont insoweit weiter, dass dem Erblasser ausdrücklich empfohlen worden sei, die Lebenspartnerschaft aufzuheben.
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Der Senat kann hieraus nur den Schluss ziehen, dass praktisch ausschließlich äußere Umstände dazu führten, dass sich der Erblasser genötigt sah, zum Schutz seines Vermögens, die (rechtliche) Partnerschaft zu beenden, ohne die emotionale Verbundenheit zu seinem Freund und Gefährten aufzugeben.
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e) Eine Andeutung des Erblasserwillens findet sich im Testament insoweit, als der Erblasser darin von seinem Lebensgefährten und nicht von seinem Lebenspartner spricht. Auch wenn diese Formulierung alleine kaum ausreichend wäre, ergibt sich in der Zusammenschau mit allen anderen Umständen eine ausreichende Grundlage zur Ermittlung des hypothetischen Willen des Erblassers.
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3. Die Ausführungen der Beteiligten zu 3 und 4 in den Schriftsätzen vom 7.02.2024 und 22.05.2024 vermögen nicht, die Einschätzung des Senats zu ändern.
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a) Soweit die Beteiligten 3 und 4 geltend machen, die vom Senat zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg könne nicht herangezogen werden, so teilt der Senat diese Meinung nicht. Selbstverständlich entspricht der Sachverhalt nicht genau dem Vorliegenden, der wesentliche Aspekt ist indes vergleichbar.
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Maßgeblich ist der Gesichtspunkt, dass die Lebenspartnerschaft aufgrund äußerer Umstände und nicht aufgrund Entfremdung und bewusster Trennung aufgelöst wurde.
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Vergleiche OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.09.2022, 3 W 55/22:
„Das AG führt insoweit zu Recht aus, dass die Beziehung des Erblassers mit dem Antragsteller nicht daran scheiterte oder beendet wurde, weil beide sich auseinandergelebt hatten oder sich der Antragsteller während laufender Lebenspartnerschaft einem neuen Lebenspartner in schuldhafter Weise zugewandt hatte, sondern dass die Beziehung letztlich aufgrund der Demenz des Erblassers faktisch nicht mehr gelebt werden konnte und damit nicht willentlich vom Erblasser oder Antragsteller beendet wurde. Dieser Umstand ist bei der Erforschung des hypothetischen Willens des Erblassers miteinzubeziehen.“
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Der Beteiligte zu 1 zog aus der gemeinsamen Wohnung aus, um von seiner Tochter – in schwerer Krankheit – gepflegt zu werden, nicht, um die Lebensgemeinschaft aufzulösen. Soweit die Beteiligte zu 3 geltend macht, der Erblasser habe sich nach dem Auszug dem Zeugen R1. zugewandt, ist dem entgegenzuhalten, dass ausweislich dessen Aussage es bereits längere Zeit eine Beziehung sowohl des Erblassers, als auch des Beteiligten zu 1 und seiner Person gab. Diese Beziehung änderte aber gerade nichts an dem Verhältnis des Erblassers zum Beteiligten zu 1. b) Die Tatsache, dass der Erblasser kein neues Testament anfertigte, lässt nicht den Schluss zu, er habe es unterlassen wollen, den Beteiligten zu 1 zu begünstigen (vergleiche Ausführung der Beteiligten zu 3 im Schriftsatz vom 07.02.2024). Zum einen kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein juristischer Laie positive Kenntnis davon hatte, dass ein handschriftliches Testament bei Auflösung der Lebenspartnerschaft unwirksam werden könnte. Vorliegend sprechen alle Indizien dafür, dass der Erblasser gerade deswegen davon absah, ein neues Testament zu errichten, da er von der weiteren Wirksamkeit des Bestehenden ausging. Man beachte nur die bewusste Positionierung in der Wohnung des Zeugen R1. vor dem Krankenhausaufenthalt des Erblassers.
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4. Ein Verweis auf die Feststellungslast, welche bei der Antragstellerin liegt, ist insofern nicht ausreichend, als im Rahmen des FamFG und der dem Senat obliegenden Amtsermittlungspflicht sämtliche Umstände Berücksichtigung finden müssen. Aus Sicht des erkennenden Senats sind die vorliegenden Anhaltspunkte ausreichend, sich eine sichere Überzeugung vom hypothetischen Willen des Erblassers zu bilden.
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Letztlich ist in der Zusammenschau aller vorliegenden Umstände mit der erforderlichen Sicherheit davon auszugehen, dass der Erblasser, wenn er bei Abfassung des Testaments um die Umstände der Partnerschaftsauflösung gewusst hätte, die Verfügung gleichwohl getroffen hätte, § 2077 Abs. 3 BGB.
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Auf die Beschwerde hin war daher der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, den begehrten Erbschein zu erteilen.
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Für die erfolgreiche Beschwerde werden keine Gerichtskosten erhoben (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Eine Erstattung der den Beteiligten im Beschwerdeverfahren angefallenen notwendigen Aufwendungen durch einen der Beteiligten ist nach pflichtgemäßen Ermessen nicht veranlasst. Bei den Beteiligten zu 3 und 4 handelt es sich um gerichtlich bestellte Nachlasspfleger bzw. Verfahrenspfleger.
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Die Festsetzung eines Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren ist mangels der Entstehung von Gerichtskosten und mangels Kostenerstattung nicht veranlasst.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht erfüllt, da für die vorliegende Entscheidung die Klärung von Tatsachenfragen und nicht von Rechtsfragen maßgeblich ist. Es handelt sich insoweit um eine Entscheidung anhand sämtlicher relevanter Umstände im Einzelfall.