Titel:
Unzulässigkeit eines rückwirkend befristeten Anerkenntnisses
Normenketten:
VVG § 172 Abs. 1, § 173 Abs. 2, § 174
AVB-BU § 1, § 9, § 10 Abs. 3
Leitsätze:
1. Ein – grundsätzlich nicht zulässiges – rückwirkend befristetes Anerkenntnis liegt auch vor, wenn die gesamte danach zu leistende Berufsunfähigkeitsrente im Zeitpunkt des Zugangs des Anerkenntnisschreibens beim Versicherungsnehmer bereits zur Zahlung fällig ist. Es handelt sich dann um ein unbefristetes Anerkenntnis. (Rn. 14)
2. Zu den Anforderungen an die Begründung einer „uno actu“ mit einem derartigen Anerkenntnis erfolgenden Leistungseinstellung (Fortführung von Senat, NJW 2024, 1883). (Rn. 18 – 19)
Inhaltliche Mängel einer Einstellungsmitteilung im Rahmen der Nachprüfung von Berufsunfähigkeit kann der Versicherer mit Wirkung ex nunc heilen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Privatversicherungsrecht, Sonstiges Bürgerliches Recht, Berufsunfähigkeitsversicherung, Berufssportler, Berufsunfähigkeit, Anerkenntnis, rückwirkend befristetes Anerkenntnis, Nachprüfung, uno-actu-Entscheidung, Einstellungsmitteilung, formelle Mängel, Heilung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 28.03.2024 – 11 O 2679/22
Weiterführende Hinweise:
Die Berufung wurde nach dem Hinweis zurückgenommen.
Fundstellen:
VersR 2024, 1200
MDR 2024, 1252
LSK 2024, 16484
BeckRS 2024, 16484
NJW-RR 2024, 1489
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.03.2024, Az. 11 O 2679/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über weitergehende Ansprüche aus drei selbstständigen Berufsunfähigkeitsversicherungen, die der Kläger seit den Jahren 2008, 2009 und 2010 bei der Beklagten unterhält (Anlagenkonvolut K 1).
2
Mit einem am 24.01.2020 unterzeichneten Antragsformular machte der zuletzt als Berufsfußballer tätige Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus den drei Versicherungsverträgen geltend (Anlage K 2).
3
Unter dem 25.03.2020 sandte die Beklagte dem Kläger zu allen drei Versicherungsverträgen jeweils ein Schreiben, in dem es u.a. hieß:
„Sie erhalten vom 01.08.2019 bis zum 31.03.2020 befristet Leistungen gemäß § 9 (1) der allgemeinen Versicherungsbedingungen der Tarifgruppe SBU … aus Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Für die Dauer der Berufsunfähigkeit brauchen Sie zu diesem Vertrag keine Beiträge mehr zu zahlen. Außerdem erhalten Sie eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von … Euro.
Telefonisch teilten Sie mit, dass Sie gesundheitlich wieder dazu in der Lage sind, Ihrer Tätigkeit als Berufssportler nachzugehen. Nachdem Sie seit Anfang März nicht mehr arbeitsunfähig geschrieben sind, konnten Sie wieder mit dem Training beginnen und sollten auch wieder regulär an Auswärtsspielen teilnehmen. Unsere Leistungen erbringen wir daher bis zum 31.03.2020. Über diesen Zeitpunkt hinaus liegt keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr vor.“
4
Der Kläger begehrt Leistungen aus den drei Berufsunfähigkeitsversicherungen für den Zeitraum April 2020 bis (einschließlich) Januar 2022. Seine erstinstanzlichen Klageanträge waren zuletzt auf Zahlung von 61.828,14 € sowie auf Feststellung der Verpflichtung zur Abrechnung und Auszahlung der sich aus der Überschussbeteiligung ergebenden Zusatzrente gerichtet. Ferner verlangte er Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.085,92 €.
5
Das Landgericht hat dieser Klage ohne Beweisaufnahme überwiegend stattgegeben. Es hat die Beklagte zur Zahlung von 57.380,71 € und zu der begehrten Freistellung verurteilt. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte zur Abrechnung und Auszahlung der sich aus der Überschussbeteiligung ergebenden Zusatzrente verpflichtet sei. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den Schreiben der Beklagten vom 25.03.2020 um unzulässig rückwirkend befristete Anerkenntnisse handele. Diese Schreiben könnten zwar in Änderungsmitteilungen umgedeutet werden, sie erfüllten jedoch nicht die formellen Voraussetzungen.
6
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt. Der Kläger nimmt sein Teil-Unterliegen hin.
7
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
8
Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht der Klage in dem tenorierten Umfang stattgegeben. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
9
1. Streitgegenständlich sind Leistungen aus drei von dem Kläger bei der Beklagten gehaltenen selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherungen in den Tarifen „SBU 08“ bzw. „SBU 09“. Da die maßgeblichen Klauseln in den jeweils geltenden Bedingungswerken (im Folgenden: AVB-BU; Anlagenkonvolut K 1) und der Wortlaut der Schreiben der Beklagten vom 25.03.2020 (Anlagenkonvolut K 3) in den zentralen Passagen identisch sind, kann die rechtliche Würdigung einheitlich erfolgen.
10
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte jeweils einen Anspruch aus § 172 Abs. 1 VVG, § 1 Abs. 1 AVB-BU.
11
Unbestritten ist ein Versicherungsfall gemäß § 2 Abs. 1 AVB-BU eingetreten. Er ist seitens der Beklagten mit Schreiben vom 25.03.2020 anerkannt worden (§ 173 Abs. 1 VVG, § 9 Abs. 1 AVB-BU). Diese Schreiben erwähnen ausdrücklich die für „die Dauer der Berufsunfähigkeit“ zu erbringenden Zahlungen sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht und enthalten unzweifelhaft eine verbindliche Leistungszusage.
12
Ein befristetes Anerkenntnis, das sich allein auf einen im Zeitpunkt der Erklärung vollständig in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht, war der Beklagten grundsätzlich nicht möglich (vgl. BGH, Urteile vom 23.02.2022 – IV ZR 101/20, NJW 2022, 1813 Rn. 12 ff. und vom 31.08.2022 – IV ZR 223/21, NJW-RR 2022, 1618 Rn. 12). Aus dem in § 9 Abs. 1 AVB-BU geregelten Recht der Beklagten auf eine einmalige Befristung folgt nicht Gegenteiliges (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2023, 44079 Rn. 50).
13
Ob im Einzelfall etwas anderes gilt, wenn der Versicherungsnehmer erst nach Ende der Berufsunfähigkeit Versicherungsleistungen beantragt und so gegebenenfalls die Leistungspflicht des Versicherers durch sein eigenes Verhalten verlängern könnte, kann hier offen bleiben (ebenso BGH, Beschluss vom 13.03.2019 – IV ZR 124/18, NJW 2019, 2385 Rn. 20). Der Kläger hat seinen Leistungsantrag am 24.01.2020 gestellt (Anlage K 2), als die von der Beklagten anerkannte Berufsunfähigkeit noch andauerte.
14
Im Streitfall war die Befristung nicht (auch) in die Zukunft gerichtet (LGU 10). Die Beklagte hat zwar eine bis zum 31.03.2020 bestehende Leistungspflicht anerkannt. Die für März 2020 zu zahlenden monatlichen Berufsunfähigkeitsrenten waren im Zeitpunkt des Zugangs der Anerkenntnisschreiben beim Kläger jedoch bereits zur Zahlung fällig (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AVB-BU). Anderenfalls könnte der Versicherer die in § 10 Abs. 3 AVB-BU geregelte Nachleistungspflicht unterlaufen. Darüber hinaus dient die Befristung dem Zweck, in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung des Versicherers zu ermöglichen. Diesen Zweck hat die Beklagte hier – aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers – ersichtlich nicht verfolgt. Sie begründete die Befristung ausdrücklich mit einer bereits eingetreten gesundheitlichen Änderung. Aus den Schreiben vom 25.03.2020 geht insbesondere nicht hervor, dass die Beklagte die Leistungsprüfung fortsetzt und noch eine Begutachtung durchführen lassen wird.
15
Es handelte sich demnach – wie die gemäß § 140 BGB gebotene Umdeutung ergibt –, um ein unbefristetes Anerkenntnis, an das die Beklagte gebunden war und von dem sie sich nur nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens lösen konnte (§ 174 VVG, § 10 AVB-BU; vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1993 – IV ZR 206/91, r+s 1994, 72, 73 m.w.N.; BeckOK-VVG/Mangen/Marlow, a.a.O. Rn. 15a). Das von der Berufung angeführte Wirtschaftlichkeitsgebot gebietet keine andere Sichtweise.
16
3. Ist der Versicherer im Zeitpunkt der Abgabe eines aufgrund zunächst nachgewiesener Berufsunfähigkeit gebotenen Anerkenntnisses der Ansicht, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sei bereits wieder entfallen, so kann er Anerkenntnis und Entscheidung im Nachprüfungsverfahren miteinander verbinden (sog. „uno-actu-Entscheidung“; vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1997 – IV ZR 6/97, NJW 1998, 760, 761; Senatsbeschluss vom 08.04.2024 – 8 U 119/24, NJW 2024, 1883 Rn. 13; OLG Hamm, BeckRS 2023, 44079 Rn. 66; OLG Saarbrücken, BeckRS 2017, 114710 Rn. 38). Dies trägt einem praktischen Bedürfnis Rechnung (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 14 Rn. 177). Ein solches Vorgehen beruht allerdings nicht auf einer „Erstprüfung“, sondern auf einer Nachprüfung, mit der Folge, dass die Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht in formeller und materieller Hinsicht erfüllt sein müssen (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.).
17
a) In zeitlichem Kontext ist zunächst festzustellen, dass die Beklagte ihre Leistungen erst mit Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Einstellungsmitteilung einstellen durfte (§ 10 Abs. 3 AVB-BU). Für die Monate April bis Juni 2020 schuldet die Beklagte daher ohne Weiteres weitere Leistungen aus den drei Versicherungsverträgen.
18
b) Zutreffend hat die Vorinstanz festgestellt, dass die Begründung der Leistungseinstellung in den Schreiben der Beklagten vom 25.03.2020 nicht den Mindestanforderungen genügte (LGU 11; vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 03.11.1999 – IV ZR 155/98, r+s 2000, 213, 215). Wirksam ist eine solche Mitteilung nur, wenn darin nachvollziehbar begründet wird, warum die anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Es fehlte hier insbesondere an einer Vergleichsbetrachtung und daraus abgeleiteter Folgerungen. Namentlich der allgemeine Hinweis auf einen verbesserten Gesundheitszustand genügte nicht (vgl. Neuhaus, a.a.O., Rn. 178). Der Versicherer kann sich daher nicht darauf beschränken, allein die aktuelle gesundheitliche Situation der versicherten Person zu beschreiben und daraus den Schluss zu ziehen, es liege nunmehr keine bedingungsgemäße Berufsfähigkeit mehr vor (vgl. Knechtel in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, § 9 BUV Rn. 110). Die in Textform gehaltene Einstellungsmitteilung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AVB-BU dient auch dem Zweck, den Versicherungsnehmer in die Lage zu versetzen, sein Prozessrisiko abschätzen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 02.11.2005 – IV ZR 15/05, NJW-RR 2006, 171 Rn. 22). Dies war vorliegend ebenfalls nicht gewährleistet. Dass es treuwidrig erscheinen soll, sich seitens des Klägers hierauf zu berufen, vermag der Senat nicht zu erkennen.
19
Es kann auch nicht allgemein unterstellt werden, dass der Versicherungsnehmer selbst am besten wisse, dass und wie sich sein Gesundheitszustand gebessert hat. Dass der Kläger telefonisch mitgeteilt habe, er sei „seit Anfang März nicht mehr arbeitsunfähig geschrieben“, begründet keine vollständige Kenntnis über den Wegfall der gesundheitlichen Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Wie sich aus dem als Anlage K 4 vorgelegten Schreiben ergibt, hat der Kläger außerdem eine Leistungseinschränkung aufgrund behaupteter Beschwerden in Form eines Teilabrisses der Quadrizepssehnen oder eines Teilabrisses der Achillessehnen geltend gemacht, welche die Beklagte – nach medizinischer Begutachtung – nur in geringem, keine Berufsunfähigkeit auslösendem Maße festgestellt hat. Teilweise sei – so die Beklagte – auch keinerlei Schädigungszustand festzustellen bzw. die geschilderten Beschwerden des Klägers seien rein subjektiver Natur.
20
c) Nach Auffassung des Senats hat der Versicherer die Möglichkeit, inhaltliche Mängel der Einstellungsmitteilung durch eine neuerliche Begründung mit ex-nunc-Wirkung zu heilen (vgl. auch BGH, Urteil vom 03.11.1999 – IV ZR 155/98, r+s 2000, 213, 215; OLG Hamm, BeckRS 2023, 44079 Rn. 78 ff.). Dies ist hier mit dem Schreiben der Beklagten vom 28.10.2021 erfolgt (Anlage K 4). Dieses Schreiben enthält „rein vorsorglich“ eine Erklärung der Einstellung der Leistungspflicht zum 31.01.2022 und genügte – wie auch der Kläger letztlich nicht bestreitet – den formellen Anforderungen. Mit der Klage werden demzufolge auch nur Leistungen für den Zeitraum April 2020 bis Januar 2022 (22 Monate) geltend gemacht. Auch der Feststellungstenor zu 2. ist auf diesen Zeitraum beschränkt. Zukünftige Leistungen waren weder Gegenstand der in erster Instanz zuletzt gestellten Klageanträge noch hat sie das Landgericht zuerkannt. Der Umfang der objektiven Rechtskraft des Urteils ist daher zweifelsfrei bestimmbar. Eine negative Feststellungswiderklage hinsichtlich des Zeitraums ab Februar 2022 hat die Beklagte nicht erhoben.
21
4. Das Landgericht hat die zu zahlenden Berufsunfähigkeitsrenten und die zu erstattenden Beiträge zutreffend berechnet (LGU 13). Dies greift die Berufung ebenso wenig an wie die Feststellungen zur Überschussbeteiligung und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
22
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).