Inhalt

VG München, Beschluss v. 28.02.2024 – M 5 S 23.4626
Titel:

Ruhestandsversetzung, Sofortvollzug, Anforderungen an Begründung des Sofortvollzuges, Suchpflicht des Dienstherrn, Fehlerhafte Beteiligung der Personalvertretung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BeamtStG § 26 Abs. 1 S. 1 und S. 2
BeamtStG § 26 Abs. 2
BayBG Art. 65
BayPVG Art. 76 Abs. 1 Nr. 6
Schlagworte:
Ruhestandsversetzung, Sofortvollzug, Anforderungen an Begründung des Sofortvollzuges, Suchpflicht des Dienstherrn, Fehlerhafte Beteiligung der Personalvertretung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 16464

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … September 2023 gegen den Bescheid über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit vom … August 2023 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 32.136,25 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der 1961 geborene Antragsteller steht als Beamter auf Lebenszeit (Besoldungsgruppe A 12) in Diensten der Antragsgegnerin. Er wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzuges seiner Ruhestandsversetzung.
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Der Antragsteller war ursprünglich als Leiter des Sachgebietes 31 – Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Veranstaltungen und später dann Leiter der Stabstelle „Krisenmanagement und Veranstaltungsorganisation“ eingesetzt.
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Nach einer längeren Krankheitsphase befand sich der Antragsteller vom … Juni 2022 bis … August 2022 in einer betrieblichen Wiedereingliederung.
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Vom *. Oktober 2022 bis *. November 2022 war der Antragsteller erneut dienstunfähig erkrankt.
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Mit Schreiben vom … Dezember 2022 beauftragte die Antragsgegnerin das Gesundheitsamt des Landratsamtes X., den Antragsteller auf seine Dienstfähigkeit hin zu untersuchen. Im Gesundheitszeugnis vom *. Januar 2023 kommt die Amtsärztin zu der Einschätzung, dass Dienstunfähigkeit derzeit nicht vorliege. Auslöser der Erkrankung des Antragstellers seien die tiefgreifenden strukturellen und personellen Veränderungen am Arbeitsplatz des Antragstellers, welche dieser als Kränkung und Degradierung empfunden habe. Die von der Antragsgegnerin geschilderten Konzentrationsstörungen oder Formulierungsschwächen hätten nicht festgestellt werden können. Bei einer Fortsetzung der Beschäftigung unter gleichbleibender Arbeitsbedingungen sei die Gefahr der Fixierung der Symptomatik gegeben. Aktuell liege Dienstfähigkeit vor, sofern die Rahmenbedingungen geändert werden könnten. Um die Dienstfähigkeit des Beamten über die nächsten Jahre zu erhalten, sei eine grundlegende Veränderung der Arbeitsplatzsituation erforderlich, die die empfundene Kränkung nicht weiter fördere. Hierfür wäre wahrscheinlich der Einsatz eines externen Moderators sinnvoll, da die Situation insgesamt schon recht verfahren erscheine.
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Zum *. Februar 2023 wurde der Kläger auf einer neu eingerichteten Stabstelle verwendet. Er war dort direkt dem Ersten Bürgermeister unterstellt und betreute hervorgehobene Projektaufgaben.
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Zwischen Anfang Februar 2023 und Juni 2023 war der Antragsteller durchgehend dienstunfähig erkrankt.
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Mit weiterem Gesundheitszeugnis vom … April 2023, welches unter Zuhilfenahme eines psychiatrischen Zusatzgutachtens erstellt wurde, kommt die Amtsärztin zu dem Schluss, dass bei Fortbestehen der konflikthaften Arbeitsplatzsituation von einer ungünstigen Prognose auszugehen sei. Auch fachärztlich sei der Antragteller in der Lage, eine für ihn subjektiv befriedigende und mit entsprechender Wertschätzung verbundene Tätigkeit auszuüben und unter diesen Umständen den Belastungen seiner Tätigkeit standzuhalten. Abgesehen von der Konfliktlösung am Arbeitsplatz seien keinerlei medizinische oder therapeutische Maßnahmen ersichtlich, die zu einer Verbesserung beitragen könnten. Die erforderlichen Maßnahmen seien damit rein im Personal- und Führungsbereich angesiedelt und oblägen daher dem Dienstherrn.
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Mit Schreiben von … Mai 2023 wurde der Antragsteller zur vorzeitigen Ruhestandsversetzung angehört.
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Mit Schreiben vom … Juli 2023 beantragte der Antragsteller die Beteiligung des Personalrates für das Ruhestandsversetzungsverfahren. Mit Schreiben vom … Juli 2023 bat der Dienstherr den Personalrat um Zustimmung hinsichtlich des Ruhestandsversetzungsverfahrens des Antragstellers. Der Personalrat äußerste mit Schreiben vom … August 2023 Einwendungen gegen die Ruhestandsversetzung
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Mit Stadtratsbeschluss vom … Juli 2023 beschloss der Stadtrat die Zwangspensionierung des Antragstellers.
12
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom … August 2023 wurde der Antragsteller wegen Dienstunfähigkeit ab dem … September 2023 in den Ruhestand versetzt. Der Beamte sei nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) und des Art. 65 Abs. 2 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) dienstunfähig. Es sei bereits eine eigene Stelle für den Antragsteller geschaffen worden, deren Anforderungen der Antragsteller nicht gewachsen gewesen sei. Die Suchpflicht sei somit erfüllt. Die Anordnung des Sofortvollzuges liege im öffentlichen Interesse sowie im Interesse des Beamten. Die Fürsorgepflicht gebiete es, einen dienstunfähig erkrankten Beamten für die Dauer des Klageverfahrens nicht weiter zu beschäftigen. Weiter bestehe ein öffentliches Interesse, die auf dem Dienstposten anfallenden Verfahrensabläufe sicherzustellen, sodass der ordnungsgemäße Vollzug der Dienstgeschäfte auf der Stelle des Beamten sichergestellt sei.
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Mit Schreiben vom *. September 2023 hat die Antragstellerpartei Widerspruch eingelegt, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
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Mit Schriftsatz vom … September 2023 hat der Antragsteller einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und beantragt,
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Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom *. September 2023 wiederherzustellen.
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Die Versetzung in den Ruhestand sei rechtswidrig, da der Antragsteller nicht dienstunfähig sei, wie sich aus den amtsärztlichen Gutachten ergebe. Zudem habe der Dienstherr nicht die von der Amtsärztin vorgegebenen Maßnahmen ergriffen, damit der Antragsteller auf Dauer dienstfähig bleibe. Auch sei fraglich, ob der Stadtrat ordnungsgemäß geladen gewesen sei. Weiter sei der Dienstherr seiner Suchpflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen und die Anordnung des Sofortvollzuges sei nicht hinreichend begründet.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
18
den Antrag abzulehnen.
19
Die Ruhestandsversetzung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller sei dienstunfähig. Der Dienstherr habe eine neue Stelle geschaffen und zwei Wiedereingliederungsmaßnahmen mit dem Beamten durchgeführt. Auch sei die Suchpflicht erfüllt worden. Eine dem Statusamt des Antragstellers niederwertige Tätigkeit sei schon deshalb ausgeschieden, da dem Antragsteller auf einer solchen Stelle die erforderliche Wertschätzung nicht zugekommen wäre, welche nach Aussage der Amtsärztin zur Aufrechterhaltung der Dienstfähigkeit jedoch erforderlich sei.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
22
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtswidrig und die vom Gericht im Rahmen des Antrags gem. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende originäre Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Ruhestandsversetzung überwiegt.
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1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Bestimmung stellt eine zentrale Norm der Verwaltungsrechtspflege dar, denn der Bürger hat nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) Anspruch auf eine tatsächlich wirksame Kontrolle der Verwaltung. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage aber nicht schlechthin. Die Behörde darf sie gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, wenn dafür ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das grundsätzlich über jenes Interesse hinauszugehen hat, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.
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Dieses besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes ist nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen (zu den Anforderungen siehe etwa BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 6). Die Begründung der Vollzugsanordnung der Antragsgegnerin im Bescheid vom … August 2023 genügt diesem gesetzlichen Erfordernis nicht, da sie lediglich formelhaft ist. Die Anordnung des Sofortvollzuges lässt nicht erkennen, dass die Behörde eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen hat. Auch hat die Behörde nur einseitig auf die Interessenlage der öffentlichen Hand abgestellt und die Interessen des Antragstellers, welche gegen einen Sofortvollzug sprechen, nicht gewürdigt.
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So führt der Dienstherr aus, dass die Fürsorgepflicht es gebiete, einen dienstunfähig erkrankten Beamten für die Dauer des Klageverfahrens nicht weiter zu beschäftigen. Der sich aufdrängende Umstand, dass aus Fürsorgegesichtspunkten auch der Beamte ein Interesse an einer Weiterbeschäftigung haben kann, wird nicht in Erwägung gezogen und es wird auch keine Abwägung diesbezüglich getroffen. Auch das öffentliche Interesse, die auf dem Dienstposten anfallenden Verfahrensabläufe sicherzustellen, sodass der ordnungsgemäße Vollzug der Dienstgeschäfte auf der Stelle des Beamten sichergestellt werde, ist lediglich eine floskelhafte pauschale Formulierung, ohne auf den konkreten Dienstposten des Klägers einzugehen. So ist schon nicht klar, welcher konkrete Dienstposten gemeint ist. Naheliegend dürfte wohl der letzte vom Antragsteller innegehabte Dienstposten Leiter der Stabstelle Projektbetreuung gemeint sein. Anderseits wurden im Juni 2023 noch Gespräche für ein weiteres Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) geführt, sodass auch eine andere Stelle, auf welcher das BEM durchgeführt werden sollte, gemeint sein könnte. Inwiefern für die – erstmals für den Antragsteller Anfang 2023 geschaffene – Stelle eine zeitnahe Nachbesetzung und der ordnungsgemäße Vollzug der Dienstgeschäfte auf dieser Stelle das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen, ist nicht dargelegt. Inwieweit für diese Stelle, welche durch den Antragsteller im Rahmen seines BEM ohnehin zunächst nur mit einer verminderten Wochenstundenzahl besetzt war, eine sofortige Nachbesetzung im öffentlichen Interesse liegt, wurde nicht angeführt, sondern lediglich pauschal behauptet.
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2. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO werden die Interessen der Antragsgegnerin am sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts und die des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage in der Hauptsache abgewogen. Das Gericht trifft eine eigene Ermessenentscheidung darüber, ob das Suspensivinteresse des Antragstellers oder das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin höher zu gewichten ist. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache sind als wesentliches, jedoch nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen Vollziehung. Dagegen stellt es ein gewichtiges Indiz für das Überwiegen des Vollzugsinteresses dar, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg verspricht (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18).
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Eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt im vorliegenden Fall, dass durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung vom … August 2023 bestehen.
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a) Rechtsgrundlage für die Ruhestandsversetzungsverfügung ist § 26 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) i.V.m. Art. 65 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG).
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Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauerhaft unfähig (dienstunfähig) sind.
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Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hierzu bestimmt Art. 65 Abs. 1 BayBG, dass Beamtinnen und Beamte auch dann als dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG angesehen werden können, wenn sie infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet haben und keine Aussicht besteht, dass sie innerhalb von weiteren sechs Monaten wieder voll dienstfähig werden.
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Für die Annahme einer Dienstunfähigkeit reicht es jedoch nicht aus, dass der Beamte die Aufgaben des von ihm wahrgenommenen Amtes im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) nicht mehr erfüllen kann. Denn Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Damit setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. zu § 42 BBG a.F.: BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 73/08 – BVerwGE 133, 297, juris Rn. 14).
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Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 3 B 98.1080 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 13.2.2019 – M 5 K 17.3644 – juris Rn. 24).
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Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 18).
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Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 17; OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris Rn. 49; OVG NW, U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris Rn. 37).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsversetzungsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtlich fehlerhaft.
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aa) Der Bescheid ist bereits formell rechtswidrig. Nach Art. 76 Abs. 1 Nr. 6 des Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) ist auf Antrag des Beamten der Personalrat im Zwangspensionierungsverfahren zu beteiligen. Die Frist des Personalrates hierzu beträgt zwei Wochen (Art. 72 Abs. 2 Satz 1 BayPVG).
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Unabhängig eines möglicherweise späteren Fristbeginns – wovon der Personalrat ausgeht – lief jedenfalls zum Zeitpunkt des Stadtratsbeschlusses über die Entlassung des Antragstellers die Mitwirkungsfrist des Personalrates noch.
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Die fehlerhafte Beteiligung des Personalrates kann noch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids geheilt werden. Auch wenn die Beteiligung des Personalrates keiner der in Art. 45 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) aufgezählten Fallgruppen unterfallen dürfte, gelten die in Art. 45 Abs. 1 BayVwVfG genannten Grundsätze nach allgemeiner Meinung auch für andere, dort nicht genannte Fehler; sie können durch Nachholung des versäumten Verfahrenselements geheilt werden, wenn sich eine Heilung nicht aus der Natur der jeweiligen Verfahrensvorschrift verbietet (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 45 Rn. 135 ff. m.w.N.; BVerwG, B.v. 4.6.2019 – 1 WDS-VR 6/19 – Buchholz 450.1 § 23a WBO Nr. 8, juris Rn. 27).
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Entscheidend für eine wirksame Nachholung einer unterbliebenen oder unzureichenden Anhörung ist aber, dass die Personalvertretung nachträglich eine in der Substanz vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhält und der Dienstherr die gegebenenfalls nachträglich vorgebrachten Einwendungen einer kritischen Prüfung im Hinblick auf die zu treffende endgültige Entscheidung unterzieht (vgl. OVG LSA, U.v. 18.8.2010 – 3 L 372/09 – juris Rn. 42 zu § 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 VwVfG).
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Vorliegend hat jedoch nicht das für die Entlassung zuständige Organ, der Stadtrat, sondern lediglich der Erste Bürgermeister die kritische Stellungnahme des Personalrates im Entlassungsbescheid gewürdigt. Eine in der Substanz vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme liegt damit nicht vor, da das für die Entscheidung über die Entlassung zuständige Organ die Stellungnahme des Personalrates nicht in seine Entscheidungsfindung einbeziehen und würdigen konnte.
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Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Stadtrat der Antragsgegnerin bei Kenntnis einer Stellungnahme der Personalvertretung zu einer anderen Einschätzung gekommen wäre. Der Personalrat hat ausdrücklich betont, dass die Frist für dessen Stellungnahme noch nicht abgelaufen sei und weitere Informationen benötigt würden. Eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Beteiligung dieses Gremiums wurde zwar eingeleitet, aber die hierfür eingeräumte Frist von zwei Wochen (Art. 72 Abs. 2 Satz 1 BayPVG) nicht eingehalten. Vorliegend ist eine vorzeitigte Ruhestandsversetzung auf der Grundlage der amtsärztlichen Einschätzungen nicht begründet. Denn dort ist ausdrücklich angegeben, dass der Antragsteller grundsätzlich dienstfähig für eine Tätigkeit in einem abstrakt-funktionellen Amt seiner Besoldungsgruppe ist. Der belastende Umstand wird in der konkreten Arbeitsplatzsituation gesehen. Die Antragsgegnerin ist bei der streitgegenständlichen Ruhestandsversetzung von der Bewertung der Amtsärztin abgewichen. Zwar ist der Dienstherr nicht an die amtsärztliche Einschätzung gebunden. Von der ärztlichen Einschätzung kann unter Einbeziehung aller Umstände abgewichen werden (Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Februar 2023, Rn. 22a zu § 26 BeamtStG). Dazu gehört auch die Einschätzung der Personalvertretung, wenn der betroffene Beamte deren Beteiligung – wie hier – beantragt hat. Diese abweichende Einschätzung muss auch besonders begründet werden. Im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung, wie eine Entscheidung bei ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats ausgefallen wäre, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin zum selben Ergebnis gekommen wäre, da sich die Dienstunfähigkeit nicht ohne weiteres aus den getroffenen Feststellungen ergibt. Es hätte in der Sache auch eine andere Entscheidung ergehen können.
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bb) Der Bescheid ist auch materiell rechtswidrig.
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(1) Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ist von der Versetzung in den Ruhestand zwingend abzusehen, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist, d.h. dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG). Mit Wirkung zum … Dezember 2018 wurde aus der zuvor geltenden „Soll“-Vorschrift eine zwingende Norm. Danach wird nicht in den Ruhestand versetzt, wer anderweitig verwendbar ist (Art. 1 Nr. 7, Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenstatusgesetzes und des Bundesbeamtengesetzes sowie weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 29.11.2018, BGBl. I S. 2232; vgl. Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Februar 2023, § 26 BeamtStG Rn. 4).
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Gemäß § 26 Abs. 3 BeamtStG kann unter Beibehaltung des übertragenen Amtes dem Beamten ohne seine Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit im Bereich desselben Dienstherrn übertragen werden, wenn eine anderweitige Verwendung nicht möglich ist und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 46.08 – juris; U.v. 26.3.2009 – 2 C 73/08 – BVerwGE 133, 297, juris; BayVGH, B.v. 11.1.2012 – 3 B 10.346 – juris).
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Die vorgenannten Vorschriften begründen die Pflicht des Dienstherrn, nach einer anderweitigen, dem Beamten gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendung (einschließlich der Verwendung nach § 26 Abs. 3 BeamtStG) von Amts wegen ernsthaft und gründlich zu suchen. Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel der Vorschrift, dienstunfähige Beamte nach Möglichkeit im aktiven Dienst zu halten. Das wurde durch die Neufassung des § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG unterstrichen. Ohne die so verstandene gesetzliche Suchpflicht könnte der Dienstherr über die Geltung des Grundsatzes „Weiterverwendung vor Versorgung“ nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien er sich um eine anderweitige Verwendung bemüht. Das wäre mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar (BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297, juris Rn. 25; U.v. 19.3.2015 – 2 C 37/13 – NVwZ-RR 2015, 625, juris Rn. 15 zu Art. 56 Abs. 1 Satz 1 BayBG a.F.; BayVGH, B.v. 2.10.2014 – 3 ZB 12.1740 – juris Rn. 4). Das übereinstimmende Interesse aller Dienstherren an der vollen Nutzung der knappen personellen Ressourcen des öffentlichen Dienstes und an der Realisierung der von den Beamtinnen und Beamten eingegangenen Verpflichtung zur vollen Dienstleistung bis zum Erreichen der Altersgrenze rechtfertigt diese Regelung. Die zuständigen Dienststellen müssen im Fall der Dienstunfähigkeit vor einer Versetzung in den Ruhestand als ultima ratio zunächst umfassend Möglichkeiten einer anderweitigen Verwendung prüfen (BT-Drs. 780/06, S. 57 f. zu § 27 BeamtStG a.F.). Die Suche nach einem anderen Amt muss dem Grundsatz „Weiterverwendung vor Versorgung“ in effektiver Weise zur Umsetzung verhelfen (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2012 – 2 A 5/10 – juris Rn. 4; U.v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297, juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 29.4.2014 – 3 CS 14.273 – juris Rn. 28).
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Der Dienstherr ist von der Suchpflicht nur dann entbunden, wenn feststeht, dass der Beamte generell nicht mehr oder nur mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zur Dienstleistung imstande ist; deren Zweck kann dann von vornherein nicht mehr erreicht werden (BVerwG, B.v. 6.11.2014 – 2 B 97/13 – NVwZ 2015, 439, juris Rn. 13; U.v. 5.6.2014 – 2 C 22/13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 34).
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Die Suche nach einer Verwendungsmöglichkeit muss sich regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn sowie auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit (sechs Monate) voraussichtlich neu zu besetzen sind. Die Suchanfrage muss eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten. Diese Kurzbeschreibung muss unter Wahrung des Personaldatenschutzes den angefragten Behörden die Einschätzung erlauben, ob der Beamte für eine Verwendung in ihrem Verantwortungsbereich in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37/13 – NVwZ-RR 2015, 625, juris Rn. 17 f.; B.v. 6.3.2012 – 2 A 5/10 – juris Rn. 4). Die Suchpflicht darf sich nicht auf die Nachfrage beschränken, ob eine andere Behörde im Bereich des Dienstherrn bereit ist, den Beamten zu übernehmen. Vielmehr sind konkrete, ggf. auch dialogische Bemühungen erforderlich, den Beamten anderweitig zu verwenden. Zur Suchpflicht gehört des Weiteren eine Nachfrage bei einer anderen Behörde, wenn diese eine Abfrage unbeantwortet lässt (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2012 – 2 A 5/10 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 29.4.2014 – 3 CS 14.273 – juris Rn. 28).
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Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der ihm obliegenden Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die Vorgaben des § 26 Abs. 3 BeamtStG beachtet hat. Denn es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es zulasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37/13 – NVwZ-RR 2015, 625, juris Rn. 20).
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(2) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsversetzungsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtlich fehlerhaft.
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Inwiefern der Dienstherr – bei einem Krankheitsbild, welches auf fehlender Wertschätzung und einer damit einhergehenden Kränkung des Beamten beruht – bei der Suchpflicht auch niedrigere Statusämter in den Blick zu nehmen hat, kann letztlich dahinstehen, da die Antragsgegnerin jedenfalls bereits ihrer Suchpflicht nach Stellen im Statusamt A 12 nicht nachgekommen ist.
51
Der Dienstherr führt im Bescheid vom … August 2023 lediglich aus, dass eine A 12-Stelle eigens für den Antragssteller geschaffen worden sei. Den Anforderungen an diese Stelle sei der Antragsteller nicht gewachsen gewesen. Der Suchpflicht sei somit nachgekommen worden. Inwiefern die Antragsgegnerin geprüft hat, ob andere Dienstposten im Statusamt A 12 frei sind oder in absehbarer Zeit (sechs Monate) voraussichtlich neu zu besetzen sind, ergibt sich weder aus dem Bescheid, noch aus den Behördenakten.
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(3) Auf die Frage, ob die Bewertung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller dienstunfähig ist, einer rechtlichen Überprüfung standhalten kann, kommt es nicht entscheidungserheblich an, da die Ruhestandsversetzung vom … August 2023 – wie oben dargestellt – bereits formell sowie materiell rechtswidrig ist.
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3. Die Antragsgegnerin hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Gericht legt hierbei Jahresbezüge in Höhe von 64.272,50 EUR (A 12, Stufe 11 zuzüglich Jahressonderzahlung) zugrunde.